Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Speyer (RPF)
Aktenzeichen
S 7 KR 442/07
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 5 KR 9/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Zur Frage, ob bei fehlender Rechtsbehelfsbelehrung anstelle der Jahresfrist des § 66 Abs 2 Satz 1 SGG ausnahmsweise wegen des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) die Monatsfrist des § 87 Abs 1 Satz 1 SGG zur Anwendung kommen kann.
2. Bei der Rücknahme eines Bescheides, in welchem die Einzugsstelle das Vorliegen einer versicherungsfreien Tätigkeit festgestellt hatte, nach § 45 SGB X kann das Ermessen auf Null reduziert sein.
2. Bei der Rücknahme eines Bescheides, in welchem die Einzugsstelle das Vorliegen einer versicherungsfreien Tätigkeit festgestellt hatte, nach § 45 SGB X kann das Ermessen auf Null reduziert sein.
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 27.11.2009 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Umstritten ist, ob die Beklagte zu Recht einen Bescheid zurückgenommen hat, in dem sie festgestellt hatte, dass der Kläger in der Zeit vom 1.7.1986 bis zum 30.9.2000 nicht sozialversicherungspflichtig gewesen sei.
Der 1964 geborene Kläger war seit 1981 bei der früheren Firma A KG tätig. Dieses Unternehmen, das seit 1926 in unterschiedlicher Rechtsform als Familienunternehmen betrieben worden war, handelte nach Angaben des Klägers mit Werkzeugen, Maschinen und Baubeschlägen. Im Gewerberegister war das Unternehmen wie folgt bezeichnet: "Eisenwaren-, Haushaltswaren-, Waffen-, Munitions- und Sportartikelgeschäft (Einzelhandelsgeschäft) und Eisenwarengroßhandlung". Inhaber des Unternehmens waren seit 1974 die Eltern des Klägers, H und E P.
Der Kläger absolvierte von 1981 bis 1983 in diesem Unternehmen eine Lehre und war in ihm auch nach seinem Wehrdienst (1.4.1985 bis 30.6.1986) bis zum 30.9.2000 tätig. Seinen Angaben zufolge war er vor allem mit den Bereichen Werbung bzw Marketing, Sortimentsgestaltung und strategische Ausrichtung des Unternehmens befasst und für den Ein- und Verkauf sowie die Netzwerkadministration zuständig. Er war über das Betriebskonto verfügungsberechtigt; ihm war mündlich Handlungsvollmacht erteilt. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag existierte nicht. Nach seinen Angaben arbeitete der Kläger wöchentlich durchschnittlich 50 60 Stunden. Sein Arbeitsentgelt wurde ihm auf ein privates Konto überwiesen. Hiervon wurde Lohnsteuer entrichtet. Das Arbeitsentgelt wurde als Betriebsausgabe bei der KG verbucht. Im Jahre 2000 gründete der Kläger die Firma A GmbH (Beigeladene zu 3), an der er mit dem Firmenmitarbeiter R T zu gleichen Teilen beteiligt ist. Die Firma A KG wurde am 31.12.2001 im Gewerberegister abgemeldet.
Im Mai 2005 beantragte der Kläger bei der Beklagten die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung seiner Tätigkeit bei der Firma A KG ua in der Zeit vom 1.7.1986 bis zum 1.10.2000. Er legte Unterlagen vor, ua eine von ihm und seinem Vater unterschriebene Erklärung, wonach er aufgrund der begrenzten finanziellen Möglichkeiten der Firma auf einen Teil seines Gehalts habe verzichten müssen.
Mit an den Kläger gerichtetem Bescheid vom 5.7.2005 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger ab dem 1.7.1986 selbstständig und damit nicht versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Zur Begründung führte sie an: Der Kläger habe durch Sonderrechte Gesellschafterbeschlüsse herbeiführen und verhindern können, sei vom Selbstkontrahierungszwang nach § 181 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) befreit gewesen und habe als einziger im Betrieb über die erforderlichen Branchenkenntnisse verfügt. In diesem Bescheid hieß es außerdem, gegen diesen könne innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe schriftlich oder zur Niederschrift Widerspruch erhoben werden. Seinen gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch nahm der Kläger im Januar 2006 zurück.
Mit Schreiben vom 6.2.2006 teilte die Beklagte dem Kläger mit: Die Begründung des Bescheides vom 5.7.2005 sei unrichtig gewesen. Richtigerweise müsse sie lauten, dass der Kläger nicht an Weisungen des Betriebsinhabers gebunden gewesen sei, seine Tätigkeit habe frei bestimmen können, ein Arbeitsvertrag nicht geschlossen worden sei und er auf Gehaltsteile verzichtet habe.
Nachdem der Kläger in der Folgezeit bei der Beigeladenen zu 1 (Rentenversicherungsträger) die Erstattung der Rentenversicherungsbeiträge beantragt hatte, bat diese die Beklagte unter dem 24.3.2006 um Übersendung des Bescheides über das Nichtbestehen von Versicherungspflicht. Unter dem 29.3.2006 kam die Beklagte diesem Ansinnen nach. Der Bescheid vom 5.7.2005 ging bei der Beigeladenen zu 1 am 3.4.2006 ein. Unter dem 10.4.2006 widersprach die Beigeladene zu 1 gegenüber der Beklagten der Auffassung, beim Kläger habe kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorgelegen. Im Juni 2006 teilte die Beklagte dem Kläger mit, wegen der abweichenden Beurteilung des Rentenversicherungsträgers sei eine weitere Prüfung notwendig; ua möge der Kläger mitteilen, ob er aufgrund des Bescheides vom 5.7.2005 Vermögensdispositionen getroffen habe. Darauf erklärte der Kläger, seit 2000 bestünden ein privater Krankenversicherungsvertrag sowie zwei Altersversorgungsverträge; in Erwartung der Erstattung der zu Unrecht gezahlten Rentenversicherungsbeiträge habe er Beteiligungszertifikate gezeichnet.
Mit am 19.2.2007 beim Sozialgericht (SG) Berlin eingegangenem Schreiben erhob die Beigeladene zu 1 gegen die Beklagte Klage gegen den Bescheid vom 5.7.2005 (Az S 72 KR 722/07). Mit Bescheid vom 24.7.2007 nahm die Beklagte nach Anhörung des Klägers den Bescheid vom 5.7.2005 zurück. Zur Begründung führte sie aus: Nach § 49 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) könne der Kläger keinen Vertrauensschutz nach § 45 SGB X geltend machen. Der Kläger habe im Zeitraum vom 1.7.1986 bis zum 30.9.2000 der Versicherungspflicht in der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung sowie zur Bundesagentur für Arbeit unterlegen. Maßgebend sei, dass er seit dem 1.7.1986 weder am Stammkapital der KG beteiligt noch zu deren Geschäftsführer ernannt gewesen sei. "Kopf und Seele" des Unternehmens sei der Vater des Klägers gewesen. Dem stehe nicht entgegen, dass der Kläger 1985 wegen eines Unfalls seines Vaters die alleinige Leitung des Unternehmens übernommen habe. Die Erklärung des Klägers, er habe auf einen Teil seines Gehalts verzichtet, sei vor folgendem Hintergrund unplausibel: Das Arbeitsentgelt des Klägers sei seit Beginn der Beschäftigung entsprechend der allgemeinen Gehaltsentwicklung angepasst worden und von ursprünglich durchschnittlich 1.600, DM monatlich auf zuletzt 1.944, DM und 1999 sogar 2.058,46 DM angestiegen. Die regelmäßige Zahlung von Arbeitsentgelt in existenzsichernder Höhe spreche eindeutig für die Eigenschaft des Klägers als Arbeitnehmer. Eine Unterschreitung des Tariflohns bzw ortsüblichen Arbeitsentgelts sei im Übrigen bei Unternehmen mit familiären Bindungen nicht unüblich und stehe der Versicherungspflicht als Arbeitnehmer nicht entgegen.
In dem Verfahren vor dem SG Berlin erklärte die Beklagte unter dem 24.7.2007, sie habe den angefochtenen Verwaltungsakt gemäß § 49 SGB X zurückgenommen, weshalb die Beigeladene zu 1 klaglos gestellt sei. Die Beigeladene zu 1 nahm unter dem 28.9.2007 dieses "Anerkenntnis" an. Die Beklagte hatte bereits zuvor den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 24.7.2007 durch Widerspruchsbescheid vom 30.8.2007 zurückgewiesen.
Mit seiner am 1.10.2007 beim SG Speyer erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Er hat ua angegeben: Wegen eines Verkehrsunfalls seines Vaters habe er seinerzeit seine Grundausbildung bei der Bundeswehr unterbrechen müssen, um die Firma zu führen; er habe deshalb sein angestrebtes Vollzeitstudium aufgegeben und sich auf ein Abendstudium beschränkt; auch in der Folgezeit sei sein Vater "wegen notwendiger Reha" immer wieder im Betrieb ausgefallen. Er habe stets Einsicht in die von seiner Mutter und dem Steuerberater des Unternehmens geführten betrieblichen Unterlagen gehabt. Die Entscheidungen zur Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern habe damals der "Familienrat" getroffen. Urlaub habe er nur genommen, wenn die wirtschaftliche Situation des Unternehmens dies zugelassen habe und sein Vater ihn habe vertreten können. Die Zahlung von Weihnachtsgeld und eine Kündigungsfrist seien nicht vereinbart gewesen. Auf die Frage des SG, ob bei Arbeitsunfähigkeit das Arbeitsentgelt fortgezahlt worden sei, hat der Kläger geantwortet, er sei seinerzeit nicht krank gewesen, weil er keine Zeit dafür gehabt habe.
Das SG hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 27.11.2009 den Kläger persönlich angehört und R T sowie die Eltern des Klägers, H P und E P , als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift des SG Bezug genommen. Durch Urteil vom 27.11.2009 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die im angefochtenen Bescheid erfolgte Rücknahme des Bescheides vom 5.7.2005 sei rechtmäßig. Gemäß § 49 SGB X seien vorliegend § 45 Abs 1 bis 4 SGB X nicht anwendbar. Die Beigeladene zu 1 sei als Rentenversicherungsträger Dritte iSd des § 49 SGB X. Deren Klage vor dem SG Berlin sei nicht verfristet gewesen. Wegen des Fehlens einer zutreffenden Rechtsmittelbelehrung für die Beigeladene zu 1 in dem Bescheid vom 5.7.2005 sei die Klage nach § 66 Abs 2 Satz 1 SGG innerhalb eines Jahres seit der Bekanntgabe des Bescheides an die Beigeladene zu 1 zulässig gewesen. Da dieser Bescheid erst mit Schreiben vom 29.3.2006 der Beigeladenen zu 1 übersandt worden sei, habe diese mit ihrer Klage vor dem SG Berlin die Klagefrist von einem Jahr eingehalten. Der Bescheid vom 5.7.2005 sei insoweit rechtswidrig gewesen, als der Kläger zwischen dem 1.7.1986 und dem 30.9.2000 sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. In Anbetracht der vom Kläger erzielten Vergütungen komme eine familienhafte Mithilfe nicht in Betracht. Der Kläger sei auch kein Mitunternehmer gewesen, da er keinerlei Unternehmerrisiko getragen habe und ihm monatliches Gehalt ausgezahlt worden sei. Nicht nachvollziehbar sei die Angabe des Klägers, er habe regelmäßig auf einen Teil seines Gehalts verzichtet, zumal diese Behauptung nicht weiter konkretisiert worden sei, insbesondere hinsichtlich des Umfangs und der Häufigkeit des Gehaltsverzichts. Für ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis sprächen ferner folgende Umstände: fehlende Beteilung des Klägers an dem Unternehmen; keine Gewährung von Darlehen, Bürgschaften oder sonstigen Sicherheiten durch den Kläger; Überweisung des Entgelts auf ein privates Konto des Klägers, Verbuchung als Betriebsausgabe und Entrichtung von Lohnsteuer. Auf eine selbstständige Tätigkeit weise neben dem Nichtvorhandensein eines schriftlichen Arbeitsvertrags und fehlenden Urlaubs- und Entgeltfortzahlungsansprüchen des Klägers allenfalls dessen hohe Eigenverantwortung hin. Letzteres sei jedoch bei Diensten höherer Art, insbesondere bei familiärer Verbundenheit nicht ungewöhnlich. Auch die Angaben des Vaters des Klägers und von R T als Zeugen sprächen dafür, dass im streitbefangenen Zeitraum die Selbstständigkeit des Klägers nur angestrebt gewesen, nicht aber bereits vollzogen worden sei. Hinzu komme, dass der Vater des Klägers die Möglichkeit gehabt habe, sein Weisungsrecht als Betriebsinhaber auszuüben. Die bloße Nichtausübung dieses Rechts sei rechtlich unerheblich. Ermessensfehler im angefochtenen Bescheid seien nicht ersichtlich.
Gegen dieses seinen Prozessbevollmächtigten am 21.12.2009 zugestellte Urteil richtet sich die am 21.1.2010 eingelegte Berufung des Klägers, der vorträgt: Die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, den Bescheid vom 5.7.2005 zurückzunehmen. § 49 SGB X greife vorliegend nicht ein. Denn die Beigeladene zu 1 habe den Bescheid vom 5.7.2005 nicht rechtzeitig angefochten. Die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides vom 5.7.2005 sei im Verhältnis zur Beigeladenen zu 1 nicht fehlerhaft gewesen. Aber selbst wenn zugunsten der Beigeladenen zu 1 die Jahresfrist des § 66 Abs 2 SGG gegolten hätte, wäre die beim SG Berlin erhobene Klage verfristet gewesen. Es sei davon auszugehen, dass die Beklagte so früh Kenntnis von dem Bescheid vom 5.7.2005 gehabt habe, dass zum Zeitpunkt der Klageerhebung beim SG Berlin die Jahresfrist bereits abgelaufen gewesen sei. Ihm, dem Kläger, liege eine Mitteilung der Beklagten vor, dass sie den Bescheid vom 5.7.2005 bereits am 17.2.2006 auf dem Postweg an die Beigeladene zu 1 übersandt habe. Es sei davon auszugehen, dass die Beklagte der Beigeladenen zu 1 dieses Schreiben am gleichen Tag per Fax zugeleitet habe. Jedenfalls sei aber zu diesem Zeitpunkt das Recht der Beigeladenen zu 1, Klage gegen die Beklagte zu erheben, verwirkt gewesen. In einer Vereinbarung zwischen den am gemeinsamen Beitragseinzug beteiligten Versicherungsträgern sei ua bestimmt gewesen: "Gegenüber dem Fremdversicherungsträger soll grundsätzlich keine Rechtsbehelfsbelehrung erteilt werden." Es könne nicht angehen, dass die beteiligten Versicherungsträger durch bewusstes Verhalten darauf hinwirken könnten, dass dem Rentenversicherungsträger generell eine Frist von einem Jahr zur Anfechtung der Bescheide über die Nichtfeststellung der Versicherungspflicht zur Verfügung stehe. Unabhängig davon sei die Berufung deshalb begründet, weil im streitbefangenen Zeitraum kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorgelegen habe. In der Rechtsprechung werde hinsichtlich des Gesichtspunktes des Unternehmerrisikos vermehrt nicht nur auf die finanzielle Haftung für das Unternehmen abgestellt (Hinweis auf SG München 27.4.2009 S 29 KR 186/06).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG Speyer vom 27.11.2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24.7.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.8.2007 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor: Sie verweise auf ihr bisheriges Vorbringen. Im angefochtenen Bescheid sei wegen § 49 SGB X keine Ermessensausübung erforderlich gewesen. Den am Beitragseinzug beteiligten Sozialversicherungsträgern könne nicht vorgeworfen werden, sie hätten bewusst darauf hingewirkt, dass dem jeweils zuständigen Rentenversicherungsträger keine Rechtsbehelfsbelehrung erteilt werde.
Die Beigeladene zu 1 schließt sich dem Vortrag und dem Antrag der Beklagten an und trägt weiter vor: Hinsichtlich des Einwands der Verwirkung verweise sie auf das Urteil des SG Berlin vom 13.11.2008 (S 72 KR 530/07). Von einer rechtsmissbräuchlichen Ausnutzung des § 66 Abs 2 SGG könne keine Rede sein (Hinweis auf mehrere Entscheidungen des LSG Berlin-Brandenburg).
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen zu 1 sowie die Prozessakte verwiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die nach §§ 143 f, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG – zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Die Beklagte war berechtigt, den Bescheid vom 5.7.2005 nach § 45 SGB X zurückzunehmen. Dieser Bescheid war von Anfang an rechtswidrig (dazu unten 1.). Da vorliegend § 49 SGB X eingreift, kann der Kläger nicht mit Erfolg einen Bestandsschutz nach § 45 Abs 1 bis 4 SGB X geltend machen (dazu unten 2.). Für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ist es unschädlich, dass die Beklagte in ihm kein Ermessen ausgeübt hat (dazu unten 3.).
1. Der Bescheid vom 5.7.2005 (in der Begründung geändert durch Bescheid vom 6.2.2006) war von Anfang an rechtswidrig, weil die Beklagte in ihm zu Unrecht festgestellt hat, dass die Tätigkeit des Klägers für die Firma A & G KG kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis gewesen sei. Im streitbefangenen Zeitraum lag ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vor, weshalb der Kläger in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie zur Bundesagentur für Arbeit versicherungspflichtig war. Zur Begründung verweist der Senat insoweit auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (§ 153 Abs 2 SGG). Der Vortrag des Klägers im Berufungsverfahren rechtfertigt keine andere Entscheidung. Bei Gesamtschau aller rechtserheblicher Gesichtspunkte überwiegen in ihrer Bedeutung eindeutig die Umstände, die für ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis sprechen. Der Kläger, der an der KG nicht beteiligt war, trug kein Unternehmerrisiko, und seine Eltern als Unternehmer waren ihm gegenüber weisungsbefugt, auch wenn sie von dieser Befugnis nur eingeschränkt oder überhaupt nicht Gebrauch gemacht haben mögen. Die Übernahme des Unternehmens durch den Kläger war erst in Zukunft geplant. Dem Kläger wurde zudem regelmäßig Gehalt in nicht unerheblicher Höhe auf sein privates Konto ausbezahlt; dieses Entgelt wurde von der KG als Betriebsausgabe verbucht und es wurde hiervon Lohnsteuer entrichtet. Dafür, dass der Kläger teilweise auf die Auszahlung eines zuvor verbindlich vereinbarten Gehalts verzichtet hat, liegen keine Anhaltspunkte vor, zumal kein schriftlicher Arbeitsvertrag geschlossen worden war. Unabhängig davon würde auch ein teilweiser Gehaltsverzicht bei der im vorliegenden Fall erforderlichen Gesamtwürdigung nicht ausreichen, um ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zu verneinen; ein irgendwie geartetes Unternehmerrisiko wäre mit einem teilweisen Gehaltsverzicht nicht verbunden gewesen. Dass der Kläger in seiner Tätigkeit für die KG eine hohe Eigenverantwortung hatte und faktisch einen weitgehenden Handlungsspielraum hatte, reicht nicht aus, um seine Tätigkeit als selbständige Tätigkeit zu qualifizieren.
Der Kläger war bis zum 30.9.2000 sozialversicherungspflichtig. Daran änderte die Gründung der Firma A GmbH (Beigeladene zu 3) im Jahre 2000 (Abschluss des Gesellschaftsvertrags am 2.5.2000; Registereintragung am 3.7.2000) nichts. Die Tätigkeit des Klägers für die Firma A KG dauerte bis zum 30.9.2000 an, wie den Angaben des Klägers zu entnehmen ist.
Dem Umstand, dass die Beklagte nicht befugt war, isoliert ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis festzustellen, sondern über das Vorliegen von Versicherungspflicht zu entscheiden hatte (BSG 11.3.2009 - B 12 R 11/07 R, juris ; BSG 4.6.2009 - B 12 KR 31/07 R, juris; Merten, SGb 2010, 271), kommt schon deshalb für den Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits keine Bedeutung zu, weil auch eine an sich rechtlich nicht zulässige Feststellung eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses - hier durch den Bescheid vom 5.7.2005 - in Bindungswirkung (§ 77 SGG) erwuchs und damit zu deren Beseitigung zurückgenommen werden musste.
Der Kläger war in der Zeit vom 2.5.2000 bis zum 30.9.2000 nicht nach § 5 Abs 5 SGB V wegen der Ausübung einer Tätigkeit für die Firma A GmbH versicherungsfrei in der gesetzlichen Krankenversicherung. Trotz der Gründung dieser Gesellschaft bereits vor dem 30.9.2000 war der Kläger nicht gleichzeitig für beide Firmen tätig. Vielmehr war die Firma A GmbH die Nachfolgefirma der Firma A KG, wobei sich die Tätigkeiten des Klägers in beiden Firmen deckten (Angaben des Klägers im Schreiben vom 5.8.2008).
2. Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 45 SGB X. Die Anwendbarkeit dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass nach § 49 SGB X die §§ 45 Abs 1 bis 4 SGB X nicht gelten. § 49 SGB X schließt nicht die Möglichkeit der Aufhebung des rechtswidrigen Bescheides nach § 45 SGB X aus, sondern lässt lediglich den für begünstigende Verwaltungsakte geltenden Bestandsschutz entfallen (Merten in Hauck/Noftz, SGB X, K § 49 Rn 13).
Nach § 49 SGB X greifen §§ 45 Abs 1 bis 4 SGB X nicht ein, wenn ein begünstigender Verwaltungsakt, der von einem Dritten angefochten worden ist, während des Vorverfahrens oder während des sozialgerichtlichen Verfahrens aufgehoben wird, soweit dadurch dem Widerspruch abgeholfen oder der Klage stattgegeben wird. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt.
a) Die Anfechtungsklage der Beigeladenen zu 1 gegen den Bescheid vom 5.7.2005 war zulässig und begründet (zu diesem Erfordernis als Voraussetzung der Anwendung des § 49 SGB X vgl Merten in Hauck/Noftz, aaO Rn 10; zur Begründetheit der Klage oben 1.). Die Anfechtungsklage der Beigeladenen zu 1 vor dem SG Berlin war nicht verfristet. An sich hätte die Beigeladene zu 1 diesen Bescheid zwar binnen eines Monats nach dessen Bekanntgabe anfechten müssen (§ 87 Abs 1 Satz 1 SGG). Der Beigeladenen zu 1 stand jedoch gemäß § 66 Abs 2 Satz 1 SGG eine Frist von einem Jahr seit der ihr gegenüber erfolgten Bekanntgabe des Bescheides vom 5.7.2005 zur Verfügung. Denn der Bescheid vom 5.7.2005 enthielt für sie keine zutreffende Rechtsbehelfsbelehrung. In der Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides vom 5.7.2005 wurde nur auf die Möglichkeit der Erhebung des Widerspruchs innerhalb eines Monats hingewiesen. Für die Beigeladene zu 1 war aber nicht der Widerspruch, sondern unmittelbar die Klage zulässig (§ 78 Abs 1 Nr 3 SGG). Die Beigeladene zu 1 hat die ihr hiernach zustehende Jahresfrist eingehalten. Da die Klage beim SG Berlin am 19.2.2007 (Montag) eingegangen ist, hätte die Beigeladene zu 1 die Jahresfrist nur dann versäumt, wenn ihr der Bescheid vom 5.7.2005 bereits vor dem 17.2.2006 bekanntgegeben worden wäre. Diese Voraussetzung ist aber nicht erfüllt. Zwar hat die Beklagte der Beigeladenen zu 1 den Bescheid vom 5.7.2005 bereits mit Schreiben vom 17.2.2006 übersandt; ausweislich des Eingangsstempels ist dieses Schreiben jedoch erst am 23.2.2006 bei der Beigeladenen zu 1 eingegangen. Dafür, dass die Beklagte das Schreiben vom 17.2.2006 mit dem Bescheid vom 5.7.2005 der Beigeladenen zu 1 zuvor durch Fax zugeleitet hatte, gibt es keine konkreten Hinweise, wie der Vertreter des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat eingeräumt hat.
b) Die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung war abstrakt geeignet, die Beigeladene zu 1 von der Klageerhebung innerhalb eines Monats abzuhalten (zu diesem Erfordernis Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 66 Rn 12). Dies ist der Fall, wenn die unrichtigen Angaben in der Rechtsbehelfsbelehrung wie hier deren Informationswert mindern (BSG 2.3.1995 - 7 BAr 196/94, SozR 3-1500 § 66 Nr 3). Ob für den Betroffenen - hier die Beigeladene zu 1 - die an sich einzuhaltende Frist auf der Hand liegt (vgl Czybulka in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Auflage, § 58 VwGO Rn 74) oder ihm sogar konkret bekannt ist, ist rechtlich unerheblich.
c) § 66 Abs 2 Satz 1 SGG ist nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) wegen Verwirkung unanwendbar. Verwirkung tritt in der Regel nicht vor Ablauf der Jahresfrist ein (Kopp/Schenke, VwGO, 16. Auflage, § 74 Rn 20). In Ausnahmefällen kann zwar das Klagerecht bereits vor Ablauf der Jahresfrist verwirkt sein (Czybulka aaO Rn 78). Voraussetzung hierfür ist aber, dass der Beteiligte, der das Klagerecht hat, nicht nur passiv abgewartet, sondern konkreten Anlass zu der Annahme gegeben hat, er werde keinen Rechtsbehelf einlegen (Czybulka aaO mit Hinweisen auf die Rechtsprechung im öffentlichen Baurecht). Daher genügt es für Verwirkung nicht, dass die Einzugsstelle dem Rentenversicherungsträger üblicherweise keine Rechtsmittelbelehrung erteilt oder dies zwischen den beteiligten Sozialversicherungsträgern sogar ausdrücklich vereinbart ist.
d) Zwar beschränkt sich der Anwendungsbereich des Grundsatzes von Treu und Glauben nicht ausnahmslos auf die oben bei c) angeführten Fälle der Verwirkung. Auch unter diesem Gesichtspunkt verstößt jedoch die Anwendung der Jahresfrist des § 66 Abs 2 Satz 1 SGG nicht gegen Treu und Glauben. Zwar begegnet die Vereinbarung der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung, dass dem Fremdversicherungsträger regelmäßig keine Rechtsmittelbelehrung erteilt werden soll, in Anbetracht der grundsätzlichen Obliegenheit zur Erteilung einer solchen (vgl § 66 SGG), grundlegenden rechtlichen Bedenken. Die Nichtanwendung einer gesetzlichen Vorschrift (hier: § 66 Abs 2 Satz 1 SGG) wegen des Grundsatzes von Treu und Glauben ist jedoch allenfalls in besonderen Ausnahmefällen möglich, in denen die Verfolgung einer Rechtsposition dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden gänzlich widerspricht. Dies ist jedenfalls bei der vorliegend gegebenen Fallgestaltung nicht der Fall (im Ergebnis ebenso LSG-Berlin-Brandenburg in ständiger Rechtsprechung, zB 23.7.2009 - L 1 KR 406/08). Die Beklagte hatte die Beigeladene zu 1 vor der Erteilung des Bescheides vom 5.7.2005 nicht in das Verfahren einbezogen, obwohl diese in derartigen Fallkonstellationen auf die Beteiligung besonderen Wert legt (vgl Bl 20 VA der Beigeladenen zu 1). Jedenfalls bei einer solchen Fallgestaltung, bei welcher der Rentenversicherungsträger ohne vorherige Kenntnis der Sachlage innerhalb eines Monats Klage erheben müsste, wenn § 66 Abs 2 Satz 1 SGG nicht angewandt würde, kommt der Grundsatz von Treu und Glauben nicht zugunsten des Bürgers zur Anwendung.
3. Der angefochtene Bescheid ist nicht wegen fehlender Ermessensausübung rechtswidrig. § 49 SGB X dispensiert lediglich von den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 SGB X, ohne dass damit eine Ermessensbetätigung generell entbehrlich wäre (vgl Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 49 SGB X Rn 8; Merten aaO Rn 14). Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte aber kein Ermessen auszuüben. In Verfahren, in denen es um die Feststellung von Versicherungspflicht geht, ist das Ermessen der Einzugsstelle, den rechtswidrigen Bescheid zurückzunehmen, jedenfalls dann auf Null reduziert, wenn keine besonderen Aspekte, insbesondere Vertrauensschutzgesichtspunkte (zur Frage, ob diese im Rahmen einer Ermessensausübung in den Fällen des § 49 SGB X überhaupt berücksichtigungsfähig sind, vgl Merten aaO), vorliegen, die eine andere Entscheidung rechtfertigen können (vgl zur Ermessensreduzierung auf Null bei Anwendung des § 50 Verwaltungsverfahrensgesetz VwVfG Bundesverwaltungsgericht - BVerwG - 8.11.2001 - 4 C 18/00, juris). Denn ansonsten wäre der gebotene Rechtsschutz der Beigeladenen zu 1, die im öffentlichen Interesse für die Wahrung der Belange ihrer Versichertengemeinschaft zuständig ist, nicht gesichert. Vorliegend ist nichts ersichtlich, was eine Ermessensentscheidung zugunsten des Klägers hätte rechtfertigen können. Der Kläger durfte spätestens nach dem Erhalt des Schreibens der Beklagten vom 23.6.2006 nicht mehr damit rechnen, dass es bei der Feststellung im Bescheid vom 5.7.2005 verbleiben würde. Dafür, dass er zwischen dem Bescheid vom 5.7.2005 und dem Erhalt des Schreibens vom 23.6.2006 Vermögensdispositionen getroffen hat, zu deren Rückgängigmachung er jetzt mit erheblichen nachteiligen Folgewirkungen gezwungen wäre, gibt es keine Anhaltspunkte. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass er sich wegen der Rücknahme des Bescheides vom 5.7.2005 von den von ihm erworbenen Beteiligungszertifikaten mit Verlust trennen müsste.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision wird zugelassen. Denn die Fragen, ob bei einer Fallgestaltung wie der vorliegenden § 66 Abs 2 Satz 1 SGG unanwendbar und im Rahmen der Anwendung des § 45 SGB X das Ermessen auf Null reduziert ist, sind von grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Umstritten ist, ob die Beklagte zu Recht einen Bescheid zurückgenommen hat, in dem sie festgestellt hatte, dass der Kläger in der Zeit vom 1.7.1986 bis zum 30.9.2000 nicht sozialversicherungspflichtig gewesen sei.
Der 1964 geborene Kläger war seit 1981 bei der früheren Firma A KG tätig. Dieses Unternehmen, das seit 1926 in unterschiedlicher Rechtsform als Familienunternehmen betrieben worden war, handelte nach Angaben des Klägers mit Werkzeugen, Maschinen und Baubeschlägen. Im Gewerberegister war das Unternehmen wie folgt bezeichnet: "Eisenwaren-, Haushaltswaren-, Waffen-, Munitions- und Sportartikelgeschäft (Einzelhandelsgeschäft) und Eisenwarengroßhandlung". Inhaber des Unternehmens waren seit 1974 die Eltern des Klägers, H und E P.
Der Kläger absolvierte von 1981 bis 1983 in diesem Unternehmen eine Lehre und war in ihm auch nach seinem Wehrdienst (1.4.1985 bis 30.6.1986) bis zum 30.9.2000 tätig. Seinen Angaben zufolge war er vor allem mit den Bereichen Werbung bzw Marketing, Sortimentsgestaltung und strategische Ausrichtung des Unternehmens befasst und für den Ein- und Verkauf sowie die Netzwerkadministration zuständig. Er war über das Betriebskonto verfügungsberechtigt; ihm war mündlich Handlungsvollmacht erteilt. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag existierte nicht. Nach seinen Angaben arbeitete der Kläger wöchentlich durchschnittlich 50 60 Stunden. Sein Arbeitsentgelt wurde ihm auf ein privates Konto überwiesen. Hiervon wurde Lohnsteuer entrichtet. Das Arbeitsentgelt wurde als Betriebsausgabe bei der KG verbucht. Im Jahre 2000 gründete der Kläger die Firma A GmbH (Beigeladene zu 3), an der er mit dem Firmenmitarbeiter R T zu gleichen Teilen beteiligt ist. Die Firma A KG wurde am 31.12.2001 im Gewerberegister abgemeldet.
Im Mai 2005 beantragte der Kläger bei der Beklagten die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung seiner Tätigkeit bei der Firma A KG ua in der Zeit vom 1.7.1986 bis zum 1.10.2000. Er legte Unterlagen vor, ua eine von ihm und seinem Vater unterschriebene Erklärung, wonach er aufgrund der begrenzten finanziellen Möglichkeiten der Firma auf einen Teil seines Gehalts habe verzichten müssen.
Mit an den Kläger gerichtetem Bescheid vom 5.7.2005 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger ab dem 1.7.1986 selbstständig und damit nicht versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Zur Begründung führte sie an: Der Kläger habe durch Sonderrechte Gesellschafterbeschlüsse herbeiführen und verhindern können, sei vom Selbstkontrahierungszwang nach § 181 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) befreit gewesen und habe als einziger im Betrieb über die erforderlichen Branchenkenntnisse verfügt. In diesem Bescheid hieß es außerdem, gegen diesen könne innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe schriftlich oder zur Niederschrift Widerspruch erhoben werden. Seinen gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch nahm der Kläger im Januar 2006 zurück.
Mit Schreiben vom 6.2.2006 teilte die Beklagte dem Kläger mit: Die Begründung des Bescheides vom 5.7.2005 sei unrichtig gewesen. Richtigerweise müsse sie lauten, dass der Kläger nicht an Weisungen des Betriebsinhabers gebunden gewesen sei, seine Tätigkeit habe frei bestimmen können, ein Arbeitsvertrag nicht geschlossen worden sei und er auf Gehaltsteile verzichtet habe.
Nachdem der Kläger in der Folgezeit bei der Beigeladenen zu 1 (Rentenversicherungsträger) die Erstattung der Rentenversicherungsbeiträge beantragt hatte, bat diese die Beklagte unter dem 24.3.2006 um Übersendung des Bescheides über das Nichtbestehen von Versicherungspflicht. Unter dem 29.3.2006 kam die Beklagte diesem Ansinnen nach. Der Bescheid vom 5.7.2005 ging bei der Beigeladenen zu 1 am 3.4.2006 ein. Unter dem 10.4.2006 widersprach die Beigeladene zu 1 gegenüber der Beklagten der Auffassung, beim Kläger habe kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorgelegen. Im Juni 2006 teilte die Beklagte dem Kläger mit, wegen der abweichenden Beurteilung des Rentenversicherungsträgers sei eine weitere Prüfung notwendig; ua möge der Kläger mitteilen, ob er aufgrund des Bescheides vom 5.7.2005 Vermögensdispositionen getroffen habe. Darauf erklärte der Kläger, seit 2000 bestünden ein privater Krankenversicherungsvertrag sowie zwei Altersversorgungsverträge; in Erwartung der Erstattung der zu Unrecht gezahlten Rentenversicherungsbeiträge habe er Beteiligungszertifikate gezeichnet.
Mit am 19.2.2007 beim Sozialgericht (SG) Berlin eingegangenem Schreiben erhob die Beigeladene zu 1 gegen die Beklagte Klage gegen den Bescheid vom 5.7.2005 (Az S 72 KR 722/07). Mit Bescheid vom 24.7.2007 nahm die Beklagte nach Anhörung des Klägers den Bescheid vom 5.7.2005 zurück. Zur Begründung führte sie aus: Nach § 49 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) könne der Kläger keinen Vertrauensschutz nach § 45 SGB X geltend machen. Der Kläger habe im Zeitraum vom 1.7.1986 bis zum 30.9.2000 der Versicherungspflicht in der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung sowie zur Bundesagentur für Arbeit unterlegen. Maßgebend sei, dass er seit dem 1.7.1986 weder am Stammkapital der KG beteiligt noch zu deren Geschäftsführer ernannt gewesen sei. "Kopf und Seele" des Unternehmens sei der Vater des Klägers gewesen. Dem stehe nicht entgegen, dass der Kläger 1985 wegen eines Unfalls seines Vaters die alleinige Leitung des Unternehmens übernommen habe. Die Erklärung des Klägers, er habe auf einen Teil seines Gehalts verzichtet, sei vor folgendem Hintergrund unplausibel: Das Arbeitsentgelt des Klägers sei seit Beginn der Beschäftigung entsprechend der allgemeinen Gehaltsentwicklung angepasst worden und von ursprünglich durchschnittlich 1.600, DM monatlich auf zuletzt 1.944, DM und 1999 sogar 2.058,46 DM angestiegen. Die regelmäßige Zahlung von Arbeitsentgelt in existenzsichernder Höhe spreche eindeutig für die Eigenschaft des Klägers als Arbeitnehmer. Eine Unterschreitung des Tariflohns bzw ortsüblichen Arbeitsentgelts sei im Übrigen bei Unternehmen mit familiären Bindungen nicht unüblich und stehe der Versicherungspflicht als Arbeitnehmer nicht entgegen.
In dem Verfahren vor dem SG Berlin erklärte die Beklagte unter dem 24.7.2007, sie habe den angefochtenen Verwaltungsakt gemäß § 49 SGB X zurückgenommen, weshalb die Beigeladene zu 1 klaglos gestellt sei. Die Beigeladene zu 1 nahm unter dem 28.9.2007 dieses "Anerkenntnis" an. Die Beklagte hatte bereits zuvor den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 24.7.2007 durch Widerspruchsbescheid vom 30.8.2007 zurückgewiesen.
Mit seiner am 1.10.2007 beim SG Speyer erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Er hat ua angegeben: Wegen eines Verkehrsunfalls seines Vaters habe er seinerzeit seine Grundausbildung bei der Bundeswehr unterbrechen müssen, um die Firma zu führen; er habe deshalb sein angestrebtes Vollzeitstudium aufgegeben und sich auf ein Abendstudium beschränkt; auch in der Folgezeit sei sein Vater "wegen notwendiger Reha" immer wieder im Betrieb ausgefallen. Er habe stets Einsicht in die von seiner Mutter und dem Steuerberater des Unternehmens geführten betrieblichen Unterlagen gehabt. Die Entscheidungen zur Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern habe damals der "Familienrat" getroffen. Urlaub habe er nur genommen, wenn die wirtschaftliche Situation des Unternehmens dies zugelassen habe und sein Vater ihn habe vertreten können. Die Zahlung von Weihnachtsgeld und eine Kündigungsfrist seien nicht vereinbart gewesen. Auf die Frage des SG, ob bei Arbeitsunfähigkeit das Arbeitsentgelt fortgezahlt worden sei, hat der Kläger geantwortet, er sei seinerzeit nicht krank gewesen, weil er keine Zeit dafür gehabt habe.
Das SG hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 27.11.2009 den Kläger persönlich angehört und R T sowie die Eltern des Klägers, H P und E P , als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift des SG Bezug genommen. Durch Urteil vom 27.11.2009 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die im angefochtenen Bescheid erfolgte Rücknahme des Bescheides vom 5.7.2005 sei rechtmäßig. Gemäß § 49 SGB X seien vorliegend § 45 Abs 1 bis 4 SGB X nicht anwendbar. Die Beigeladene zu 1 sei als Rentenversicherungsträger Dritte iSd des § 49 SGB X. Deren Klage vor dem SG Berlin sei nicht verfristet gewesen. Wegen des Fehlens einer zutreffenden Rechtsmittelbelehrung für die Beigeladene zu 1 in dem Bescheid vom 5.7.2005 sei die Klage nach § 66 Abs 2 Satz 1 SGG innerhalb eines Jahres seit der Bekanntgabe des Bescheides an die Beigeladene zu 1 zulässig gewesen. Da dieser Bescheid erst mit Schreiben vom 29.3.2006 der Beigeladenen zu 1 übersandt worden sei, habe diese mit ihrer Klage vor dem SG Berlin die Klagefrist von einem Jahr eingehalten. Der Bescheid vom 5.7.2005 sei insoweit rechtswidrig gewesen, als der Kläger zwischen dem 1.7.1986 und dem 30.9.2000 sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. In Anbetracht der vom Kläger erzielten Vergütungen komme eine familienhafte Mithilfe nicht in Betracht. Der Kläger sei auch kein Mitunternehmer gewesen, da er keinerlei Unternehmerrisiko getragen habe und ihm monatliches Gehalt ausgezahlt worden sei. Nicht nachvollziehbar sei die Angabe des Klägers, er habe regelmäßig auf einen Teil seines Gehalts verzichtet, zumal diese Behauptung nicht weiter konkretisiert worden sei, insbesondere hinsichtlich des Umfangs und der Häufigkeit des Gehaltsverzichts. Für ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis sprächen ferner folgende Umstände: fehlende Beteilung des Klägers an dem Unternehmen; keine Gewährung von Darlehen, Bürgschaften oder sonstigen Sicherheiten durch den Kläger; Überweisung des Entgelts auf ein privates Konto des Klägers, Verbuchung als Betriebsausgabe und Entrichtung von Lohnsteuer. Auf eine selbstständige Tätigkeit weise neben dem Nichtvorhandensein eines schriftlichen Arbeitsvertrags und fehlenden Urlaubs- und Entgeltfortzahlungsansprüchen des Klägers allenfalls dessen hohe Eigenverantwortung hin. Letzteres sei jedoch bei Diensten höherer Art, insbesondere bei familiärer Verbundenheit nicht ungewöhnlich. Auch die Angaben des Vaters des Klägers und von R T als Zeugen sprächen dafür, dass im streitbefangenen Zeitraum die Selbstständigkeit des Klägers nur angestrebt gewesen, nicht aber bereits vollzogen worden sei. Hinzu komme, dass der Vater des Klägers die Möglichkeit gehabt habe, sein Weisungsrecht als Betriebsinhaber auszuüben. Die bloße Nichtausübung dieses Rechts sei rechtlich unerheblich. Ermessensfehler im angefochtenen Bescheid seien nicht ersichtlich.
Gegen dieses seinen Prozessbevollmächtigten am 21.12.2009 zugestellte Urteil richtet sich die am 21.1.2010 eingelegte Berufung des Klägers, der vorträgt: Die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, den Bescheid vom 5.7.2005 zurückzunehmen. § 49 SGB X greife vorliegend nicht ein. Denn die Beigeladene zu 1 habe den Bescheid vom 5.7.2005 nicht rechtzeitig angefochten. Die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides vom 5.7.2005 sei im Verhältnis zur Beigeladenen zu 1 nicht fehlerhaft gewesen. Aber selbst wenn zugunsten der Beigeladenen zu 1 die Jahresfrist des § 66 Abs 2 SGG gegolten hätte, wäre die beim SG Berlin erhobene Klage verfristet gewesen. Es sei davon auszugehen, dass die Beklagte so früh Kenntnis von dem Bescheid vom 5.7.2005 gehabt habe, dass zum Zeitpunkt der Klageerhebung beim SG Berlin die Jahresfrist bereits abgelaufen gewesen sei. Ihm, dem Kläger, liege eine Mitteilung der Beklagten vor, dass sie den Bescheid vom 5.7.2005 bereits am 17.2.2006 auf dem Postweg an die Beigeladene zu 1 übersandt habe. Es sei davon auszugehen, dass die Beklagte der Beigeladenen zu 1 dieses Schreiben am gleichen Tag per Fax zugeleitet habe. Jedenfalls sei aber zu diesem Zeitpunkt das Recht der Beigeladenen zu 1, Klage gegen die Beklagte zu erheben, verwirkt gewesen. In einer Vereinbarung zwischen den am gemeinsamen Beitragseinzug beteiligten Versicherungsträgern sei ua bestimmt gewesen: "Gegenüber dem Fremdversicherungsträger soll grundsätzlich keine Rechtsbehelfsbelehrung erteilt werden." Es könne nicht angehen, dass die beteiligten Versicherungsträger durch bewusstes Verhalten darauf hinwirken könnten, dass dem Rentenversicherungsträger generell eine Frist von einem Jahr zur Anfechtung der Bescheide über die Nichtfeststellung der Versicherungspflicht zur Verfügung stehe. Unabhängig davon sei die Berufung deshalb begründet, weil im streitbefangenen Zeitraum kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorgelegen habe. In der Rechtsprechung werde hinsichtlich des Gesichtspunktes des Unternehmerrisikos vermehrt nicht nur auf die finanzielle Haftung für das Unternehmen abgestellt (Hinweis auf SG München 27.4.2009 S 29 KR 186/06).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG Speyer vom 27.11.2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24.7.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.8.2007 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor: Sie verweise auf ihr bisheriges Vorbringen. Im angefochtenen Bescheid sei wegen § 49 SGB X keine Ermessensausübung erforderlich gewesen. Den am Beitragseinzug beteiligten Sozialversicherungsträgern könne nicht vorgeworfen werden, sie hätten bewusst darauf hingewirkt, dass dem jeweils zuständigen Rentenversicherungsträger keine Rechtsbehelfsbelehrung erteilt werde.
Die Beigeladene zu 1 schließt sich dem Vortrag und dem Antrag der Beklagten an und trägt weiter vor: Hinsichtlich des Einwands der Verwirkung verweise sie auf das Urteil des SG Berlin vom 13.11.2008 (S 72 KR 530/07). Von einer rechtsmissbräuchlichen Ausnutzung des § 66 Abs 2 SGG könne keine Rede sein (Hinweis auf mehrere Entscheidungen des LSG Berlin-Brandenburg).
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen zu 1 sowie die Prozessakte verwiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die nach §§ 143 f, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG – zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Die Beklagte war berechtigt, den Bescheid vom 5.7.2005 nach § 45 SGB X zurückzunehmen. Dieser Bescheid war von Anfang an rechtswidrig (dazu unten 1.). Da vorliegend § 49 SGB X eingreift, kann der Kläger nicht mit Erfolg einen Bestandsschutz nach § 45 Abs 1 bis 4 SGB X geltend machen (dazu unten 2.). Für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ist es unschädlich, dass die Beklagte in ihm kein Ermessen ausgeübt hat (dazu unten 3.).
1. Der Bescheid vom 5.7.2005 (in der Begründung geändert durch Bescheid vom 6.2.2006) war von Anfang an rechtswidrig, weil die Beklagte in ihm zu Unrecht festgestellt hat, dass die Tätigkeit des Klägers für die Firma A & G KG kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis gewesen sei. Im streitbefangenen Zeitraum lag ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vor, weshalb der Kläger in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie zur Bundesagentur für Arbeit versicherungspflichtig war. Zur Begründung verweist der Senat insoweit auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (§ 153 Abs 2 SGG). Der Vortrag des Klägers im Berufungsverfahren rechtfertigt keine andere Entscheidung. Bei Gesamtschau aller rechtserheblicher Gesichtspunkte überwiegen in ihrer Bedeutung eindeutig die Umstände, die für ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis sprechen. Der Kläger, der an der KG nicht beteiligt war, trug kein Unternehmerrisiko, und seine Eltern als Unternehmer waren ihm gegenüber weisungsbefugt, auch wenn sie von dieser Befugnis nur eingeschränkt oder überhaupt nicht Gebrauch gemacht haben mögen. Die Übernahme des Unternehmens durch den Kläger war erst in Zukunft geplant. Dem Kläger wurde zudem regelmäßig Gehalt in nicht unerheblicher Höhe auf sein privates Konto ausbezahlt; dieses Entgelt wurde von der KG als Betriebsausgabe verbucht und es wurde hiervon Lohnsteuer entrichtet. Dafür, dass der Kläger teilweise auf die Auszahlung eines zuvor verbindlich vereinbarten Gehalts verzichtet hat, liegen keine Anhaltspunkte vor, zumal kein schriftlicher Arbeitsvertrag geschlossen worden war. Unabhängig davon würde auch ein teilweiser Gehaltsverzicht bei der im vorliegenden Fall erforderlichen Gesamtwürdigung nicht ausreichen, um ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zu verneinen; ein irgendwie geartetes Unternehmerrisiko wäre mit einem teilweisen Gehaltsverzicht nicht verbunden gewesen. Dass der Kläger in seiner Tätigkeit für die KG eine hohe Eigenverantwortung hatte und faktisch einen weitgehenden Handlungsspielraum hatte, reicht nicht aus, um seine Tätigkeit als selbständige Tätigkeit zu qualifizieren.
Der Kläger war bis zum 30.9.2000 sozialversicherungspflichtig. Daran änderte die Gründung der Firma A GmbH (Beigeladene zu 3) im Jahre 2000 (Abschluss des Gesellschaftsvertrags am 2.5.2000; Registereintragung am 3.7.2000) nichts. Die Tätigkeit des Klägers für die Firma A KG dauerte bis zum 30.9.2000 an, wie den Angaben des Klägers zu entnehmen ist.
Dem Umstand, dass die Beklagte nicht befugt war, isoliert ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis festzustellen, sondern über das Vorliegen von Versicherungspflicht zu entscheiden hatte (BSG 11.3.2009 - B 12 R 11/07 R, juris ; BSG 4.6.2009 - B 12 KR 31/07 R, juris; Merten, SGb 2010, 271), kommt schon deshalb für den Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits keine Bedeutung zu, weil auch eine an sich rechtlich nicht zulässige Feststellung eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses - hier durch den Bescheid vom 5.7.2005 - in Bindungswirkung (§ 77 SGG) erwuchs und damit zu deren Beseitigung zurückgenommen werden musste.
Der Kläger war in der Zeit vom 2.5.2000 bis zum 30.9.2000 nicht nach § 5 Abs 5 SGB V wegen der Ausübung einer Tätigkeit für die Firma A GmbH versicherungsfrei in der gesetzlichen Krankenversicherung. Trotz der Gründung dieser Gesellschaft bereits vor dem 30.9.2000 war der Kläger nicht gleichzeitig für beide Firmen tätig. Vielmehr war die Firma A GmbH die Nachfolgefirma der Firma A KG, wobei sich die Tätigkeiten des Klägers in beiden Firmen deckten (Angaben des Klägers im Schreiben vom 5.8.2008).
2. Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 45 SGB X. Die Anwendbarkeit dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass nach § 49 SGB X die §§ 45 Abs 1 bis 4 SGB X nicht gelten. § 49 SGB X schließt nicht die Möglichkeit der Aufhebung des rechtswidrigen Bescheides nach § 45 SGB X aus, sondern lässt lediglich den für begünstigende Verwaltungsakte geltenden Bestandsschutz entfallen (Merten in Hauck/Noftz, SGB X, K § 49 Rn 13).
Nach § 49 SGB X greifen §§ 45 Abs 1 bis 4 SGB X nicht ein, wenn ein begünstigender Verwaltungsakt, der von einem Dritten angefochten worden ist, während des Vorverfahrens oder während des sozialgerichtlichen Verfahrens aufgehoben wird, soweit dadurch dem Widerspruch abgeholfen oder der Klage stattgegeben wird. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt.
a) Die Anfechtungsklage der Beigeladenen zu 1 gegen den Bescheid vom 5.7.2005 war zulässig und begründet (zu diesem Erfordernis als Voraussetzung der Anwendung des § 49 SGB X vgl Merten in Hauck/Noftz, aaO Rn 10; zur Begründetheit der Klage oben 1.). Die Anfechtungsklage der Beigeladenen zu 1 vor dem SG Berlin war nicht verfristet. An sich hätte die Beigeladene zu 1 diesen Bescheid zwar binnen eines Monats nach dessen Bekanntgabe anfechten müssen (§ 87 Abs 1 Satz 1 SGG). Der Beigeladenen zu 1 stand jedoch gemäß § 66 Abs 2 Satz 1 SGG eine Frist von einem Jahr seit der ihr gegenüber erfolgten Bekanntgabe des Bescheides vom 5.7.2005 zur Verfügung. Denn der Bescheid vom 5.7.2005 enthielt für sie keine zutreffende Rechtsbehelfsbelehrung. In der Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides vom 5.7.2005 wurde nur auf die Möglichkeit der Erhebung des Widerspruchs innerhalb eines Monats hingewiesen. Für die Beigeladene zu 1 war aber nicht der Widerspruch, sondern unmittelbar die Klage zulässig (§ 78 Abs 1 Nr 3 SGG). Die Beigeladene zu 1 hat die ihr hiernach zustehende Jahresfrist eingehalten. Da die Klage beim SG Berlin am 19.2.2007 (Montag) eingegangen ist, hätte die Beigeladene zu 1 die Jahresfrist nur dann versäumt, wenn ihr der Bescheid vom 5.7.2005 bereits vor dem 17.2.2006 bekanntgegeben worden wäre. Diese Voraussetzung ist aber nicht erfüllt. Zwar hat die Beklagte der Beigeladenen zu 1 den Bescheid vom 5.7.2005 bereits mit Schreiben vom 17.2.2006 übersandt; ausweislich des Eingangsstempels ist dieses Schreiben jedoch erst am 23.2.2006 bei der Beigeladenen zu 1 eingegangen. Dafür, dass die Beklagte das Schreiben vom 17.2.2006 mit dem Bescheid vom 5.7.2005 der Beigeladenen zu 1 zuvor durch Fax zugeleitet hatte, gibt es keine konkreten Hinweise, wie der Vertreter des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat eingeräumt hat.
b) Die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung war abstrakt geeignet, die Beigeladene zu 1 von der Klageerhebung innerhalb eines Monats abzuhalten (zu diesem Erfordernis Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 66 Rn 12). Dies ist der Fall, wenn die unrichtigen Angaben in der Rechtsbehelfsbelehrung wie hier deren Informationswert mindern (BSG 2.3.1995 - 7 BAr 196/94, SozR 3-1500 § 66 Nr 3). Ob für den Betroffenen - hier die Beigeladene zu 1 - die an sich einzuhaltende Frist auf der Hand liegt (vgl Czybulka in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Auflage, § 58 VwGO Rn 74) oder ihm sogar konkret bekannt ist, ist rechtlich unerheblich.
c) § 66 Abs 2 Satz 1 SGG ist nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) wegen Verwirkung unanwendbar. Verwirkung tritt in der Regel nicht vor Ablauf der Jahresfrist ein (Kopp/Schenke, VwGO, 16. Auflage, § 74 Rn 20). In Ausnahmefällen kann zwar das Klagerecht bereits vor Ablauf der Jahresfrist verwirkt sein (Czybulka aaO Rn 78). Voraussetzung hierfür ist aber, dass der Beteiligte, der das Klagerecht hat, nicht nur passiv abgewartet, sondern konkreten Anlass zu der Annahme gegeben hat, er werde keinen Rechtsbehelf einlegen (Czybulka aaO mit Hinweisen auf die Rechtsprechung im öffentlichen Baurecht). Daher genügt es für Verwirkung nicht, dass die Einzugsstelle dem Rentenversicherungsträger üblicherweise keine Rechtsmittelbelehrung erteilt oder dies zwischen den beteiligten Sozialversicherungsträgern sogar ausdrücklich vereinbart ist.
d) Zwar beschränkt sich der Anwendungsbereich des Grundsatzes von Treu und Glauben nicht ausnahmslos auf die oben bei c) angeführten Fälle der Verwirkung. Auch unter diesem Gesichtspunkt verstößt jedoch die Anwendung der Jahresfrist des § 66 Abs 2 Satz 1 SGG nicht gegen Treu und Glauben. Zwar begegnet die Vereinbarung der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung, dass dem Fremdversicherungsträger regelmäßig keine Rechtsmittelbelehrung erteilt werden soll, in Anbetracht der grundsätzlichen Obliegenheit zur Erteilung einer solchen (vgl § 66 SGG), grundlegenden rechtlichen Bedenken. Die Nichtanwendung einer gesetzlichen Vorschrift (hier: § 66 Abs 2 Satz 1 SGG) wegen des Grundsatzes von Treu und Glauben ist jedoch allenfalls in besonderen Ausnahmefällen möglich, in denen die Verfolgung einer Rechtsposition dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden gänzlich widerspricht. Dies ist jedenfalls bei der vorliegend gegebenen Fallgestaltung nicht der Fall (im Ergebnis ebenso LSG-Berlin-Brandenburg in ständiger Rechtsprechung, zB 23.7.2009 - L 1 KR 406/08). Die Beklagte hatte die Beigeladene zu 1 vor der Erteilung des Bescheides vom 5.7.2005 nicht in das Verfahren einbezogen, obwohl diese in derartigen Fallkonstellationen auf die Beteiligung besonderen Wert legt (vgl Bl 20 VA der Beigeladenen zu 1). Jedenfalls bei einer solchen Fallgestaltung, bei welcher der Rentenversicherungsträger ohne vorherige Kenntnis der Sachlage innerhalb eines Monats Klage erheben müsste, wenn § 66 Abs 2 Satz 1 SGG nicht angewandt würde, kommt der Grundsatz von Treu und Glauben nicht zugunsten des Bürgers zur Anwendung.
3. Der angefochtene Bescheid ist nicht wegen fehlender Ermessensausübung rechtswidrig. § 49 SGB X dispensiert lediglich von den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 SGB X, ohne dass damit eine Ermessensbetätigung generell entbehrlich wäre (vgl Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 49 SGB X Rn 8; Merten aaO Rn 14). Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte aber kein Ermessen auszuüben. In Verfahren, in denen es um die Feststellung von Versicherungspflicht geht, ist das Ermessen der Einzugsstelle, den rechtswidrigen Bescheid zurückzunehmen, jedenfalls dann auf Null reduziert, wenn keine besonderen Aspekte, insbesondere Vertrauensschutzgesichtspunkte (zur Frage, ob diese im Rahmen einer Ermessensausübung in den Fällen des § 49 SGB X überhaupt berücksichtigungsfähig sind, vgl Merten aaO), vorliegen, die eine andere Entscheidung rechtfertigen können (vgl zur Ermessensreduzierung auf Null bei Anwendung des § 50 Verwaltungsverfahrensgesetz VwVfG Bundesverwaltungsgericht - BVerwG - 8.11.2001 - 4 C 18/00, juris). Denn ansonsten wäre der gebotene Rechtsschutz der Beigeladenen zu 1, die im öffentlichen Interesse für die Wahrung der Belange ihrer Versichertengemeinschaft zuständig ist, nicht gesichert. Vorliegend ist nichts ersichtlich, was eine Ermessensentscheidung zugunsten des Klägers hätte rechtfertigen können. Der Kläger durfte spätestens nach dem Erhalt des Schreibens der Beklagten vom 23.6.2006 nicht mehr damit rechnen, dass es bei der Feststellung im Bescheid vom 5.7.2005 verbleiben würde. Dafür, dass er zwischen dem Bescheid vom 5.7.2005 und dem Erhalt des Schreibens vom 23.6.2006 Vermögensdispositionen getroffen hat, zu deren Rückgängigmachung er jetzt mit erheblichen nachteiligen Folgewirkungen gezwungen wäre, gibt es keine Anhaltspunkte. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass er sich wegen der Rücknahme des Bescheides vom 5.7.2005 von den von ihm erworbenen Beteiligungszertifikaten mit Verlust trennen müsste.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision wird zugelassen. Denn die Fragen, ob bei einer Fallgestaltung wie der vorliegenden § 66 Abs 2 Satz 1 SGG unanwendbar und im Rahmen der Anwendung des § 45 SGB X das Ermessen auf Null reduziert ist, sind von grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
Rechtskraft
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