L 1 AL 91/08

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
SG Mainz (RPF)
Aktenzeichen
S 9 AL 29/07
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 1 AL 91/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Für einen Anspruch auf Insolvenzgeld nach § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III ist unerheblich, ob der Arbeitgeber ein ausländisches Unternehmen ist (Anschluss BSG, Urteil vom 23.11.1981 - 10/8b RAr 8/80 -, SozR 3-4100, § 141a, Nr. 6) oder nach welchem Recht sich der Anspruch auf Arbeitsentgelt richtet. Entscheidend ist vielmehr, ob eine betriebliche Tätigkeit in Deutschland stattgefunden hat, was voraussetzt, dass ein Betrieb als eine Gesamtheit von Personen und Sachen zur Erreichung arbeitstechnischer Zwecke gleichsam als Mittelpunkt des wirtschaftlichen Betätigungsfeldes des Arbeitgebers im Inland organisiert war (Anschluss BSG, Urteil vom 29.06.2000 - B 11 AL 75/99 R -, SozR 3-4100, § 141a Nr. 3).
1. Das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 18.08.2008 - S 9 AL 29/07 -und der Bescheid der Beklagten vom 09.11.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.01.2007 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Insolvenzgeld in Höhe von EUR 801,72 zu zahlen.

2. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Zahlung von Insolvenzgeld (InsG) in Höhe von EUR 801,72.

Der 1982 geborene Kläger schloss am 21.03.2005 mit einer Firma "E B M S " (E B ) mit Sitz in 3, Frankreich, vertreten durch Herrn S S , einen in französischer Sprache abgefassten Arbeitsvertrag ab. Gegenstand dieses Vertrages war die unbefristete Einstellung des Klägers von der genannten Firma zum 09.03.2005 als Bauhelfer (Artikel 2 und 3). In Artikel 1 des Vertrages war geregelt, dass der Arbeitsvertrag den "Bestimmungen des Tarifvertrages der Baubranche (vor allem bezüglich bezahlten Urlaubs und Kündigung), der für unsere Gesellschaft gilt, sowie den besonderen Bestimmungen des vorliegenden Arbeitsvertrages" unterliege. Als Arbeitsort war in dem Arbeitsvertrag die Europäische Gemeinschaft angegeben.

Die E B war am 05.01.2005 als Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach französischem Recht von einem Steuerberater unter dessen Adresse in Frankreich eingetragen worden, wobei Herr S 52% und sein Schwiegervater, H M , 48% der Geschäftsanteile hielten. Die Zeugen S und M wohnten während des verfahrensgegenständlichen Zeitraums beide in der B straße , F. Büroräume in Frankreich haben sie nicht unterhalten. In dem Wohnhaus in F stand ein PC, von dem aus sie die Geschäfte der Firma E B geführt haben. Daneben wurden die Geschäfte per Handy geführt. Für die Arbeitnehmer der E B , u. a. den Kläger, waren die Zeugen S und M unter der Adresse in F erreichbar. Die Arbeitnehmer waren in Frankreich zur Sozialversicherung angemeldet worden; zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen kam es nach Angaben der Zeugen S und M wegen mangelnder Zahlungsfähigkeit aber nicht. Der Steuerberater hat die E B nach Beendigung der Geschäftstätigkeit im Mai 2005 wieder abgemeldet. Da die Entlohnung im Hinblick auf die Vereinbarung der Gültigkeit des französischen Tarifvertrages niedriger als in Deutschland üblich gewesen sei, waren - so der Zeuge S - zusätzliche Spesen vereinbart worden, um auf das deutsche Level zu kommen.

Der Kläger und die übrigen Arbeitnehmer der E B haben (ausschließlich) Tätigkeiten auf Baustellen einer Firma Ba in B , für die der Zeuge S (als Selbstständiger) bereits früher tätig gewesen war, und auf Baustellen in B ausgeführt. Für die Zeit nach Erledigung dieser Arbeiten war nach Angaben des Zeugen S auch ein Einsatz der Arbeitnehmer im grenznahen Bereich und in Frankreich geplant gewesen, worüber die Arbeitnehmer - u. a. der Kläger - auch informiert waren. Dazu kam es dann aber nicht mehr, nachdem die Firma B auf offene Forderungen keine Zahlungen mehr geleistet und die Arbeitnehmer der E B abgeworben hatte. Versuche, Aufträge im grenznahen Bereich oder in Frankreich zu erhalten, sind, so der Zeuge S , "aus Wettbewerbsgründen" nicht erfolgreich gewesen. Die Betriebstätigkeit der E B wurde am 13.05.2005 nach Kündigung durch die Arbeitnehmer vollständig eingestellt. Pfändungsversuche gegen den Zeugen S wegen einer Steuerschuld blieben ausweislich eines Schreibens des Finanzamts O vom 19.04.2006 erfolglos, da keine ausreichenden pfändbaren Gegenstände vorgefunden worden seien. Ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist für erledigt erklärt worden, nachdem das zuständige Amtsgericht mitgeteilt hatte, dass bereits am 17.09.2004 ein Insolvenzverfahren gegen den Zeugen S mangels Masse abgewiesen worden sei. Das Vermögen des Zeugen M ist nach dessen Angaben im Rahmen der Zeugenvernehmung ebenfalls aufgebraucht, so dass keine Zahlungen mehr geleistet werden können. Pfändungsversuche gegen die E B sind vom Kläger nicht unternommen worden.

Vor dem Arbeitsgericht N haben sich der Kläger und die Zeugen S und M persönlich, sowie als Geschäftsführer der E B am 09.11.2005 u. a. dahingehend verglichen, dass zur Abgeltung aller mit der Klage geltend gemachten Ansprüche an den Kläger ein Nettobetrag von EUR 1.871,82 gezahlt werde (2 Ca 1236/05). Nach Leistung von Teilzahlungen in Höhe von EUR 900 und EUR 170,10 (bestätigt vom Zeugen M ) steht hiervon nach Angaben des Klägers noch ein Betrag von EUR 801,72 offen.

Am 02.08.2005 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf InsG, der mit Bescheid vom 09.11.2006 mit der Begründung abgelehnt wurde, dass der Kläger nicht nach den inländischen Vorschriften über Sozialversicherung beschäftigt worden sei, sondern bei der französischen Sozialversicherung angemeldet gewesen sei.

Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 23.01.2007 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die InsG-Regelung schütze nur inländische Beschäftigungsverhältnisse, wobei ein Wohnsitz im Geltungsbereich des SGB III nicht vorausgesetzt werde. Arbeitnehmer hätten nur dann Anspruch auf InsG, wenn die Voraussetzungen zum Insolvenzereignis vorlägen und sie im Zeitpunkt der Antragstellung bzw. zu diesem Zeitpunkt für den InsG-Zeitraum noch Ansprüche auf Arbeitentgelt gegen ihren Arbeitgeber hätten. Zusätzlich müsse ein inländisches Beschäftigungsverhältnis gegeben sein. Durch Artikel 1 Nr. 54a des Job-AQTIV-Gesetzes vom 10.12.2001 (BGBl. I S. 3443) sei § 183 Abs. 1 SGB III mit Wirkung vom 01.01.2002 geändert worden. Diese Voraussetzungen seien jedoch nicht gegeben. Das Arbeitsverhältnis habe gerade nicht den inländischen Vorschriften über die Sozialversicherung unterlegen. Es seien entsprechende Nachweise vorhanden, dass der Widerspruchsführer bei der französischen Sozialversicherung angemeldet und als dortiges versichertes Mitglied geführt worden sei. Es seien auch keine anderweitigen Unterlagen vorhanden oder sei entsprechendes vorgetragen worden, das dem entgegenstehen würde. Das Beschäftigungs- bzw. Arbeitsverhältnis habe nicht den Bestimmungen der deutschen Sozialversicherung unterlegen und die Voraussetzungen zur Gewährung von InsG hätten nicht vorgelegen.

Mit am 07.02.2007 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger hiergegen Klage zum Sozialgericht Mainz (SG) erhoben, das die Klage nach Anhörung des Klägers und Vernehmung der Zeugen S S und H M in der mündlichen Verhandlung durch Urteil vom 18.08.2008 abgewiesen hat. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, der Anspruch des Klägers auf InsG scheitere am Fehlen eines - nach § 183 Abs. 1 Satz 2 SGB III notwendigen - Beschäftigungsverhältnisses im Inland. Voraussetzungen für einen Anspruch des Klägers nach § 183 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB III sei, dass der Schwerpunkt der rechtlichen und tatsächlichen Merkmale des Arbeitsverhältnisses im Inland liege und damit Anknüpfungspunkt für den insolvenzgeldgeschützten Arbeitsentgeltanspruch ein dem Schwerpunkt der deutschen Rechtsordnung unterliegendes Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis sei. Merkmale hierfür seien ein Arbeitsvertrag mit einem inländischen Unternehmen, Befristung der Auslandstätigkeit, Anwendung deutschen Arbeitsrechts, Vereinbarung des deutschen Gerichtsstandes, Anspruch auf Heimaturlaub etc. (Hinweis auf Peters-Lange, in: Gagel, Kommentar zum SGB III, § 183, Rn. 61; Krodel, in: Niesel, SGB III, 4. Auflage, § 183, Rn. 20). Der Kläger sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme unter Berücksichtigung dieser Bewertungskriterien kein inländischer Arbeitnehmer gewesen. Die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse begründeten ein im Schwerpunkt in der französischen Rechtsordnung gegründetes Beschäftigungsverhältnis. Den Arbeitsvertrag habe der Kläger unter Aufnahme von Vereinbarungen nach französischem Recht mit der E B mit Firmensitz in S geschlossen, wo die Firma durch den Steuerberater als Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach französischen Recht (SARL) eingetragen und nach Beendigung der Betriebstätigkeit wieder ausgetragen worden sei.

Soweit der Kläger darauf hinweise, er habe ausschließlich auf Baustellen in Ba und Bi gearbeitet, wo das Direktionsrecht ausgeübt worden sei, könne dies zu keinem anderen Ergebnis führen. Maßgeblich sei - wie oben dargestellt - die Prägung des Arbeitsverhältnisses. Nach Artikel 7 des Arbeitsvertrages habe der Kläger seine Tätigkeit "innerhalb der Europäischen Gemeinschaft" auszuüben gehabt. Im Übrigen werde im Insolvenzrecht hinsichtlich der Gerichtszuständigkeit auf den Mittelpunkt einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners abgestellt (§ 3 InsO). Dieser habe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in Frankreich gelegen. Nur für eine Übergangszeit sei zu Beginn nach Aufnahme des Beschäftigungsverhältnisses im März 2005 noch ein Einsatz in Ba und Bi erfolgt. Dies habe letztlich in dem Umstand gegründet, dass die E B noch Verpflichtungen nachgekommen sei, die Herr S im Rahmen seiner vorhergehenden Tätigkeit eingegangen sei. Für die Zukunft sei indes eine Tätigkeit sämtlicher Beschäftigten, auch des Klägers, in Frankreich geplant gewesen. Herr S habe sich schon im grenznahen Bereich in Frankreich um Aufträge bemüht, die indes aus Wettbewerbsgründen nicht zum Zuge gekommen seien. Geplanter Einsatzort sei daher zur Überzeugung der Kammer Frankreich gewesen.

Zur Überzeugung der Kammer habe die Beweisaufnahme im Übrigen auch ergeben, dass kein Betriebssitz in F bestanden habe. Hier habe es sich lediglich um den Wohnsitz der Zeugen S und M gehandelt. An diesem Wohnsitz hätten sich ein PC und einige Unterlagen befunden. Die wesentlichen Tätigkeiten seien in Frankreich vor Ort, in S , ausgeführt worden. Es sei auch beabsichtigt gewesen, im gleichen Gebäude, in dem der Steuerberater tätig sei, Geschäftsräume anzumieten, wozu es auf Grund der sehr schnell eingetretenen Zahlungsunfähigkeit aber nicht mehr gekommen sei. Es fehle nach alledem an einem inländischen Beschäftigungsverhältnis. Nichts anders folge aus der Richtlinie 2002/74/EG vom 23.09.2002, aus der keine Ansprüche des einzelnen Arbeitnehmers folgten, sondern die sich an die Mitgliedstaaten richte. Zwar sei nach § 8a Abs. 1 der Richtlinie in grenzübergreifenden Fällen die Garantieeinrichtung desjenigen Mitgliedstaates zuständig, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitnehmer ihre Arbeit gewöhnlich verrichteten. Im Hinblick auf die Kürze der tatsächlichen Beschäftigung und der schnell eintretenden Zahlungsunfähigkeit könne indes lediglich auf die üblichen Modalitäten abgestellt werden, wie sie im Arbeitsvertrag geregelt seien. Danach sei eine Tätigkeit im Bereich der EG nach dem Arbeitsvertrag und nach den Aussagen der Zeugen "gewöhnlich" ein Einsatz der Arbeitnehmer in Frankreich vorgesehen gewesen.

Gegen das ihm am 27.08.2008 zugegangene Urteil hat der Kläger am 24.09.2008 Berufung erhoben.

Der Kläger trägt vor, er habe das Arbeitsverhältnis mit der E B am 13.05.2005 wegen ausstehender Lohnzahlungen fristlos gekündigt. Vor dem Arbeitsgericht sei dann am 09.11.2005 ein Vergleich dahingehend geschlossen worden, dass die Herren S und M einen Nettobetrag in Höhe von EUR 1.871,82 zahlten. Dieser Verpflichtung seien sie nicht voll umfänglich nachgekommen, so dass noch eine Lohnforderung in Höhe von EUR 801,72 offen sei. Unstreitig habe er, der Kläger, während seines Beschäftigungsverhältnisses mit der Firma E B lediglich auf Baustellen im Landkreis Bi und in Ba gearbeitet. Er sei auch zu keinem Zeitpunkt am Geschäftssitz der E B in S gewesen oder habe in Frankreich gearbeitet. Ausweislich der Mitteilung des Finanzamts O habe der Zeuge S am 15.03.2004 bei dem zuständigen Amtsgericht in St. die eidesstattliche Versicherung abgegeben; ein Insolvenzverfahren sei mangels Masse nicht eröffnet worden. Von der Beklagten sei unter dem 16.02.2005 eine Betriebsnummer für den Betrieb "E M " über H M , B 8, F vergeben worden, die für die Meldungen zur Sozialversicherung zu verwenden gewesen sei. Aus dem Arbeitsvertrag ergebe sich nicht, dass die Beschäftigung in Frankreich durchgeführt werden sollte. Artikel 7 habe bezüglich des Arbeitsorts pauschal eine Beschäftigung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft bestimmt. Aus dem Arbeitsvertrag gehe weiter nicht hervor, dass die Sozialgesetze in Frankreich zur Anwendungen kommen sollten. Nach der Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20.10.1980 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers obliege die Befriedigung der nicht erfüllten Arbeitnehmeransprüche dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die betreffenden Arbeitnehmer ihre Arbeit verrichtet hätten. Dies gelte auch nach § 8a Abs. 1 der Richtlinie 2002/74/EG vom 23.09.2002 und ergebe sich außerdem aus Artikel 30 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB). Arbeitsverhältnisse unterlägen dem Recht des Staates, in dem der Arbeitnehmer seine Arbeit verrichte.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 18.08.2008 - S 9 AL 29/07 - und den Bescheid der Beklagten vom 09.11.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.01.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Insolvenzgeld in Höhe der noch offenen Arbeitsentgeltansprüche von EUR 801,72 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil des SG für zutreffend.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, da dem Kläger der geltend gemachte Anspruch auf InsG nach § 183 Abs. 1 SGB III zusteht. Der Bescheid der Beklagten vom 09.11.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.01.2007 ist rechtswidrig. Nach § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III (in der vorliegend maßgeblichen Fassung des Gesetzes vom 10.12.2001, BGBl. I S. 3443) haben Arbeitnehmer Anspruch auf InsG, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers (Nr. 1), Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse (Nr. 2) oder vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (Nr. 3) - Insolvenzereignis - für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Ein ausländisches Insolvenzereignis begründet nach § 183 Abs. 1 Satz 2 SGB III einen Anspruch auf InsG für im Inland beschäftigte Arbeitnehmer.

Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen des § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III erfüllt. Es wurde zwar nach den Angaben der Zeugen S und M ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des früheren Arbeitgebers des Klägers, der E B , weder in Frankreich, noch in Deutschland gestellt. Die Betriebstätigkeit wurde am 13.05.2005 nach den glaubhaften Zeugenaussagen der früheren Betriebsinhaber S und M aber vollständig eingestellt. Dieser Sachverhalt entspricht dem Sachvortrag des Klägers, der sein Arbeitsverhältnis nach seinen Angaben am 13.05.2005 wegen ausstehender Lohnzahlungen gekündigt hat und von der Firma B - auf deren Baustellen er bereits eingesetzt war - übernommen worden sei. Der Senat sieht keine Anhaltpunkte für einen hiervon abweichenden Hergang, so dass er den durch die Zeugenaussagen und die Anhörung des Klägers ermittelten Sachverhalt seiner Entscheidung zu Grunde legt.

Ein Insolvenzverfahren kam mangels Masse auch offensichtlich nicht in Betracht. In diesem Zusammenhang muss weder der Berechtigte - hier der Kläger - noch die Beklagte die fehlende Masse exakt ermitteln. Der Gesetzgeber hat in § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III vielmehr einen Auffangtatbestand für diejenigen Fälle geschaffen, in denen der Arbeitnehmer wegen der behaupteten und nicht leicht zu widerlegenden Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers keinen Lohn erhalten hat. "Offensichtlich" meint hier nicht zweifelsfrei und weist darauf hin, dass der sich aus den äußeren Tatsachen ergebende Eindruck eines unvoreingenommenen Betrachters ausreicht (BSG, Urteil vom 23.11.1981 - 10/8b RAr 6/80 -, SozR 4100 § 141b Nr. 21; Urteil vom 04.03.1999 - B 11/10 AL 3/98 R -, juris). Allerdings darf Zahlungsunwilligkeit nicht mit Zahlungsunfähigkeit gleichgesetzt werden (BSG, Urteil vom 22.09.1993 - 10 RAr 9/91 -, SozR 3-4100 § 141b Nr. 7). Im vorliegenden Fall liegen aber keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Zeugen S und M die Lohnforderung des Klägers lediglich nicht begleichen wollten. Der Zeuge S hatte ausweislich einer schriftlichen Mitteilung des Finanzamts O vom 19.04.2006 und einer Mitteilung des zuständigen Gerichtsvollziehers vom 22.01.2006 bereits am 15.03.2004 die eidesstattliche Versicherung über seine Vermögenslosigkeit abgelegt und auch der Zeuge M verfügt nach seiner glaubhaften Einlassung als Zeuge vor dem SG über kein Vermögen mehr. Auch ein Vermögen der E B war zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der vollständigen Betriebseinstellung nicht ersichtlich. Sie musste die Betriebtätigkeit bereits nach kurzer Zeit wegen fehlender Zahlungseingänge beenden, ohne dass die Entlohnung der eingestellten Arbeiter ordnungsgemäß erfolgen oder Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden konnten. Vermögensgegenstände waren weder in Frankreich (es handelte es sich lediglich um die Adresse des Steuerberaters), noch in Deutschland unter der Wohnanschrift der Zeugen S und M vorhanden. Diese Gesichtspunkte reichen aus, um den Schluss zuzulassen, dass Massenunzulänglichkeit vorlag.

Der Kläger war auch im Inland beschäftigt. Hierfür ist unerheblich, dass der Arbeitgeber, die E B , eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach französischem Recht mit Sitz in Frankreich war. Für die Anwendung des § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III ist unerheblich, ob der Arbeitgeber ein ausländisches Unternehmen ist (BSG, Urteil vom 23.11.1981 - 10/8b RAr 8/80 -, SozR 3-4100, § 141a, Nr. 6) oder nach welchem Recht sich der Anspruch auf Arbeitsentgelt richtet. Entscheidend ist vielmehr, ob eine betriebliche Tätigkeit in Deutschland stattgefunden hat, was voraussetzt, dass ein Betrieb als eine Gesamtheit von Personen und Sachen zur Erreichung arbeitstechnischer Zwecke gleichsam als Mittelpunkt des wirtschaftlichen Betätigungsfeldes des Arbeitgebers im Inland organisiert war (BSG, Urteil vom 29.06.2000 - B 11 AL 75/99 R -, SozR 3-4100, § 141a Nr. 3). Es müssen die Anforderungen einer gewerblichen Niederlassung im Sinne des § 27 Abs. 2 Nr. 1 InsO erfüllt sein. Es kann im vorliegenden Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob hierfür ausreicht, dass an dem Ort der Mittelpunkt einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners nach § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO im Sinne des Ortes lag, von dem aus der wesentliche Teil der Geschäfte selbständig getätigt wurde, von wo aus die wesentlichen Entscheidungen über die Geschäfte des Unternehmens getroffen wurden und von wo aus insbesondere das operative Geschäft betrieben wurde (so z. B. Kexel, in; Graf-Schlicker, InsO, 2007, § 3, Rn. 7), oder ob eine Niederlassung im Sinne des § 21 ZPO vorgelegen haben muss (so im Anschluss an die früher zu § 71 KO vertretene Meinung etwa Smid, InsO, 2. Auflage 2001, § 3 Rn. 7). Denn die E B hatte sowohl ihren wirtschaftlichen Mittelpunkt, als auch eine Niederlassung im Sinne des § 21 ZPO im Inland, nämlich am Wohnsitz der Zeugen S und M in F. Eine Niederlassung im Sinne des § 21 ZPO ist jede vom Inhaber an einem anderen Ort als dem seines (Wohn-) Sitzes für eine gewisse Dauer eingerichtete, auf seinen Namen und für seine Rechnung betriebene und i. d. R. selbständige, d. h. aus eigener Entscheidung zum Geschäftsabschluss und Handeln berechtigte Geschäftsstelle (BGH, Urteil vom 13.07.1987 - II ZR 188/86 -, NJW 1987, 3082; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 27. Auflage 2009, § 21, Rn. 6). Der Ort der Hauptniederlassung entspricht dabei i. d. R. dem (Wohn-) Sitz des Inhabers. Niederlassung kann aber auch der einzige Gewerbebetrieb des Inhabers sein. Eine Meldung als Gewerbebetrieb oder eine Eintragung im deutschen Handelsregister ist hingegen weder erforderlich noch ausreichend (Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 27. Auflage 2009, § 21, Rn. 4; OLG Düsseldorf, Urteil vom 02.03.2004 - 4 U 141/03, I-4 U 141/03 -, NJW-RR 2004, 1720). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn sich die gewerbliche Niederlassung bzw. der Mittelpunkt der selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit im Ausland befindet (vgl. für das Insolvenzrecht z. B. Kirchhof, in: Kreft, InsO, 5. Auflage 2008, § 3, Rn. 6 und für das Zivilprozessrecht Vollkommer, a. a. O., Rn. 4). Im EU-Bereich setzt eine (Zweig-) Niederlassung in einem Vertragsstaat ohnehin nicht voraus, dass in einem anderen Vertragsstaat eine davon verschiedene Hauptniederlassung besteht (EuGH, Urteil vom 30.09.2003 - C-167/01 -, NJW 2003, 3331, 3334).

Entscheidend ist im vorliegenden Fall damit, ob die äußeren Umstände für die beteiligten Verkehrskreise ergeben, dass der Arbeitgeber auf seinen Namen und Rechnung an einem bestimmten inländischen Ort ein Gewerbe im weitesten Sinne in der Weise dauerhaft betrieben hat, dass durch die Art der Geschäftsausstattung, der Organisation und der Tätigkeit ein gewerblicher Mittelpunkt mit einer im wesentlichen selbständigen Leitung bestand (vgl. BSG, Urteil vom 08.02.2001 - B 11 AL 30/00 R -, juris). Dies war am Wohnsitz der Zeugen S und M in F der Fall. Sowohl aus den Einlassungen der Zeugen S und M im Rahmen der Zeugenvernehmung durch das SG, als auch aus dem Sachvortrag des Klägers ergibt sich, dass die Zeugen ihre Geschäfte ausschließlich von F aus betrieben haben. Dort stand der für die Geschäftsführung genutzte PC und dort war auch der Ort, an dem die Zeugen für ihre Arbeitnehmer, u. a. den Kläger, ansprechbar waren. Von der französischen Adresse der E B - dem Sitz des Steuerberaters in S - aus, erfolgte dagegen keinerlei operative Geschäftstätigkeit. Die E B hat dort auch keine Büroräume unterhalten. Für alle Beteiligten konnte daher kein Zweifel daran bestehen, dass die Geschäfte der E Batiment von F aus betrieben wurden. Folgerichtig sind daher sowohl das Arbeitsgericht Mainz (Schreiben vom 19.07.2005 und Verweisungsbeschluss vom 03.08.2005 im Verfahren Ca ), als auch das Arbeitsgericht N (vgl. z. B. Protokoll über die öffentliche Sitzung vom 09.11.2005 im Verfahren Ca ) davon ausgegangen, dass die E B ihre für den Gerichtsstand maßgebliche Niederlassung in F hatte.

Damit sind schon die Voraussetzungen der Beschäftigung im Inland im Sinne des § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III erfüllt, so dass es letztlich nicht darauf ankommt, ob die Voraussetzungen des § 183 Abs. 1 Satz 2 SGB III erfüllt sind. Selbst wenn man die Beendigung der Betriebstätigkeit der E B t im Hinblick auf deren Anmeldung an einer französischen Adresse aber als ein ausländisches Insolvenzereignis im Sinne des § 183 Abs. 1 Satz 2 SGB III ansehen wollte, wären auch die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt. Denn der Kläger war jedenfalls ein im Inland beschäftigter Arbeitnehmer. Auch hierfür ist unerheblich, nach welchem Recht sich die arbeitsvertraglichen Beziehungen zwischen dem Kläger und der E B richten, und wo der frühere Arbeitgeber des Klägers seinen Sitz hatte. Entscheidend ist vielmehr, wo der Kläger seine Arbeitsleistung zu erbringen hatte. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 183 Abs. 1 Satz 2 SGB III. Zur Auslegung heranzuziehen ist aber auch Artikel 8a der Richtlinie 2002/74/EG vom 23.09.2002 (Abl. EU L 270 vom 08.10.2002, S. 10), der durch § 183 Abs. 1 Satz 2 SGB III umgesetzt wurde, wenn auch der unmittelbare Anwendungsbereich der Richtlinie voraussetzt, dass - anders als im vorliegenden Fall - ein Antrag auf Eröffnung des Verfahrens zur gemeinschaftlichen Gläubigerbefriedigung gestellt worden ist (EuGH, Urteil vom 15.05.2003 - C-160/01 -, juris). Diese Vorschrift sieht vor, dass, wenn ein Unternehmen, das im Hoheitsgebiet mindestens zweier Mitgliedstaaten tätig und zahlungsunfähig im Sinne der Richtlinie ist, für die Befriedigung der unerfüllten Arbeitsentgeltansprüche der Mitgliedstaat zuständig ist, in dem die betreffenden Arbeitnehmer ihre Arbeit gewöhnlich verrichtet haben (vgl. hierzu Schmidt, in: NK-SGB III, 3. Auflage 2008, § 183, Rn. 36, m. w. N.).

Der Kläger hatte im vorliegenden Fall seine Arbeit im Inland zu verrichten. Dies folgt bereits daraus, dass er während der kurzen Zeit der Geschäftstätigkeit der E B ausschließlich auf Baustellen in Ba und Bi eingesetzt war und die E B auch selbst während dieser Zeit in Frankreich keine operative Geschäftstätigkeit entfaltet hat. Auch aus dem Arbeitsvertrag folgt nichts anderes. Dort war lediglich vereinbart, dass der Kläger seine Arbeit "innerhalb der Europäischen Gemeinschaft" (zu der auch das Inland gehört) zu verrichten habe. Eine Festlegung auf Frankreich, die Anhaltpunkt für eine Beschäftigung im Ausland sein könnte, erfolgte damit nicht. Ob ein Einsatz des Klägers im grenznahen Bereich oder in Frankreich, wie ihn die Zeugen S und M nach deren Angaben im Rahmen der Zeugeneinvernahme durch das SG geplant hatten, tatsächlich realisiert worden wäre, ist unklar. Hieran sind jedenfalls im Hinblick darauf erhebliche Zweifel angebracht, dass die E B während ihrer Geschäftstätigkeit trotz entsprechender Bemühungen keine Aufträge in Frankreich bekommen hat. In die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die zwischen dem Kläger, den Zeugen und der E B während des streitgegenständlichen Zeitraums bestanden haben, haben solche Überlegungen jedenfalls keinen nennenswerten Eingang gefunden. Ausreichend hierfür ist nicht, dass der Kläger bereit gewesen wäre, auch Arbeiten in Frankreich (ggf. auch im Wege der Entsendung) zu verrichten.

Als noch offener Anspruch des Klägers auf Arbeitsentgelt ergibt sich unter Zugrundelegung des vor dem Arbeitsgericht Neunkirchen geschlossenen Vergleichs (EUR 1.871,82) abzüglich der geleisteten Zahlungen (EUR 900 und EUR 170,10) eine Forderung in Höhe von EUR 801,72.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
Saved