Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
35
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 35 KR 1134/10
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 15/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist der Anspruch auf Vergütung einer Krankenhausbehandlung.
Die Klägerin betreibt eine im Sachleistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassene Klinik. Dort wurde die bei der Beklagten versicherte K.S. wegen einer Borderline-Störung in der Zeit vom 4. Oktober 2006 bis 12. April 2007 behandelt.
Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme für die Behandlung ab. Zur Begründung berief sie sich auf Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) von Dr. B., wonach die Notwenigkeit einer vollstationären Krankenhausaufnahme nicht nachvollziehbar sei. Der Patientenakte seien konkrete Angaben zum Umfang und Frequenz des selbstverletzenden Verhaltens nicht zu entnehmen; der Befund "affektiv abgespalten und wenig schwingungsfähig" begründe für sich keinen Krankenhausaufenthalt. Da die Patientin über Warteliste aufgenommen worden sei, habe keine akute Symptomatik vorgelegen. Ärztliche oder pflegerische Intervention seien nicht zur Anwendung gekommen, deshalb sei ambulante, institutsambulante oder tagesklinische Behandlung ausreichend gewesen.
Im Widerspruch der Klägerin vom 10. Juni 2008 heißt es, aufgrund des chronischen Störungsbildes sei die Behandlung nicht auf die Beseitigung akuter Störungen ausgerichtet gewesen, sondern auf Ich-strukturelle Nachreifung durch Beziehungsarbeit im Sinne einer längerfristig ausgerichteten stationären Psychotherapie.
Die Beklagte hielt an ihrer Auffassung unter Berufung auf das Gutachten des MDK von Dr. B. vom 9. Dezember 2009 fest und verrechnete am 16. März 2010 die Kosten der stationären Behandlung in Höhe von 43.418,62 EUR mit einem anderen Behandlungsfall.
Die Klägerin hat am 22. Juni 2010 Klage erhoben auf Zahlung dieses Betrages nebst Zinsen. Bei der Versicherten sei die "beziehungszentrierte psychodynamische Psychotherapie" vor dem Hintergrund eines vollstationären multiprofessionellen Settings durchgeführt worden. Die Patientin habe zu Beginn der Behandlung massive Schwierigkeiten im Kontaktverhalten mit extremen Entwertungstendenzen, pathologischer Rigidität und starken Kontrollbedürfnissen gezeigt. Es seien engmaschige Teambesprechungen und Abstimmungsprozesse innerhalb des Behandlungsteams notwendig gewesen, die ambulant nicht möglich seien.
Das Sozialgericht hat ein medizinisches Gutachten des Facharztes für Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie W.H. vom 25. März 2011 eingeholt. Darin kommt der Gutachter zu dem Ergebnis, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Aufnahme in das Krankenhaus der Klägerin unter einer Borderline- Persönlichkeitsstörung mit typischen Symptomen in mäßiger Ausprägung gelitten habe. Sie sei in dem streitigen Zeitraum mit den besonderen Mitteln der spezialisierten psychiatrisch/psychotherapeutischen Krankenhausabteilung mit speziellen, aber nicht speziellen apparativen Ausstattungen behandelt worden. Die "besonderen Mittel" hätten das Behandlungsteam mit seinen Einzelelementen, seiner Abstimmung dieser Einzelelemente aufeinander und seiner Verfügbarkeit dargestellt. Die Borderline-Persönlichkeitsstörung werde psychotherapeutisch behandelt. Dabei würde eine vollstationäre Behandlung intermittierend oder auch als Einstieg für eine anschließende ambulante Therapie erfolgen. Ob die Behandlung ambulant oder stationär zu erfolgen habe, würden die Ärzte entlang der konkreten Gegebenheiten entscheiden. Es gebe insoweit keine konkreten Richtlinien, Leitlinien oder Standards. Die Behandlungsstruktur habe sich im vorliegenden Fall wie folgt dargestellt: Es habe einen Tagesablauf mit festgelegten Kontakten in einem zeitlich fixierten Rahmen gegeben. Der Kontakt hätte bestanden: 3-mal täglich zum Pflegepersonal, ein einmal wöchentliches Gespräch mit der Beziehungspflegefachkraft, wobei Ergebnisse protokolliert und dem Team zugänglich gemacht worden seien. Im Jahre 2007 sei einmal wöchentlich eine Gruppensitzung sowie Gestaltungstherapie sowohl als Einzel- als auch als Gruppentherapie durchgeführt worden. Einmal wöchentlich stattfindende Einzelpsychotherapie sei durch Kurzgespräche ergänzt worden. Beurlaubungen seien als Erprobungsvorhaben, insbesondere mit Mitpatienten angeordnet worden. Die Behandlung habe aus vielfältigen, aufeinander bezogenen Maßnahmen bestanden, deren Erfolg oder Misserfolg zeitnah und kontinuierlich ermittelt worden sei. Die Dichte der Einzelmaßnahmen habe dem Üblichen in psychiatrisch-psychotherapeutischen Einrichtungen entsprochen. Bei der Diagnose, die der behandelnde Nervenarzt bei der gezielten Einweisung angegeben habe und die sich mit den verursachten Beeinträchtigungen bald bestätigt habe sowie bei dem gezielt entwickelten Behandlungsangebot für Borderline-Störungen, das das Krankenhaus vorgehalten habe, sei die Entscheidung der Krankenhausärzte, die stationäre Behandlung der Versicherten für erforderlich zu halten, richtig gewesen. Dies gelte auch für die Dauer der Behandlung.
Gegen das Gutachten von Herrn H. hat die Beklagte eingewandt, es habe insgesamt eine niedrige Frequenz des therapeutischen Angebots vorgelegen, die im Verlauf der Behandlung zurückgegangen sei. Häufige Beurlaubungen zeigten, dass die Störung nicht so stark ausgeprägt gewesen sei, dass eine teilstationäre Behandlung nicht ausreichend gewesen wäre. Unstreitig sei, dass es keine aussagefähige Untersuchung über die Evidenz der stationären Behandlungsform gebe. Mithin fehle es an einer wissenschaftlich untermauerten nachvollziehbaren Begründung für die Notwendigkeit einer stationären Behandlung. Vor dem Hintergrund der Gefahr einer Hospitalisierung und dem Zugang zu Drogen sei diese nur in Ausnahmefällen angezeigt.
Zu den Einwendungen der Beklagten hat der medizinische Gutachter W.H. in einer ergänzenden Stellungnahme vom 20. Januar 2012 ausgeführt, die Indikation, Konzeption und Durchführung der Behandlung einer Borderline- Persönlichkeitsstörung sei wesentlich auf klinische Erfahrungen der Behandler angewiesen. Eigene langjährige kritische Beobachtung der längerfristigen vollstationären Behandlung führe zu einer positiven Bewertung. Sie habe bei ihm jedoch nicht zu einer bestimmten Behandlungspräferenz geführt. Die Kritik an den "Ablaufunregelmäßigkeiten" sei berechtigt, aber im klinischen Alltag unvermeidlich. Teilstationäre Settings würden gleichfalls ein Risikoprofil aufweisen.
Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 1. November 2012 stattgegeben und sich dabei im Wesentlichen dem Gutachten von Herrn H. angeschlossen.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 23. Januar 2013 zugestellte Urteil am 19. Februar 2013 Berufung eingelegt. Sie wiederholt mit der Berufung im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen und begehrt die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens. Sie stützt sich dabei im Wesentlichen auf folgende Argumente: Es hätten keine krankenhausbegründenden Symptome vorgelegen. Dies gelte umso mehr, als die Versicherte als Normalfall gemäß Warteliste aufgenommen worden sei. Sie sei lediglich affektiv gespalten und wenig schwingungsfähig gewesen. Diese Symptome hätten problemlos im ambulanten, institutsambulatorischen oder auch tagesklinischen Rahmen behandelt werden können. Die Versicherte sei von Beginn an fast jeden Tag beurlaubt worden. Wesentliche ärztliche Anordnungen oder Interventionen, wie sie nur unter vollstationären Krankenhausbedingungen hätten durchgeführt werden können, seien nicht erforderlich gewesen. Die besonderen Mittel des Krankenhauses seien kaum benutzt worden. Es sei keine Beziehung zu den Therapeuten aufgebaut worden.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 1. November 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung sowohl die Ärzte der Klägerin, Dr. D. und Dr. R., als auch den Arzt des MDK Dr. B. gehört. Hinsichtlich derer Aussagen wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 22. Mai 2014.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte und auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Behandlungsunterlagen der Klägerin Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG) ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Recht verurteilt, an die Klägerin EUR 43.418,62 nebst Zinsen zu zahlen. Die Klage ist als echte Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG zulässig und auch begründet.
Rechtsgrundlage des geltend gemachten (restlichen) Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 Satz 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), § 17b Abs. 1 Satz 10 Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (KHG) und § 7 S. 1 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Gesetz über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen (KHEntgG) in Verbindung mit der Fallpauschalenvereinbarung (FPV) 2006 sowie dem am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Vertrag Allgemeine Bedingungen Krankenhausbehandlung vom 19. Dezember 2002 zwischen der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft e.V. und u.a. der Beklagten (Vertrag nach § 112 SGB V). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entsteht die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme einer Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V erforderlich ist (BSG, Urteil vom 18.09.2008 – B 3 KR 15/07 R, juris). Nach § 7 Satz 1 KHEntgG werden die allgemeinen Krankenhausleistungen gegenüber den Patienten oder ihren Kostenträgern mit verschiedenen, in den Nummern 1 bis 8 abschließend aufgezählten Entgelten abgerechnet. Hier geht es um die Abrechnung von Fallpauschalen nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog (§ 7 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 9 KHEntgG), der FPV 2006.
Die Beklagte war zu der erfolgten Aufrechnung in Höhe von EUR 43.418,62 nicht berechtigt, da ihr ein Erstattungsanspruch gegen den Kläger aus dem hier streitigen Behandlungsfall nicht zustand. Der Klägerin stand die abgerechnete Vergütung vielmehr in voller Höhe zu.
Die stationäre Krankenhausbehandlung der Versicherten K.S. war zur Überzeugung des Senats während des gesamten Zeitraums im Sinne des § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich.
Der Begriff der Erforderlichkeit eines stationären Krankenhausaufenthaltes im Sinne des § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V wurde durch die Entscheidung des Großen Senats des BSG vom 25. September 2007 (GS 1/06) konkretisiert. Danach gilt Folgendes:
"Ob einem Versicherten vollstationäre Krankenhausbehandlung zu gewähren ist, richtet sich allein nach den medizinischen Erfordernissen. Ermöglicht es der Gesundheitszustand des Patienten, das Behandlungsziel durch andere Maßnahmen, insbesondere durch ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege, zu erreichen, so besteht kein Anspruch auf stationäre Behandlung. Das gilt auch dann, wenn der Versicherte zur Sicherstellung der ambulanten Behandlung einer Betreuung durch medizinische Hilfskräfte in geschützter Umgebung bedarf und eine dafür geeignete Einrichtung außerhalb des Krankenhauses nicht zur Verfügung steht." (Rn. 15)
"Ob eine stationäre Krankenhausbehandlung aus medizinischen Gründen notwendig ist, hat das Gericht im Streitfall grundsätzlich uneingeschränkt zu überprüfen. Es hat jedoch von dem im Behandlungszeitpunkt verfügbaren Wissens- und Kenntnisstand des verantwortlichen Krankenhausarztes auszugehen, wenn die Krankenkasse im Nachhinein beanstandet, die stationäre Behandlung des Patienten sei nicht gerechtfertigt gewesen." (Rn. 27)
Entgegen der Ansicht der Beklagten war es zur Überzeugung des Senates nicht möglich, das Behandlungsziel durch eine andere Behandlungsform als die vollstationäre Behandlung zu erreichen. Der Senat folgt damit dem Ergebnis des Gutachtens von Herrn H. vom 25. März 2011 und dessen ergänzender Stellungnahme vom 20. Januar 2012. Die darin getroffene Beurteilung ist für den Senat insbesondere unter Berücksichtigung der Ausführungen zu dem Behandlungsansatz und dem Therapiekonzept der Borderline-Klinik der Klägerin, die die Ärzte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 22. Mai 2014 gemacht haben, schlüssig und überzeugend.
Für diese Beweiswürdigung sind folgende Überlegungen ausschlaggebend:
Unstreitig entzieht sich die Frage, ob, wann und in welchem zeitlichen Ausmaß eine Borderline-Störung einer vollstationären Behandlung bedarf, einer systematischen Kategorisierung. Dementsprechend existieren auch keine konkreten fachlichen Leitlinien o.ä ... Die Beurteilung der Erforderlichkeit einer vollstationären Behandlung hat daher auf der Grundlage der fachärztlichen Erfahrung in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles zu erfolgen. Auf dieser Grundlage ist die von den behandelnden Ärzten getroffene Entscheidung, die Versicherte für den streitigen Zeitraum vollstationär zu behandeln, nicht zu beanstanden.
Die Ärzte der Klägerin haben in der mündlichen Verhandlung das grundsätzliche Behandlungskonzept für die vollstationäre Behandlung von Borderline-Patienten für den Senat sehr gut nachvollziehbar dargestellt. Danach wird im Rahmen eines Vorgespräches durch das gesamte Team entschieden, ob ein Fall vorliegt, bei dem eine stationäre Behandlung erforderlich ist. Dies sei insbesondere bei Patienten der Fall, die Störungen im Bereich des Beziehungsaufbaus bzw. der Beziehungspflege und im Bereich der Selbstwahrnehmung hätten. Durch die Therapie werde der Patient dann mit seiner Erkrankung konfrontiert. Dies könne extreme und unvorhersehbare Verhaltensweisen bewirken, die nur in einem vollstationären Setting beherrschbar seien. Zudem sei während der Behandlung das schwierige Gleichgewicht zu finden zwischen der für die Behandlung nötigen Einbindung in die stationären Strukturen und der Gewährung von "Freiheit", um zum einen die Behandlung nicht zur Hospitalisierung werden zu lassen und zum anderen Raum zur Erprobung des Erlernten und dem Gewinnen neuer Eindrücke zu geben. Hierzu würden die so genannten TEVs (therapeutische Expositionsversuche) eingesetzt.
Wie sich aus dem Gutachten von Herrn Homann ergibt, war das wesentliche Ziel der vorliegenden Behandlung, es der Versicherten zu ermöglichen, Beziehungen einzugehen und zu erhalten. Betroffen war damit ein Störungsbereich der Borderline-Störung, der besonders schwer zu behandeln ist. Das wesentliche Merkmal der Behandlung zur Erreichung dieses Ziels war nach dem Gutachten von Herrn Homann ein Tagesablauf mit festgelegten Kontakten, deren Zustandekommen nicht durch das Befinden gesteuert werden konnte, sondern einem festen beziehungsstrukturierenden, befindensunabhängigen Rahmen unterlag. Dies wurde durch eine Vielzahl von Kontakten mit dem Pflegepersonal, Therapeuten und Ärzten in einfachen Begegnungen, Einzel- und Gruppengesprächen, Ergotherapie und ähnlichen Veranstaltungen realisiert. Der Umfang dieser Kontakte ist jeweils auf der Rückseite der Verlaufskurvenbögen dokumentiert und entspricht nach Ansicht von Herrn Homann, der sich der Senat anschließt, dem in psychiatrisch-psychotherapeutischen Einrichtungen Üblichen (Bl. 66 der Gerichtsakte). Wie sich aus der ergänzenden Stellungnahme von Herrn H. ergibt (Bl. 96 der Gerichtsakte), ist es dabei von besonderer Bedeutung, dass gerade die spezielle Nähe abends/nachts ausgehalten wird. In diesem Sinne haben auch die Ärzte der Klägerin sehr gut nachvollziehbar erläutert, dass gerade die vollstationäre Unterbringung zu besonderen gruppendynamischen Prozessen führt, die für die Behandlung sehr wertvoll sind und in einem ambulanten oder teilstationären Setting nicht herstellbar sind.
Angesichts dieser Umstände und Befunde wäre es nicht ausreichend gewesen, die Versicherte teilstationär zu behandeln. Die hierfür von der Beklagten angeführten Argumente vermögen nicht zu überzeugen. Die Beklagte beruft sich vor allem darauf, dass zum Zeitpunkt der Einweisung kein Beschwerdebild vorgelegen habe, welches eine vollstationäre Aufnahme habe rechtfertigen können. Dem ist entgegenzuhalten, dass dies nach dem dargelegten Behandlungskonzept auch nicht maßgebend war. Vielmehr ging es um die Begegnung der Risiken, die erst durch die Behandlung entstanden. Auch der Vorwurf, es seien von Beginn an zu viele und langandauernde Beurlaubungen erfolgt, vermag nicht zu verfangen. Denn gerade zu Beginn der Therapie waren die durch diese möglicherweise ausgelösten Risiken noch nicht so ausgeprägt. Auf der anderen Seite galt es gerade zu Beginn der Therapie, zu verhindern, dass die Versicherte die vollstationäre Aufnahme als zu einengend empfinden und diese daher evtl. abbrechen könnte. Überdies haben die Ärzte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt, dass die Beurlaubung in Form der TEVs von Beginn an dem Zweck gedient habe, das in der Therapie Erlernte im konkreten Alltag zu erproben und das hierbei Erlebte in den Fortgang der Therapie sinnvoll einzubringen. Der Behauptung, die TEVs seien nicht vor- und nachbesprochen worden, ist zu entgegnen, dass die Verlaufskurven hierzu sehr wohl – wenn auch nicht für jede TEV – Eintragungen enthalten. Soweit schließlich von Dr. Bartsch vom MDK ausgeführt wird, dass der Behandlungsverlauf nicht über einen tagesklinischen Umfang hinaus gegangen sei, ist auf die besondere therapeutische Bedeutung gerade des Übernachtens und des Verlagerns des Lebensmittelpunktes in die Klinik zu verweisen, wie sie zuvor dargestellt wurde.
Der Senat sieht keinen Anlass – entsprechend dem Begehren der Beklagten, welches sich jedoch nicht in einem konkreten, in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag manifestiert hat – ein weiteres Gutachten einzuholen. Es bestehen keine Zweifel an der fachlichen Qualifikation von Herrn H ... Vielmehr weist seine berufliche Vergangenheit ihn als Experten für die hier zu beantwortenden Fragen aus. Den Zweifeln der Beklagten an seiner Unvoreingenommenheit ist der Sachverständige nach Ansicht des Senates überzeugend in seiner ergänzenden Stellungnahme entgegengetreten. Das Gutachten lässt keinerlei qualitative Defizite erkennen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
Tatbestand:
Streitig ist der Anspruch auf Vergütung einer Krankenhausbehandlung.
Die Klägerin betreibt eine im Sachleistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassene Klinik. Dort wurde die bei der Beklagten versicherte K.S. wegen einer Borderline-Störung in der Zeit vom 4. Oktober 2006 bis 12. April 2007 behandelt.
Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme für die Behandlung ab. Zur Begründung berief sie sich auf Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) von Dr. B., wonach die Notwenigkeit einer vollstationären Krankenhausaufnahme nicht nachvollziehbar sei. Der Patientenakte seien konkrete Angaben zum Umfang und Frequenz des selbstverletzenden Verhaltens nicht zu entnehmen; der Befund "affektiv abgespalten und wenig schwingungsfähig" begründe für sich keinen Krankenhausaufenthalt. Da die Patientin über Warteliste aufgenommen worden sei, habe keine akute Symptomatik vorgelegen. Ärztliche oder pflegerische Intervention seien nicht zur Anwendung gekommen, deshalb sei ambulante, institutsambulante oder tagesklinische Behandlung ausreichend gewesen.
Im Widerspruch der Klägerin vom 10. Juni 2008 heißt es, aufgrund des chronischen Störungsbildes sei die Behandlung nicht auf die Beseitigung akuter Störungen ausgerichtet gewesen, sondern auf Ich-strukturelle Nachreifung durch Beziehungsarbeit im Sinne einer längerfristig ausgerichteten stationären Psychotherapie.
Die Beklagte hielt an ihrer Auffassung unter Berufung auf das Gutachten des MDK von Dr. B. vom 9. Dezember 2009 fest und verrechnete am 16. März 2010 die Kosten der stationären Behandlung in Höhe von 43.418,62 EUR mit einem anderen Behandlungsfall.
Die Klägerin hat am 22. Juni 2010 Klage erhoben auf Zahlung dieses Betrages nebst Zinsen. Bei der Versicherten sei die "beziehungszentrierte psychodynamische Psychotherapie" vor dem Hintergrund eines vollstationären multiprofessionellen Settings durchgeführt worden. Die Patientin habe zu Beginn der Behandlung massive Schwierigkeiten im Kontaktverhalten mit extremen Entwertungstendenzen, pathologischer Rigidität und starken Kontrollbedürfnissen gezeigt. Es seien engmaschige Teambesprechungen und Abstimmungsprozesse innerhalb des Behandlungsteams notwendig gewesen, die ambulant nicht möglich seien.
Das Sozialgericht hat ein medizinisches Gutachten des Facharztes für Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie W.H. vom 25. März 2011 eingeholt. Darin kommt der Gutachter zu dem Ergebnis, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Aufnahme in das Krankenhaus der Klägerin unter einer Borderline- Persönlichkeitsstörung mit typischen Symptomen in mäßiger Ausprägung gelitten habe. Sie sei in dem streitigen Zeitraum mit den besonderen Mitteln der spezialisierten psychiatrisch/psychotherapeutischen Krankenhausabteilung mit speziellen, aber nicht speziellen apparativen Ausstattungen behandelt worden. Die "besonderen Mittel" hätten das Behandlungsteam mit seinen Einzelelementen, seiner Abstimmung dieser Einzelelemente aufeinander und seiner Verfügbarkeit dargestellt. Die Borderline-Persönlichkeitsstörung werde psychotherapeutisch behandelt. Dabei würde eine vollstationäre Behandlung intermittierend oder auch als Einstieg für eine anschließende ambulante Therapie erfolgen. Ob die Behandlung ambulant oder stationär zu erfolgen habe, würden die Ärzte entlang der konkreten Gegebenheiten entscheiden. Es gebe insoweit keine konkreten Richtlinien, Leitlinien oder Standards. Die Behandlungsstruktur habe sich im vorliegenden Fall wie folgt dargestellt: Es habe einen Tagesablauf mit festgelegten Kontakten in einem zeitlich fixierten Rahmen gegeben. Der Kontakt hätte bestanden: 3-mal täglich zum Pflegepersonal, ein einmal wöchentliches Gespräch mit der Beziehungspflegefachkraft, wobei Ergebnisse protokolliert und dem Team zugänglich gemacht worden seien. Im Jahre 2007 sei einmal wöchentlich eine Gruppensitzung sowie Gestaltungstherapie sowohl als Einzel- als auch als Gruppentherapie durchgeführt worden. Einmal wöchentlich stattfindende Einzelpsychotherapie sei durch Kurzgespräche ergänzt worden. Beurlaubungen seien als Erprobungsvorhaben, insbesondere mit Mitpatienten angeordnet worden. Die Behandlung habe aus vielfältigen, aufeinander bezogenen Maßnahmen bestanden, deren Erfolg oder Misserfolg zeitnah und kontinuierlich ermittelt worden sei. Die Dichte der Einzelmaßnahmen habe dem Üblichen in psychiatrisch-psychotherapeutischen Einrichtungen entsprochen. Bei der Diagnose, die der behandelnde Nervenarzt bei der gezielten Einweisung angegeben habe und die sich mit den verursachten Beeinträchtigungen bald bestätigt habe sowie bei dem gezielt entwickelten Behandlungsangebot für Borderline-Störungen, das das Krankenhaus vorgehalten habe, sei die Entscheidung der Krankenhausärzte, die stationäre Behandlung der Versicherten für erforderlich zu halten, richtig gewesen. Dies gelte auch für die Dauer der Behandlung.
Gegen das Gutachten von Herrn H. hat die Beklagte eingewandt, es habe insgesamt eine niedrige Frequenz des therapeutischen Angebots vorgelegen, die im Verlauf der Behandlung zurückgegangen sei. Häufige Beurlaubungen zeigten, dass die Störung nicht so stark ausgeprägt gewesen sei, dass eine teilstationäre Behandlung nicht ausreichend gewesen wäre. Unstreitig sei, dass es keine aussagefähige Untersuchung über die Evidenz der stationären Behandlungsform gebe. Mithin fehle es an einer wissenschaftlich untermauerten nachvollziehbaren Begründung für die Notwendigkeit einer stationären Behandlung. Vor dem Hintergrund der Gefahr einer Hospitalisierung und dem Zugang zu Drogen sei diese nur in Ausnahmefällen angezeigt.
Zu den Einwendungen der Beklagten hat der medizinische Gutachter W.H. in einer ergänzenden Stellungnahme vom 20. Januar 2012 ausgeführt, die Indikation, Konzeption und Durchführung der Behandlung einer Borderline- Persönlichkeitsstörung sei wesentlich auf klinische Erfahrungen der Behandler angewiesen. Eigene langjährige kritische Beobachtung der längerfristigen vollstationären Behandlung führe zu einer positiven Bewertung. Sie habe bei ihm jedoch nicht zu einer bestimmten Behandlungspräferenz geführt. Die Kritik an den "Ablaufunregelmäßigkeiten" sei berechtigt, aber im klinischen Alltag unvermeidlich. Teilstationäre Settings würden gleichfalls ein Risikoprofil aufweisen.
Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 1. November 2012 stattgegeben und sich dabei im Wesentlichen dem Gutachten von Herrn H. angeschlossen.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 23. Januar 2013 zugestellte Urteil am 19. Februar 2013 Berufung eingelegt. Sie wiederholt mit der Berufung im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen und begehrt die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens. Sie stützt sich dabei im Wesentlichen auf folgende Argumente: Es hätten keine krankenhausbegründenden Symptome vorgelegen. Dies gelte umso mehr, als die Versicherte als Normalfall gemäß Warteliste aufgenommen worden sei. Sie sei lediglich affektiv gespalten und wenig schwingungsfähig gewesen. Diese Symptome hätten problemlos im ambulanten, institutsambulatorischen oder auch tagesklinischen Rahmen behandelt werden können. Die Versicherte sei von Beginn an fast jeden Tag beurlaubt worden. Wesentliche ärztliche Anordnungen oder Interventionen, wie sie nur unter vollstationären Krankenhausbedingungen hätten durchgeführt werden können, seien nicht erforderlich gewesen. Die besonderen Mittel des Krankenhauses seien kaum benutzt worden. Es sei keine Beziehung zu den Therapeuten aufgebaut worden.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 1. November 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung sowohl die Ärzte der Klägerin, Dr. D. und Dr. R., als auch den Arzt des MDK Dr. B. gehört. Hinsichtlich derer Aussagen wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 22. Mai 2014.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte und auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Behandlungsunterlagen der Klägerin Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG) ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Recht verurteilt, an die Klägerin EUR 43.418,62 nebst Zinsen zu zahlen. Die Klage ist als echte Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG zulässig und auch begründet.
Rechtsgrundlage des geltend gemachten (restlichen) Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 Satz 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), § 17b Abs. 1 Satz 10 Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (KHG) und § 7 S. 1 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Gesetz über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen (KHEntgG) in Verbindung mit der Fallpauschalenvereinbarung (FPV) 2006 sowie dem am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Vertrag Allgemeine Bedingungen Krankenhausbehandlung vom 19. Dezember 2002 zwischen der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft e.V. und u.a. der Beklagten (Vertrag nach § 112 SGB V). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entsteht die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme einer Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V erforderlich ist (BSG, Urteil vom 18.09.2008 – B 3 KR 15/07 R, juris). Nach § 7 Satz 1 KHEntgG werden die allgemeinen Krankenhausleistungen gegenüber den Patienten oder ihren Kostenträgern mit verschiedenen, in den Nummern 1 bis 8 abschließend aufgezählten Entgelten abgerechnet. Hier geht es um die Abrechnung von Fallpauschalen nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog (§ 7 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 9 KHEntgG), der FPV 2006.
Die Beklagte war zu der erfolgten Aufrechnung in Höhe von EUR 43.418,62 nicht berechtigt, da ihr ein Erstattungsanspruch gegen den Kläger aus dem hier streitigen Behandlungsfall nicht zustand. Der Klägerin stand die abgerechnete Vergütung vielmehr in voller Höhe zu.
Die stationäre Krankenhausbehandlung der Versicherten K.S. war zur Überzeugung des Senats während des gesamten Zeitraums im Sinne des § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich.
Der Begriff der Erforderlichkeit eines stationären Krankenhausaufenthaltes im Sinne des § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V wurde durch die Entscheidung des Großen Senats des BSG vom 25. September 2007 (GS 1/06) konkretisiert. Danach gilt Folgendes:
"Ob einem Versicherten vollstationäre Krankenhausbehandlung zu gewähren ist, richtet sich allein nach den medizinischen Erfordernissen. Ermöglicht es der Gesundheitszustand des Patienten, das Behandlungsziel durch andere Maßnahmen, insbesondere durch ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege, zu erreichen, so besteht kein Anspruch auf stationäre Behandlung. Das gilt auch dann, wenn der Versicherte zur Sicherstellung der ambulanten Behandlung einer Betreuung durch medizinische Hilfskräfte in geschützter Umgebung bedarf und eine dafür geeignete Einrichtung außerhalb des Krankenhauses nicht zur Verfügung steht." (Rn. 15)
"Ob eine stationäre Krankenhausbehandlung aus medizinischen Gründen notwendig ist, hat das Gericht im Streitfall grundsätzlich uneingeschränkt zu überprüfen. Es hat jedoch von dem im Behandlungszeitpunkt verfügbaren Wissens- und Kenntnisstand des verantwortlichen Krankenhausarztes auszugehen, wenn die Krankenkasse im Nachhinein beanstandet, die stationäre Behandlung des Patienten sei nicht gerechtfertigt gewesen." (Rn. 27)
Entgegen der Ansicht der Beklagten war es zur Überzeugung des Senates nicht möglich, das Behandlungsziel durch eine andere Behandlungsform als die vollstationäre Behandlung zu erreichen. Der Senat folgt damit dem Ergebnis des Gutachtens von Herrn H. vom 25. März 2011 und dessen ergänzender Stellungnahme vom 20. Januar 2012. Die darin getroffene Beurteilung ist für den Senat insbesondere unter Berücksichtigung der Ausführungen zu dem Behandlungsansatz und dem Therapiekonzept der Borderline-Klinik der Klägerin, die die Ärzte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 22. Mai 2014 gemacht haben, schlüssig und überzeugend.
Für diese Beweiswürdigung sind folgende Überlegungen ausschlaggebend:
Unstreitig entzieht sich die Frage, ob, wann und in welchem zeitlichen Ausmaß eine Borderline-Störung einer vollstationären Behandlung bedarf, einer systematischen Kategorisierung. Dementsprechend existieren auch keine konkreten fachlichen Leitlinien o.ä ... Die Beurteilung der Erforderlichkeit einer vollstationären Behandlung hat daher auf der Grundlage der fachärztlichen Erfahrung in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles zu erfolgen. Auf dieser Grundlage ist die von den behandelnden Ärzten getroffene Entscheidung, die Versicherte für den streitigen Zeitraum vollstationär zu behandeln, nicht zu beanstanden.
Die Ärzte der Klägerin haben in der mündlichen Verhandlung das grundsätzliche Behandlungskonzept für die vollstationäre Behandlung von Borderline-Patienten für den Senat sehr gut nachvollziehbar dargestellt. Danach wird im Rahmen eines Vorgespräches durch das gesamte Team entschieden, ob ein Fall vorliegt, bei dem eine stationäre Behandlung erforderlich ist. Dies sei insbesondere bei Patienten der Fall, die Störungen im Bereich des Beziehungsaufbaus bzw. der Beziehungspflege und im Bereich der Selbstwahrnehmung hätten. Durch die Therapie werde der Patient dann mit seiner Erkrankung konfrontiert. Dies könne extreme und unvorhersehbare Verhaltensweisen bewirken, die nur in einem vollstationären Setting beherrschbar seien. Zudem sei während der Behandlung das schwierige Gleichgewicht zu finden zwischen der für die Behandlung nötigen Einbindung in die stationären Strukturen und der Gewährung von "Freiheit", um zum einen die Behandlung nicht zur Hospitalisierung werden zu lassen und zum anderen Raum zur Erprobung des Erlernten und dem Gewinnen neuer Eindrücke zu geben. Hierzu würden die so genannten TEVs (therapeutische Expositionsversuche) eingesetzt.
Wie sich aus dem Gutachten von Herrn Homann ergibt, war das wesentliche Ziel der vorliegenden Behandlung, es der Versicherten zu ermöglichen, Beziehungen einzugehen und zu erhalten. Betroffen war damit ein Störungsbereich der Borderline-Störung, der besonders schwer zu behandeln ist. Das wesentliche Merkmal der Behandlung zur Erreichung dieses Ziels war nach dem Gutachten von Herrn Homann ein Tagesablauf mit festgelegten Kontakten, deren Zustandekommen nicht durch das Befinden gesteuert werden konnte, sondern einem festen beziehungsstrukturierenden, befindensunabhängigen Rahmen unterlag. Dies wurde durch eine Vielzahl von Kontakten mit dem Pflegepersonal, Therapeuten und Ärzten in einfachen Begegnungen, Einzel- und Gruppengesprächen, Ergotherapie und ähnlichen Veranstaltungen realisiert. Der Umfang dieser Kontakte ist jeweils auf der Rückseite der Verlaufskurvenbögen dokumentiert und entspricht nach Ansicht von Herrn Homann, der sich der Senat anschließt, dem in psychiatrisch-psychotherapeutischen Einrichtungen Üblichen (Bl. 66 der Gerichtsakte). Wie sich aus der ergänzenden Stellungnahme von Herrn H. ergibt (Bl. 96 der Gerichtsakte), ist es dabei von besonderer Bedeutung, dass gerade die spezielle Nähe abends/nachts ausgehalten wird. In diesem Sinne haben auch die Ärzte der Klägerin sehr gut nachvollziehbar erläutert, dass gerade die vollstationäre Unterbringung zu besonderen gruppendynamischen Prozessen führt, die für die Behandlung sehr wertvoll sind und in einem ambulanten oder teilstationären Setting nicht herstellbar sind.
Angesichts dieser Umstände und Befunde wäre es nicht ausreichend gewesen, die Versicherte teilstationär zu behandeln. Die hierfür von der Beklagten angeführten Argumente vermögen nicht zu überzeugen. Die Beklagte beruft sich vor allem darauf, dass zum Zeitpunkt der Einweisung kein Beschwerdebild vorgelegen habe, welches eine vollstationäre Aufnahme habe rechtfertigen können. Dem ist entgegenzuhalten, dass dies nach dem dargelegten Behandlungskonzept auch nicht maßgebend war. Vielmehr ging es um die Begegnung der Risiken, die erst durch die Behandlung entstanden. Auch der Vorwurf, es seien von Beginn an zu viele und langandauernde Beurlaubungen erfolgt, vermag nicht zu verfangen. Denn gerade zu Beginn der Therapie waren die durch diese möglicherweise ausgelösten Risiken noch nicht so ausgeprägt. Auf der anderen Seite galt es gerade zu Beginn der Therapie, zu verhindern, dass die Versicherte die vollstationäre Aufnahme als zu einengend empfinden und diese daher evtl. abbrechen könnte. Überdies haben die Ärzte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt, dass die Beurlaubung in Form der TEVs von Beginn an dem Zweck gedient habe, das in der Therapie Erlernte im konkreten Alltag zu erproben und das hierbei Erlebte in den Fortgang der Therapie sinnvoll einzubringen. Der Behauptung, die TEVs seien nicht vor- und nachbesprochen worden, ist zu entgegnen, dass die Verlaufskurven hierzu sehr wohl – wenn auch nicht für jede TEV – Eintragungen enthalten. Soweit schließlich von Dr. Bartsch vom MDK ausgeführt wird, dass der Behandlungsverlauf nicht über einen tagesklinischen Umfang hinaus gegangen sei, ist auf die besondere therapeutische Bedeutung gerade des Übernachtens und des Verlagerns des Lebensmittelpunktes in die Klinik zu verweisen, wie sie zuvor dargestellt wurde.
Der Senat sieht keinen Anlass – entsprechend dem Begehren der Beklagten, welches sich jedoch nicht in einem konkreten, in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag manifestiert hat – ein weiteres Gutachten einzuholen. Es bestehen keine Zweifel an der fachlichen Qualifikation von Herrn H ... Vielmehr weist seine berufliche Vergangenheit ihn als Experten für die hier zu beantwortenden Fragen aus. Den Zweifeln der Beklagten an seiner Unvoreingenommenheit ist der Sachverständige nach Ansicht des Senates überzeugend in seiner ergänzenden Stellungnahme entgegengetreten. Das Gutachten lässt keinerlei qualitative Defizite erkennen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
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