L 5 KR 91/14 B ER

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Speyer (RPF)
Aktenzeichen
S 13 KR 165/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 5 KR 91/14 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
§ 13 Abs. 3a SGB V gilt nur für das Antrags-, nicht aber für das Widerspruchsverfahren
1. Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Speyer vom 10.4.2014 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Umstritten ist, ob die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten ist, den Antragstellern eine stationäre Leistung in Form einer Mutter-Kind-Maßnahme zu bewilligen.
Die Antragstellerin zu 1, die verheiratet und beruflich als Augenoptikerin tätig ist, ist die Mutter des am 2009 geborenen Antragstellers zu 2. Sie stellte am 10.3.2014 bei der Antragsgegnerin einen Antrag auf eine Mutter-Kind-Kur. In einer von ihr vorgelegten Stellungnahme des Arztes Dr B vom 22.2.2014 heißt es: Die Antragstellerin zu 1 leide seit ca einem Jahr an Abgeschlagenheit und Er-schöpfungsgefühl. Sie komme mit der Doppelbelastung durch Familie/Mutterschaft und Beruf nicht zurecht. Bei ihr lägen folgende Gesundheitsstörungen vor: 1. psychosomatisches Erschöpfungssyndrom, 2. rezidivierende biomechanische Funktionsstörung der Wirbelsäule, 3. Spannungskopfschmerz, 4. chronische Adipositas (Gewicht 104,8 kg bei 168 cm Körpergröße). Die psychosoziale Situation der Antragstellerin sei geordnet.
Die Antragsgegnerin lehnte den Antrag mit Bescheid vom 13.3.2014 ab, da die medizinischen Voraussetzungen einer Mutter-Kind-Maßnahme nicht erfüllt seien; zu empfehlen seien die Durchführung einer Ernährungsberatung und einer Psychotherapie. Gegen diesen Bescheid legten die Antragsteller mit Schreiben vom 20.3.2014 Widerspruch ein.
Am 24.4.2014 haben die Antragsteller Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht (SG) gestellt. Sie haben ua vorgetragen, auf eine spezifische Mutter-Kind-Problematik komme es für einen Anspruch auf eine Mutter-Kind-Kur nicht an; im Übrigen sei eine solche Problematik vorliegend gegeben. Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, nach summarischer Prüfung fehle es an einem Anordnungsanspruch, zumal bei der Antragstellerin zu 1 keine mutterspezifische Problematik bestehe; ferner sei kein Anordnungsgrund gegeben; zudem dürfe die Hauptsache nicht vorweggenommen werden.
Die Antragsgegnerin hat dem SG ein von ihr veranlasstes Gutachten nach Aktenlage der Ärztin Dr C vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) vom 4.4.2014 vorgelegt, worin es ua heißt, Dr B habe telefonisch angegeben: Im letzten Jahr hätten bei der Antragstellerin zu 1 keine gehäuften Arztbesuche stattgefunden. Die Antragstellerin zu 1 habe sich ab und zu wegen Wirbelsäulenblockaden vorgestellt. Nach seiner Beobachtung bestehe eine ausgeglichene Mutter-Kind-Beziehung. Eine besondere Vulnerabilität der Antragstellerin zu 1 sei nicht erkennbar. Der Tod ihres Bruders liege zehn Jahre zurück. Die Ehe der Antragstellerin zu 1 sei intakt; es bestünden keine besonderen familiären Belastungen. Die Ärztin Dr C hat in dem Gutachten vom 4.4.2014 ausgeführt: Erhebliche mutterspezifische Kontextfaktoren seien auch nach telefonischer Rücksprache mit dem Hausarzt nicht erkennbar. Die Antragstellerin zu 1 erziehe gemeinsam mit ihrem Ehemann ein Kind. Bei gleichzeitiger Halbtagstätigkeit seien ausreichende zeitliche Ressourcen zur Durchführung einer Ernährungsberatung anzunehmen. Eine erhebliche psychische Symptomatik, die eine ambulante Psychotherapie erfordere, werde nicht deutlich.
Durch Beschluss vom 10.4.2014 hat das SG Speyer den Antrag der Antragsteller auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Die Antragsteller hätten einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Es gebe keine konkreten Anhaltspunkte für eine spezifische Indikation für die Gewährung einer Mutter-Kind-Maßnahme. Spezifischer Zweck einer stationären Vorsorgemaßnahme in einer Einrichtung des Müttergenesungswerks oder einer gleichartigen Einrichtung sei die Reduzierung gesundheitlicher Belastungen, die wesentlich aus der Elternrolle herrührten. Angestrebt sei die Minderung solcher gesundheitlicher Belastungen, die gerade aus der Stellung des Versicherten als Mutter oder Vater eines oder mehrerer Kinder verursacht oder aufrechterhalten würden. Die Ausführungen in der Antragsschrift seien ungeeignet, eine solche spezifische Indikation zu belegen. Die Antragstellerin zu 1 sei weder kinderreich noch alleinerziehend; auch für das Vorliegen eines "klassischen Risikofaktors" wie Alkohol-, Nikotin- oder Medikamentengenuss finde sich in den Unterlagen nichts. Der verordnende Arzt habe im Gegenteil eine geordnete psychosoziale Situation und eine intakte Familie bescheinigt. Er habe zudem rein körperlich orientierte therapeutische Maßnahmen angeregt, nicht aber eine Erziehungsberatung oder eine psychologische Beratung. Es fänden auch keine gehäuften Arztkontakte statt, und die Antragstellerin zu 1 sei seit der Geburt ihres Sohnes nur vereinzelt kurzzeitig arbeitsunfähig gewesen. Zudem sei nicht ersichtlich, dass den Antragstellern ohne die einstweilige Anordnung schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden. Insofern sei durchaus zu berücksichtigen, ob es weitere Behandlungsoptionen am Wohnort gebe, die geeignet seien, eine etwaige Verschlechterung des Gesundheitszustandes abzuwenden. Die Behauptung, dass dies nur durch die begehrte Maßnahme geschehen könne, sei durch nichts belegt.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 24.4.2014 eingelegte Beschwerde der Antragsteller, die ihren bisherigen Vortrag wiederholen und ergänzen: Die Annahme des SG, dass Kontextindikationen für eine Mutter-Kind-Kur nicht glaubhaft gemacht seien, sei nicht nachvollziehbar. Da die Antragsgegnerin im Widerspruchsverfahren nicht innerhalb der in § 13 Abs 3a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) vorgegebenen Frist mitgeteilt habe, dass sie den MDK konsultieren wolle, gelte die beantragte Maßnahme als bewilligt. Sowohl die Dreiwochenfrist als auch die Fünfwochenfrist des § 13 Abs 3a SGB V zur Bescheidung des Widerspruchs seien abgelaufen. § 13 Abs 3a SGB V gelte auch für das Widerspruchsverfahren (Hinweis auf Vogl NZS 2014, 210 ff). Die Antragsteller haben sich im Übrigen auf ihr Vorbringen in der Widerspruchsschrift vom 20.3.2014 bezogen.
II.
Die nach §§ 172, 173 SGG zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Die begehrte einstweilige Anordnung (§ 86b Abs 2 SGG) ist nicht zu erlassen, weil ein Anordnungsanspruch nicht hinreichend glaubhaft gemacht ist.
Nach § 24 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte unter den in § 23 Abs 1 SGB V genannten Voraussetzungen Anspruch auf aus medizinischen Gründen erforderliche Vorsorgeleistungen in einer Einrichtung des Müttergenesungswerkes oder einer gleichartigen Einrichtung; die Leistung kann in Form einer Mutter-Kind-Maßnahme erbracht werden. Gemäß § 41 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte unter den in § 27 Abs 1 genannten Voraussetzungen Anspruch auf aus medizinischen Gründen erforderliche Rehabilitationsleistungen in einer Einrichtung des Müttergenesungswerks oder einer gleichartigen Einrichtung; die Leistung kann in Form einer Mutter-Kind-Maßnahme erbracht werden. Ob vorliegend die Voraussetzungen einer Mutter-Kind-Maßnahme nach § 24 SGB V oder § 41 SGB V erfüllt sind, ist offen und bedarf näherer medizinischer Feststellungen. Beim gegenwärtigen Sach- und Streitstand spricht aber eher mehr gegen als für einen Anspruch, und die erforderliche Interessenabwägung (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 86b Rn 29a) erfordert den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung nicht.
Es kann offenbleiben, ob die Voraussetzungen einer Mutter-Kind-Kur nur erfüllt sind, wenn die Gesundheitsstörungen der Versicherten durch ihre Stellung als Mutter aufrechterhalten werden (verneinend LSG Rheinland-Pfalz 21.6.2012 – L 5 KR 34/12; abweichend LSG Berlin-Brandenburg 24.9.2013 – L 9 KR 312/12 B; Waßer in juris-PK SGB V, § 41 Rn 10). Denn nach dem bisherigen Sach- und Streitstand bestehen unabhängig davon erhebliche Bedenken, ob vorliegend die Anforderungen einer Mutter-Kind-Kur gegeben sind. Zwar ist es nicht erforderlich, dass vor einer solchen Maßnahme mögliche ambulante Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind (LSG Rheinland-Pfalz 21.6.2012 aaO; Gesetzesbegründung zum Entwurf des GKV-WSG; BT-Drucksache 16/3100 Seite 101). Voraussetzung einer Mutter-Kind-Kur ist es aber, dass die Kur notwendig ist und das Vorsorge- bzw Rehabilitationsziel nicht durch zweckmäßigere bzw wirtschaftliche Maßnahmen erreicht wird; dabei ist das ganzheitliche Therapiekonzept, wie es die Einrichtungen des Muttergenesungswerks oder gleichartige Einrichtungen vorhalten, von Bedeutung (LSG Rheinland-Pfalz 21.6.2012 aaO). An der Notwendigkeit der Mutter-Kind-Kur in diesem Sinne bestehen bei der Antragstellerin zu 1 erhebliche Bedenken. Der Arzt Dr B hat zwar in seiner Stellungnahme vom 22.2.2014 einige Gesundheitsstörungen der Antragstellerin zu 1 genannt. Eingehende medizinische Befunde haben die Antragsteller aber auch im Beschwerdeverfahren nicht vorgelegt. Wie die Ärztin im MDK Dr C in ihrem Gutachten vom 4.4.2014 angeführt hat, hat Dr B telefonisch angegeben, im letzten Jahr hätten keine gehäuften Arztbesuche stattgefunden; die Antragstellerin zu 1 habe sich nur ab und zu wegen Wirbelsäulenblockaden vorgestellt. Der Ärztin Dr C zufolge sind keine Anhaltspunkte für eine erhebliche psychische Symptomatik ersichtlich. Bei dieser Sachlage bestehen deutliche Zweifel an der Notwendigkeit einer Mutter-Kind-Kur.
Die Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a Satz 6 SGB V liegen nicht vor. Im Antragsverfahren hat die Antragsgegnerin innerhalb von drei Wochen nach Antragstellung (vgl § 13 Abs 3a Satz 1 SGB V) entschieden. § 13 Abs 3a Satz 6 SGB V gilt nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht für das Widerspruchsverfahren. Die gegenteilige Auffassung von Vogl (NZS 2014, 210 ff) überzeugt nicht. Nach dem eindeutigen Wortlaut von § 13 Abs 3a Satz 1 und 2 SGB V ("über einen Antrag auf Leistungen") bezieht sich § 13 Abs 3 a SGB V nur auf das Antrags-, nicht aber auf das Widerspruchsverfahren. Aus der Entstehungsgeschichte (vgl Begründung zum Gesetz zur Verbesserung der Rechte der Patientinnen und Patienten vom 20.2.2013 – BGBl I 277 –, BT-Drucksache 17/10488 Seite 32; Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit, BT-Drucksache 17/11710 Seite 30) ergeben sich keine Anhaltspunkte für einen weitergehenden Anwendungsbereich der Vorschrift.
Bei der gegebenen Sachlage ist es den Antragstellern zumutbar, den Ausgang eines Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Das SG wird gehalten sein, den Sach-verhalt zügig aufzuklären, sofern dies nicht bereits im Widerspruchsverfahren erfolgt ist – insoweit drängt sich eine persönliche Untersuchung der Antragstellerin zu 1 durch den MDK auf –, damit die Notwendigkeit einer Mutter-Kind-Kur abschließend beurteilt werden kann.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved