L 3 U 16/14

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 36 U 94/12
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 U 16/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 16. Januar 2014 wird zurückgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

I.

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung von Verformungen im rechten Kniegelenk als weitere Folge des Arbeitsunfalls vom 7. Dezember 2009, bei dem der Kläger aus-rutschte, hinfiel und sich eine Verletzung des rechten Knies mit Ergussbildung zuzog.

Die Beklagte erkannte das Ereignis mit Bescheid vom 20. Mai 2011 als Arbeitsunfall und eine Zerrung mit Ergussbildung als Unfallfolge an, lehnte es aber gleichzeitig ab, auch eine Verbiegung des Kniegelenks (so genannte Valgus-Gonarthrose) mit Bewegungsein-schränkung und eine verheilte Knieprellung vom 22. August 2005 als (weitere) Folgen anzuerkennen. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Bescheid vom 2. April 2012 zurück. Das Sozialgericht hat die fristgerecht erhobene Klage durch Urteil vom 16. Januar 2014 abgewiesen. Da der Kläger die vom Durchgangsarzt Dr. W. vorgeschlagene Kernspintomographie des rechten Kniegelenks nach dem Unfall nicht habe durchführen lassen, könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Unfall mehr als die vom Durchgangsarzt festgestellte deutliche intraartikuläre Ergussbildung bei stabilen Seiten- und Kreuzbändern unter Ausschluss einer Fraktur verursacht habe. Für diese eher geringe Unfallfolge spreche auch, dass der Kläger bereits eine Wo¬che nach dem Unfall seine Arbeit wieder aufgenommen habe. Die bei der Arthroskopie am 30. Juni 2010 festgestellten massiven (degenerativen) Veränderungen im Kniebinnenraum (hauptsächlich im Meniskusbereich) könnten daher nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit kausal auf den Unfall zurückgeführt werden. Gegen einen Unfallzusammenhang sprächen auch die bereits vor dem Unfall geklagten Kniebeschwerden sowie die angeborene X-Bein-Fehlstellung. Darauf weise der Chirurg M. in seinem Gutachten zutreffend hin. Dem Gutachten von Dr. P. könne demgegenüber nicht gefolgt werden, denn dieser schließe aus den ein halbes Jahr nach dem Unfall festgestellten Veränderun¬gen im Knie auf eine notwendige Unfallschädigung, ohne hierfür einen Anhalt zu haben.

Gegen die seinem Prozessbevollmächtigten am 11. Februar 2014 zugestellte Entschei-dung hat der Kläger am 11. März 2014 Berufung eingelegt und diese damit begründet, dass das Sozialgericht, wenn es dem Gutachten von Dr. P. nicht folgen wolle, zu¬mindest ein Obergutachten hätte einholen müssen. Mittlerweile sei das Knie praktisch steif, er könne sich nur noch humpelnd fortbewegen, müsse das Bein auf der Treppe nachziehen und könne auf dem Bein nicht stehen.

Der Kläger beantragt ausweislich seiner Schriftsätze sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 16. Januar 2014 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 20. Mai 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. April 2012 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, unter (weiterer) Abänderung des Bescheides vom 20. Mai 2011 auch die Verformungen im rechten Kniegelenk als Folge des Arbeitsunfalls vom 7. Dezember 2009 anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Sie sind Gegenstand der Beratung und Entscheidung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe:

II.

Das Gericht kann gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung durch Beschluss zurückweisen, da es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher gehört worden.

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers (vgl. §§ 143, 144, 151 SGG) ist nicht begründet.

Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zwar ist der vom Kläger schriftsätzlich gestellte Antrag auf Anerkennung der Verformun-gen im rechten Kniegelenk als weitere Unfallfolge sachgerecht gewesen und seine in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht vorgenommene Erweiterung auf die Gewährung von nicht näher spezifizierten Entschädigungsleistungen wegen seiner Unbe-stimmheit nicht sachdienlich, aber das Berufungsgericht ist nicht an den Wortlaut des An-trages gebunden. Die Klagabweisung beruht darauf, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfall und den Verformungen im rechten Kniegelenk nicht mit überwiegen-der Wahrscheinlichkeit hergestellt werden kann und verneint aus diesem Grunde einen Anspruch auf Entschädigungsleistungen, so dass sich die Interpretation des Klagbegehrens durch das Sozialgericht nicht auf seine Entscheidung auswirkt.

Auf den Rechtsstreit finden die Vorschriften des Sozialgesetzbuchs, Siebtes Buch, Ge-setzliche Unfallversicherung (SGB VII) Anwendung, weil ein Versicherungsfall nach des-sen Inkrafttreten am 1. Januar 1997 geltend gemacht wird (vgl. Artikel 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 SGB VII).

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit. Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der ver-sicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kau-salität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(-erst-)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls (vgl. Bundessozialgericht (BSG) v. 9.5.2006, B 2 U 1/05 R, BSGE 96, 196). Damit gehört die Körperschädigung zur Definition des Unfalls in der gesetzlichen Unfall-versicherung. Dem entspricht seit jeher die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Inhalt des Versicherungsfalls "Arbeitsunfall". Die Körperschädigung ist im Vollbeweis festzustellen. Der (durch die Einwirkung von außen verursachte) Gesundheitsschaden im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB VII, d.h. die Verletzung der körperlichen (seelischen oder geistigen) Integrität, wird nach allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Literatur ent-sprechend der im Recht der Gesetzlichen Krankenversicherung geltenden Definition be-stimmt als regelwidriger körperlicher, geistiger oder seelischer Zustand. Das Bundessozi-algericht verwendet in seiner jüngeren Rechtsprechung in Abgrenzung von den erst für die Gewährung von Leistungen maßgeblichen Unfallfolgen nur noch den Begriff des Ge-sundheitserstschadens oder Primärschadens, weil die über den Erstschaden hinausge-henden, weiteren Unfallfolgen nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsun-falls, sondern lediglich für die Gewährung einer Verletztenrente sind. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Senats. Danach gehören diejenigen Schäden, die sich aus dem Erstschaden erst nach dem Unfall entwickeln, nicht mehr zu den tatbestandlichen Vo-raussetzungen des Unfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung, können aber gleich¬wohl als mittelbare Unfallfolgen bzw. Folgeschäden zu einem Entschädigungsanspruch führen (vgl. Wagner in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 8 Rn. 151 f.).

Es kann vorliegend nicht festgestellt werden, dass die Verformungen im rechten Kniege-lenk, welche nach Abheilung des Ergusses jetzt einzig und allein die weiteren Beschwer-den verursachen, bei dem Arbeitsunfall entstanden sind. Mangels Durchführung der empfohlenen Kern¬spintomographie des rechten Kniegelenks zeitnah zum Unfall steht nur fest, dass der Unfall die vom Durchgangsarzt diagnostizierte deutliche intraartikuläre Er-gussbildung bei stabilen Seiten- und Kreuzbändern unter Ausschluss einer Fraktur verur-sacht hat.

Es lässt sich eben so wenig feststellen, dass die Verformungen im rechten Kniegelenk mittelbare Unfallfolge sind, sich also aus dem Primärschaden entwickelt haben, dieser Primärschaden mithin kausal für weitere gesundheitliche Folgen ist.

Nach der das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung beherrschenden Lehre von der wesentlichen Bedingung, die bereits vom Reichsversicherungsamt entwickelt wurde und die das Bundessozialgericht für seine Rechtsprechung übernommen und in seinen Ent-scheidungen als Theorie der wesentlich mitwirkenden bzw. rechtlich erheblichen Ursache bezeichnet hat (vgl. u.a. BSG v. 14.10.1955, 2 RU 16/54, BSGE 1, 254; BSG v. 31.8.1956, 2 RU 129/54, BSGE 3, 240; BSG v. 30.6.1960, 2 RU 86/56, BSGE 12, 242 = SozR Nr. 27 zu § 542 RVO), sind ursächlich (im Rechtssinne) nur diejenigen Bedingun¬gen (im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne), die unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Dabei sind die tatsächlichen Grundlagen der Ursachenzusammenhänge im Vollbeweis zu sichern. Das bedeutet, die Umstände des Falles müssen nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sein, insoweit die volle richterliche Überzeugung zu begründen. Hierfür bedarf es zwar nicht einer absoluten Gewissheit, aber doch immerhin eines der Gewissheit nahekommenden Grades der Wahrscheinlichkeit. Zur Feststellung des kausalen Zusammenhangs reicht indessen nach allgemeiner Auffassung die hinreichende Wahrscheinlichkeit aus (vgl. schon BSG v. 2.2.1978, 8 RU 66/77, SozR 2200 § 548 Nr. 38 = BSGE 45, 285; BSG v. 30.4.1985, 2 RU 24/84, SozR 2200 § 548 Nr. 70 = BSGE 58, 76; BSG v. 30.4.1985, 2 RU 43/84, SozR 2200 § 555a Nr. 1 = BSGE 58, 80; BSG v. 20.1.1987, 2 RU 27/86, SozR 2200 § 548 Nr. 84 = BSGE 61, 127): Während die einzelnen Glieder der Kausalkette (versicherte Tätigkeit, schädigende Einwirkung und Gesundheitsschaden) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen müs-sen, ohne dass eine völlige Gewissheit zu fordern ist, genügt für den Ursachenzusammenhang eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, d.h. es müssen mehr Gesichtspunkte dafür als dagegen sprechen. Die bloße Möglichkeit genügt allerdings nicht (vgl. BSG v. 9.5.2006, B 2 U 1/05, SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 = BSGE 96, 196 m. zahlr. Nachw. aus der Rechtsprechung des BSG).

Beide Gutachter sind sich einig, dass eine Knieverletzung, die lediglich einen Erguss her-vorgerufen hat, mithin eine leichte Verletzung, nicht in der Lage ist, die später beim Kläger festgestellten Verformungen im rechten Kniegelenk hervorzurufen. Demgegenüber lassen sich die Veränderungen des rechten Knies durch degenerative Prozesse zwanglos erklä-ren. Dafür, dass solche vorgelegen haben, sprechen die Beschwerden im Knie, die der Kläger bereits vor dem Unfall hatte, sowie die angeborene X-Bein-Stellung, welche eine besondere Belastungssituation im Kniebereich bedingt. Soweit Dr. P. in seinem Gutachten eine unfallbedingte Verursachung für möglich hält, kann dies dahinstehen, denn er führt aus, dass solche Verformungen im Kniegelenk, wie sie beim Kläger vorlie¬gen, nur durch eine schwere Schädigung des Knies hervorgerufen werden können, eine schwere Distorsion des Knies – wie oben dargelegt – jedoch nicht erwiesen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechts-streits in der Hauptsache.

Der Senat hat die Revision gegen diesen Beschluss nicht zugelassen, weil die Vorausset-zungen der §§ 153 Abs. 4 Satz 3, 158 Satz 3 i. V. m. § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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