Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 52 SO 288/12
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 SO 17/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte die Kosten einer von der Klägerin in Anspruch genommenen Petö-Therapie aus Sozialhilfemitteln zu übernehmen hat.
Die Klägerin ist am xxxxx 2003 geboren. Sie ist wegen einer Zerebralparese schwerbehindert bei einem GdB von 100 nebst Merkzeichen G, aG und H. Ab 2009 besuchte die Klägerin die Grundschule, seit 2013 eine weiterführende Schule. In diesem Zusammenhang erhält sie von der Beklagten Eingliederungshilfe.
Die Beigeladene trägt die Kosten der regelmäßigen physiotherapeutischen Behandlungen der Klägern, nicht jedoch die Kosten der von der Klägerin außerdem in Anspruch genommenen Petö-Therapie (Blockveranstaltungen). Hierfür hat die Mutter der Klägerin seit 2010 insgesamt 29.740,45 EUR verauslagt.
Im Dezember 2010 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme bzw. Erstattung der Kosten für die Petö-Therapie als Eingliederungshilfe. Mit Bescheid vom 20. Dezember 2010 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da es um medizinische Rehabilitation gehe, die in die Zuständigkeit der Krankenkasse falle. Der Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg. Im Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 11. Juni 2012 heißt es, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten der Petö-Therapie nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 12 Nr. 1 der Eingliederungshilfe-VO. Die Maßnahmen der Petö-Therapie seien hier nicht geeignet und erforderlich, um der Klägerin den Schulbesuch zu ermöglichen oder zu erleichtern. Auch ein Anspruch nach § 53, § 54 Abs. 1, § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 SGB XII scheide aus. Bei der Klägerin stehe die körperliche Behinderung im Vordergrund, und die Petö-Therapie stelle eine primär medizinische Maßnahme dar.
Am 25. Juni 2012 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Hamburg Klage erhoben. Dieses hat die Klage mit Urteil vom 25. August 2014 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Weder die Beigeladene als gesetzliche Krankenversicherung noch die Beklagte als Trägerin der Sozialhilfe hätten die Kosten der Petö-Therapie zu übernehmen. Insbesondere komme eine Leistungsgewährung im Wege der Eingliederungshilfe nicht in Betracht. Das liege allerdings nicht an der Klassifizierung der Petö-Therapie als Heilmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung. Da sich der Ausschlusstatbestand des § 54 Abs. 1 Satz 2 SGB XII nur auf medizinische Rehabilitation beschränke, könnten die Kosten zwar grundsätzlich im Rahmen der Eingliederungshilfe als soziale Rehabilitation nach §§ 53 ff. SGB XII übernommen werden. Allerdings lägen im Falle der Klägerin die Voraussetzungen dafür nicht vor, denn hier diene die Petö-Therapie fast ausschließlich der medizinischen Rehabilitation.
Das Urteil ist der Klägerin am 27. Januar 2015 zugestellt worden. Am 25. Februar 2015 hat sie Berufung eingelegt.
Die Klägerin verfolgt ihr Begehren weiter. Sie hält insbesondere die Einschätzung der Beklagten und des Sozialgerichts, die Petö-Therapie diene nicht wesentlich der sozialen Rehabilitation, nicht für zutreffend.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20. Dezember 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2012 zu verurteilen, die Kosten für die durchgeführten Petö-Therapien zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Beklagte und Beigeladene verteidigen die angefochtene Entscheidung.
Der Senat hat eine Stellungnahme der Landesärztin für Körperbehinderte Dr. K. eingeholt. Auf das Schreiben vom 24. Februar 2017 (Bl. 164 der Prozessakten) wird Bezug genommen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Rechtsstreits durch den Berichterstatter als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Die Sachakten der Beklagten haben vorgelegen. Auf ihren sowie auf den Inhalt der Prozessakten wird wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz – SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 SGG). Die Berufung ist aber nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme bzw. Erstattung der Kosten der Petö-Therapie aus Sozialhilfemitteln.
Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten gemäß § 53 Abs. 1 SGB XII Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt sind. Eine Behinderung von Menschen besteht, wenn ihre körperliche Funktion, geistige oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin vor.
Allerdings ist zweifelhaft, ob der minderjährigen Klägerin und ihren Eltern die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen oder Vermögen nach dem Elften Kapitel des SGB XII zuzumuten und sie daher überhaupt hilfebedürftig im Sinne des § 19 Abs. 3 SGB XII ist. Die wirtschaftlichen Verhältnisse sind trotz Hinweises der Beklagten nicht dargelegt worden, und die Regelung in § 92 Abs. 2 SGB XII dürfte nicht eingreifen. Das mag jedoch auf sich beruhen. Denn ein Anspruch auf Eingliederungshilfe ist im Zusammenhang mit der Petö-Therapie hier auch sonst nicht gegeben.
Eingliederungshilfe kann gemäß § 54 Abs. 1 SGB XII als Leistung zur medizinischen Rehabilitation (§ 26 SGB IX), als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 33 SGB IX), als Leistung zur Teilhabe an der Gemeinschaft (§ 55 SGB IX) sowie nach den besonderen Vorschriften des § 54 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 SGB XII erbracht werden.
Ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für Petö-Therapie nach § 54 Abs. 1 SGB XII i.V.m. § 33 SGB IX als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben wie auch ein Anspruch auf Eingliederungshilfe als Leistung zur medizinischen Rehabilitation gemäß § 54 Abs. 1 SGB XII i.V.m. § 26 SGB IX scheidet aus. Zur medizinischen Rehabilitation behinderter Menschen werden u.a. die erforderlichen Leistungen erbracht, um Behinderungen zu mindern oder auszugleichen (§ 26 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX). Sie umfassen insbesondere Heilmittel einschließlich physikalischer, Sprach- und Beschäftigungstherapie (§ 26 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX). Hierzu kann wegen ihres Charakters als medizinische Dienstleistung auch die Petö-Therapie gehören. Die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation entsprechen aber gemäß § 52 Abs. 5 SGB XII den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und sind daher auch im Hinblick auf die Heilmittel (§ 32 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – SGB V) auf den Leistungskatalog der GKV beschränkt. Die Petö-Therapie ist aber, wie das Sozialgericht zutreffend entschieden und begründet hat, nicht Gegenstand der GKV.
Als Anspruchsgrundlage für eine Übernahme der Kosten für die Petö-Therapie als Leistung zur Teilhabe an der Gemeinschaft kommt allenfalls § 54 Abs. 1 SGB XII i.V.m. § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 SGB IX in Betracht. Danach werden (über die hier irrelevanten Leistungen der Kapitel 4 bis 6 hinaus) Leistungen erbracht, die den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen oder sichern oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege machen (§ 55 Abs. 1 SGB IX). Damit ist ein weites Feld von Maßnahmen und Therapien eröffnet, zu denen nach ihrer eigenen Zielsetzung auch die Petö-Therapie zu zählen ist. Als Regelbeispiel ("insbesondere") nennt § 55 Abs. 2 Nr. 3 SGB IX Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, die erforderlich und geeignet sind, behinderten Menschen die für sie erreichbare Teilnahme an der Gemeinschaft zu ermöglichen. Angesichts des in § 4 SGB IX normierten umfassenden Förderungsverständnisses gilt die zuletzt genannte Regelung als Auffangnorm für z.B. heilpädagogische Leistungen (vgl. BSG. Urteil vom 29.9.2009 – B 8 SO 19/08 R, Rn. 19) und kann daher ebenfalls für die Petö-Therapie herangezogen werden. Im Ergebnis besteht aber auch kein Anspruch auf diese Therapie als Leistung zur Teilhabe an der Gemeinschaft.
Das folgt nicht schon daraus, dass mit der Petö-Therapie verschiedene Ziele verfolgt werden, die jedenfalls zum Teil dem Bereich der medizinischen Rehabilitation zuzuordnen sind. Auch scheitert die Bewilligung der Therapie als Leistung der Teilhabe an der Gemeinschaft nicht an fehlendem Wirksamkeitsnachweis vgl. Urt. des Senats v. 12.6.2017, L 4 SO 35/15).
Kommt es allerdings zu einer Überschneidung von medizinischer und sozialer Rehabilitation ist die notwendige Zuordnung einer Maßnahme danach vorzunehmen, welcher Leistungszweck im Vordergrund steht bzw. den Schwerpunkt bildet. Auf den Leistungsgegenstand kommt es dagegen nicht an (BSG, Urteil vom 19.5.2009 – B 8 SO 32/07 R, Rn. 17; BSG, Urteil vom 29.9.2009 – B 8 SO 19/08 R, Rn. 21f.; LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 10.2.2016 – L 9 SO 59/13, Rn. 72ff.). Eine Wertung als Maßnahme der sozialen Rehabilitation kommt insbesondere dann in Betracht, wenn über die Zwecke der GKV hinausgehende Ziele verfolgt werden (vgl. BSG, Urteil vom 29.9.2009 – B 8 SO 19/08 R, Rn. 21 explizit zur Petö-Therapie mit dem Ziel der Erleichterung des Schulbesuchs – § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII). Dient eine Petö-Therapie im Einzelfall zwar auch der Verbesserung der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, steht dabei aber der medizinische Leistungszweck im Vordergrund (vgl. BSG, Urt. v. 3.9.2003, B 1 KR 34/01 R), so ist sie allein der medizinischen Rehabilitation zuzuordnen (LSG Schleswig-Holstein, Urt. v. 27.2.2013, L 4 SO 17/11). So aber liegt es hier.
Sowohl die Stellungnahme der Landesärztin für Körperbehinderte Dr. K. wie auch die von der Klägerin selbst vorgelegten Berichte attestieren insbesondere eine medizinische Wirkung der Petö-Therapie (Verbesserung der Mobilität, Sitz- und Liegeposition, Motorik, Kontinenz, Aufmerksamkeit, Konzentration, Atemvolumen, Ausdauer), wohingegen nach der Stellungnahme der Landesärztin eine direkte Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten nicht nachzuweisen sei. Die durchaus zu beobachtende Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten der Klägerin dürfte daher, wie auch die Landesärztin annimmt, eher eine mittelbare Folge der medizinischen Wirkungen der Petö-Therapie darstellen, was nach dem oben ausgeführten zur Begründung des geltend gemachten Anspruchs auf Eingliederungshilfe nicht genügt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt aus dem Ausgang der Hauptsache.
Die Revision ist nicht gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte die Kosten einer von der Klägerin in Anspruch genommenen Petö-Therapie aus Sozialhilfemitteln zu übernehmen hat.
Die Klägerin ist am xxxxx 2003 geboren. Sie ist wegen einer Zerebralparese schwerbehindert bei einem GdB von 100 nebst Merkzeichen G, aG und H. Ab 2009 besuchte die Klägerin die Grundschule, seit 2013 eine weiterführende Schule. In diesem Zusammenhang erhält sie von der Beklagten Eingliederungshilfe.
Die Beigeladene trägt die Kosten der regelmäßigen physiotherapeutischen Behandlungen der Klägern, nicht jedoch die Kosten der von der Klägerin außerdem in Anspruch genommenen Petö-Therapie (Blockveranstaltungen). Hierfür hat die Mutter der Klägerin seit 2010 insgesamt 29.740,45 EUR verauslagt.
Im Dezember 2010 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme bzw. Erstattung der Kosten für die Petö-Therapie als Eingliederungshilfe. Mit Bescheid vom 20. Dezember 2010 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da es um medizinische Rehabilitation gehe, die in die Zuständigkeit der Krankenkasse falle. Der Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg. Im Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 11. Juni 2012 heißt es, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten der Petö-Therapie nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 12 Nr. 1 der Eingliederungshilfe-VO. Die Maßnahmen der Petö-Therapie seien hier nicht geeignet und erforderlich, um der Klägerin den Schulbesuch zu ermöglichen oder zu erleichtern. Auch ein Anspruch nach § 53, § 54 Abs. 1, § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 SGB XII scheide aus. Bei der Klägerin stehe die körperliche Behinderung im Vordergrund, und die Petö-Therapie stelle eine primär medizinische Maßnahme dar.
Am 25. Juni 2012 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Hamburg Klage erhoben. Dieses hat die Klage mit Urteil vom 25. August 2014 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Weder die Beigeladene als gesetzliche Krankenversicherung noch die Beklagte als Trägerin der Sozialhilfe hätten die Kosten der Petö-Therapie zu übernehmen. Insbesondere komme eine Leistungsgewährung im Wege der Eingliederungshilfe nicht in Betracht. Das liege allerdings nicht an der Klassifizierung der Petö-Therapie als Heilmittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung. Da sich der Ausschlusstatbestand des § 54 Abs. 1 Satz 2 SGB XII nur auf medizinische Rehabilitation beschränke, könnten die Kosten zwar grundsätzlich im Rahmen der Eingliederungshilfe als soziale Rehabilitation nach §§ 53 ff. SGB XII übernommen werden. Allerdings lägen im Falle der Klägerin die Voraussetzungen dafür nicht vor, denn hier diene die Petö-Therapie fast ausschließlich der medizinischen Rehabilitation.
Das Urteil ist der Klägerin am 27. Januar 2015 zugestellt worden. Am 25. Februar 2015 hat sie Berufung eingelegt.
Die Klägerin verfolgt ihr Begehren weiter. Sie hält insbesondere die Einschätzung der Beklagten und des Sozialgerichts, die Petö-Therapie diene nicht wesentlich der sozialen Rehabilitation, nicht für zutreffend.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20. Dezember 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2012 zu verurteilen, die Kosten für die durchgeführten Petö-Therapien zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Beklagte und Beigeladene verteidigen die angefochtene Entscheidung.
Der Senat hat eine Stellungnahme der Landesärztin für Körperbehinderte Dr. K. eingeholt. Auf das Schreiben vom 24. Februar 2017 (Bl. 164 der Prozessakten) wird Bezug genommen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Rechtsstreits durch den Berichterstatter als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Die Sachakten der Beklagten haben vorgelegen. Auf ihren sowie auf den Inhalt der Prozessakten wird wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz – SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 SGG). Die Berufung ist aber nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme bzw. Erstattung der Kosten der Petö-Therapie aus Sozialhilfemitteln.
Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten gemäß § 53 Abs. 1 SGB XII Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt sind. Eine Behinderung von Menschen besteht, wenn ihre körperliche Funktion, geistige oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen (§ 2 Abs. 1 SGB IX). Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin vor.
Allerdings ist zweifelhaft, ob der minderjährigen Klägerin und ihren Eltern die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen oder Vermögen nach dem Elften Kapitel des SGB XII zuzumuten und sie daher überhaupt hilfebedürftig im Sinne des § 19 Abs. 3 SGB XII ist. Die wirtschaftlichen Verhältnisse sind trotz Hinweises der Beklagten nicht dargelegt worden, und die Regelung in § 92 Abs. 2 SGB XII dürfte nicht eingreifen. Das mag jedoch auf sich beruhen. Denn ein Anspruch auf Eingliederungshilfe ist im Zusammenhang mit der Petö-Therapie hier auch sonst nicht gegeben.
Eingliederungshilfe kann gemäß § 54 Abs. 1 SGB XII als Leistung zur medizinischen Rehabilitation (§ 26 SGB IX), als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 33 SGB IX), als Leistung zur Teilhabe an der Gemeinschaft (§ 55 SGB IX) sowie nach den besonderen Vorschriften des § 54 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 SGB XII erbracht werden.
Ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für Petö-Therapie nach § 54 Abs. 1 SGB XII i.V.m. § 33 SGB IX als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben wie auch ein Anspruch auf Eingliederungshilfe als Leistung zur medizinischen Rehabilitation gemäß § 54 Abs. 1 SGB XII i.V.m. § 26 SGB IX scheidet aus. Zur medizinischen Rehabilitation behinderter Menschen werden u.a. die erforderlichen Leistungen erbracht, um Behinderungen zu mindern oder auszugleichen (§ 26 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX). Sie umfassen insbesondere Heilmittel einschließlich physikalischer, Sprach- und Beschäftigungstherapie (§ 26 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX). Hierzu kann wegen ihres Charakters als medizinische Dienstleistung auch die Petö-Therapie gehören. Die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation entsprechen aber gemäß § 52 Abs. 5 SGB XII den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und sind daher auch im Hinblick auf die Heilmittel (§ 32 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – SGB V) auf den Leistungskatalog der GKV beschränkt. Die Petö-Therapie ist aber, wie das Sozialgericht zutreffend entschieden und begründet hat, nicht Gegenstand der GKV.
Als Anspruchsgrundlage für eine Übernahme der Kosten für die Petö-Therapie als Leistung zur Teilhabe an der Gemeinschaft kommt allenfalls § 54 Abs. 1 SGB XII i.V.m. § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 SGB IX in Betracht. Danach werden (über die hier irrelevanten Leistungen der Kapitel 4 bis 6 hinaus) Leistungen erbracht, die den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen oder sichern oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege machen (§ 55 Abs. 1 SGB IX). Damit ist ein weites Feld von Maßnahmen und Therapien eröffnet, zu denen nach ihrer eigenen Zielsetzung auch die Petö-Therapie zu zählen ist. Als Regelbeispiel ("insbesondere") nennt § 55 Abs. 2 Nr. 3 SGB IX Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, die erforderlich und geeignet sind, behinderten Menschen die für sie erreichbare Teilnahme an der Gemeinschaft zu ermöglichen. Angesichts des in § 4 SGB IX normierten umfassenden Förderungsverständnisses gilt die zuletzt genannte Regelung als Auffangnorm für z.B. heilpädagogische Leistungen (vgl. BSG. Urteil vom 29.9.2009 – B 8 SO 19/08 R, Rn. 19) und kann daher ebenfalls für die Petö-Therapie herangezogen werden. Im Ergebnis besteht aber auch kein Anspruch auf diese Therapie als Leistung zur Teilhabe an der Gemeinschaft.
Das folgt nicht schon daraus, dass mit der Petö-Therapie verschiedene Ziele verfolgt werden, die jedenfalls zum Teil dem Bereich der medizinischen Rehabilitation zuzuordnen sind. Auch scheitert die Bewilligung der Therapie als Leistung der Teilhabe an der Gemeinschaft nicht an fehlendem Wirksamkeitsnachweis vgl. Urt. des Senats v. 12.6.2017, L 4 SO 35/15).
Kommt es allerdings zu einer Überschneidung von medizinischer und sozialer Rehabilitation ist die notwendige Zuordnung einer Maßnahme danach vorzunehmen, welcher Leistungszweck im Vordergrund steht bzw. den Schwerpunkt bildet. Auf den Leistungsgegenstand kommt es dagegen nicht an (BSG, Urteil vom 19.5.2009 – B 8 SO 32/07 R, Rn. 17; BSG, Urteil vom 29.9.2009 – B 8 SO 19/08 R, Rn. 21f.; LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 10.2.2016 – L 9 SO 59/13, Rn. 72ff.). Eine Wertung als Maßnahme der sozialen Rehabilitation kommt insbesondere dann in Betracht, wenn über die Zwecke der GKV hinausgehende Ziele verfolgt werden (vgl. BSG, Urteil vom 29.9.2009 – B 8 SO 19/08 R, Rn. 21 explizit zur Petö-Therapie mit dem Ziel der Erleichterung des Schulbesuchs – § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII). Dient eine Petö-Therapie im Einzelfall zwar auch der Verbesserung der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, steht dabei aber der medizinische Leistungszweck im Vordergrund (vgl. BSG, Urt. v. 3.9.2003, B 1 KR 34/01 R), so ist sie allein der medizinischen Rehabilitation zuzuordnen (LSG Schleswig-Holstein, Urt. v. 27.2.2013, L 4 SO 17/11). So aber liegt es hier.
Sowohl die Stellungnahme der Landesärztin für Körperbehinderte Dr. K. wie auch die von der Klägerin selbst vorgelegten Berichte attestieren insbesondere eine medizinische Wirkung der Petö-Therapie (Verbesserung der Mobilität, Sitz- und Liegeposition, Motorik, Kontinenz, Aufmerksamkeit, Konzentration, Atemvolumen, Ausdauer), wohingegen nach der Stellungnahme der Landesärztin eine direkte Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten nicht nachzuweisen sei. Die durchaus zu beobachtende Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten der Klägerin dürfte daher, wie auch die Landesärztin annimmt, eher eine mittelbare Folge der medizinischen Wirkungen der Petö-Therapie darstellen, was nach dem oben ausgeführten zur Begründung des geltend gemachten Anspruchs auf Eingliederungshilfe nicht genügt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt aus dem Ausgang der Hauptsache.
Die Revision ist nicht gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen.
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