S 17 R 391/15

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 17 R 391/15
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 274/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 16/18 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 51 Abs. 3a Nr. 3 SGB VI.

2. Auf die für eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte erforderliche 45-jährige Wartezeit können Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn auch dann nicht angerechnet werden, wenn der Arbeitgeber eine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen hat.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte.

Der 1951 geborene Kläger beantragte am 28. Oktober 2014 erstmals die Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab 1. Januar 2015. Er war seit 31. Dezember 2012 arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld seit 1. Januar 2013. Dem Kläger war von seinem Arbeitgeber, der C-AG, aus betrieblichen Gründen zum 31. Dezember 2012 gekündigt worden. Er war dort als Vertriebsmitarbeiter beschäftigt gewesen. Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 18. November 2014 ab, da der Kläger keine Wartezeit von 45 Jahren (540 Monaten) zurückgelegt habe, sondern nur 495 Monate. Die Beklagte teilte zugleich mit, dass der Kläger die Voraussetzungen für eine Altersente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit ab 1. Januar 2015 erfülle und er diese Rente mit Abschlägen in Anspruch nehmen könne.

Der Kläger beantragte am 28. November 2014 beide Rentenarten, die Altersente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit hilfsweise.

Der Kläger legte am 15. Dezember 2014 Widerspruch gegen den Bescheid vom 18. November 2014 ein. Er führte aus, dass sich sein ehemaliger Arbeitgeber im Jahr 2010 in erheblichen Zahlungsschwierigkeiten befunden habe; es sei vom 1. März 2010 bis 28. Februar 2011 Kurzarbeit eingeführt gewesen. Zudem sei eine Transfergesellschaft gegründet worden und viele Mitarbeiter seien ausgeschieden. Es hätten Sparmaßnahmen stattgefunden. Der Arbeitgeber habe sich von der finanziellen Krise erholt und eine Insolvenz sei nicht eingetreten. Daher ergebe sich für den Kläger eine Ungleichbehandlung, weil ihm wegen finanzieller Schwierigkeiten des Arbeitgebers gekündigt worden sei, für ihn aber die Zeiten der Arbeitslosigkeit nicht berücksichtigt würden. Personen, die wegen Insolvenz oder vollständiger Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers ausschieden, erhielten die Zeiten der Arbeitslosigkeit als Wartezeit angerechnet. Die Differenzierung sei jedoch nach Art. 3 Grundgesetz (GG) nicht zu rechtfertigen.

Die Beklagte gewährte dem Kläger durch Bescheid vom 18. März 2015 ab 1. Januar 2015 eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit. Der zur Ermittlung der Persönlichen Entgeltpunkte ermittelte Zugangsfaktor beträgt 0,928. Der Kläger legte hiergegen am 2. April 2015 Widerspruch ein. Das Widerspruchsverfahren ruht.

Nach Prüfung weiterer Wartezeitmonate wies die Beklagte den Widerspruch vom 15. Dezember 2014 durch Widerspruchsbescheid vom 3. August 2015 zurück und führte aus, dass 525 Monate für die Wartezeit von 45 Jahren vorlägen. Der Arbeitslosengeldbezug des Klägers (24 Monate) könne nicht auf die Wartezeit angerechnet werden.

Der Kläger hat am 13. August 2015 Klage vor dem Sozialgericht Gießen erhoben.

Er ist der Ansicht, dass die Tatbestandsvoraussetzung der vollständigen Betriebsaufgabe auch dann erfüllt sei, wenn, wie im Fall des Klägers, ein Arbeitsbereich fast vollständig seitens des Arbeitsgebers aufgegeben werde. So sei es im Fall des Klägers gewesen, denn aufgrund von Umstrukturierungsmaßnahmen sei sein Vertriebsbereich fast vollständig entfallen. Diese Umstrukturierungsmaßnahme sei aufgrund erheblicher finanzieller Schwierigkeiten des Arbeitgebers erforderlich geworden. Darüber hinaus ist er der Ansicht, dass es verfassungswidrig sei, dass für Arbeitnehmer, deren Arbeitgeber insolvent geworden sei oder den Betrieb vollständig aufgegeben habe, die letzten zwei Jahre des Bezugs von Arbeitslosengeld berücksichtigt würden, während diese Berücksichtigung für Arbeitnehmer, denen betriebsbedingt gekündigt worden sei, entfalle.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 18. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm auf seinen Antrag vom 28. Oktober 2014 hin ab dem 1. Januar 2015 eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte anstelle der ab dem selben Tag gewährten Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass ein Verstoß gegen Art. 3 GG nicht vorliege. Sie verweist auf die Gesetzgebungsmaterialien und ist zudem der Ansicht, dass sich hieraus auch ergebe, dass im Fall des Klägers nicht von einem Fall der vollständigen Betriebsaufgabe ausgegangen werden könne. Es sei auch vom Gesetzgeber beabsichtigt gewesen, Fälle der betriebsbedingten Kündigung nicht zu erfassen.

Die Beteiligten sind mit Schreiben vom 1. März 2016 zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung angehört worden.

Zum weiteren Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Klägers bei der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) treffen, da die Beteiligten mit Schriftsätzen vom 11. März 2016 und 7. April 2016 ihr Einverständnis hierzu erklärt haben.

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 18. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2015 war nicht aufzuheben, da er rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab 1. Januar 2015 anstelle der gewährten Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit.

Der Gewährung dieser Rente steht nicht entgegen, dass dem Kläger schon Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit nach § 237 SGB VI bewilligt wurde. Zwar schließt § 34 Abs. 4 Nr. 3 SGB VI nach bindender Bewilligung einer Rente wegen Alters oder für Zeiten des Bezugs einer solchen Rente den Wechsel in eine andere Rente wegen Alters aus. Ein Wechsel im Sinne dieser Vorschrift liegt allerdings nur vor, wenn die Anspruchsvoraussetzungen für die gewünschte abschlagfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte nicht vorher oder gleichzeitig mit der bewilligten Altersrente vorgelegen haben. Der Kläger hat jedoch zunächst nur die hier streitige Rente und später nur hilfsweise die ihm gewährte Altersrente beantragt, deren Voraussetzungen jedenfalls nach dem Vorbringen des Klägers zum selben Zeitpunkt vorlagen.

Nach § 38 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) haben Versicherte Anspruch auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte, wenn sie
1. das 65. Lebensjahr vollendet und
2. die Wartezeit von 45 Jahren erfüllt haben.
Der Anspruch besteht jedoch gemäß § 236b SGB VI für Versicherte, die vor dem 1. Januar 1953 geboren sind, schon wenn sie das 63. Lebensjahr vollendet haben. Der Kläger ist 1951 geboren und hat das 63. Lebensjahr am 15. Dezember 2014 vollendet.
Er erfüllt jedoch nicht die Wartezeit von 45 Jahren.
Nach § 51 Abs. 3a Satz 1 SGB VI werden auf die Wartezeit von 45 Jahren Kalendermonate angerechnet mit
1. Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit,
2. Berücksichtigungszeiten,
3. Zeiten des Bezugs von
a) Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung,
b) Leistungen bei Krankheit und
c) Übergangsgeld,
soweit sie Pflichtbeitragszeiten oder Anrechnungszeiten sind; dabei werden Zeiten nach Buchstabe a in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht berücksichtigt, es sei denn, der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung ist durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt, und
4. freiwilligen Beiträgen, wenn mindestens 18 Jahre mit Zeiten nach Nummer 1 vorhanden sind; dabei werden Zeiten freiwilliger Beitragszahlung in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht berücksichtigt, wenn gleichzeitig Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit vorliegen.

Für den Kläger sind Zeiten in einem Umfang von 525 Kalendermonaten belegt, die auf die Wartezeit anzurechnen sind, so dass die Wartezeit von 45 Jahren (= 540 Kalendermonate) nicht erfüllt ist. Es bestehen keine weiteren Zeiten, die zu einer Erfüllung der Wartezeit führen würden. Der Kläger war bis zum 31. Dezember 2012 abhängig beschäftigt gewesen und bezog sodann vom 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2014 Arbeitslosengeld. Diese Zeiten des Arbeitslosengeldbezuges sind nicht auf die Wartezeit anzurechnen. Nach § 51 Abs. 3a Satz 1 SGB VI werden auf die Wartezeit von 45 Jahren zwar Kalendermonate mit Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung angerechnet. Jedoch bleiben Zeiten des Bezugs, die in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn liegen, unberücksichtigt. Der Bezug des Klägers dauerte vom 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2014, also genau zwei Jahre vor Beginn der Altersrente am 1. Januar 2015. Die Zeiten sind daher vom Ausschluss umfasst.

Etwas anderes gilt gemäß § 51 Abs. 3a Satz 1 SGB VI nur dann, wenn der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt ist. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der ehemalige Arbeitgeber des Klägers hatte zwar nach Angaben des Klägers in den Jahren 2010 und 2011 wirtschaftliche Schwierigkeiten; es war vom 1. März 2010 bis 28. Februar 2011 Kurzarbeit angeordnet gewesen. Jedoch ist eine Insolvenz nicht eingetreten. Ebenso liegt keine vollständige Geschäftsaufgabe seitens des Arbeitgebers vor. Unabhängig von der Frage, wann von einer solchen auszugehen wäre, wenn Betriebsteile, Filialen, Konzernunternehmen etc. aufgegeben worden wären, ist festzustellen, dass eine vollständige Geschäftsaufgabe im Fall des Klägers nicht vorliegt. Der Kläger hat hierzu geltend gemacht, dass aufgrund Umstrukturierungsmaßnahmen sein Vertriebsbereich stark geschrumpft sei, was sich insbesondere auch auf die Verdienstmöglichkeiten ausgewirkt hat. Es wurde nicht dargetan, dass ein Vertrieb seitens des Arbeitgebers innerhalb Deutschlands nicht mehr durchgeführt wurde. Eine Geschäftsaufgabe auch nur eines Teilbereichs kann das Gericht in der vom Kläger beschriebenen Umstrukturierung der Aufgaben im Bereich des Vertriebs nicht erkennen. Eine Geschäftsaufgabe liegt nicht deswegen vor, weil der individuelle Arbeitsbereich des Klägers verändert wurde.

Die Nichtberücksichtigung der Kalendermonate des Arbeitslosengeldbezugs vor Renteneintritt bei Berechnung der Wartezeit begründet zur Überzeugung des Gerichts auch keine Verfassungswidrigkeit des § 51 Abs. 3a Satz 1 SGB VI.

Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 98, 365 (385); stRspr.). Er gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen (vgl. BVerfGE 79, 1 (17); 126, 400 (416) m.w.N.). Verboten ist auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss (vgl. BVerfGE 93, 386 (396); 105, 73 (110 ff., 133)), bei dem eine Begünstigung dem einen Personenkreis gewährt, dem anderen aber vorenthalten wird (vgl. BVerfGE 110, 412 (431); 112, 164 (174); 126, 400 (416) m.w.N.). Grundsätzlich ist es Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselben Rechtsfolgen knüpft, vorausgesetzt die Auswahl ist sachgerecht (BVerfGE 90, 145 (196); 94, 241 (260)). Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (BVerfGE 129, 49 (68); 133, 1 (13) Rn. 44). Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. BVerfGE 75, 108 (157); 93, 319 (348 f.); 107, 27 (46); 126, 400 (416); 129, 49 (69); 132, 179 (188) Rn. 30). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers ist insbesondere anzunehmen, wenn die Differenzierung an Persönlichkeitsmerkmale anknüpft, wobei sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen umso mehr verschärfen, je weniger die Merkmale für den Einzelnen verfügbar sind (vgl. BVerfGE 88, 87 (96); 129, 49 (69); 130, 240 (254)) oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (vgl. BVerfGE 88, 87 (96); 124, 199 (220); 129, 49 (69); 130, 240 (254)). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich auch aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben (vgl. BVerfGE 88, 87 (96); 111, 176 (184); 129, 49 (69); 130, 240 (254)). Im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit hat der Gesetzgeber eine besonders große Gestaltungsfreiheit (BVerfGE 99. 165 (178); 106, 166 (175 f.); 111. 176 (184); 112, 164 (175); 130, 240 (254)). Im Falle der Aufrechterhaltung und Änderung von gewährenden Leistungen hat der Gesetzgeber jedoch darauf zu achten, dass insbesondere niemand aus sachfremden, willkürlichen Gründen gegenüber einem anderen benachteiligt wird (BVerfGE 60, 16 (42)). Die Befugnis des Gesetzgebers zur Vereinfachung und Typisierung beruht darauf, dass jede gesetzliche Regelung verallgemeinern muss. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist der Gesetzgeber berechtigt, die Vielzahl der Einzelfälle in dem Gesamtbild zu erfassen, das nach den ihm vorliegenden Erfahrungen die regelungsbedürftigen Sachverhalte zutreffend wiedergibt (vgl. BVerfGE 11, 245 (254); 78, 214 (227); 84, 348 (359); 122, 210 (232); 133, 377 (412, Rn. 87)). Auf dieser Grundlage darf er grundsätzlich generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen (vgl. BVerfGE 84, 348 (359); 113, 167 (236); stRspr.). Typisierung bedeutet, bestimmte in wesentlichen Elementen gleich geartete Lebenssachverhalte normativ zusammenzufassen. Besonderheiten, die im Tatsächlichen durchaus bekannt sind, können generalisierend vernachlässigt werden. Der Gesetzgeber darf sich grundsätzlich am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 82, 159 (185 f.); 96, 1 (6); 133, 377 (412, Rn. 87)). Muss der Gesetzgeber komplexe Regelungssysteme umgestalten, steht ihm grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum zu (vgl. BVerfGE 43, 242 (288 f.); 58, 81 (121); 67, 1 (15 f.); 100, 1 (39 ff.); 105, 73 (135); stRspr.). Eine erhebliche Ungleichbehandlung, die jeglichen sachlichen Grundes entbehrt, weil alle vom Gesetzgeber angestrebten Regelungsziele auch unter Vermeidung der ungleichen Behandlung und ohne Inkaufnahme anderer Nachteile erreicht werden können, braucht von den Betroffenen jedoch nicht hingenommen zu werden (vgl. BVerfGE 125, 1 (23)).

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs liegt ein Verstoß gegen Art. 3 GG nicht vor. Der Kläger, der sich wegen der ausgesprochenen betriebsbedingten Kündigung der Gruppe der unfreiwillig arbeitslos Gewordenen zuordnet, erhält keine Vergünstigung im Sinne des § 51 Abs. 3a SGB VI. Demgegenüber erhalten Arbeitslose, die der Gruppe unfreiwillig arbeitslos Gewordener wegen Geschäftsaufgabe oder Insolvenz des Arbeitgebers zuzuordnen sind, eine Vergünstigung in Form einer Rückausnahme, da Zeiten des Bezugs einer Entgeltersatzleistung nach dem Recht der Arbeitsförderung auch in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn berücksichtigt werden. Diese Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der ggf. unfreiwillig arbeitslos Gewordenen führt nach Ansicht des Gerichts nicht zu einem Verstoß gegen Art. 3 GG, denn es liegen ausreichende Differenzierungsgründe vor, die die Entscheidung des Gesetzgebers rechtfertigen bzw. die zu einem Ausschluss einer willkürlichen Differenzierung führen. § 51 Abs. 3a SGB VI regelt nicht umfassend eine Begünstigung im Wege der Rückausnahme aller unfreiwillig arbeitslos Gewordenen, sondern nur derjenigen, die durch Insolvenz oder Geschäftsaufgabe unfreiwillig arbeitslos geworden sind. Der Gesetzgeber knüpft im Gesetzestext die Rückausnahme folglich auch nicht an das Tatbestandsmerkmal des unfreiwilligen Arbeitsplatzverlustes an, sondern bezeichnet im Wege der Typisierung Gruppen, für welche er eine Rückausnahme von der Nichtberücksichtigung der Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen zwei Jahre vor Rentenbeginn zulässt. Der Gesetzgeber verfolgte ausweislich der Gesetzesbegründung auch nicht das Ziel alle unfreiwillig arbeitslos Gewordenen zu privilegieren, sondern einen Härtefall für diejenigen einzuführen, bei denen die Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit objektiv feststeht, ohne dass ein subjektiver Wille der Arbeitsvertragsparteien ermittelt werden muss. Das Ziel des Ausschlusses der Berücksichtigung der Arbeitslosigkeitszeiten zwei Jahre vor Rentenbeginn und die zugehörige Rückausnahme dient nach Ansicht des Gesetzgebers der Verhinderung des Eintritts von Fehlanreizen. Es soll dem erneuten Eintritt einer Frühverrentungspraxis entgegen getreten werden (BT Drucks. 18/1489 S. 26). Das Gericht hat keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsgemäßheit der Typisierung und der damit einhergehenden Differenzierung. Der Gesetzgeber knüpft mit der gewählten Typisierung an ein objektives Merkmal an und erreicht damit auch den beabsichtigten Zweck, Möglichkeiten der Manipulation durch Arbeitsvertragsparteien entgegen zu wirken (siehe aber auch Thüsing, BB 2014, S. 1). Denn das Vorliegen einer Insolvenz oder einer vollständigen Geschäftsaufgabe lässt sich durch privatrechtliche Vereinbarungen zwischen Arbeitsvertragsparteien nicht vereinbaren. Die Fälle der betriebsbedingten Kündigung stellen sich nicht in gleicher Weise objektiv vergleichbar als unfreiwilliger Arbeitsplatzverlust dar. Es ist daher gerechtfertigt, diese Gruppe nicht als typische Gruppe der unfreiwillig arbeitslos Gewordenen im Rahmen der Rückausnahme zu berücksichtigen. Denn es steht den Arbeitsvertragsparteien frei, jede Kündigung als betriebsbedingte Kündigung zu bezeichnen, auch wenn sie es nicht ist, so dass der Arbeitsplatzverlust sodann nicht unfreiwillig ist. Zwar hat die Bundesagentur für Arbeit mittelbar die Unfreiwilligkeit bejaht, wenn – wie im vorliegenden Fall - keine Sperrzeit festgestellt wurde. Jedoch werden die Hintergründe der betriebsbedingten Kündigung wegen der Rechtsprechung des BSG (siehe z. B. BSG, Urteil vom 25. April 2002 – B 11 AL 89/01 R –, BSGE 89, 250-254, SozR 3-4100 § 119 Nr. 24, SozR 3-4300 § 144 Nr. 9) in einem Fall, in dem eine betriebsbedingte Kündigung vorliegt, die nicht angegriffen wurde, in der Regel nicht geprüft. Der Gesetzgeber benennt in der Gesetzesbegründung zwar keine empirischen Erkenntnisse dazu, ob betriebsbedingte Kündigungen in nennenswerten Umfang Manipulationen der Arbeitsvertragsparteien enthalten. Jedoch ist der Gesetzgeber nicht verpflichtet, im Bereich der Leistungsgewährung jede gesetzgeberische Wertung durch empirische Erhebungen zu belegen (siehe hierzu auch Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Juni 2016 – L 9 R 695/16 –, juris). Ohne weiteres ist wiederum nachvollziehbar, dass Manipulationen im Bereich des Ausspruchs von betriebsbedingten Kündigungen möglich sind. Auch im Fall des Klägers sind die Hintergründe der betriebsbedingten Kündigung unklar. Nach Angaben des Klägers liegt die Ursache der Kündigung in einer finanziellen Schieflage seines Arbeitgebers, deren Bereinigung Sparmaßnahmen erforderlich machten. Ausweislich der Angaben des Klägers erhielt er keine Abfindung und ging nicht gegen die Kündigung arbeitsgerichtlich vor. Jedoch endete die Kurzarbeit im Betrieb des Arbeitgebers des Klägers schon im Jahr 2011, während dem Kläger erst zum 31. Dezember 2012 gekündigt wurde. Der Kläger bezog nach dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses ab 1. Januar 2013 Arbeitslosengeld und nach Erschöpfung des Anspruchs nahtlos Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit. Es ist im Fall des Klägers nach Ansicht des Gerichts nicht sicher beurteilbar, ob seine Arbeitslosigkeit ab dem 1. Januar 2013 unfreiwillig oder freiwillig war. Ursache könnten auch die veränderte Tätigkeit und veränderte Verdienstmöglichkeiten nach den Umstrukturierungsmaßnahmen und die Kenntnis von der Möglichkeit eines nahtlosen Wechsels in die Altersrente mit Abschlägen nach Ausschöpfen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld gewesen sein. Ob es sich tatsächlich um einen unfreiwilligen Arbeitsplatzverlust handelt, würde sich nur mit weiteren Ermittlungen klären lassen. Ziel des Gesetzgebers war es jedoch, zu verhindern, dass die durch gesetzgeberische Maßnahmen in der Vergangenheit begonnene Eindämmung einer Frühverrentungspraxis einen Rückschritt erleidet. Der Gesetzgeber wollte verhindern, (erneut) Fehlanreize für einen früheren Übergang in die Altersrente zu setzen. Der Gesetzgeber verfolgte bereits mit den Gesetzesänderungen aus den Jahren 1996 und 1997 das Ziel, die sich entwickelnde Frühverrentungspraxis vor dem Hintergrund der Finanzierungsprobleme der gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund der demographischen Entwicklung umzukehren. Das BVerfG (Nichtannahmebeschluss vom 5. Februar 2009 – 1 BvR 1631/04 –, juris) hat diesen Ansatz für verfassungsgemäß erachtet und einen Eingriff in ein durch Art. 14 Abs. 1 GG geschütztes Anwartschaftsrecht durch die gesetzgeberische Maßnahmen gegen eine Frühverrentungspraxis als gerechtfertigt angesehen. Der Gesetzgeber hat dieses legitime Ziel auch bei Berücksichtigung von Arbeitslosigkeitszeiten zur Anrechnung auf Wartezeiten bei Einführung einer Rentenart, die einen abschlagsfreien früheren Eintritt in die Altersrente ermöglicht, weiter verfolgt. Nach Ansicht des Gerichts erreicht der Gesetzgeber dieses Ziel mit der von ihm vorgenommenen Typisierung und vermeidet Fehlanreize. Er erleichtert darüber hinaus die Abwicklung für die Verwaltung, indem weitergehende Ermittlungen zur Freiwilligkeit nicht erforderlich werden. Der Gesetzgeber hat mit der Rückausnahme vom Ausschluss im Wege der Typisierung seinen gesetzgeberischen Spielraum nicht überschritten. Es ist nicht zu untersuchen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat, sondern nur, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten hat. Der Gesetzgeber war nicht verpflichtet, alle unfreiwillig arbeitslos Gewordenen zu erfassen. Seine Anknüpfung an typisierende Merkmale, die beim Arbeitgeber vorliegen müssen, ist ein geeignetes Mittel, das verfolgte Ziel zu erreichen und nicht willkürlich. Eine Anknüpfung zur Feststellung des Merkmals der Unfreiwilligkeit beim Betroffenen würde demgegenüber in jedem Fall tatsächliche Ermittlungen erfordern, denn auch im Fall des Vorliegens einer betriebsbedingten Kündigung kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass es sich um eine unfreiwillige Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gehandelt hat. Auch im vorliegenden Fall kann dies anhand der Aktenlage, wie zuvor ausgeführt, nicht als zur Überzeugung des Gerichts feststehend angenommen werden. Eine Manipulierung des Beendigungszeitpunkts durch ein Zusammenwirken des Klägers mit seinem ehemaligen Arbeitgeber ist denkbar. Dies wollte der Gesetzgeber jedoch gerade vermeiden, was im Interesse der Funktionsfähigkeit der (Massen-)verwaltung hinzunehmen ist.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG und die Rechtsmittelbelehrung folgt aus § 143 SGG.

Rechtskraft
Aus
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