L 4 AS 68/16

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 35 AS 199/15
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 68/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtlichen Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Verpflichtung des Beklagten zur Bescheidung von Widersprüchen, die vorbeugenden Feststellung, dass aus nicht wahrgenommenen Meldeterminen keine Sanktionen hergeleitet werden dürfen, sowie die Unterlassung weiterer Meldetermine.

Die 1955 geborene erwerbsfähige und leistungsberechtigte Klägerin bezieht seit Juli 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Beklagten.

Mit Schreiben vom 24. April 2012 teilte die Klägerin mit, dass sie die Pflege ihrer Mutter übernommen habe und seit März das Pflegegeld der Pflegestufe I ihrer Mutter erhalten würde. Es liegt ein Schreiben der Pflegekasse vom 10. April 2012 vor, nach dem die Mutter der Klägerin seit dem 28. März 2012 Leistungen der Pflegestufe I erhalte.

Mit Schreiben vom 17. April 2013 wurde die Klägerin von der für sie zuständigen Arbeitsvermittlerin in die Räumlichkeiten des Beklagten zu einem Gespräch am 14. Mai 2013 eingeladen. Als Zweck des Gesprächs war die Besprechung der aktuellen beruflichen Situation der Klägerin genannt. Die Klägerin erschien zu dem angegebenen Meldetermin nicht und meldete sich auch sonst nicht beim Beklagten.

Es erfolgten weitere Einladungen, u.a. zu Terminen am 28. Mai 2013, 20. Juni 2013, 9. Juli 2013, 27. August 2013, 19. September 2013, 22. Oktober 2013, 11. November 2013, 27. Dezember 2013, 31. Januar 2014, 28. Februar 2014, 11. Juli 2014 und 26. September 2014. Sämtliche Termine verstrichen, ohne dass die Klägerin diese wahrnahm oder sich zu den Hinderungsgründen äußerte.

Der Beklagte erließ aufgrund der Meldeversäumnisse verschiedene Sanktionsbescheide (u.a. vom 21. Juni 2013, 19. Juli 2013, 16. September 2013, 24. September 2013, 24. Oktober 2013, 13. November 2013, 3. Dezember 2013, 3. Februar 2014, 3. März 2014, 10. April 2014, 8. August 2014 und 3. November 2014), mit welchen er für die Dauer von jeweils drei Monaten eine Minderung des Leistungsanspruchs der Klägerin in Höhe von 10% feststellte. Entsprechend wurden die Auszahlungen gekürzt. Gegen eine Vielzahl von Bescheiden legte die Klägerin jeweils Widersprüche ein; verschieden Klagverfahren sind bereits erledigt, einige noch anhängig.

Am 25. November 2014 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Hamburg Klage erhoben mit dem Ziel, dass der Beklagte von Sanktionen wegen nicht wahrgenommener Meldetermine absehe und weitere Meldeterminen bis zur gerichtlichen Klärung unterlasse. Zudem hat sie ursprünglich die Bescheidung ihrer Widersprüche vom 23. Juli 2013, 29. Juli 2013, 7. November 2013, 15. Februar 2014 und 20. November 2014 begehrt. Sie hat geltend gemacht, dass der Beklagte sofort über die Widersprüche zu entscheiden habe und, sollte die Wartefrist nicht abgelaufen sein, besondere Umstände vorliegen würden, die die umgehende Entscheidung rechtfertigen. Ihr Rechtsschutzinteresse folge aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz. Der Beklagte überziehe sie mit immer neuen Meldeterminen, ohne dass die grundsätzliche Frage der Zulässigkeit dieses Verhaltens geklärt sei. Das Verhalten des Beklagten sei willkürlich.

Der Beklagte ist dem entgegengetreten. Insbesondere seien Widerspruchsschreiben vom 23. Juli 2013, 29. Juli 2013 und 15. Februar 2014 nicht aktenkundig.

Das Verwaltungsgericht Hamburg hat nach Anhörung den Rechtsstreit durch Beschluss vom 17. Dezember 2014 an das Sozialgericht Hamburg verwiesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 2015 hat der Beklagte den Widerspruch der Klägerin vom 20. November 2014 gegen den Bescheid vom 3. November 2014 zurückgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin am 16. Februar 2015 Klage erhoben, die unter dem Berufungsaktenzeichen L 4 AS 282/16 anhängig ist.

Unter dem 16. März 2015 hat der Beklagte den Widerspruch der Klägerin vom 7. November 2013 gegen den Bescheid vom 24. Oktober 2013 zurückgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin am 14. April 2015 ebenfalls Klage erhoben, die unter dem Berufungsaktenzeichen L 4 AS 278/16 anhängig ist, und die Untätigkeitsklage insoweit für erledigt erklärt.

Mit Gerichtsbescheid vom 2. Februar 2016 – nach entsprechender Anhörung – hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Bescheidungsantrag hinsichtlich der Widersprüche vom 23. Juli 2013, 29. Juli 2013 und 15. Februar 2014 sei bereits unzulässig, weil es an diesen Widersprüchen fehle. Sie befänden sich nicht in den Akten und die Klägerin habe sie trotz Aufforderung nicht vorgelegt oder anderweitig Nachweise erbracht. Hinsichtlich des Widerspruchs vom 20. November 2014 habe die Klägerin die Sperrfrist nach § 88 Abs. 2 SGG nicht abgewartet und der Beklagte vor deren Ablauf beschieden. Im Weiteren betreffe die Klage vorbeugenden Rechtsschutz, da die Klägerin die Festellung der Rechtswidrigkeit erst noch zu erlassener Verwaltungsakte – der sogenannten Sanktionsbescheide – sowie die Unterlassung zu erwartetender Verwaltungsakte in Gestalt von Meldeaufforderungen begehre. Hierfür sei ein besonderes, qualifiziertes Rechtsschutzinteresse erforderlich, weil das Rechtsschutzsystem des Sozialgerichtsgesetz an sich auf die nachträgliche Überprüfung von Verwaltungshandeln ausgerichtet sei. Es müsse daher ein erneutes, als widerrechtlich zu beurteilendes Vorgehen des Beklagten ernstlich zu befürchten sein. Zudem müsse das Abwarten einer für die Zukunft zu erwarteten Beeinträchtigung mit solch unzumutbaren Nachteilen verbunden sein, dass die Klägerin nicht auf den nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden könne. Deshalb sei für eine vorbeugende Feststellungsklage und eine vorbeugende Unterlassungsklage nur dann Raum, wenn die Verweisung auf nachträglich möglichen Rechtsschutz unzumutbar sei, etwa, weil ansonsten vollendete Tatsachen geschaffen würden. Zwar sei aufgrund des gesamten in der Vergangenheit praktizierten Verwaltungshandelns zu erwarten, dass der Beklagte bei unveränderten Verhältnissen die Klägerin auch weiterhin zu Meldeterminen einladen und bei einem Nichterscheinen dieses Verhalten der Klägerin sanktionieren werde. Jedoch sei es vorliegend weder ersichtlich noch von der Klägerin vorgetragen, dass durch zukünftige Meldetermine und Sanktionen unzumutbare Nachteile entstehen könnten, die nicht im nachträglich möglichen Rechtsschutz geltend gemacht werden können. Zwar habe der Widerspruch gegen die Meldeaufforderung als auch gegen den Sanktionsbescheid keine aufschiebende Wirkung. Es bestehe jedoch die Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes, in dessen Rahmen die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen einen solchen Bescheid bei dessen Rechtswidrigkeit angeordnet werden könne.

Gegen diesen ihr am 5. Februar 2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 25. Februar 2016 Berufung eingelegt. Es könne nicht verlangt werden, Widersprüche in nachweisbarer und damit kostenträchtiger Form einzulegen

Die Klägerin beantragt nach Aktenlage,

unter Aufhebung des Gerichtsbescheides vom 2. Februar 2016 1. den Beklagten zu verpflichten, über ihre Widersprüche vom 23. Juli 2013, 29. Juli 2013, 15. Februar 2014 und 20. November 2014 zu entscheiden; 2. festzustellen, dass aus den nicht wahrgenommenen Terminen am 28. März 2014, 5. Mai 2014, 26. Mai 2014, 8. August 2014, 28. Oktober 2014, 14. November 2014 und 28. November 2014 keine Sanktionen hergeleitet oder diese in bestimmter und anfechtbarer Form festgesetzt werden; 3. den Beklagten zu verpflichten, bis zum rechtskräftigen Abschluss der Rechtswege von weiteren Meldeterminen abzusehen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Mit Beschluss vom 19. April 2016 hat der Senat das Verfahren nach § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Berichterstatter übertragen zur gemeinsamen Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern.

Hinsichtlich des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung, die Prozessakte und die weiteren Berufungsakten der Klägerin sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Klägerin in der mündlichen Verhandlung entscheiden, weil die Klägerin ordnungsgemäß geladen und auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 110 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG).

II. Der Rechtstreit konnte – nach entsprechender Übertragung – durch den Berichterstatter und die ehrenamtlichen Richter entschieden werden.

III. Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben.

Die Berufung ist aber unbegründet. Der Senat verweist nach § 153 Abs. 2 SGG auf den angefochtenen Gerichtsbescheid, dessen Begründung er folgt.

Ergänzend ist auszuführen:

1. Dass es Widersprüche vom 23. Juli 2013, 29. Juli 2013 und 15. Februar 2014 gibt, hat die Klägerin zu beweisen. Denn solche Schreiben sind in den Akten des Beklagten nicht aufzufinden und es ergeben sich auch sonst keine Hinweise auf ihre Existenz. Insoweit fehlt es aber bereits an substantiierten Darlegungen der Klägerin. Das muss zu ihren Lasten gehen. Der Widerspruch vom 20. November 2014 ist mittlerweile beschieden worden und die Klägerin wendet sich in einem gesonderten Verfahren gegen die Sachentscheidung. Für den Untätigkeitsantrag ist damit kein Raum (mehr). Hinsichtlich der Bescheidung des Widerspruchs vom 7. November 2013 hat die Klägerin das Verfahren – nach Bescheidung – für erledigt erklärt.

2. Hinsichtlich der begehrten Feststellung fehlt es schon deshalb an einem Feststellungsinteresse, weil der Beklagte offenbar keine Sanktionen aufgrund dieser Meldeverstöße erlassen hat und dies nach allen Umständen auch nicht mehr beabsichtigt.

3. Hinsichtlich des Unterlassungsbegehrens gilt zudem, dass das Unterlassen weiterer Meldeaufforderungen von vornherein nicht ohne weiteres verlangt werden kann. Erst die konkrete Ermessensausübung bzw. das Fehlen eines wichtigen Grundes können zur Rechtswidrigkeit einer solchen Maßnahme führen, das aber ist erst im nachträglichen Rechtsschutz überprüfbar.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Erledigung hinsichtlich des Widerspruchs vom 7. November 2013 fällt nicht ins Gewicht.

Die Revision ist nicht nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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