L 5 KR 86/01

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Koblenz (RPF)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 5 KR 86/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 14.5.2001 und der Bescheid der Beklagten vom 18.3.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 29.7.1999 aufgehoben.
2. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Krankengeldentziehung wegen fehlender Mitwirkung.

Der 1965 geborene Kläger war zuletzt seit dem 26.8.1997 bis zur krankheitsbedingten Kündigung zum 31.5.1998 bei der Firma persona data euro service als Montageschlosser beschäftigt und versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten.

Ab dem 27.4.1998 wurde der Kläger von seinem Hausarzt Dr. T unter den Diagnosen Lumboischialgie rechts, Bandscheibenvorfall L 5/S 1 rechts fortlaufend arbeitsunfähig geschrieben. Die Beklagte gewährte dem Kläger nach Ablauf der Entgeltfortzahlung ab 8.6.1998 Krankengeld in Höhe von kalendertäglich 66,12 DM brutto/56,70 DM netto. Nachdem eine Untersuchung durch Dr. Sch, Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK), am 10.8.1998 eine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit des Klägers ergab, stellte dieser auf Veranlassung der Beklagten am 18.8.1998 einen Antrag auf Gewährung von Maßnahmen zur Rehabilitation bei der Landesversicherungsanstalt Rheinland-Pfalz (LVA). Letztere bewilligte mit Bescheid vom 15.9.1998 eine stationäre Heilbehandlung, zum vorgesehenen Aufnahmetermin am 7.10.1998 befand sich der Kläger jedoch in Krankenhausbehandlung. Unter Berücksichtigung auch der zwischenzeitlich erhobenen Befunde bestätigte der Arzt B im MDK-Gutachten vom 26.2.1999 nochmals den Rehabilitationsbedarf und die Rehabilitationsfähigkeit des Klägers. Die Beklagte veranlasste daraufhin die erneute Einbestellung zum 17.3.1999 und wies den Kläger mit Schreiben vom 5.3.1999 auf seine Mitwirkungspflichten gemäß § 60 ff Erstes Sozialgesetzbuch (SGB I) und die Möglichkeit der Versagung des Krankengeldes bei Nichtantritt der Heilbehandlung hin. Am 16.3.1999 teilte der Kläger bei einer persönlichen Vorsprache mit, er könne die Maßnahme mangels Kurfähigkeit nicht antreten. Daraufhin stellte die Beklagte die Krankengeldzahlung mit Wirkung zum 17.3.1999 wegen fehlender Mitwirkung ein (Bescheid vom 18.3.1999), die LVA zog ihre Kostenzusage für eine stationäre Heilbehandlung mit Bescheid vom 6.5.1999 zurück.

Den gestützt auf eine Bescheinigung des Dr. T vom 22.2.1999 erhobenen Widerspruch des Klägers, der gemäß dem bei der Beklagten am 30.4.1999 eingegangenen Erstattungsantrag der Verbandsgemeindeverwaltung Betzdorf seit dem 17.3.1999 Leistungen der Sozialhilfe bezog, wies die Beklagte nach nochmaliger Beteiligung des MDK (Gutachten des Arztes B vom 23.7.1999) mit Widerspruchsbescheid vom 29.7.1999 zurück.

Im Klageverfahren hat das Sozialgericht nach Beiziehung von medizinischen Unterlagen ein neurochirurgisches Gutachten des Dr. Bö vom 7.3.2001 eingeholt. Dieser hat beim Kläger Nackenschmerzen, welche zu einer sehr geringen Beeinträchtigung der Beweglichkeit der Halswirbelsäule bei der Drehung nach links führten, und Rückenschmerzen mit gelegentlicher Ausstrahlung in das rechte Bein, wobei die Ausstrahlung nicht sicher einer Nervenwurzel zuzuordnen sei, festgestellt. Der Kläger sei seit dem 17.3.1999 fortlaufend arbeitsunfähig, zum Zeitpunkt der Einstellung des Krankengeldes jedoch kurfähig gewesen. Die geklagten Beschwerden hätten gerade in einer Kur behandelt werden können.

Durch Urteil vom 14.5.2001 hat das Sozialgericht Koblenz die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe zu Recht die Krankengeldzahlung wegen fehlender Mitwirkung des Klägers mit Wirkung zum 17.3.1999 eingestellt, weil dieser entgegen seiner eigenen Auffassung seinerzeit kurfähig gewesen sei. Dies stehe zur Überzeugung des Gerichts aufgrund des Gutachtens von Dr. Bö fest.

Gegen das ihm am 5.7.2001 zugestellte Urteil hat der Kläger am 2.8.2001 Berufung eingelegt.

Er macht geltend, ihm könne entgegen der Auffassung der Beklagten und des Sozialgerichts eine Verletzung seiner Mitwirkungspflichten nicht angelastet werden, weil sein Hausarzt Dr. T ihn gemäß der Bescheinigung vom 22.2.1999 nicht für kurfähig gehalten habe. Diese Beurteilung sei im Juni 1999 von Dr. K bestätigt worden.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 14.5.2001 und den Bescheid der Beklagten vom 18.3.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 29.7.1999 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf ihre angefochtenen Bescheide.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Ihr Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers hat auch in der Sache Erfolg. Die angefochtene Einstellung der Krankengeldzahlung mit Wirkung vom 17.3.1999 wegen fehlender Mitwirkung ist nach Maßgabe des § 66 Abs 2 SGB I rechtswidrig.

Mit ihren streitgegenständlichen Bescheiden hat die Beklagte nicht über einen Antrag des Klägers auf Gewährung von Krankengeld entschieden, sondern von Amts wegen die Krankengeldzahlung wegen fehlender Mitwirkung eingestellt. Da sich der Kläger gegen diesen belastenden Verwaltungsakt wehrt, ist richtige Klageart die reine Anfechtungsklage nach § 54 Abs 1 S 1 1. Alternative Sozialgerichtsgesetz (SGG). Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Einstellung der Krankengeldzahlung ist daher maßgeblich die Sach- und Rechtslage bei Erlass der letzten Verwaltungsentscheidung der Beklagten, also hier bei Erlass des Widerspruchsbescheids (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 6. Auflage, § 54 Rz 32).

Nach § 44 Abs 1 S 1 iVm § 49 Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V) haben versicherte Arbeitnehmer Anspruch auf Krankengeld, wenn sie infolge von Krankheit arbeitsunfähig sind und keinen Anspruch auf Arbeitsentgelt oder Entgeltersatzleistungen haben. Gemäß § 51 SGB V kann die Krankenkasse Versicherten, deren Erwerbsfähigkeit nach ärztlichem Gutachten erheblich gefährdet oder gemindert ist, eine Frist von zehn Wochen setzen, innerhalb der sie einen Antrag auf Maßnahme zur Rehabilitation zu stellen haben. Stellen Versicherte innerhalb der Frist den Antrag nicht, entfällt der Anspruch auf Krankengeld mit Ablauf der Frist (§ 51 Abs 3 SGB V). Allerdings erfordert die Fristsetzung und Aufforderung nach § 51 SGB V einen Verwaltungsakt, der klar und unmissverständlich zur Antragstellung auffordern und eine Belehrung über die Rechtsfolgen des Abs 3 enthalten muss (KassKom/Höfler § 51 SGB V Rz 11). Einen solchen Verwaltungsakt hat die Beklagte vorliegend nicht erlassen, sondern den Kläger lediglich mit Schreiben vom 10.8.1998 gebeten, bis zum 18.8.19998 den Kurantrag ausgefüllt einzureichen. Es kann deshalb offen bleiben, ob in dem Verhalten des Klägers eine (konkludente) Rücknahme des Antrags auf Rehabilitation zu sehen ist und ob diese der unterlassenen Antragstellung gleichsteht und somit zum Wegfall des Anspruchs auf Krankengeld führt (so Schmidt in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 51 SGB V Rz 49).

Die Beklagte hat sich auch nicht hierauf, sondern auf die Verletzung von Mitwirkungspflichten berufen. Diesbezüglich ist der Beklagten nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme zuzugestehen, dass der Kläger gemäß § 63 SGB I verpflichtet war, sich der von der Beklagten verlangten und von der LVA bewilligten stationären Rehabilitationsmaßnahme zu unterziehen, denn die von ihm geklagten Beschwerden hätten der sachverständigen Beurteilung des Dr. Bö zufolge gerade in einer Kur behandelt werden können. Zutreffend ist mithin die Beklagte davon ausgegangen, dass der Kläger nach § 63 SGB I zur Mitwirkung an der Heilbehandlung verpflichtet war. Diese stand insbesondere in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung (§ 65 Abs 1 Nr 1 SGB I) und war dem Kläger entgegen seiner eigenen Auffassung und der seines Hausarztes Dr. T auch zumutbar (§ 65 Abs ! Nr 2 SGB I).

Gleichwohl sind der Entziehungsbescheid der Beklagten und der ihn bestätigende Widerspruchsbescheid rechtswidrig. Das gilt zunächst insoweit, als mit ihnen das Krankengeld rückwirkend ab 17.3.1999 entzogen wurde. Die Folgen einer Verletzung der Mitwirkungspflicht sind ausschließlich in § 66 SGB I geregelt, der eine rückwirkende Entziehung der Leistung nicht vorsieht; eine solche liegt hier vor, weil mit Bescheid vom 18.3.1999 die Krankengeldzahlung mit Wirkung zum 17.3.1999 eingestellt wurde. Zwar sagt der Wortlaut der Vorschrift nichts darüber aus, ob die vorgesehene Entziehung der Leistung nur für die Zukunft oder auch rückwirkend zulässig ist. Die Unzulässigkeit einer rückwirkenden Entziehung ergibt sich aus dem Sinn der Vorschrift. Da die Entziehung an die Verletzung der Mitwirkungspflicht anknüpft und nach Fristsetzung und Belehrung nur bis zur Nachholung der unterlassenen Handlung wirkt, kann sie nicht schon mit dem Zeitpunkt der Verletzung der Mitwirkungspflicht einsetzen, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich der Wirksamkeit des Entziehungsbescheides (vgl BSG 26.5.1983 –10 RKg 13/82, SozR 1200 § 66 Nr 10).

Die Entziehung des Krankengeldes ist aber auch insoweit rechtswidrig, als sie die Zeit nach der Wirksamkeit des Entziehungsbescheides betrifft. Nach § 66 Abs 2 SGB I kann der Leistungsträger die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, wenn derjenige, der eine Sozialleistung u.a. wegen Arbeitsunfähigkeit erhält, seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt und unter Würdigung aller Umstände mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass deshalb die Arbeitsfähigkeit nicht verbessert wird. Es steht mithin auch dann, wenn die Voraussetzungen des § 66 SGB für eine Entziehung der Leistung vorliegen, im Ermessen des Leistungsträgers, dem Leistungsempfänger trotz Verletzung der Mitwirkungspflicht die Leistung entweder zu belassen, sie nur teilweise oder aber auch ganz bis zur Nachholung der Mitwirkung zu entziehen. Bei der ihm obliegenden Wahl unter diesen drei Möglichkeiten hat er die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen und die ihnen angemessene Entscheidung zu treffen. Weder die angefochtenen Bescheide noch der Vortrag der Beklagten lassen erkennen, welche Umstände die Beklagte bewogen haben, vorliegend den Ermessensspielraum voll auszuschöpfen und die am Weitesten gehende der drei möglichen Maßnahmen zu treffen. Sie hat allein auf die (unberechtigte) Weigerung des Klägers abgestellt, die stationäre Rehabilitationsmaßnahme anzutreten. Hierin liegt jedoch kein die Umstände des Einzelfalles berücksichtigender Ermessengrund, sondern dieser Umstand ist nach § 66 Abs 2 SGB I Voraussetzung für die Ausübung des Ermessens. Hat der Leistungsträger aber lediglich die Voraussetzungen für die Ausübung des Ermessens geprüft und bejaht und daraufhin eine Entscheidung getroffen, die noch innerhalb des gesetzlichen Ermessensrahmens liegt, so ist diese Entscheidung dennoch rechtswidrig, weil es an der durch den Zweck der Ermächtigung vorgeschriebenen Abwägung und angemessenen Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles fehlt. Vorliegend kann auch ein Fall der Ermessenreduktion auf Null nicht angenommen werden, denn der Beklagten war durch die Anmeldung eines Erstattungsanspruchs seitens der Verbandsgemeindeverwaltung Betzdorf jedenfalls bekannt, dass der Kläger infolge der vollständigen Einstellung der Krankengeldzahlung mit seiner Familie sozialhilfebedürftig geworden war. Im Rahmen der Ermessensabwägung hätte mithin zumindest geprüft werden müssen, ob nicht eine teilweise Entziehung des Krankengeldes ausgereicht hätte, um ihn zur Nachholung der Mitwirkung zu veranlassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen hierfür gemäß § 160 Abs 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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