L 5 KR 19/09 B ER

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Koblenz (RPF)
Aktenzeichen
S 5 ER 448/08 KR
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 5 KR 19/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Der Streitwert für Verfahren, in denen es um die Rechtmäßigkeit der Kündigung eines Versorgungsvertrages mit einer Pflegeeinrichtung geht, bemisst sich ausgehend vom Gewinn der Einrichtung, nicht unter Zugrundelegung des Umsatzes (Abweichung von BSG, 12.6.2008, B 3 P 2/07 R).
1. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes in beiden Instanzen.

2. Der Streitwert wird für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, auch für das Verfahren erster Instanz, auf 52.336,39 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten, nachdem sich das beim Senat anhängige Beschwerdeverfahren L 5 KR 19/09 B ER erledigt hat, noch darüber, wer die Kosten des Verfahrens trägt. Außerdem ist der Streitwert des Verfahrens festzusetzen.

Im Verfahren L 5 KR 19/09 B ER ging es um die Wirksamkeit der Kündigung eines Vertrages über die Durchführung häuslicher Pflege und Versorgungsleistungen nach §§ 132 Abs 1, 132a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) durch die Antragsgegnerin. Die Antragstellerin betreibt einen ambulanten Pflegedienst und schloss mit der Antragsgegnerin am 3.12.2003 einen Vertrag nach § 132a Abs 2 SGB V. Im Februar 2005, März 2006, Februar 2007 und Mai 2008 führte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) Qualitätsprüfungen bei der Antragstellerin durch. In seinem Prüfbericht vom 20.6.2008 fasste der MDK seine Ergebnisse zusammen: Nach wie vor seien notwendige Maßnahmen zur Qualitätssicherung nicht durchgeführt worden. Besonders kritisch sei zu bewerten, dass erneut eine Sekundärerkrankung bei einem Versicherten festgestellt worden sei und der Pflegedienst im Vorfeld und auch bei bereits bestehendem Dekubitus keine entsprechenden Maßnahmen eingeleitet habe. Der Umgang mit weiteren Risikobereichen sei ebenfalls nicht ausreichend. Es fehlten ausreichende Pflegeprozessplanungen. Der Mitarbeitereinsatz erfolge weiterhin nicht entsprechend der Qualifikation der Mitarbeiter.

Mit Schreiben vom 25.7.2008 forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin zur konkreten Benennung der Maßnahmen, wie sie eine sorgfältige und einwandfreie sowie dem aktuellen Stand entsprechende Versorgung sicherstellen wolle, bis zum 8.8.2008 auf. Die Antragstellerin nahm zu dem Prüfbericht des MDK vom Juni 2008 Stellung (Schreiben vom 7.8.2008) und kündigte an, den Beanstandungen abzuhelfen. Die Antragsgegnerin kündigte daraufhin am 26.9.2008 den Versorgungsvertrag zum 31.12.2008. Zur Begründung führte sie aus: Die Antragstellerin habe nicht zu allen vom MDK beanstandeten Gesichtspunkten Stellung genommen. Bis auf eine Handzeichenliste seien keine Unterlagen oder Nachweise zu behandlungsspezifischen Verbesserungen vorgelegt, sondern nur Absichtserklärungen oder Behauptungen abgegeben worden. Die erneute Unvollständigkeit der Patientenpflegedokumentation sei in dem Schreiben vom 7.8.2008 bestätigt worden. Erschwerend wirke sich aus, dass seit Anfang 2005 immer wieder behandlungspflegerische Mängel, insbesondere Einsatz unqualifizierten Personals und Personenschädigungen, aufgetreten seien.

Am 22.10.2008 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht (SG) Koblenz Klage erhoben (S 5 KR 476/08). Sie hat am 10.12.2008 beim SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. In einem Schriftsatz vom 17.11.2008 hat die Antragstellerin eine "to do Liste" vorgelegt; außerdem hat sie behauptet, zahlreiche Maßnahmen zur Abhilfe der MDK-Beanstandungen umgesetzt zu haben. Sie hat vorgetragen, im Falle der Kündigung würden die von ihr, der Antragstellerin, beschäftigten vier Vollzeit und zwei Teilzeitarbeitskräfte ihre berufliche Existenz verlieren. Die Antragsgegnerin hat sich erstinstanzlich bereit erklärt, im Hinblick auf das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes das Vertragsverhältnis vorläufig bis zum 31.1.2009 fortzuführen.

Durch Beschluss vom 6.1.2009 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Eine einstweilige Anordnung dürfe grundsätzlich die endgültige Entscheidung nicht vorwegnehmen. Nur ausnahmsweise könne es erforderlich sein, der Entscheidung in der Hauptsache vorzugreifen, wenn sonst effektiver Rechtsschutz nicht erreichbar wäre. Bei summarischer Prüfung des Sach und Streitstandes habe die Klage in der Hauptsache keinen Erfolg. Die von der Antragsgegnerin vorgenommenen Beanstandungen stellten hinreichende Gründe für eine fristlose Kündigung iSd § 13 des zwischen den Beteiligten geschlossenen Vertrages dar. Die wiederholten Beanstandungen anlässlich der seit 2005 erfolgten Prüfungen zeigten, dass eine dauerhafte Qualitätsverbesserung nicht zu verzeichnen sei. Gerade die genaueste Erfüllung der Dokumentationspflicht sei für die Antragstellerin besonders wichtig, weil diese nur dadurch den Vorwurf, Gesundheitsschädigungen der von ihr betreuten Patienten verschuldet zu haben, entkräften könnte. Im Hinblick auf die besonderen Interessen der pflegebedürftigen Patienten auf Unversehrtheit von Leib und Leben sei die ausgesprochene Kündigung nicht zu beanstanden. Außerdem sei ein Anordnungsgrund zu verneinen, weil die Antragstellerin jedenfalls bis zum 30.9.2009 aufgrund des Versorgungsvertrages mit den Landesverbänden nach § 72 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) berechtigt sei, ambulante Pflegeleistungen abzurechnen.

Gegen diesen Beschluss hat die Antragstellerin am 9.1.2009 Beschwerde eingelegt. Nachdem die Antragstellerin eine neue Pflegedienstleitung eingestellt hatte, haben die Beteiligten rückwirkend zum 1.2.2009 einen neuen Versorgungsvertrag nach § 132a Abs 2 SGB V geschlossen. Daraufhin haben die Beteiligten das Verfahren für erledigt erklärt.

II.

Die Entscheidung über die Kosten und den Streitwert ergeht gemäß § 155 Abs 2 Nr 4 und 5 iVm Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch den Berichterstatter des Senats.

Ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, entscheidet das Gericht nach § 197a SGG iVm § 161 Abs 2 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens durch Beschluss; der bisherige Sach- und Streitstand ist zu berücksichtigen. Hinsichtlich des Sach und Streitstandes erfolgt insoweit lediglich eine summarische Prüfung (Zimmermann-Kreher in Posser/Wolff, VwGO, 2008, § 161 Rz 13). Vorliegend entspricht es billigem Ermessen, dass die Antragstellerin die Kosten des Verfahrens trägt. Denn sie wäre voraussichtlich in dem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 86b Abs 2 SGG unterlegen.

Ein Antrag nach § 86b Abs 2 SGG setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist eine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 86b Rz 29a). Vorliegend sprechen die überwiegenden Gründe dafür, dass die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren keinen Erfolg gehabt hätte. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Rechtswidrigkeit der Kündigung des Versorgungsvertrags durch die Antragsgegnerin als auch hinsichtlich eines Anspruchs der Antragstellerin auf einen erneuten Abschluss eines Versorgungsvertrages, jedenfalls solange keine neue Pflegedienstleitung eingestellt war. Eine Kündigung des Versorgungsvertrags setzte das Vorliegen eines wichtigen Grundes voraus; ein solcher kann ua bei wiederholten oder schwerwiegenden Verstößen gegen die Vertragspflichten vorliegen (vgl Kranig in Hauck/Noftz, SGB V, K § 132a Rn 14). Vorliegend spricht alles dafür, dass wegen der vom MDK im Einzelnen aufgezählten Mängel bei der Antragstellerin, die bereits jahrelang bestanden hatten, ein wichtiger Grund für die Kündigung gegeben war. Die Mängel waren auch nach der Kündigungserklärung jedenfalls vor der Einstellung der neuen Pflegedienstleitung nicht in ausreichendem Umfang behoben. Der Umstand, dass sich die Antragsgegnerin mittlerweile zum Abschluss eines neuen Vertrages mit der Antragstellerin bereit erklärt hat, belegt keineswegs, dass auch vor der Einstellung der neuen Pflegedienstleitung die vorhandenen Mängel bei der Antragstellerin in ausreichendem Umfang beseitigt gewesen wären. Vielmehr erscheint es sachgerecht, dass die Antragsgegnerin gerade wegen der Auswechslung der Pflegedienstleitung einen neuen Vertrag abgeschlossen hat, weil erst jetzt begründeter Anlass besteht, mit einer dauerhaften Besserung der Leistungserbringung durch die Antragstellerin rechnen zu können.

Gegen den Erlass einer einstweiligen Anordnung zugunsten der Antragstellerin sprach vor der Auswechslung der Pflegedienstleitung zudem das besondere Schutzinteresse der pflegebedürftigen Personen, das gegenüber dem Interesse der Mitarbeiter der Antragstellerin am Erhalt ihres Arbeitsplatzes vorrangig ist.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 Satz 1 und § 42 Abs 3 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Ausgangspunkt für die Festsetzung des Streitwerts ist der Gewinn, welchen die Antragstellerin aus der (gekündigten) Vertragsbeziehung im Verhältnis zur Antragsgegnerin gezogen hat, wobei in Anlehnung an § 42 Abs 3 GKG der dreifache Jahresgewinn maßgebend ist (vgl BSG 12.9.2006 B 6 KA 70/05 B, SozR 4 1920 § 47 Nr 1). Der Senat vermag demgegenüber dem Urteil des BSG vom 12.6.2008 (B 3 P 2/07 R, für BSGE vorgesehen) insoweit nicht zu folgen, als dieses den Streitwert in einem Verfahren um die Rechtmäßigkeit einer Kündigung eines Versorgungsvertrages eines Pflegeheims nicht ausgehend vom Gewinn, sondern vom Umsatz der Pflegeeinrichtung festgelegt hat. Der Streitwert ist nach der Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen (§ 52 Abs 1 GKG). Deshalb ist bei nicht gemeinnützigen Unternehmen der aus dem Unternehmen erzielte Gewinn eine geeignete Grundlage für die Höhe des Streitwerts. Dafür spricht die Rechtsprechung zu Zulassungsentziehungen im Vertragsarztrecht, wo der Streitwert unter Zugrundelegung des Gewinns aus der Vertragsarzttätigkeit festgesetzt wird (vgl BSG 7.4.2000 B 6 KA 61/99 B). Dass die Antragstellerin möglicherweise ohne zukünftigen Vertragsabschluss mit der Antragsgegnerin in Insolvenz gefallen wäre, vermag die Zugrundelegung des Umsatzes als Ausgangspunkt für die Streitwertbestimmung nicht zu begründen, da sich der Streitwert nur nach der unmittelbaren Bedeutung der Sache, nicht aber nach möglichen mittelbaren Folgen bestimmt (BSG 4.9.2001 B 7 AL 6/01 R, juris Rn 18).

Durch die Streitwertfestsetzung ausgehend von dem Gewinn des Unternehmens entstehen nicht deshalb unbillige Ergebnisse, weil dadurch Pflegeeinrichtungen, die vor der Kündigung des Versorgungsvertrags keinen Gewinn erzielt haben, ungerechtfertigt bevorzugt würden. Dadurch entstehende Differenzen gegenüber gemeinnützigen Unternehmen sind nicht unbillig (aA BSG 12.6.2008, aaO), weil diese im Rechtssystem, zB in steuerrechtlicher Hinsicht, auch sonst im Verhältnis zu gewinnorientierten Unternehmen privilegiert sind. Wenn die betreffende Pflegeeinrichtung vor der Kündigung des Versorgungsvertrages keinen Gewinn oder einen geringeren Jahresgewinn als 20.000, EUR pro Jahr erzielt hat, wäre im Übrigen nicht vom Regelstreitwert von 5.000, EUR (so aber BSG 12.6.2008, aaO) auszugehen, sondern es wäre entsprechend der Rechtsprechung des BSG zu Zulassungsverfahren im Vertragsarztrecht (vgl BSG 12.9.2006 aaO) für jedes Quartal des maßgeblichen Dreijahreszeitraums der Regelwert von 5.000, EUR anzusetzen, dh insgesamt 60.000, EUR.

Da die Antragstellerin im Jahr 2008 einen Gewinn aus der vorliegend umstrittenen Vertragsbeziehung von 34.890,93 EUR erzielt hat, ergibt sich für das Hauptsacheverfahren ein Streitwert von 3 x 34.890,93 EUR = 104.672,79 EUR. Der Streitwert für das Verfahren der einstweiligen Anordnung beträgt ein Viertel bis zur Hälfte des Streitwerts der Hauptsache je nach deren wirtschaftlicher Bedeutung (Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit). Vorliegend ist die Hälfte des Streitwerts der Hauptsache angemessen, weil das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes für die Antragstellerin eminent bedeutsam war. Diese hat selbst vorgetragen, dass ihre wirtschaftliche Existenz von einer raschen Klärung der weiteren Vertragsbeziehung mit der Antragsgegnerin abhing. Bei dieser Sachlage ist der Streitwert für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, auch für das Verfahren erster Instanz, auf 104.672,79 EUR: 2 = 52.336,39 EUR festzusetzen.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde beim Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG; hinsichtlich des Streitwerts § 68 Abs 1 Satz 5 iVm § 66 Abs Satz 3 GKG).
Rechtskraft
Aus
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