Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Koblenz (RPF)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 2 U 370/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 24.10.2000 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Umstritten ist, ob der Kläger einen Anspruch auf Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit (BK) Nr 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) hat.
Der 1935 geborene Kläger war von 1951 bis 1969 als Dachdecker bei den Firmen F S sen in O , A R in K , F M in O , R M in K , F S jun in O und E W in P beschäftigt. Von August 1969 bis April 1970 besuchte er die Dachdeckermeisterschule und war danach von 1970 bis 1989 als Dachdeckermeister selbstständig tätig und sodann bis 1990, nachdem sein Sohn den Betrieb übernommen hatte, bei diesem als Angestellter beschäftigt.
Der Kläger erlitt 1960 einen Sturz aus 15 Meter Höhe bei der Arbeit auf dem Dach mit Steißbeinbruch, Wirbelsäulenstauchung und ausgeprägten Prellungen des gesamten Körpers und im Gesicht. 1974 kam es bei einem weiteren Unfall erneut zu einem Steißbeinbruch.
Wegen lumbaler Bandscheibenvorfälle wurde der Kläger im Mai 1980 im Bereich der Segmente L4/5 und L5/S1 operiert. Auch in der Folgezeit war der Kläger nicht beschwerdefrei. Weitere Operationen erfolgten am 19. und 29. November 1990 (Bandscheibenprolaps bei LWK 3/ 4 rechts; Wurzelfaserhernie bei LWK 3/ 4 rechts) und im Dezember 1990 (wegen Wundheilungsstörung).
Ein im Juli 1980 bei der Landesversicherungsanstalt (LVA) Rheinland-Pfalz gestellter Rentenantrag wurde durch Bescheid vom 26.5.1981 abgelehnt. Im anschließenden Klageverfahren (S 1 J 199/81) verurteilte das Sozialgericht (SG) Koblenz mit Urteil vom 3.9.1982 die LVA zur Gewährung einer Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit ab August 1980. Auf die Berufung der LVA hob das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz (Az: L 6 J 292/82) mit Urteil vom 16.9.1983 dieses Urteil des SG Koblenz auf und wies die Klage ab. Zur Begründung hieß es, der Kläger sei zumutbar auf die Tätigkeit eines Magazin- und Lagervorstehers verweisbar.
Im Oktober 1995 ging bei der Beklagten eine Anzeige der Dres S und K aus M über eine BK des Klägers ein, wobei diese Ärzte Wirbelsäulenbeschwerden auf die Dachdeckertätigkeit des Klägers zurückführten.
Die Beklagte führte Ermittlungen durch und zog medizinische Unterlagen bei. Anschließend veranlasste sie eine Stellungnahme des Arztes für Orthopädie und Chirurgie Dr W aus Koblenz vom April 1996, der eine Begutachtung vorschlug. Nachdem sich der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten im Mai 1996 geäußert hatte, holte die Beklagte eine Stellungnahme nach Aktenlage des Chirurgen Dr K aus G vom Oktober 1996 ein. Dieser regte an, sofern die arbeitstechnischen Voraussetzungen gegeben seien, trotz erheblicher Zweifel eine BK Nr 2108 anzuerkennen.
Unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers nahm der TAD der Beklagten im April 1997 erneut Stellung, wobei er ausführte, bei einem Umfang wirbelsäulenbelastender Arbeiten im Sinne der BK Nr 2108 von 25 % seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen dieser BK nicht gegeben.
Der Staatliche Gewerbearzt Dr N hielt in einer Stellungnahme vom April 1997 fest, da die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien, sei eine BK Nr 2108 zu verneinen.
Durch Bescheid vom 3.6.1997 lehnte die Beklagte die Anerkennung und Entschädigung einer BK Nr 2108 ab: Zur Begründung hieß es: Die arbeitstechnischen Voraussetzungen dieser BK seien nicht erfüllt. Unabhängig davon seien auch die medizinischen Voraussetzungen dieser BK nicht gegeben, weil als erhebliche Nebenfaktoren im konkurrierenden Sinne eine Gichterkrankung und eine Adipositas (Übergewicht) vorhanden seien und der Kläger mehrere Unfälle, die zum Teil das Achsenskelett (Steißbeinfrakturen) betroffen hätten, erlitten habe. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18.12.1997 zurückgewiesen. Darin hieß es ua, die Anerkennung einer berufsbedingten Lendenwirbelsäulen (LWS)-Erkrankung sei auch wegen des Rückwirkungsausschlusses des § 6 Abs 2 Berufskrankheitenverordnung (BKV) nicht möglich, weil ein etwaiger Versicherungsfall vor dem 1.4.1988 eingetreten wäre.
Im Klageverfahren hat die Beklagte eine erneute Stellungnahme ihres TAD vom Januar 1999 vorgelegt. Das SG hat den Sohn des Klägers, P W , und die ehemaligen Arbeitskollegen G W und R K als Zeugen vernommen. P W hat ua angegeben: In der Zeit nach der Operation habe sein Vater in den Jahren 1981/82 "kaum mitgearbeitet". In den Folgejahren habe sein Vater dann "wieder mitgearbeitet".
Durch Urteil vom 24.10.2000 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Ein Anspruch des Klägers scheitere nicht an dem Rückwirkungsausschluss des § 6 Abs 2 BKV. Denn der Kläger habe vor dem maßgebenden Stichtag (1.4.1988) noch nicht alle gefährdenden Tätigkeiten aufgegeben gehabt. 1980 sei keine vollständige und endgültige Tätigkeitsaufgabe erfolgt, weil der Dachdeckerbetrieb des Klägers weitergelaufen sei und sich sein Sohn und seine Ehefrau um den Betrieb gekümmert hätten, während er hierzu nicht in der Lage gewesen sei. Der vorliegende Sachverhalt sei nicht mit demjenigen des Urteils des LSG Nordrhein-Westfalen vom 30.11.1996 (Breithaupt 1997, 432 ff) vergleichbar, da der Betrieb des Klägers während der krankheitsbedingten Unterbrechung fortgeführt worden sei. Eine BK Nr 2108 sei jedoch beim Kläger zu verneinen, weil die arbeitstechnischen Voraussetzungen dieser BK nicht gegeben seien. Insoweit schließe sich die Kammer der Auffassung des TAD der Beklagten an, dass eine wirbelsäulenbelastende Tätigkeit wenigstens während ca eines Drittels der Arbeitszeit erforderlich sei. Daran fehle es vorliegend.
Gegen dieses ihm am 28.11.2000 zugestellte Urteil richtet sich die am 21.12.2000 beim LSG Rheinland-Pfalz eingelegte Berufung des Klägers.
Die Beklagte hat eine ausführliche Stellungnahme ihres TAD zur Höhe der beruflichen Belastung, ausgehend von dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD), vom August 2001 mit ergänzender Stellungnahme vom September 2001 vorgelegt. Darin heißt es, eine Überschreitung des Richtwerts nach dem MDD wäre zu bejahen, wenn der Kläger auch im Zeitraum von 1970 bis 1990 zu mehr als 50 % seiner Arbeitszeit Gerüstbauarbeiten geleistet habe.
Der Senat hat von Amts wegen ein Gutachten des Orthopäden Dr F vom St-J -Krankenhaus B vom Juni 2002 eingeholt. Dieser hat ausgeführt: Beim Kläger sei ein genereller Verschleiß der Bandscheiben, kleinen Wirbelgelenke und entsprechenden Sehnen- und Muskelansätze festzustellen. Die degenerativen Veränderungen im Bereich der Brustwirbelsäule (BWS) und auch der unteren Halswirbelsäule (HWS) seien mindestens so stark ausgeprägt wie im Bereich der LWS. Bei dieser Sachlage sei ein ursächlicher Zusammenhang der Veränderungen im Bereich der LWS mit gefährdenden beruflichen Einwirkungen nicht wahrscheinlich.
Der Kläger hat einen Bericht des Radiologischen Instituts Dr M in K vom Juni 1994 über eine Mehr-Phasen-Skelett-Szintigraphie des Beckens und eine Stamm-Skelett-Szintigraphie vorgelegt.
Der Kläger trägt vor: Vor 1990 habe er nicht alle wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten aufgegeben gehabt. Er habe in der Zeit von 1983 bis 1990 seinen Beruf zu 100 % vollschichtig ausgeübt. Das Gutachten von Dr F überzeuge nicht. 1990, als die berufsbedingten krankhaften Veränderungen im Bereich der LWS schon vorgelegen hätten, seien noch keine krankhaften Veränderungen im Bereich von HWS und BWS vorhanden gewesen. Aus dem Ergebnis der Mehr-Phasen-Skelett-Szintigraphie vom Juni 1994 sei vielmehr zu entnehmen, dass bei ihm zu keiner Zeit Schäden im Bereich der HWS und BWS vorgelegen hätten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG Koblenz vom 24.10.2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 3.6.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.1997 aufzuheben, eine BK nach Nr 2108 der Anlage zur BKV festzustellen und die Beklagte zu verurteilen, ihm Entschädigungsleistungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor: Sie gehe nach wie vor davon aus, dass ein etwaiger Versicherungsfall vor dem 1.4.1988 eingetreten sei, weshalb die Berufung keinen Erfolg haben könne. Der Kläger habe spätestens mit seiner Klage beim SG Koblenz zu erkennen gegeben, dass er sich nach der Operation im Jahre 1980 nicht mehr in der Lage gesehen habe, seine Tätigkeit im Dachdeckerhandwerk weiter auszuführen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die beigezogenen Prozessakten S 1 J 199/81, S 4 Vs 196/92, S 11 J 40/97, S 11 EA-J 26/97 und S 7 U 397/97 (SG Koblenz), die Kopien der Schwerbehindertenakte des Amtes für soziale Angelegenheiten in Koblenz sowie die Prozessakte verwiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die nach §§ 143 f, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
Beim Kläger kann offen bleiben, ob die Voraussetzungen der BK Nr 2108 erfüllt sind. Denn ein Entschädigungsanspruch scheitert jedenfalls an dem Rückwirkungsausschluss des § 6 Abs 2 BKV. Nach dieser Vorschrift setzt die Anerkennung und Entschädigung einer BK Nr 2108 voraus, dass der Versicherungsfall nach dem 31.3.1988 eingetreten ist. Dies wäre vorliegend, wenn beim Kläger ein mit Wahrscheinlichkeit berufsbedingtes Bandscheibenleiden im Bereich der LWS vorläge, nicht der Fall.
Wie zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig ist, lag das Bandscheibenleiden des Klägers im Bereich der LWS bereits vor dem 1.4.1988 vor und hat auch zuvor bereits gravierende Beschwerden verursacht. Entgegen der Auffassung des Klägers war auch das tätigkeitsbezogene Tatbestandsmerkmal der BK Nr 2108 (Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten) vor diesem Zeitpunkt erfüllt.
Dafür ist erforderlich, dass der Betroffene wegen seiner Wirbelsäulenerkrankung gezwungen war, alle Tätigkeiten zu unterlassen, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein konnten. Darüber hinaus muss der Betroffene seine gefährdende Tätigkeit tatsächlich und endgültig aufgegeben haben, wobei es auf das Motiv hierfür nicht ankommt (Bundessozialgericht - BSG -, Urt v 5.5.1998, Az: B 2 U 9/97 R). Der Betroffene muss dabei nicht seinen gesamten Beruf aufgeben, sondern nur die gefährdenden Tätigkeiten. Der Zeitpunkt der erzwungenen Aufgabe ist objektiv nach rückschauender Betrachtungsweise zu bestimmen (BSG, aaO). Maßgebender Zeitpunkt der Tätigkeitsaufgabe ist der erste Tag der letzten Arbeitsunfähigkeit, mit der die gefährdende Tätigkeit aufgegeben worden ist (Koch in Lauterbach, SGB VII, § 9, Rz 205).
Vorliegend hat der Kläger nach seiner 1980 erfolgten Bandscheibenoperation bis 1983 keine gefährdenden Tätigkeiten ausgeübt. Wie er bei einer Begutachtung im Mai 1981 erklärt hat, hat er seinerzeit nur Büroarbeiten ausgeführt. Bei Berücksichtigung aller Umstände des Sachverhalts geht der Senat davon aus, dass der Versicherungsfall der BK Nr 2108 – wenn der Rückwirkungsausschluss des § 6 Abs 2 BKV nicht eingreifen würde – 1980 eingetreten wäre.
Dabei kommt dem Umstand keine entscheidende Bedeutung zu, dass der Kläger ab 1983 wieder gefährdende Tätigkeiten ausgeübt hat. Zwar muss der Versicherte auch zukünftig alle gefährdenden Tätigkeiten unterlassen, wenn er Leistungen erhalten will (Koch, aaO, Rz 211). Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Wiederaufnahme gefährdender Verrichtungen ab 1983 dazu geführt hat, dass rückwirkend bereits ab 1980 keine Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten erfolgt war. Der Versicherungsfall der BK Nr 2108 kann unter bestimmten Voraussetzungen auch eingetreten sein, wenn der Versicherte längere Zeit nach der Aufgabe der schädigenden Tätigkeit wieder wirbelsäulengefährdende Arbeiten aufnimmt. Diese Verhaltensweise hat dann lediglich zur Folge, dass ein Leistungsanspruch ex nunc nicht mehr besteht.
Für die Beurteilung, ob der Kläger 1980 alle gefährdenden Tätigkeiten aufgeben wollte, kann nicht allein und entscheidend auf die nicht nachprüfbare innere Willensrichtung des Betroffenen abgestellt werden. Vielmehr muss es – in einer objektiven Betrachtungsweise - auf den nach außen zutage getretenen Willen ankommen. Vorliegend ist von entscheidender Bedeutung, dass der Kläger durch das 1980 gegen die LVA betriebene Rentenverfahren, in welchem er eine Rente wegen Berufsunfähigkeit erstreiten wollte, dokumentiert hat, in Zukunft keine körperlich wesentlich belastenden Tätigkeiten mehr ausüben zu wollen, was er auch tatsächlich bis 1983 nicht getan hat. Auch unter Berücksichtigung des langen Zeitraums zwischen 1980 und 1983 ist von einer 1980 erfolgten Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten auszugehen.
Bei der gegebenen Sachlage ist entgegen der Auffassung des SG nicht entscheidend, dass der Kläger seinen Betrieb 1980 nicht eingestellt hat. Daraus kann nicht geschlossen werden, dass der Kläger beabsichtigte, später wieder körperlich belastende Tätigkeiten auszuführen. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass sein Sohn bereits seinerzeit in dem Unternehmen gearbeitet hat und als Firmennachfolger zur Verfügung stand. Wie der Kläger im Verfahren S 1 J 199/81 vorgetragen hat, nahm der Kläger seinerzeit von der Einstellung oder Veräußerung des Betriebes Abstand, weil sein Sohn das Geschäft übernehmen sollte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht vorliegen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Umstritten ist, ob der Kläger einen Anspruch auf Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit (BK) Nr 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) hat.
Der 1935 geborene Kläger war von 1951 bis 1969 als Dachdecker bei den Firmen F S sen in O , A R in K , F M in O , R M in K , F S jun in O und E W in P beschäftigt. Von August 1969 bis April 1970 besuchte er die Dachdeckermeisterschule und war danach von 1970 bis 1989 als Dachdeckermeister selbstständig tätig und sodann bis 1990, nachdem sein Sohn den Betrieb übernommen hatte, bei diesem als Angestellter beschäftigt.
Der Kläger erlitt 1960 einen Sturz aus 15 Meter Höhe bei der Arbeit auf dem Dach mit Steißbeinbruch, Wirbelsäulenstauchung und ausgeprägten Prellungen des gesamten Körpers und im Gesicht. 1974 kam es bei einem weiteren Unfall erneut zu einem Steißbeinbruch.
Wegen lumbaler Bandscheibenvorfälle wurde der Kläger im Mai 1980 im Bereich der Segmente L4/5 und L5/S1 operiert. Auch in der Folgezeit war der Kläger nicht beschwerdefrei. Weitere Operationen erfolgten am 19. und 29. November 1990 (Bandscheibenprolaps bei LWK 3/ 4 rechts; Wurzelfaserhernie bei LWK 3/ 4 rechts) und im Dezember 1990 (wegen Wundheilungsstörung).
Ein im Juli 1980 bei der Landesversicherungsanstalt (LVA) Rheinland-Pfalz gestellter Rentenantrag wurde durch Bescheid vom 26.5.1981 abgelehnt. Im anschließenden Klageverfahren (S 1 J 199/81) verurteilte das Sozialgericht (SG) Koblenz mit Urteil vom 3.9.1982 die LVA zur Gewährung einer Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit ab August 1980. Auf die Berufung der LVA hob das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz (Az: L 6 J 292/82) mit Urteil vom 16.9.1983 dieses Urteil des SG Koblenz auf und wies die Klage ab. Zur Begründung hieß es, der Kläger sei zumutbar auf die Tätigkeit eines Magazin- und Lagervorstehers verweisbar.
Im Oktober 1995 ging bei der Beklagten eine Anzeige der Dres S und K aus M über eine BK des Klägers ein, wobei diese Ärzte Wirbelsäulenbeschwerden auf die Dachdeckertätigkeit des Klägers zurückführten.
Die Beklagte führte Ermittlungen durch und zog medizinische Unterlagen bei. Anschließend veranlasste sie eine Stellungnahme des Arztes für Orthopädie und Chirurgie Dr W aus Koblenz vom April 1996, der eine Begutachtung vorschlug. Nachdem sich der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten im Mai 1996 geäußert hatte, holte die Beklagte eine Stellungnahme nach Aktenlage des Chirurgen Dr K aus G vom Oktober 1996 ein. Dieser regte an, sofern die arbeitstechnischen Voraussetzungen gegeben seien, trotz erheblicher Zweifel eine BK Nr 2108 anzuerkennen.
Unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers nahm der TAD der Beklagten im April 1997 erneut Stellung, wobei er ausführte, bei einem Umfang wirbelsäulenbelastender Arbeiten im Sinne der BK Nr 2108 von 25 % seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen dieser BK nicht gegeben.
Der Staatliche Gewerbearzt Dr N hielt in einer Stellungnahme vom April 1997 fest, da die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien, sei eine BK Nr 2108 zu verneinen.
Durch Bescheid vom 3.6.1997 lehnte die Beklagte die Anerkennung und Entschädigung einer BK Nr 2108 ab: Zur Begründung hieß es: Die arbeitstechnischen Voraussetzungen dieser BK seien nicht erfüllt. Unabhängig davon seien auch die medizinischen Voraussetzungen dieser BK nicht gegeben, weil als erhebliche Nebenfaktoren im konkurrierenden Sinne eine Gichterkrankung und eine Adipositas (Übergewicht) vorhanden seien und der Kläger mehrere Unfälle, die zum Teil das Achsenskelett (Steißbeinfrakturen) betroffen hätten, erlitten habe. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18.12.1997 zurückgewiesen. Darin hieß es ua, die Anerkennung einer berufsbedingten Lendenwirbelsäulen (LWS)-Erkrankung sei auch wegen des Rückwirkungsausschlusses des § 6 Abs 2 Berufskrankheitenverordnung (BKV) nicht möglich, weil ein etwaiger Versicherungsfall vor dem 1.4.1988 eingetreten wäre.
Im Klageverfahren hat die Beklagte eine erneute Stellungnahme ihres TAD vom Januar 1999 vorgelegt. Das SG hat den Sohn des Klägers, P W , und die ehemaligen Arbeitskollegen G W und R K als Zeugen vernommen. P W hat ua angegeben: In der Zeit nach der Operation habe sein Vater in den Jahren 1981/82 "kaum mitgearbeitet". In den Folgejahren habe sein Vater dann "wieder mitgearbeitet".
Durch Urteil vom 24.10.2000 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Ein Anspruch des Klägers scheitere nicht an dem Rückwirkungsausschluss des § 6 Abs 2 BKV. Denn der Kläger habe vor dem maßgebenden Stichtag (1.4.1988) noch nicht alle gefährdenden Tätigkeiten aufgegeben gehabt. 1980 sei keine vollständige und endgültige Tätigkeitsaufgabe erfolgt, weil der Dachdeckerbetrieb des Klägers weitergelaufen sei und sich sein Sohn und seine Ehefrau um den Betrieb gekümmert hätten, während er hierzu nicht in der Lage gewesen sei. Der vorliegende Sachverhalt sei nicht mit demjenigen des Urteils des LSG Nordrhein-Westfalen vom 30.11.1996 (Breithaupt 1997, 432 ff) vergleichbar, da der Betrieb des Klägers während der krankheitsbedingten Unterbrechung fortgeführt worden sei. Eine BK Nr 2108 sei jedoch beim Kläger zu verneinen, weil die arbeitstechnischen Voraussetzungen dieser BK nicht gegeben seien. Insoweit schließe sich die Kammer der Auffassung des TAD der Beklagten an, dass eine wirbelsäulenbelastende Tätigkeit wenigstens während ca eines Drittels der Arbeitszeit erforderlich sei. Daran fehle es vorliegend.
Gegen dieses ihm am 28.11.2000 zugestellte Urteil richtet sich die am 21.12.2000 beim LSG Rheinland-Pfalz eingelegte Berufung des Klägers.
Die Beklagte hat eine ausführliche Stellungnahme ihres TAD zur Höhe der beruflichen Belastung, ausgehend von dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD), vom August 2001 mit ergänzender Stellungnahme vom September 2001 vorgelegt. Darin heißt es, eine Überschreitung des Richtwerts nach dem MDD wäre zu bejahen, wenn der Kläger auch im Zeitraum von 1970 bis 1990 zu mehr als 50 % seiner Arbeitszeit Gerüstbauarbeiten geleistet habe.
Der Senat hat von Amts wegen ein Gutachten des Orthopäden Dr F vom St-J -Krankenhaus B vom Juni 2002 eingeholt. Dieser hat ausgeführt: Beim Kläger sei ein genereller Verschleiß der Bandscheiben, kleinen Wirbelgelenke und entsprechenden Sehnen- und Muskelansätze festzustellen. Die degenerativen Veränderungen im Bereich der Brustwirbelsäule (BWS) und auch der unteren Halswirbelsäule (HWS) seien mindestens so stark ausgeprägt wie im Bereich der LWS. Bei dieser Sachlage sei ein ursächlicher Zusammenhang der Veränderungen im Bereich der LWS mit gefährdenden beruflichen Einwirkungen nicht wahrscheinlich.
Der Kläger hat einen Bericht des Radiologischen Instituts Dr M in K vom Juni 1994 über eine Mehr-Phasen-Skelett-Szintigraphie des Beckens und eine Stamm-Skelett-Szintigraphie vorgelegt.
Der Kläger trägt vor: Vor 1990 habe er nicht alle wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten aufgegeben gehabt. Er habe in der Zeit von 1983 bis 1990 seinen Beruf zu 100 % vollschichtig ausgeübt. Das Gutachten von Dr F überzeuge nicht. 1990, als die berufsbedingten krankhaften Veränderungen im Bereich der LWS schon vorgelegen hätten, seien noch keine krankhaften Veränderungen im Bereich von HWS und BWS vorhanden gewesen. Aus dem Ergebnis der Mehr-Phasen-Skelett-Szintigraphie vom Juni 1994 sei vielmehr zu entnehmen, dass bei ihm zu keiner Zeit Schäden im Bereich der HWS und BWS vorgelegen hätten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG Koblenz vom 24.10.2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 3.6.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.1997 aufzuheben, eine BK nach Nr 2108 der Anlage zur BKV festzustellen und die Beklagte zu verurteilen, ihm Entschädigungsleistungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor: Sie gehe nach wie vor davon aus, dass ein etwaiger Versicherungsfall vor dem 1.4.1988 eingetreten sei, weshalb die Berufung keinen Erfolg haben könne. Der Kläger habe spätestens mit seiner Klage beim SG Koblenz zu erkennen gegeben, dass er sich nach der Operation im Jahre 1980 nicht mehr in der Lage gesehen habe, seine Tätigkeit im Dachdeckerhandwerk weiter auszuführen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die beigezogenen Prozessakten S 1 J 199/81, S 4 Vs 196/92, S 11 J 40/97, S 11 EA-J 26/97 und S 7 U 397/97 (SG Koblenz), die Kopien der Schwerbehindertenakte des Amtes für soziale Angelegenheiten in Koblenz sowie die Prozessakte verwiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die nach §§ 143 f, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
Beim Kläger kann offen bleiben, ob die Voraussetzungen der BK Nr 2108 erfüllt sind. Denn ein Entschädigungsanspruch scheitert jedenfalls an dem Rückwirkungsausschluss des § 6 Abs 2 BKV. Nach dieser Vorschrift setzt die Anerkennung und Entschädigung einer BK Nr 2108 voraus, dass der Versicherungsfall nach dem 31.3.1988 eingetreten ist. Dies wäre vorliegend, wenn beim Kläger ein mit Wahrscheinlichkeit berufsbedingtes Bandscheibenleiden im Bereich der LWS vorläge, nicht der Fall.
Wie zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig ist, lag das Bandscheibenleiden des Klägers im Bereich der LWS bereits vor dem 1.4.1988 vor und hat auch zuvor bereits gravierende Beschwerden verursacht. Entgegen der Auffassung des Klägers war auch das tätigkeitsbezogene Tatbestandsmerkmal der BK Nr 2108 (Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten) vor diesem Zeitpunkt erfüllt.
Dafür ist erforderlich, dass der Betroffene wegen seiner Wirbelsäulenerkrankung gezwungen war, alle Tätigkeiten zu unterlassen, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein konnten. Darüber hinaus muss der Betroffene seine gefährdende Tätigkeit tatsächlich und endgültig aufgegeben haben, wobei es auf das Motiv hierfür nicht ankommt (Bundessozialgericht - BSG -, Urt v 5.5.1998, Az: B 2 U 9/97 R). Der Betroffene muss dabei nicht seinen gesamten Beruf aufgeben, sondern nur die gefährdenden Tätigkeiten. Der Zeitpunkt der erzwungenen Aufgabe ist objektiv nach rückschauender Betrachtungsweise zu bestimmen (BSG, aaO). Maßgebender Zeitpunkt der Tätigkeitsaufgabe ist der erste Tag der letzten Arbeitsunfähigkeit, mit der die gefährdende Tätigkeit aufgegeben worden ist (Koch in Lauterbach, SGB VII, § 9, Rz 205).
Vorliegend hat der Kläger nach seiner 1980 erfolgten Bandscheibenoperation bis 1983 keine gefährdenden Tätigkeiten ausgeübt. Wie er bei einer Begutachtung im Mai 1981 erklärt hat, hat er seinerzeit nur Büroarbeiten ausgeführt. Bei Berücksichtigung aller Umstände des Sachverhalts geht der Senat davon aus, dass der Versicherungsfall der BK Nr 2108 – wenn der Rückwirkungsausschluss des § 6 Abs 2 BKV nicht eingreifen würde – 1980 eingetreten wäre.
Dabei kommt dem Umstand keine entscheidende Bedeutung zu, dass der Kläger ab 1983 wieder gefährdende Tätigkeiten ausgeübt hat. Zwar muss der Versicherte auch zukünftig alle gefährdenden Tätigkeiten unterlassen, wenn er Leistungen erhalten will (Koch, aaO, Rz 211). Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Wiederaufnahme gefährdender Verrichtungen ab 1983 dazu geführt hat, dass rückwirkend bereits ab 1980 keine Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten erfolgt war. Der Versicherungsfall der BK Nr 2108 kann unter bestimmten Voraussetzungen auch eingetreten sein, wenn der Versicherte längere Zeit nach der Aufgabe der schädigenden Tätigkeit wieder wirbelsäulengefährdende Arbeiten aufnimmt. Diese Verhaltensweise hat dann lediglich zur Folge, dass ein Leistungsanspruch ex nunc nicht mehr besteht.
Für die Beurteilung, ob der Kläger 1980 alle gefährdenden Tätigkeiten aufgeben wollte, kann nicht allein und entscheidend auf die nicht nachprüfbare innere Willensrichtung des Betroffenen abgestellt werden. Vielmehr muss es – in einer objektiven Betrachtungsweise - auf den nach außen zutage getretenen Willen ankommen. Vorliegend ist von entscheidender Bedeutung, dass der Kläger durch das 1980 gegen die LVA betriebene Rentenverfahren, in welchem er eine Rente wegen Berufsunfähigkeit erstreiten wollte, dokumentiert hat, in Zukunft keine körperlich wesentlich belastenden Tätigkeiten mehr ausüben zu wollen, was er auch tatsächlich bis 1983 nicht getan hat. Auch unter Berücksichtigung des langen Zeitraums zwischen 1980 und 1983 ist von einer 1980 erfolgten Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten auszugehen.
Bei der gegebenen Sachlage ist entgegen der Auffassung des SG nicht entscheidend, dass der Kläger seinen Betrieb 1980 nicht eingestellt hat. Daraus kann nicht geschlossen werden, dass der Kläger beabsichtigte, später wieder körperlich belastende Tätigkeiten auszuführen. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass sein Sohn bereits seinerzeit in dem Unternehmen gearbeitet hat und als Firmennachfolger zur Verfügung stand. Wie der Kläger im Verfahren S 1 J 199/81 vorgetragen hat, nahm der Kläger seinerzeit von der Einstellung oder Veräußerung des Betriebes Abstand, weil sein Sohn das Geschäft übernehmen sollte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht vorliegen.
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