L 3 SB 6/15

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
30
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 30 SB 698/13
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 SB 6/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit der Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB) von 50 auf 40 sowie der Entziehung des Merkzeichens "G" streitig.

Bei dem im August 1954 geborenen Kläger, bei welchem am 16. November 2005 eine Gelenkflächenersatzprothese am linken Kniegelenk implantiert worden war, hatte die Beklagte mit Bescheid vom 29. März 2006 und Widerspruchsbescheid vom 26. Juli 2006 einen GdB von 30 wegen eines Kniegelenksersatzes links (Einzel-GdB 30), eines Schultergelenksverschleißes rechts (Einzel-GdB 10) sowie degenerativen Wirbelsäulenveränderungen (Einzel-GdB 10) festgestellt.

Nachdem bei dem Kläger im Jahre 2008 eine chronische Knochenentzündung im Bereich des linken Knies aufgetreten war, die mehrfach, zuletzt im Januar 2009, operativ behandelt wurde, stellte die Beklagte auf Antrag des Klägers mit Bescheid vom 7. April 2009 den GdB mit Wirkung ab 12. Januar 2009 mit 50 und darüber hinaus das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" fest, wobei sie den Kniegelenksersatz links (Einzel-GdB 50), degenerative Wirbelsäulenveränderungen (Einzel-GdB 20) einen Schultergelenksverschleiß rechts (Einzel-GdB 10) sowie Bluthochdruck (Einzel-GdB 10) berücksichtigte. Im Rahmen einer Nachprüfung von Amts wegen zog die Beklagte Befundberichte nebst Krankenunterlagen des Chirurgen Dr. R. sowie des Orthopäden Dr. D. bei. Nach versorgungsärztlicher Auswertung und Anhörung des Klägers setzte sie mit Bescheid vom 22. Mai 2013 den GdB wegen einer wesentlichen Änderung im Sinne einer Besserung auf 40 herab und entzog das Merkzeichen "G". Auf den dagegen erhobenen Widerspruch des Klägers zog die Beklagte noch einen weiteren Befundbericht des Orthopäden Dr. S. bei. Nach dessen Auswertung wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 5. November 2013 zurück. Dabei berücksichtigte sie die Funktionsstörung des linken Kniegelenks mit Kniegelenksersatz mit einem Einzel-GdB von 30, die degenerativen Wirbelsäulenveränderungen mit einem Einzel-GdB von 20, den Schultergelenksverschleiß rechts und eine Funktionsstörung beider Hände mit einem Einzel-GdB von 10, den Bluthochdruck mit einem Einzel-GdB von 10 sowie eine psychische Minderbelastbarkeit mit einem Einzel-GdB von 10. Zur Begründung führte sie aus, dass gegenüber den dem Bescheid vom 7. April 2009 zu Grunde liegenden Verhältnissen eine wesentliche Änderung im Sinne einer Besserung dadurch eingetreten sei, dass nunmehr eine Knochenentzündung nicht mehr bestehe. Darüber hinaus sei nach einer Änderung der Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV) ein einseitiger Kniegelenksersatz nur noch mit einem GdB von 20 und nicht mehr mit einem GdB von 30 zu bewerten. Insoweit sei auch eine wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse eingetreten. Allerdings sei unter Berücksichtigung der belastungsabhängigen Schmerzen beim Kläger das Kniegelenksleiden weiter mit einem GdB von 30 zu bewerten.

Während des nachfolgenden Klageverfahrens hat das Sozialgericht zunächst Befundberichte von dem Internisten Dr. J. sowie dem Orthopäden Dr. S., der unter anderem eine Besserung der Verhältnisse im linken Kniegelenk beschreibt, eingeholt. Anschließend hat es den Kläger durch den Orthopäden Dr. N. untersuchen und begutachten lassen. Dieser Sachverständige ist in dem Gutachten vom 26. Mai 2014 zu dem Ergebnis gelangt, dass in den dem ursprünglichen Bescheid vom April 2009 zu Grunde liegenden Verhältnissen insofern eine wesentliche Änderung eingetreten sei, als die damals bestehende Knochenentzündung zwischenzeitlich ausgeheilt sei. Der GdB sei von der Beklagten zu Recht mit 40 festgestellt worden, wobei allerdings eine behinderungsrelevante Funktionsstörung der Schulter und der Hände nicht bestehe. Das Merkzeichen "G" sei schon wegen Wegfalls der Schwerbehinderteneigenschaft zu Recht entzogen worden. Der darüber hinaus vom Sozialgericht mit der Begutachtung des Klägers beauftragte Nervenarzt Dr. N. ist in seinem Gutachten vom 2. November 2014 zu dem Ergebnis gelangt, dass beim Kläger auf nervenärztlichem Fachgebiet eine leichte depressive Episode sowie ein chronisches Schmerzsyndrom vorlägen, die zusammen mit einem GdB von 20 zu bewerten seien, wodurch sich aber der Gesamt-GdB nicht über 40 hinaus erhöhe, weil eine deutliche Überschneidung zwischen der seelischen Störung und dem Wirbelsäulen- und dem Kniegelenksleiden bestehe.

Auf der Basis der Ergebnisse der eingeholten Gutachten hat das Sozialgericht die Klage durch Urteil vom 11. Februar 2015 abgewiesen. Gegenüber den dem Bescheid vom 7. April 2009 zu Grunde liegenden Verhältnissen hätten sich sowohl die tatsächlichen als auch die rechtlichen Verhältnisse wesentlich geändert. Die Änderung der tatsächlichen Verhältnisse bestehe darin, dass sich die ursprünglich festgestellte Osteomyelitis beruhigt habe, zumal von den behandelnden Ärzten keine Entzündungszeichen und rezidivierende Fistelungen mehr beschrieben worden seien. Insofern könne sie sich zum Zeitpunkt der Herabsetzung des GdB nicht mehr erhöhend auswirken. In den rechtlichen Verhältnissen sei darüber hinaus insoweit eine Änderung eingetreten, als nach der ab Dezember 2010 geltenden VersMedV eine einseitige Totalendoprothese nur noch mit einem Mindest-GdB von 20 zu bewerten sei. Unter Berücksichtigung der gegenüber 2009 hinzugetretenen psychischen Störung könne ein höherer GdB als 40 nicht festgestellt werden. In Bezug auf das Merkzeichen "G" fehle es durch den Wegfall der Schwerbehinderteneigenschaft an den rechtlichen Voraussetzungen.

Gegen das ihm am 5. März 2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 31. März 2015 Berufung eingelegt, mit der er geltend macht, dass sich sein gesundheitlicher Zustand gegenüber 2009 nicht verbessert, sondern weiter verschlechtert habe. Er sei mit seiner Knie- und Rückenproblematik schlechter gestellt als jemand mit Verlust des Unterschenkels, der unter Einsatz entsprechender Prothesen sportliche Höchstleistungen erbringen könne. Er könne sich demgegenüber nicht einmal hinknien und nicht einmal normale Leistungen im Sport und anderen Lebensbereichen erbringen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 11. Februar 2015 und den Bescheid der Beklagten vom 22. Mai 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. November 2013 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, das Sozialgericht habe die Klage zu Recht und mit zutreffenden Gründen abgewiesen. Das Berufungsvorbringen sei nicht geeignet, zu einer anderen Beurteilung zu gelangen.

Nachdem sich die Beteiligten übereinstimmend mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter einverstanden erklärt hatten, ist zum Termin am 25. August 2015 die Chirurgin Dr. W. als weitere Sachverständige geladen worden, die den Kläger am 7. Juli 2015 nach einem kurzen Belastungstest untersucht und das Gutachten vom 14. Juli 2015 eingereicht hat. Darin bestätigt sie eine wesentliche Änderung im Sinne einer Besserung gegenüber den dem Bescheid vom 7. April 2009 zu Grunde liegenden Verhältnissen und auch den von der Beklagten festgestellten GdB von 40. Anlässlich ihrer Anhörung im Termin am 25. August 2015 hat die Sachverständige ergänzend darauf hingewiesen, dass die Besserung der ursprünglich aufgetretenen Knochenentzündung dadurch belegt sei, dass in der im August 2013 durchgeführten Skelettszintigraphie keine entsprechenden Aktivitätszeichen mehr festzustellen gewesen sein. Hinsichtlich des Vergleichs mit einem Unterschenkelamputierten, dem nach der VersMedV ein GdB von 50 zuerkannt wird, hat sie dargelegt, dass zwar die optimale prothetische Versorgung im Einzelfall zu sehr guten Ergebnissen und damit relativ geringen Funktionsbeeinträchtigungen kommen könne, dass aber der Alltag anders aussehe und der Unterschenkelamputierte in der Regel wegen des Fehlens des Kniegelenks, des Unterschenkels und des Fußes hinsichtlich der Funktionsbeeinträchtigungen schlechter gestellt sei als jemand mit den Gesundheitsstörungen, wie sie der Kläger aufweist.

Zur Ergänzung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der in der Sitzungsniederschrift vom 25. August 2015 aufgeführten Akten und Unterlagen Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Berichterstatter kann als Einzelrichter an Stelle des Senats aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten einvernehmlich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§§ 155 Abs. 3 u. 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers (§§ 143, 144, 151 SGG) ist unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen wird, hat das Sozialgericht die auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide gerichtete reine Anfechtungsklage abgewiesen. Der Herabsetzungs- und Entziehungsbescheid der Beklagten vom 22. Mai 2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5. November 2013 ist rechtmäßig. Gemäß § 48 Zehntes Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – in Verbindung mit § 69 Abs. 1 Neuntes Sozialgesetzbuch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die zum Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. In diesem Fall ist ein Verwaltungsakt zu erlassen, der dieser Änderung Rechnung trägt. Wesentlich ist insoweit eine Änderung nur dann, wenn sich der GdB durch Hinzutreten bzw. Entfallen oder durch Verschlechterung bzw. Besserung einer Gesundheitsstörung um mindestens 10 nach oben oder nach unten verändert. Eine derartige wesentliche Änderung ist in dem gesundheitlichen Zustand des Klägers im Vergleich zu den Verhältnissen, die dem Bescheid vom 7. April 2009 zugrunde lagen, nach übereinstimmender Auffassung der tätig gewordenen Sachverständigen eindeutig eingetreten, da sich die damals bestehende Knochenentzündung beruhigt hat. Bei einer Knochen(marks)entzündung kann nach der Anlage zur VersMedV (Teil B, Nr. 18.5) eine wesentliche Besserung wegen Beruhigung des Prozesses dann angenommen werden, wenn zumindest seit zwei Jahren keine Fistel mehr bestanden hat und keine Aktivitätszeichen mehr erkennbar sind. Dann ist in der Regel der GdB um zunächst 20 bis 30 Punkte niedriger einzuschätzen. Diese Voraussetzungen lagen zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Herabsetzungsbescheides am 22. Mai 2013 eindeutig vor. Schon seit 2009 war es nicht mehr zu ärztlich bestätigten Fistelungen gekommen. Auch andere Aktivitätszeichen haben sich in dem maßgeblichen Zweijahreszeitraum nicht feststellen lassen. Bestätigt wird dies durch den von der Sachverständigen Dr. W. besonders hervorgehobenen Umstand, dass in der im August 2013 durchgeführten Skelettszintigraphie keinerlei Aktivitätszeichen von Seiten der Knochenentzündung mehr festzustellen waren. Dementsprechend war die Beklagte berechtigt, die ursprünglich mit einem Einzel-GdB von 50 bewertete Funktionsbeeinträchtigung des linken Knies um 20 Punkte herabzusetzen und nunmehr nur noch mit einem GdB von 30 zu bewerten, zumal es zwischenzeitlich – wie vom Sozialgericht zutreffend dargelegt – auch noch zu einer rechtlichen Änderung dergestalt gekommen war, als eine einseitige Endoprothese nach der Anlage zur VersMedV nicht mehr mit 30, sondern nur noch mit 20 zu bewerten ist. Diese tatsächliche und rechtliche Änderung im Sinne einer Besserung wirkt sich unter Berücksichtigung der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich der Wirbelsäule, der Psyche (jeweils Einzel-GdB 20), der Hände und des Blutdrucks (jeweils Einzel-GdB 10) dahingehend auf den Gesamt-GdB aus, dass dieser nurmehr mit 40 festzustellen war und aktuell ist, wie die Sachverständige Dr. W. in ihrem Gutachten vom 14. Juli 2015 bestätigt, sodass sie auch wesentlich ist. Soweit der Kläger darauf hinweist, dass es ihm schlechter gehe, als einem mit einer entsprechenden Prothese versorgten Unterschenkelamputierten, dessen Gesundheitsstörung nach der Anlage zur VersMedV mit einem GdB von 50 bewertet werde, ist ihm zuzugegeben, dass bei dem heutigen Stand der Prothesentechnik der Verlust eines Beines im Unterschenkel nicht mehr zwingend als Vergleichsmaßstab für das Vorliegen einer Schwerbehinderung herangezogen werden kann. Daraus kann er aber keinen höheren GdB für sich selbst ableiten, da sich dieser allein nach den bei ihm bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen und nicht nach heutzutage möglicherweise zu hoch bewerteten anderen Behinderungen bemisst.

Zu Recht hat das Sozialgericht auch darauf hingewiesen, dass mit der Herabsetzung des GdB die für das Merkzeichen "G" zwingend erforderliche Voraussetzung der Schwerbehinderteneigenschaft nicht mehr vorliegt, so dass dem Kläger dieses Merkzeichen zu entziehen war.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.

Der Senat hat die Revision gegen dieses Urteil nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved