L 3 SB 14/18 B PKH

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 54 SB 58/18
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 SB 14/18 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 21. Juni 2018 wird zurückgewiesen. II. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Der schwerbehinderte, gehörlose Kläger begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Bevollmächtigten für das erstinstanzliche Verfahren, das bislang darauf gerichtet ist, die Beklagte zur Ausgabe einer Wertmarke zur unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr zu verurteilen, ohne dass der Kläger hierfür einen Eigenanteil entrichten müsste. I. Die zulässige, insbesondere gemäß § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klagverfahren abgelehnt, so dass auch für die begehrte Beiordnung kein Raum bleibt. 1. Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht besteht in aller Regel schon dann, wenn der Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar gehalten werden kann und in tatsächlicher Hinsicht eine Beweisführung möglich erscheint (vgl. etwa B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ders., SGG, 12. Aufl. 2017, § 73a Rn. 7a mwN). Denn das grundrechtlich verbürgte Recht auf effektiven und gleichen Rechtsschutz gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes und die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern (vgl. zusammenfassend BVerfG Beschl. v. 13. März 1990, 2 BvR 94/88, juris-Rn. 23 ff.; aus jüngerer Zeit BVerfG 2. Senat 1. Kammer, Beschl. v. 15. Nov. 2017, 2 BvR 902/17, 2 BvR 940/17, 2 BvR 1702/17, juris-Rn. 10 ff.). Das bedeutet zugleich, dass Prozesskostenhilfe verweigert werden darf, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen ist, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (BVerfG, Beschl. v. 13. März 1990, 2 BvR 94/88, juris-Rn. 26). 2. Gemessen an diesem Maßstab hat die zugrundeliegende Klage auch nach Auffassung des Senats keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. a. Der Senat vermag beim derzeitigen Sachstand allerdings nicht zu beurteilen, ob die Klage zulässig ist. Er geht davon aus, dass der Kläger bereits am 26. Juli 2017 die Ausgabe einer Wertmarke bei der Beklagten beantragte und am 8. September 2017 lediglich Unterlagen nachreichte. Dem bisherigen Beteiligtenvorbringen lässt sich nicht ausreichend deutlich entnehmen, für welchen Zeitraum die begehrte Wertmarke gelten sollte. Der Kläger wünschte wohl einen Anschluss an die zuvor ausgegebene Wertmarke, aber auch deren Gültigkeitsdauer ist nicht bekannt. Da unentgeltliche Wertmarken für ein Jahr ausgegeben werden, vgl. § 228 Abs. 4 Halbsatz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) – Hamburg, erscheint es möglich, dass der Zeitraum, für den eine Wertmarke begehrt wurde, zwischenzeitlich abgelaufen ist. Die als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage erhobene Klage wäre wegen Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig geworden, so dass auch nicht mehr zu klären wäre, ob die begehrte Entscheidung über eine unentgeltliche Wertmarkenausgabe überhaupt durch Verwaltungsakt erfolgen würde (offen gelassen in BSG, Urt. v. 6. Okt. 2011, B 9 SB 7/10 R, juris-Rn. 24). In Betracht käme dann aber eine Weiterführung der Klage als (Fortsetzungs-)Feststellungsklage oder, sofern der Kläger zwischenzeitlich eine Wertmarke gegen Entrichtung eines Eigenanteils erhalten haben sollte, als auf dessen Erstattung gerichtete Leistungsklage. Dies wird der Kläger im weiteren Verfahren klarzustellen haben. b. Ungeachtet ihrer letztendlichen Ausgestaltung erscheint die Klage jedenfalls unbegründet. In der Sache kann der Kläger auch nach Auffassung des Senats nicht verlangen, dass die Beklagte ihm eine unentgeltliche Wertmarke ausgibt. Ein derartiger Anspruch könnte sich allein aus § 228 Abs. 4 Halbsatz 1 Nr. 2 SGB IX ergeben. Nach dieser Vorschrift ist auf Antrag eine für ein Jahr gültige Wertmarke unter anderem an schwerbehinderte Menschen, die für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) – Sozialhilfe – erhalten, auszugeben, ohne dass dafür ein Eigenanteil zu entrichten ist. Der Kläger bezieht indes weder Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII noch Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII, was von ihm auch nicht behauptet wird. Vielmehr bezieht er Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII, indem der Sozialhilfeträger die Kosten der Unterbringung in einer betreuten Wohngruppe für hörgeschädigte Menschen des H. übernimmt. Damit gehört er nicht zum begünstigten Personenkreis. Zwar wird der Begriff der "Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches" in § 228 Abs. 4 Satz 1 Nr. 9 SGB IX innerhalb der Wortlautgrenze weit ausgelegt und umfasst nicht nur Leistungen, die ihren Rechtsgrund allein im SGB XII haben, sondern auch diejenigen, die in entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII an Personen erbracht werden, die Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen, insbesondere Empfänger von so genannten Analogleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (vgl. zur inhaltsgleichen Vorgängerregelung in § 145 SGB IX in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung BSG, Urt. v. 6. Okt. 2011, B 9 SB 7/10 R, juris-Rn. 37 ff.; Urt. v. 25. Okt. 2012, B 9 SB 1/12 R, juris-Rn. 41). Aber auch darunter lassen sich die dem Kläger erbrachten Leistungen nicht fassen. Sie werden nach den eigenständigen Regelungen des Sechsten Kapitels des SGB XII erbracht, die an keiner Stelle auf diejenigen des Dritten oder Vierten Kapitels Bezug nehmen. Schwerbehinderte Menschen, die wie der Kläger Leistungen der Eingliederungshilfe und nicht zusätzlich Hilfe zum Lebensunterhalt beziehen, können daher nicht als anspruchsberechtigt gelten (vgl. Spiolek in: Großmann/Schimanski, GK-SGB IX, Stand: 81. EL Oktober 2015, § 145 Rn. 54). Eine darüber hinausgehende Auslegung erscheint dem Senat fernliegend. Als Befreiungsvorschrift ist § 228 Abs. 4 SGB IX grundsätzlich eng auszulegen (BSG, Urt. v. 25. Okt. 2012, B 9 SB 1/12 R, juris-Rn. 33, bezogen auf § 145 SGB IX a.F.). Die Befreiungstatbestände sollen Personen erfassen, die zur Deckung ihres notwendigen Lebensunterhalts Leistungen der öffentlichen Fürsorge erhalten (vgl. BSG, Urt. v. 6. Okt. 2011, juris-Rn. 44, 46 unter Auswertung der Gesetzesmaterialien). Die dem Kläger gewährten Eingliederungsleistungen sind, wiewohl sie auch dem Unterbringungsbedarf zu dienen bestimmt sind, hingegen nicht zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts gedacht. Diesen kann der Kläger, der Altersrente in Höhe von 973,15 Euro monatlich bezieht, aus eigenen Kräften decken. Aus diesem Grund gewährt der Sozialhilfeträger ihm auch keine laufende Hilfe zum Lebensunterhalt (vgl. zuletzt Ablehnungsbescheid vom 4. September 2017). Anders als der Kläger im Verwaltungsverfahren vorgebracht hat, findet diese Leistungsablehnung ihren Grund nicht allein im "Berechnungsschema" und damit in der technischen Ausgestaltung des Bescheids, sondern darin, dass der Kläger hinsichtlich der in § 42 SGB XII aufgezählten Bedarfe nicht bedürftig ist. Der Senat verkennt nicht, dass der Kläger sein Einkommen aus der Altersrente zum größeren Teil im Rahmen der Eingliederungsleistung einzusetzen hat und ihm nur in Höhe des Barbetrags zur freien Verfügung bleibt. Insoweit ist seine Situation durchaus mit derjenigen eines Beziehers von Grundsicherungsleistungen vergleichbar. Allein die individuelle wirtschaftliche Betroffenheit vermag es aber nicht zu rechtfertigen, § 228 Abs. 4 Halbsatz 1 Nr. 2 SGB IX entgegen seinem Wortlaut anzuwenden. Der Gesetzgeber hat den Eigenanteil nur bestimmten Personengruppen erlassen, die ihm bei typisierender Betrachtung besonders bedürftig erschienen sind. Dass der Kläger von dieser Begünstigung ausgeschlossen bleibt, gibt selbst mit Blick auf das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz zu keinen (verfassungs-)rechtlichen Bedenken Anlass. Dem Gesetzgeber steht auch unter Berücksichtigung der UN-Behindertenrechtskonvention bei der Ausgestaltung von Sozialleistungen ein weiter Gestaltungsspielraum zu (vgl. zuletzt BVerfG 1. Senat 1. Kammer, Nichtannahmebeschluss vom 5. März 2018, 1 BvR 2926/14, juris-Rn. 23 mwN). Es erscheint jedenfalls nicht willkürlich, dass er bei gebotener typisierender Betrachtung den Erhalt einer unentgeltlichen Wertmarke vom Bezug laufender Leistungen für den Lebensunterhalt abhängig gemacht hat, denn die begünstigten Personen leben wirtschaftlich vom Existenzminimum. Das ist nicht bei sämtlichen Beziehern von Eingliederungsleistungen der Fall, insbesondere, weil für sie und ihre Familien die besonderen Einkommensgrenzen der §§ 85 bis 89 SGB XII gelten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Eigenbeteiligung im Vergleich zum Nutzen der Wertmarke nur eine geringe finanzielle monatliche Belastung von derzeit 6,67 Euro monatlich (80 Euro für ein Jahr) darstellt. Zudem soll die typisierende Betrachtung die Versorgungsämter gerade davon entlasten, vor Ausgabe einer kostenlosen Wertmarke in jedem Einzelfall die Bedürftigkeit des Antragstellers zu prüfen (s. zur gesetzgeberischen Zielsetzung des § 145 SGB IX a.F. BSG, Urt. v. 25. Okt. 2012, B 9 SB 1/12 R, juris-Rn. 49 ff., mwN). Dem Anliegen des Klägers, die ihm zur freien Verfügung verbliebenen Mittel nicht für den Eigenanteil einzusetzen, kann allenfalls im System des SGB XII begegnet werden. Ebenso fernliegend erscheint es dem Senat, die in § 228 Abs. 4 Halbsatz 1 Nr. 2 SGB IX enthaltene Begünstigung mittels Analogieschluss auf den Fall des Klägers zu erstrecken. Es fehlt an einer erkennbaren Unvollständigkeit des Gesetzes (s. bezogen auf Personen, die im Maßregelvollzug untergebracht sind und nach den Vollzugsgesetzen lediglich ein Taschengeld in Höhe des sozialhilferechtlichen Barbetrags erhalten, BSG Urt. v. 6. Okt. 2011, B 9 SB 6/10 R, juris-Rn. 44 ff.). Schließlich erscheint es fernliegend, für den Kläger Günstigeres daraus herzuleiten, dass er offensichtlich in der Vergangenheit bei im Wesentlichen gleicher Sachlage jahrelang unentgeltliche Wertmarken erhielt und vorbringt, ihm seien vergleichbare Fälle bekannt, in denen ebenfalls kein Eigenanteil gefordert werde. II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO iVm § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG. III. Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.
Rechtskraft
Aus
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