L 5 KR 246/13

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Trier (RPF)
Aktenzeichen
S 3 KR 33/13
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 5 KR 246/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zuwendungen Angehöriger zu ungedeckten Heimunterbringungskosten gehören zu den Bruttoeinnahmen des Versicherten zum Lebensunterhalt.
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 27.08.2013 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Betrag in Höhe von 29,09 EUR als doppelter Festzuschuss zu Zahnersatzkosten.
Die 1922 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie verfügte im Kalenderjahr 2012 über Renteneinkünfte der landwirtschaftlichen Sozialversicherung in Höhe von zunächst 289,84 EUR brutto (ab 01.07.2012: 296,24 EUR brutto) und der Deutschen Rentenversicherung in Höhe von zunächst 486,37 EUR brutto (ab 01.07.2012: 496,94 EUR brutto) monatlich. Die Klägerin wohnt im Seniorenheim R P in D und erhält Pflegesachleistungen; bis April 2012 war sie in die Pflegestufe I und seither ist sie in die Pflegestufe II eingestuft. Bis April 2012 verblieb zu den Kosten des Heimplatzes nach Abzug der Pflegesachleistungen und der monatlichen Nettorenten eine Differenz in Höhe von zumindest monatlich 1.039,87 EUR, seither in Höhe von monatlich 1.306,37 EUR (vgl. Aufstellung Bl. 61 f Verwaltungsakte der Beklagten). In Höhe der ungedeckten Heimkosten erhält die Klägerin Zuwendungen ihrer Kinder.
Die Zahnärztin D stellte der Klägerin für Zahnersatzkosten am 25.09.2012 61,27 EUR in Rechnung, abzüglich des Festzuschusses der Beklagten in Höhe von 29,09 EUR betrug der Eigenanteil der Klägerin 32,18 EUR. Die Gewährung eines doppelten Festzuschusses lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10.10.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.01.2013 ab, weil die Voraussetzungen hierfür nach § 55 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht erfüllt seien, da neben den Renteneinkünften der Klägerin auch die Unterhaltsleistungen ihrer Angehörigen zur Deckung der ungedeckten Kosten der Heimunterbringung als Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt zu berücksichtigen seien. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Bevollmächtigten der Klägerin am 16.02.2013 zugestellt.
Am 01.03.2013 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Trier (SG) erhoben. Sie hat geltend gemacht, die Beklagte rechne zu Unrecht Heimunterbringungskosten als Einnahmen zum Lebensunterhalt an. Wäre sie, die Klägerin, nicht durch einen Unfall und Krankheit pflegebedürftig geworden, hätte sie in ihrer Wohnung (Wohnrecht) verbleiben können und von ihren Renteneinkünften gut leben könne. In diesem Fall hätte sie den beantragten doppelten Festzuschuss erhalten, weil ihre Bruttoeinnahmen unterhalb des Grenzbetrages von 1.050,00 EUR gelegen hätten. Nun aber werde sie dafür bestraft, dass sie gebrechlich und krank sei und dadurch Kosten entstünden, die von ihren Angehörigen getragen würden.
Durch Urteil vom 27.08.2013 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte habe zu Recht die Gewährung eines doppelten Festzuschusses nach § 55 Abs. 2 SGB V abgelehnt, weil bei der Klägerin keine dies rechtfertigende unzumutbare Belastung im Sinne des Gesetzes vorliege. Eine unzumutbare Belastung liege nach § 55 Abs. 2 Satz 2 SGB V vor, wenn (1.) die monatlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt des Versicherten 40 % der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) nicht überschreiten, (2.) der Versicherte Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) oder im Rahmen der Kriegsopferfürsorge nach dem Bundesversorgungsgesetz, Leistungen nach dem Recht der bedarfsorientierten Grundsicherung, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz oder dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) erhält oder (3.) die Kosten der Unterbringung in einem Heim oder einer ähnlichen Einrichtung von einem Träger der Sozialhilfe oder der Kriegsopferfürsorge getragen werden. Bei der Klägerin sei keiner dieser Tatbestände erfüllt. Die Aufzählung in § 55 Abs. 2 Satz 2 SGB V sei abschließend, die Tragung der Kosten der Unterbringung im Heim durch andere als den Sozialhilfeträger werde deshalb von § 55 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB V nicht erfasst. Es komme auch nicht darauf an, ob die Klägerin möglicherweise einen Anspruch auf Übernahme der ungedeckten Heimkosten durch den Sozialhilfeträger haben könnte, maßgeblich sei allein der tatsächliche Bezug der Leistung vom Sozialhilfeträger (Hinweis auf Altmiks, in: juris PK SGB V, 2. Auflage 2012, § 55 Rn. 127). Insbesondere verfüge die Klägerin auch über monatliche Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt, die 40 % der monatlichen Bezugsgröße, im maßgeblichen Zeitraum 1.050,00 EUR, überstiegen. Unter dem Begriff "Einnahmen zum Lebensunterhalt" fielen alle nicht für andere Zwecke gebundenen persönlichen, geldwerten oder geldlichen Zuflüsse an den Versicherten (Hinweis auf Altmiks a.a.O., § 55 Rn. 102). Neben den Renten habe die Klägerin Einnahmen zum Lebensunterhalt in Form der durch ihre Kinder gezahlten Heimunterbringungskosten. Durch diese Zahlungen werde der Lebensunterhalt gestaltet, nämlich der im Heim. Hierdurch werde ihr Lebensunterhalt im Rahmen des Heimaufenthaltes gedeckt. Dass es sich bei den Zahlungen zur Deckung der Heimunterbringungskosten nach der grundlegenden Vorstellung des Gesetzgebers um Einnahmen zum Lebensunterhalt handele, ergebe sich aus dem Zusammenspiel der Regelungen des § 55 Abs. 2 Satz 2 Nummern 1 und 3 SGB V. Handelte es sich bei den Heimunterbringungskosten, unabhängig davon wer diese trägt, nicht um Einnahmen zum Lebensunterhalt, hätte es der Regelung in § 55 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB V nicht bedurft. Soweit bei der Klägerin erst durch ihre Pflegebedürftigkeit so hohe Einnahmen vorhanden seien, dass im Vergleich zur Zeit vor dem Heimaufenthalt eine höhere Belastungsgrenze konstatiert werden müsse, begründe dies keinen Verfassungsverstoß. Das Bundessozialgericht (BSG) habe bezogen auf die im SGB V normierte Regelung über Zuzahlungen (§ 62 SGB V), die hinsichtlich der Formulierung der Einnahmen zum Lebensunterhalt der hier im Streit stehenden Regelung des § 55 SGB entspreche, bereits entschieden, dass kein Verstoß gegen Artikel 3 GG vorliege. Vielmehr sei der Gesetzgeber berechtigt, typisierende und pauschalierende Regelungen zu treffen, ohne allein wegen der damit verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen (Hinweis auf BSG 22.04.2008 – B 1 KR 20/07 R).
Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 17.09.2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 17.10.2013 die im angefochtenen Urteil ausdrücklich zugelassene Berufung eingelegt. Sie macht geltend, von der Beklagten werde fälschlich der Begriff "Heimunterbringungskosten" pauschal für alle Kosten des Heims abzüglich der Leistungen durch die Pflegeversicherung benutzt und als sogenannte "Hotelkosten" dem allgemeinen Lebensunterhalt zugerechnet. Tatsächlich entsprächen aber lediglich die in der Rechnung des Seniorenhauses R P vom 01.08.2012 (Bl. 61 Prozessakte) aufgeführten Kosten für Unterkunft und Verpflegung (770,97 EUR), Einzelzimmerzuschlag (31.62 EUR), Grundgebühr Telefon (7,70 EUR) sowie Verwaltungsgebühr Telefon (1,50 EUR), mithin insgesamt 811,79 EUR Kosten der normalen Lebensführung und könnten somit als "Hotelkosten" gewertet werden. Alle anderen Rechnungsposten insgesamt 2.528,36 EUR abzüglich der Leistungen der Pflegekasse in Höhe von monatlich 1.279,00 EUR , mithin insgesamt 1.249,36 EUR, seien Kosten, die durch Krankheitsfolgen, Behinderung und Hilfsbedürftigkeit bedingt seien und nicht Kosten einer üblichen Lebensführung. Es sei daher nicht zulässig, dass die zur Deckung dieser Kosten von ihren Kindern erbrachten Zuwendungen bei den Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt hinzugerechnet würden. Schließlich erleide sie dadurch einen Nachteil, dass ihre Kinder die ungedeckten Heimkosten zahlten und sie, die Klägerin, nicht zunächst auf die Inanspruchnahme des Sozialhilfeträgers verwiesen hätten, der dann seinerseits ihren Kindern gegenüber Unterhaltsansprüche erst hätte geltend machen müssen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 27.08.2013 und den Bescheid der Beklagten vom 10.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.01.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie weitere 29,09 EUR zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Der Akteninhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung.
Entscheidungsgründe:
Die kraft Zulassung durch das SG statthafte, von der Klägerin form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das SG hat die Klage mit zutreffenden Erwägungen zu Recht abgewiesen. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz SGG).
Bei der Ermittlung, ob eine unzumutbare Belastung im Sinne des § 55 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB V vorliegt, ist die Höhe der "monatlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt" festzustellen. Hierunter fallen die persönlichen Einnahmen des Versicherten, die dem tatsächlichen Lebensunterhalt dienen; nicht dazu gehören zweckgebundenen Zuwendungen (z.B. zur Abdeckung eines Mehrbedarfs, wie etwa Pflegegeld, Blindenzulage oder Kindergeld). Der Begriff erfasst nicht (nur) die Summe der Einkünfte im Sinne des Einkommensteuerrechts, sondern alle Einnahmen, die dem Versicherten bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise zur Bestreitung seines Lebensunterhalts zur Verfügung stehen. Hierzu zählen, wie das BSG zur entsprechenden Regelung des § 62 SGB V in der bereits vom SG zitierten Entscheidung vom 19.09.2007 (B 1 KR 1/07 R, juris Rn. 19) ausdrücklich hervorgehoben hat, auch freigiebige Leistungen dritter, nicht mit dem Versicherten im gemeinsamen Haushalt lebender Angehöriger des Versicherten, selbst wenn die Zuwendungen für einen bestimmten Zweck gewährt werden. Auch die der Klägerin von ihren Kindern zugewendeten Beträge zur Deckung ihrer ungedeckten Heimunter-bringungskosten dienen der Sicherung ihres Lebensunterhalts im Altenpflegeheim und flossen ihr nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu, weil sie sie von ihrer Verbindlichkeit gegenüber dem Altenpflegeheim befreiten. Sie sind daher den "Einnahmen zum Lebensunterhalt" zuzurechnen (so bereits Senatsurteil vom 15.05.2008 L 5 KR 158/07, rechtskräftig, zur Regelung des § 62 SGB V).
Die Klägerin erfüllt auch nicht, wie das SG im Einzelnen dargelegt hat, die Voraussetzungen für die Annahme einer unzumutbaren Belastung nach § 55 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 oder 3 SGB V. Insoweit kann sie auch nicht mit ihrem Einwand gehört werden, sie werde dafür "bestraft", dass ihre Kinder ihr freiwillig Unterhalt gewährten, und sie nicht auf die Inanspruchnahme des Sozialhilfeträgers verwiesen hätten. Nur die Feststellung der Bedürftigkeit durch den Sozialhilfeträger selbst und die Gewährung entsprechender Leistungen im Sinne des § 55 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 oder Nr. 3 SGB V erfüllt die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen. Die Beschränkung auf diese Gruppe der Leistungsbezieher verstößt auch nicht gegen das Gleichheitsgebot des Artikel 3 GG (vgl. BSG 22.04.2008 – B 1 KR 20/07 R).
Sind damit den bezogenen Renten der landwirtschaftlichen Alterskasse und der Deutschen Rentenversicherung die Zahlungen der Angehörigen hinzuzurechnen, kommt im Ergebnis weder die Zahlung des doppelten Festzuschusses nach § 55 Abs. 2 SGB V noch eine weitere Zuschussgewährung zur Versorgung mit Zahnersatz im Rahmen der gleitenden Härtefallregelung des § 55 Abs. 3 SGB V in Betracht.
Die Höhe der Belastungsgrenze für 2012 ist nicht Gegenstand der streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten und kann daher nicht zulässig zum Gegenstand des Rechtsstreits gemacht werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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