L 5 U 113/08

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
5
1. Instanz
SG Speyer (RPF)
Aktenzeichen
S 12 U 375/06
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 5 U 113/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine CLL (chronische lymphatische Leukämie) kann nicht als BK 2402 anerkannt werden, da die Erkrankung nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht durch ionisierende Strahlen ausgelöst wird.
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 28.02.2008 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die chronische lymphatische Leukämie (CLL) der Klägerin als Berufskrankheit nach Nr. 2402 (Erkrankungen durch ionisierende Strahlen) der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) festzustellen und zu entschädigen ist.

Die 1963 geborene Klägerin war von Mai 1988 bis Dezember 1994 in dem privat geführten Labor Dr. N /Dr. W in L beschäftigt und hatte dort Umgang mit radioaktiven Substanzen. Seit dem 02.01.1995 ist sie als MTLA im Institut für Hygiene und Mikrobiologie des Klinikums M beschäftigt.

Am 16.09.2004 erstattete Dr. E eine Berufskrankheitenanzeige und teilte mit, als Berufskrankheit komme eine CLL in Betracht, die Klägerin habe zwischen 1988 und 1995 ein Jahr lang im Isotopenlabor gearbeitet. Die Klägerin gab am 14.04.2005 in einem Fragebogen an, sie habe in dem Labor Dr. N / Dr. W , das nicht mehr existiere, sämtliche Laborarbeiten verrichtet und ein Jahr lang im RIA-Labor für Zwecke der Hormonbestimmung gearbeitet. Sie habe Umgang mit radioaktiv-markierten Antikörpern gehabt. Gelegentlich habe sie radioaktiven Abfall (Rauch für strahlendes Material) entsorgt. Am 22.06.2005 beschrieb die Klägerin ihre Tätigkeit bei Dr. N /Dr. W telefonisch dem Präventionsdienst der für diese Tätigkeit zuständigen Beigeladenen. Dabei gab sie an, sie habe mit radioaktivem Jod 131 markierte Antikörper zu Blutproben gegeben. Es seien regelmäßig Handschuhe getragen worden.

Aufgrund der telefonischen Befragung teilte Dipl.-Physiker K , Präventionsdienst der Beigeladenen, mit Schreiben vom 23.06.2005 mit, eine Exposition gegenüber ionisierender Strahlung in einer Größenordnung, die geeignet sei, die angezeigte Erkrankung zu verursachen, habe nicht vorgelegen. Bei den geschilderten RIA-Verfahren würden standardisierte Tätigkeiten so durchgeführt, dass eine schädigende Exposition im Sinne einer Berufskrankheit nach Nr. 2402 der Anlage zur BKV vermieden werde. Eine dosimetrische Überwachung, z.B. in Form von Fingerringdosimetern, habe bei der Klägerin nicht stattgefunden.

Dip.-Ing. H , Präventionsdienst der Beklagten, führte in seinem Bericht vom 09.11.2005 aus, am derzeitigen Arbeitsplatz der Klägerin im Klinikum M bestehe keine Strahlenexposition. Eine Strahlenexposition habe an ihrem vorherigen Arbeitsplatz im Labor Dr. N /Dr. W bestanden. Dort habe sie bei ihrer Arbeit selten Handschuhe getragen und "viele Stunden vor der Anordnung mit den Gefäßen auf dem Tisch gesessen". Die Gefäße hätten meist Serin mit Jod 131 enthalten.

Mit Schreiben vom 15.03.2006 teilte die Beigeladene mit, nach allgemeiner Auffassung und herrschender medizinisch-wissenschaftlicher Lehrmeinung werde eine CLL als einzige maligne Tumorerkrankung nicht durch radioaktive Strahlung hervorgerufen. Weitere Ermittlungen im Labor Dr. N /Dr. W seien daher nicht mehr notwendig, sie seien auch nicht mehr möglich, da das Labor nicht mehr existiere. Selbst wenn die Klägerin mit Serumgefäßen auf dem Tisch gesessen hätte und entgegen ihrer ersten Aussage Handschuhe eher selten getragen hätte, wäre eine Einwirkung von ionisierender Strahlung auf die inneren Organe der Klägerin nur in einer vergleichsweise geringen Intensität zu erwarten.

Nach Einholung einer Stellungnahme beim staatlichen Gewerbearzt lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 03.05.2006 die Feststellung einer Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) i. V. m. Nr. 2402 der Anlage zur BKV ab. Zur Begründung führte sie aus, eine CLL werde nicht durch radioaktive Strahlung hervorgerufen. Dies ergebe sich aus dem beigefügten Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts (13.09.2005 - L 15 VS 22/03). Ein kausaler Zusammenhang zwischen der Erkrankung der Klägerin und ihrer beruflichen Tätigkeit komme daher selbst bei Nachweis einer Strahlenbelastung, von der nicht im wesentlichen Umfang auszugehen sei, nicht in Betracht. Im Widerspruchsverfahren wies die Beklagte auf eine Abhandlung des Tumorzentrums U für CLL hin (Bl. 8 ff. VA). Durch Widerspruchsbescheid vom 23.11.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Die hiergegen am 22.12.2006 erhobene Klage hat das Sozialgericht Speyer durch Urteil vom 28.02.2008 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es sei nicht wahrscheinlich, dass die Erkrankung der Klägerin zumindest wesentlich teilursächlich durch berufsbedingte ionisierende Strahleneinwirkung herbeigeführt worden sei. Nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung (Hinweis auf Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl., S. 1024) sei eine Verursachung der CLL durch ionisierende Strahlung nicht bekannt. Aus der vorgelegten Veröffentlichung des Tumorzentrums U aus dem Jahr 2005 ergebe sich keine andere Beurteilung.

Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 30.04.2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 30.05.2008 Berufung eingelegt. Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat ein Gutachten bei Prof. Dr. N vom 25.03.2009 eingeholt. Dieser ist zum Ergebnis gelangt, eine Berufskrankheit nach Nr. 2402 der Anlage zur BKV liege nicht vor. Die quantitative Exposition der Klägerin sei nachträglich nicht mehr zu ermitteln. Außerdem sei in der medizinischen Fachliteratur die Verursachung der CLL durch energiereiche Strahlung wissenschaftlich nicht belegt. Vielmehr gelte diese Erkrankung als einzige Leukämieerkrankung, die nicht durch radioaktive Strahlung hervorgerufen werde. An dieser herrschenden Meinung habe sich auch in jüngster Zeit nichts geändert.

Die Klägerin hat weitere medizinische Abhandlungen zu den Akten gereicht, u. a. eine Abhandlung von Prof. Dr. S /Dr. P über "Die Strahleninduzierbarkeit der Chronisch Lumphatischen Leukämie (CLL)" sowie einen Artikel über eine Fall-Cohorten-Studie über die Inzidenz von Leukämie, Lymphonen und verschiedenen myelonischen Erkrankungen tschechischer Minenarbeiter.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 28.02.2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 03.05.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.11.2006 aufzuheben und die Beklagte oder die Beigeladene zu verurteilen, ihre CLL als Berufskrankheit nach Nr. 2402 der Anlage zur BKV anzuerkennen und zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht geltend, Prof. Dr. N habe bestätigt, dass sich an der herrschenden Meinung in jüngster Zeit nichts geändert habe. Einzelne konträre Studienergebnisse hätten die herrschende Lehrmeinung noch nicht entkräften können. Dies gelte auch für die übersandte Fall-Cohorten-Studie. Sollte diese tatsächlich wissenschaftliche Anerkennung finden, würde diese lediglich eine Inzidenz bei Uraniumminenarbeitern bzw. dem Umgang mit Uranium wahrscheinlich machen.

Die Beigeladene beantragt schriftsätzlich ebenfalls,
die Berufung zurückzuweisen

und stützt sich auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf Prozessakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Bei der Klägerin liegt keine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i. V. m. Nr. 2402 der Anlage zur BKV vor. Zur Begründung nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts Bezug.

Das im Berufungsverfahren eingeholte Gutachten des Prof. Dr. N bestätigt die Einschätzung des erstinstanzlichen Gerichts, dass die Erkrankung der Klägerin nicht mit Wahrscheinlichkeit zumindest wesentlich mitursächlich auf ihre berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist. Denn nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand wird die CLL nicht durch ionisierende Strahlen verursacht. Dies hat der erfahrene Sachverständige Prof. Dr. N mit überzeugender Begründung dargelegt. Aus dem von der Klägerin vorgelegten Unterlagen ergibt sich keine andere Beurteilung.

Danach fehlt es, wie bereits das Sozialgericht festgestellt hat, an den medizinischen Voraussetzungen zum Vorliegen einer Berufskrankheit. Es kann somit dahinstehen, ob die arbeitstechnischen Voraussetzungen vorliegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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