L 2 U 26/17

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 40 U 307/16
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 U 26/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor zu 1 des sozialgerichtlichen Urteils vom 23. Juni 2017 wie folgt gefasst wird: Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 3.810,76 Euro zu erstatten. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 2. Von den Kosten des Klageverfahrens trägt die Klägerin 19%, die Beklagte 81%. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte zu 100%. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit ist ein Erstattungsanspruch wegen der aus Anlass eines Unfalls des Herrn S. (geb. xxxxx 1956, gest. xxxxx 2016; im Folgenden: S.) vom 15. Januar 2015 (Sturz mit dabei erlittener Radiusfraktur) getätigten Aufwendungen und dabei die Frage, ob der Verletzte sich zum Unfallzeitpunkt auf dem versicherten Weg zur Arbeitsstelle befand und diesen ggf. versicherungsschädlich unterbrochen hatte.

Der damals in H./ S1, , wohnhafte S. war zum Unfallzeitpunkt bei der Klägerin über sein Beschäftigungsverhältnis bei der T. mbH (im Folgenden: Fa. T.) als Leiharbeitnehmer gesetzlich unfall- und bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Am Unfalltag sollte er von der Fa. T. von 13.30 Uhr bis 21.00 Uhr im D. Paketzentrum L. in S2 (Flughafen H./ L.), eingesetzt werden. Um dorthin zu gelangen, wollte S. um 12.19 Uhr mit der S-Bahn-Linie 3 vom Hauptbahnhof H. abfahren.

Gegen 11.30 Uhr rutschte er in der H. des Hauptbahnhofs H. vor dem Kaffee-Verkaufsstand "S3", der am Weg vom Bahnhofseingang zu den S-Bahngleisen lag, auf einer Plastikscheibe aus, versuchte, sich beim Sturz mit der rechten Hand abzufangen, und zog sich dabei eine dislozierte Radiusfraktur rechts zu, die nach Einlieferung ins berufsgenossenschaftliche Krankenhaus B. per Rettungstransportwagen dort im Rahmen stationärer Behandlung operativ versorgt wurde. Hierfür und für nachfolgende Leistungen der Krankenbehandlung einschließlich physikalischer und Physiotherapie trug die Klägerin 4.726,64 Euro, wovon die Beklagte nach den für sie geltenden Rechtsvorschriften 3.810,76 Euro zu übernehmen gehabt hätte.

In einem Ermittlungsfragebogen der Klägerin antwortete S. unter dem 22. Februar 2015 handschriftlich, er sei am Unfalltag von zu Hause gekommen, wo er um 10:30 Uhr aufgebrochen sei, und weiter u.a. wie folgt: Zu welchem Zweck haben Sie sich dort (am Unfallort) aufgehalten? Um mir bei "S3" einen Kaffee zu kaufen. Wohin wollten sie sich begeben und zu welchem Zweck? Wollte mich zur S3 begeben, um auf Arbeit zu fahren.

Auf einem weiteren Fragebogen vom selben Tag gab er u.a. Folgendes an: Oder gingen sie nur in die Bahnhofshalle, um sich einen Kaffee zu kaufen? Ja. Wollten sie den Kaffee mit zu ihrer Arbeitsstelle nehmen ("Coffee-to-go") oder wollten sie diesen gleich vor Ort trinken? Wollte ihn in der S3 trinken. Aus welchem Grund traten sie ihren Arbeitsweg bereits so zeitig an (Arbeitsbeginn erst 13.30 Uhr)? Ich hatte noch Mittag gegessen.

Mit Bescheid vom 3. März 2015 lehnte die Klägerin die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus Anlass des Ereignisses vom 15. Januar 2015 gegenüber S. mit der Begründung ab, dieser habe keinen Arbeitsunfall in Gestalt eines Wegeunfalls erlitten. Die Tätigkeit zur Zeit des Unfallereignisses müsse im sachlichen Zusammenhang mit dem versicherten Zurücklegen des Weges stehen. Dies sei dann gegeben, wenn das Handeln zur Fortbewegung auf dem Weg zur Arbeitsstätte gehöre. Grundsätzlich stünden die direkten Wege von und nach dem Ort der versicherten Tätigkeit unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Dies gelte jedoch nicht bei einer privaten Verrichtung auf dem versicherten Weg. S. habe seinen Arbeitsweg unterbrochen, um sich einen Kaffee zu kaufen. Die Nahrungsaufnahme stelle eine eigenwirtschaftliche Handlung dar und sei deshalb nicht dem versicherten Weg zur Arbeit zuzuordnen.

Dieser Bescheid wurde von S. nicht mit Rechtsbehelfen angegriffen und damit bestandskräftig (§ 77 Sozialgerichtsgesetz ( SGG)).

Die Klägerin forderte die Beklagte zur Erstattung der von ihr im Zusammenhang mit dem Unfall des S. vom 15. Januar 2015 getätigten Aufwendungen auf (Schreiben vom 4. März, 22. April und 17. Dezember 2015 sowie zuletzt vom 6. Juni 2016).

Die Beklagte lehnte dies unter Hinweis auf die Angabe des S. ihr gegenüber in einem Ankreuzfragebogen vom 19. Juni 2015, wonach er sich zum Unfallzeitpunkt noch auf dem üblichen, von ihm in einem Plan des Hauptbahnhofs H. eingezeichneten Arbeitsweg befunden habe, sowie die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ab, wonach von einer versicherungsunschädlichen geringfügigen Unterbrechung des Arbeitsweges zum Zwecke des Kaffeekaufs auszugehen sei (Schreiben vom 2. Juli 2015, 27. Januar und zuletzt 20. Juli 2016). Der von der Beklagten geltend gemachte Erstattungsanspruch wegen von ihr verauslagter Fahrkosten wurde wiederum von der Klägerin zurückgewiesen, die einwandte, dass die von der Beklagten vertretene Auffassung, dass Versicherungsschutz im gesamten öffentlichen Verkehrsraum bestehe, auf früherer und mittlerweile obsoleter Rechtsprechung des BSG beruhe. Nach dessen aktueller Rechtsprechung sei Versicherungsschutz auf Wegen nach der Handlungstendenz zu beurteilen. Sobald der Versicherte allein eigenwirtschaftliche Zwecke verfolge (hier das Herantreten an den Verkaufsstand mit dem Ziel des Kaufs eines Kaffees), werde der Versicherungsschutz unterbrochen. Dabei sei unerheblich, ob die eigenwirtschaftliche Verrichtung im öffentlichen Straßenraum selbst oder außerhalb dessen erledigt werden solle.

Am 1. Dezember 2016 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht (SG) Hamburg gegen die Beklagte erhoben und deren Verurteilung zur Zahlung zu Unrecht erbrachter Kosten in Höhe von insgesamt 4.726,64 Euro begehrt. Ergänzend zu ihrem vorgerichtlichen Vorbringen hat sie sich u.a. unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts (LSG) vom 29. Oktober 2009 (L 8 KR 252/07) auf die Bindungswirkung ihres bestandskräftigen Bescheides gegenüber S. vom 3. März 2015 berufen.

Die Beklagte hat demgegenüber unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung vor allem des 2. Senats des BSG die Auffassung vertreten, dass der Bescheid vom 3. März 2015 im Erstattungsverhältnis keine Bindungswirkung entfalte. In der Sache sei es der Klägerin nicht gelungen, das tatsächliche Vorliegen einer für den Wegeunfallversicherungsschutz schädlichen Unterbrechung des versicherten Weges nachzuweisen. Die Unterbrechung der versicherten Wegezurücklegung setze objektiv erkennbar in dem Moment ein, in dem die versicherte Person nach außen hin sichtbar ihre subjektive Handlungstendenz in ein für Dritte beobachtbares objektives Handeln umsetze (Hinweis auf BSG, Urteil vom 4. Juli 2016 – B 2U 3/13 R). Für ein solches Handeln des S. seien bislang keine Beweismittel beigebracht worden. Alleine die Absicht, sich einen Kaffee kaufen zu wollen, ohne dass diese durch ein von Dritten objektiv beobachtbares Verhalten in die tatsächliche Umsetzung komme, reiche insofern nicht aus. Dies könne allenfalls die Frage einer gemischten Handlungstendenz aufwerfen, wobei dann aber die Zurücklegung des Weges zur versicherten Tätigkeit als wesentliche Handlungstendenz wohl schwerlich in Abrede gestellt werden könne. Selbst wenn eine Unterbrechung festgestellt werden könnte, handelte es sich um eine geringfügige Unterbrechung, die den Versicherungsschutz nicht beseitigen würde. Schließlich komme eine Erstattung überhaupt nur im Umfang nach den für sie geltenden Rechtsvorschriften in Betracht.

Das SG, das den schon vor Klageerhebung verstorbenen S. beigeladen hatte – diese Beiladung hat der erkennende Senat im Berufungsverfahren aufgehoben –, hat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil vom 23. Juni 2017 entschieden und die Beklagte verurteilt, der Klägerin die ihr aus Anlass des Ereignisses des Beigeladenen vom 15. Januar 2015 entstandenen Kosten in Höhe von 4.726,64 Euro, nach Maßgabe der für die Beklagte geltenden gesetzlichen Bestimmungen, zu erstatten. Die Beklagte trage die Kosten des Verfahrens. Die Sprungrevision werde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Die Klägerin habe nach dem allein als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden § 105 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) Anspruch auf Erstattung der ihr anlässlich des Unfalls des Beigeladenen vom 15. Januar 2015 entstandenen Aufwendungen, nach Maßgabe des § 105 Abs. 2 SGB X. Die Klägerin habe als unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht. Die Beklagte sei zuständiger Leistungsträger für die entstandenen Kosten. Die Voraussetzungen des § 11 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) lägen nicht vor, und die Ausschlussfrist des § 111 SGB X sei durch die Schreiben und Bezifferung der Ansprüche durch die Klägerin gewahrt. Der Beigeladene habe am 15. Januar 2015 keinen Arbeitsunfall (Wegeunfall) erlitten. Der Beigeladene als Leiharbeitnehmer habe sich vor dem Unfallereignis im Hauptbahnhof H./ S1 auf dem versicherten Weg zu seiner Einsatzstelle beim Entleiher-Betrieb (DHL in L.- S2) befunden. Für den Versicherungsschutz spiele es keine Rolle, dass das Unfallereignis zwei Stunden vor dem eigentlichen Arbeitsbeginn eingetreten sei. Der "eigentliche" versicherte Weg zur Einsatzstelle hätte noch mindestens 35 bis 40 Minuten, ggf. mit Wartezeiten auf die S-Bahn mehr als eine Stunde gedauert. Es sei nicht ersichtlich oder nachgewiesen, dass der Beigeladene noch – weitere – andere Tätigkeiten auf dem Weg zu Arbeitsstelle habe verrichten wollen. Ein "zu frühes" Erscheinen auf der Arbeitsstätte wäre für den Versicherungsschutz unschädlich. Auch aus der Aussage des Beigeladenen, er habe noch Mittag gegessen, sei nicht zu schließen, dass er den versicherten Weg vor dem Unfallereignis unterbrochen gehabt oder es noch vorgehabt habe. Solche, den Versicherungsschutz ausschließenden Umstände müssten im Vollbeweis festgestellt werden. Dies sei nicht mehr möglich. Zum Zeitpunkt des Unfallereignisses habe sich der Beigeladene aber nicht mehr bei einer versicherten Tätigkeit befunden. Er habe das Unfallereignis erlitten, als er sich einen Kaffee am S3-Stand habe kaufen wollen. Bei lebensnaher Betrachtung hätte dieser Kaufvorgang maximal ein paar Minuten, je nach Länge der "Wartezeit", gedauert. Mit dem Entschluss, den der Beigeladene mehrfach schriftlich bestätigt und mit dem objektiven Tun (Gehen zum S3-Stand) beobachtbar ausgeführt habe, habe er mit seiner subjektiven Handlungstendenz, die objektiv beobachtbar gewesen sei, seine versicherte Tätigkeit unterbrochen und sich einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit zeitlich und räumlich zugewandt. Der sachliche Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit müsse immer in Bezug auf die konkrete verrichtete Tätigkeit festgestellt werden. Bei der juristischen Wertung des Versicherungsschutzes sei auf die tatsächliche vor bzw. zur Zeit des Unfallereignisses verrichtete Tätigkeit abzustellen, die sich aus der Handlungstendenz des Versicherten ergebe. Das Handeln müsse subjektiv – zumindest auch – auf die Erfüllung des Tatbestands der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet sein (Hinweis auf BSG, Urteile vom 24. Juli 2012 – B 2 U 9/11 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 44 Rn. 31, und vom 26. Juni 2014 – B 2 U 4/13 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 52 Rn. 14). Darüber hinaus müsse sich die subjektive Handlungstendenz als festzustellende Tatsache im äußeren Verhalten des Handelnden (Verrichtung), so wie es objektiv beobachtbar sei, widerspiegeln (Hinweis auf BSG, Urteil vom 17. Februar 2009 – B 2 U 26/07 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 32 Rn. 11 m.w.N.). Eine Verrichtung in diesem Sinne sei jedes konkrete, räumlich und zeitlich bestimmte Verhalten eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten beobachtbar sei. Für die Prüfung sei dabei regelmäßig die kleinste beobachtbare Handlungssequenz maßgebend (Hinweis auf Spellbrink: Unfallversicherungsschutz bei Tätigkeiten im Home-Office und bei Rufbereitschaft, NZS 2016, 527, 528; ders.: Gemischte Tätigkeit und gemischte Motivationslage bei der Feststellung von Arbeitsunfällen, WzS 2011, 351, 354). Der Aufenthalt des Beigeladenen vor dem S3-Stand sei ausschließlich dazu bestimmt gewesen, sich einen Kaffee zu kaufen. Diese konkret zum Unfallereignis führende Tätigkeit – als kleinste objektiv beobachtbare Handlungssequenz – sei für das Erleiden des Unfallereignisses allein maßgebend gewesen. Der Versicherungsschutz werde vorliegend auch nicht nach den (ehemaligen) Grundsätzen einer "geringfügigen Unterbrechung" begründet. Nach Auffassung der Kammer könne es dieses Rechtsinstitut im Lichte der aktuellen Rechtsprechung des BSG (insbesondere im Bereich des Wegeunfalles bzw. Home-Office), in dieser Form nicht mehr geben. Das BSG stelle nach der neuen Rechtsprechung zur Begründung des sachlichen Zusammenhanges konsequent auf die objektivierbare Handlungstendenz eines Versicherten vor bzw. zum Zeitpunkt des Unfallereignisses ab (Hinweis auf BSG, Urteil vom 4. Juli 2013 – B 2 U 12/12 R (Tankstelle); Urteil vom 4. Juli 2013 – B 2 U 3/13 R (Erdbeerkauf); Urteil vom 17. Dezember 2015 – B 2 U 8/14 R (Bahnsteig) und insbesondere W. Spellbrink, a.a.O.). Diese klare und in sich schlüssige Rechtsprechung führe nach Auffassung der Kammer dazu, dass der Versicherungsschutz transparent und vorhersehbar sei. Es bleibe insoweit kaum mehr Raum für die sachliche Zurechnung bei einer – nicht genau (zeitlich) definierten – "geringfügigen" Unterbrechung.

Gegen dieses, ihr am 27. Juni 2017 zugestellte Urteil richtet sich die am 24. Juli 2017 eingelegte Berufung der Beklagten, mit der sie im Wesentlichen ihr vorgerichtliches und erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft. Es könne insbesondere nicht festgestellt werden, dass ein Gehen zum S3-Stand unter Abweichung vom üblichen Arbeitsweg als objektiv beobachtbares Tun die subjektive Handlungstendenz des Kaffee-Kaufens nach außen hin sichtbar gemacht habe. Auch wenn man unterstellte, dass hier eine eigenwirtschaftliche Unterbrechung des versicherten Weges tatsächlich eingetreten wäre, hätte ein Versicherungsschutz unter Berücksichtigung einer hier vorgelegenen hierfür unschädlichen geringfügigen Unterbrechung bestanden. Insbesondere anhand der Urteile des BSG vom 4. Juli 2013 (B 2 U 12/12 R und B 2 U 3/13 R) werde deutlich, dass das BSG an den Grundsätzen dieses Rechtsinstituts weiterhin festhalte. Schließlich sei im Erstattungsstreit von einem klagenden Unfallversicherungsträger das Nichtvorliegen eines Arbeitsunfalls im Wege des Vollbeweises zu erbringen. Vorliegend sei der Nachweis eines versicherten Weges aufgrund der Angaben des Versicherten erbracht, nicht erbracht sei jedoch der der Beklagten obliegende Nachweis einer Unterbrechung dieses versicherten Weges.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 23. Juni 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen mit der Maßgabe, dass lediglich ein Erstattungsbetrag in Höhe von 3.810,76 Euro geltend gemacht wird,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Die Klägerin hält die angefochtene Entscheidung für richtig und nimmt auf diese Bezug.

Der Senat hat von Amts wegen Auskünfte der Leiterin u.a. des derzeit vorübergehend geschlossenen S3-Ladenlokals im Hauptbahnhof H., I.B. (telefonisch und per E-Mail am 20. November 2017), sowie der beiden zum Unfallzeitpunkt dort Dienst tuenden Beschäftigten, S.B. und M.S., (schriftlich unter dem 26. Januar und 21. Januar 2018) eingeholt. Danach kann lediglich festgestellt werden, dass der Sturz des S. ein paar Meter vom S3-Ladenlokal mit einem zur Bahnhofshalle offenen Verkaufstresen entfernt geschah.

Der Senat hat über die Berufung am 23. Mai 2018 mündlich verhandelt. Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Sitzungsniederschrift sowie den weiteren Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsakten der Klägerin und der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 SGG) Berufung ist unbegründet. Das SG hat der zulässigen Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) im Ergebnis zu Recht stattgegeben, es dabei lediglich versäumt, den Umfang der Erstattungspflicht nach § 105 Abs. 2 SGB X zu beziffern und die schriftsätzlich uneingeschränkt auf Erstattung der von der Klägerin verauslagten Kosten in voller Höhe gerichtete Klage im Übrigen abzuweisen, sodass die Berufung mit einem Maßgabetenor zurückzuweisen ist. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der von ihr aus Anlass des Unfalls des S. am 15. Januar 2015 getätigten Aufwendungen im Umfang nach der für die Beklagte geltenden Rechtsvorschriften.

Nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, wenn ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen von § 102 Abs. 1 SGB X vorliegen, soweit der an sich zuständige Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Ein Erstattungsanspruch der Klägerin nach § 105 Abs. 1 SGB X setzt voraus, dass sie die Aufwendungen für die Behandlung der Unfallfolgen als materiell-rechtlich unzuständiger Träger erbracht hat. Dies hängt davon ab, ob der Versicherte zum Unfallzeitpunkt nicht unter dem Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden hat.

Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; Satz 1). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Satz 2). Die Verrichtung des Versicherten unmittelbar vor dem Unfallereignis muss den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt haben. Nur dies begründet die Versichertenstellung in und seinen Versicherungsschutz aus der jeweiligen Versicherung (BSG, Urteil vom 24. Juli 2012 – B 2 U 9/11 R BSG, SozR 4-2700 § 8 Nr. 44). Versicherte Tätigkeit ist auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII). Die versicherte Tätigkeit muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, eine Einwirkung, objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität). Diese Einwirkung wiederum muss den Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Nach ständiger Rechtsprechung des BSG müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung und der Gesundheitserstschaden bzw. der Tod erwiesen sein. Dies bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden kann (BSG, Urteil vom 30. April 1985, 2 RU 43/84, BSGE 58, 80). Dagegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 – B 2 U 5/10 R BSG, SozR 4-2700 § 200 Nr. 3). Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ist dann anzunehmen, wenn bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (BSG vom 18. Januar 2011, a.a.O.). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte ableitet (BSG, Urteil vom 27. Juni 1991 – 2 RU 31/90, SozR 3-2200 § 548 Nr. 11). Wenn sich das Vorliegen eines Arbeitsunfalls nicht feststellen lässt, geht dies angesichts der Regelung des § 11 Abs. 5 (früher: 4) SGB V im Erstattungsstreit zwischen Unfall- und Krankenversicherungsträger zulasten des Krankenversicherungsträgers, zumal diese Risikoverteilung derjenigen im Verhältnis zum Versicherten entspricht (vgl. nur Sozialgericht Hamburg, Urteil vom 1. Juli 2002 – S 36 U 512/97, HVBG-INFO 2003, 955, und LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26. Oktober 2005 – L 17 U 51/04, HVBG-INFO 2006, Nr. 1, 6, jeweils mit weiteren Nachweisen).

Zunächst entfaltet der bestandskräftige Bescheid der Klägerin vom 3. März 2015 gegenüber S. im Erstattungsverhältnis zur Beklagten keine Bindungswirkung. Der Bescheid des klagenden Unfallversicherungsträgers gegenüber dem Versicherten griff nicht unmittelbar in die Rechtssphäre der beklagten Krankenkasse ein. Die Beklagte war nicht Beteiligte im Sinne des § 77 SGG (vgl. BSG, Urteil vom 13. Dezember 2016 – B 1 KR 25/16 R, juris). Im Übrigen kann dahingestellt bleiben, ob mit der ständigen Rechtsprechung des 2. Senats des BSG auch zukünftig davon auszugehen sein wird, dass dem selbstständigen, originären Erstattungsanspruch nach § 105 SGB X die Bindungswirkung einer gegenüber dem Versicherten ergangenen, den Versicherungsfall der gesetzlichen Unfallversicherung ablehnenden Entscheidung des Trägers der Unfallversicherung nicht entgegensteht (so mit überzeugenden Argumenten Krasney: Einwendungen des Trägers der Unfallversicherung aus dem Versicherungsverhältnis gegen einen Erstattungsanspruch der Krankenkasse nach § 105 SGB X?, KV 2014, 1; s.a. BSG, Urteil vom 20. März 2018 – B 2 U 16/16 R, Terminbericht des BSG Nr. 10/18). Denn der Bescheid der Beklagten gegenüber S. vom 3. März 2015 erweist sich als rechtmäßig.

Es lässt sich schon nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts feststellen, dass sich der mittlerweile verstorbene S. zum Unfallzeitpunkt im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auf dem mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weg nach dem Ort der Tätigkeit befand. Die aktenkundigen Angaben des Verstorbenen lassen einen solchen Schluss mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nicht zu. Dafür lassen diese zu viele Fragen offen und enthalten zu große Ungereimtheiten: Zwar gab er sowohl gegenüber dem Durchgangsarzt als auch gegenüber seiner Arbeitgeberin an, dass er auf dem Weg zur Arbeit gewesen sei, die am Unfalltag um 13.30 Uhr in S2 beginnen sollte. Vom Hauptbahnhof H. wollte der Verstorbene mit der S-Bahn-Linie 3 fahren. Da sich der Unfall bereits um 11.30 Uhr ereignete, wirft schon dies die Frage auf, was der Verstorbene zu diesem frühen Zeitpunkt im Hauptbahnhof H. wollte. Seine damalige Arbeitgeberin gab entsprechend in der Unfallanzeige an, dass er sich noch einen Kaffee habe kaufen wollen, weil er schon etwas früher im Bahnhof gewesen sei. Die Angaben in den Unfallfragebögen der Klägerin vom 22. Februar 2015 (Blatt 64 und Blatt 69 der Verwaltungsakte der Klägerin), dass er sich in der Bahnhofshalle aufgehalten habe bzw. in diese gegangen sei, um sich einen Kaffee zu kaufen, deuten darauf hin, dass der Verstorbene (noch) nicht vorhatte, sich unmittelbar zu seinem Arbeitsort zu begeben. Dies gilt auch für die Antwort auf die Frage 5 (Blatt 69 der Verwaltungsakte der Klägerin), aus welchem Grund er seinen Arbeitsweg bereits so zeitig angetreten habe, dass er nämlich noch mittaggegessen habe. Möglicherweise wollte er auch erst noch mittagessen. Die Antwort des Klägers auf Frage 3 des Fragebogens der Klägerin vom 22. Februar 2015 (Blatt 69 der Verwaltungsakte der Klägerin), dass er den Kaffee, den er bei S3 kaufen wollte, in der S3 habe trinken wollen widerspricht der Antwort auf Frage 1 desselben Fragebogens, wonach er um 12.19 Uhr mit der S3 habe fahren wollen, also über eine Dreiviertelstunde nach dem beabsichtigten Kaffeekauf. Die vom Kläger genannte Abfahrtszeit der S3, die er habe nehmen wollen, erscheint jedenfalls vor dem Hintergrund des beabsichtigten Arbeitsbeginns um 13.30 Uhr schlüssig. Selbst wenn die S-Bahn, wie von der Beklagten mitgeteilt, bereits 8 Minuten vor der Abfahrtzeit im Hauptbahnhof H. einführe, bliebe immer noch eine zeitliche Lücke zwischen dem beabsichtigten Kaffeekauf und dem frühestmöglichen Einstieg in die S-Bahn von etwa 40 Minuten. Damit spricht der zeitliche Ablauf deutlich dagegen, dass der Kläger sich zum Unfallzeitpunkt auf dem allein versicherten unmittelbaren Weg zur Arbeit befand. Dafür sprechen auch nicht zwingend die Angaben des Verstorbenen im Fragebogen der Beklagten vom 19. Juni 2015, in dem er durch Ankreuzen und Einzeichnen angab, dass er sich zum Unfallzeitpunkt auf dem üblichen Arbeitsweg befunden habe. Denn sein Arbeitsweg führte – unterstellt, er betrat den Hauptbahnhof durch den Eingang – tatsächlich durch die Bahnhofshalle am S3-Stand vorbei, allerdings befand er sich nicht mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit zum Unfallzeitpunkt auf eben diesem Arbeitsweg, sondern es besteht die naheliegende Möglichkeit, dass er im Bahnhofsumfeld noch längere Zeit verbrachte, um dann zu einem deutlich späteren Zeitpunkt seinen Arbeitsweg (wieder) aufzunehmen und zum Unfallzeitpunkt nur die Bahnhofshalle betreten hatte, um sich einen Kaffee zu kaufen, diesen vor Ort oder auch draußen vor der Bahnhofshalle zu trinken und gegebenenfalls auch noch zu Mittag zu essen, was er möglicherweise auch unmittelbar vorher – wo auch immer – getan hatte. Denkbar – und wohl auch am wahrscheinlichsten – ist ebenfalls, dass S. von seiner Wohnung, von der er nach seinen Angaben um 10.30 Uhr aufgebrochen war, mit der S-Bahn-Linie 7 zum Hauptbahnhof fuhr, um dort in eine andere S-Bahn-Linie umzusteigen. Für diesen Fall wäre ein Verlassen des Gleisbereichs unter keinen Umständen dem unmittelbaren versicherten Arbeitsweg zuzurechnen, zumal die Angaben des S. zum erfolgten Mittagessen und zum beabsichtigten Kaffeekauf sowie der zeitliche Ablauf dafür sprechen, dass er eine längere, allein eigenwirtschaftlichen Zwecken dienende Pause einlegte, während der sich der Unfall ereignete. Dass er dies möglicherweise regelmäßig so handhabte, würde auch seine laienhafte, durch Ankreuzen und Einzeichnen gegenüber der Beklagten gemachte Angabe erklären, dass er sich auf dem üblichen Arbeitsweg befunden habe. Für einen solchen Hergang würde auch die bejahende Antwort gegenüber der Klägerin auf die Frage sprechen, dass er sich nur in die Bahnhofshalle begeben habe, um sich einen Kaffee zu kaufen. Schließlich spricht auch der Umstand, dass S. gegen den Bescheid der Klägerin vom 3. März 2015 keinen Widerspruch einlegte, für die Richtigkeit der darin zugrunde gelegten Tatsachen und Wertungen.

Es kann nach alledem jedenfalls nicht festgestellt werden, dass die konkrete Verrichtung, also das objektiv beobachtbare Handeln subjektiv – zumindest auch – auf die Erfüllung des Tatbestands der versicherten Tätigkeit ausgerichtet gewesen ist – hier der Weg in der Bahnhofshalle zum Unfallzeitpunkt als Teil des unmittelbaren Wegs zur Arbeitsstelle –, was jedoch nach allgemeinen Grundsätzen entscheidend für die Annahme von Versicherungsschutz wäre (vgl. BSG, Urteile vom 24. Juli 2012 – B 2 U 9/11 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 44 und vom 26. Juni 2014 – B 2 U 4/13 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 52).

Die Klägerin erbrachte somit als unzuständiger Unfallversicherungsträger Sozialleistungen, nämlich Erstversorgung, ärztliche Behandlung, Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln sowie Behandlung in Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen (§ 27 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4, 6 SGB VII). Die Unfallversicherungsträger gewähren Heilbehandlung einschließlich ärztlich verordneter Heilmittel nur, um den durch den Versicherungsfall im Sinne des § 7 SGB VII verursachten Gesundheitsschaden zu beseitigen oder zu bessern, seine Verschlimmerung zu verhüten und seine Folgen zu mildern (§ 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII). Daran fehlte es hier. Die als solche notwendige Heilbehandlung war nicht unfallbedingt. Die Voraussetzungen des § 102 Abs. 1 SGB X lagen nicht vor, da die Klägerin nicht bewusst eine vorläufige Leistung erbrachte. Da die Klägerin den Erstattungsanspruch auch innerhalb der Ausschlussfrist des § 111 SGB X geltend gemacht hat, kann sie von der Beklagten, bei der S. zum Unfallzeitpunkt und während der Behandlung krankenversichert war, gemäß § 105 Abs. 2 SGB X Erstattung in der Höhe verlangen, in der diese bei sofortiger Feststellung des Anspruchs an den Leistungsberechtigten Zahlungen hätte erbringen müssen, vorliegend einen Betrag in Höhe von 3.810,76 Euro, den die Beklagte aufgeschlüsselt beziffert hat und dessen Korrektheit die Klägerin unterstellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 (Berufungsverfahren) und 155 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (Klageverfahren).

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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