Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Mainz (RPF)
Aktenzeichen
S 14 P 33/14
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 5 P 25/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 21.4.2015 sowie der Bescheid der Beklagten vom 20.8.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3.4.2014 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ab dem 27.6.2013 einen Wohngruppenzuschlag nach § 38a SGB XI zu gewähren.
2. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Umstritten ist ein Anspruch auf einen Wohngruppenzuschlag nach § 38a Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI).
Die Klägerin, bei der Beklagten pflegeversichert, erhält von dieser seit September 2011 Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe II und seit April 2014 nach der Pflegestufe I. Sie lebt seit dem 15.9.2012 im Haus S in W , einer Wohngemeinschaft für demenziell Erkrankte. Träger der Einrichtung Wohngemeinschaft S ist der Caritasverband W eV. In dem Haus gibt es zwei separate Wohngruppen mit jeweils 11 Bewohnern.
Die Klägerin schloss mit der C Caritas Dienstleistungs- und Serviceunternehmen W GmbH, einer Tochtergesellschaft des Caritasverbandes W eV, einen Mietvertrag über einen Wohnraum mit einer Wohnfläche von 37,68 qm (da-von 23,09 qm Allgemeinfläche zur gemeinsamen Nutzung, 14,59 qm persönliche Wohnfläche). Die Bruttowarmmiete beträgt monatlich 367,27 EUR. In § 18 Abs. 1 dieses Vertrages heißt es:
(I) Mit dem Abschluss dieses Mietvertrages ist der Mieter als Mitglied der Mietergemeinschaft im Haus (Kolpingstr 12, 67549 Worms) berechtigt, darüber zu entscheiden, wer die persönlichen Dienstleistungen
Pflege
hauswirtschaftliche Leistungen
Mahlzeitenversorgung
sonstige hauswirtschaftliche Leistungen
persönliche Beratung und Unterstützung
soziale Betreuung und ständige Personalpräsenz
jeweils für die Mieter erbringt. Das Nähere über die Rechte und Pflichten beim Empfang der persönlichen Dienstleistungen ergibt sich aus dem entsprechenden Vertrag mit dem jeweiligen Leistungserbringer der persönlichen Dienstleistungen.
(2) Im ersten Quartal eines Kalenderjahres wählt die Mietergemeinschaft jährlich jeweils für 2 Jahre eine Sprecherin oder einen Sprecher und eine stellvertretende Sprecherin oder Sprecher, die die Interessen der Mieter im Bereich der persönlichen Dienstleistungen Dritter vertreten.
(3) Zur Herbeiführung einer Entscheidung über die Erbringung der persönlichen Leistungen lädt der Sprecher oder im Fall der Verhinderung der stellvertretende Sprecher der Mietergemeinschaft im 1. Quartal eines Kalenderjahres die Mietergemeinschaft schriftlich zu einer Versammlung ein. Beschlüsse der Mietergemeinschaft werden mit einfacher Mehrheit gefasst.
(4) Die Versammlung ist beschlussfähig, wenn die Hälfte der Mieter der Mietergemeinschaft anwesend ist oder durch schriftlich bevollmächtigte Personen vertreten wird. Wenn die Versammlung nicht beschlussfähig ist, beruft der Sprecher innerhalb von vier Wochen eine neue Versammlung schriftlich ein, die ohne Rücksicht auf die Beschlussfähigkeit beschlussfähig ist. Hierauf ist in der schriftlichen Einladung hinzuwirken.
(5) Hat die Mietergemeinschaft eine Auswahl-Entscheidung über die Anbieter der persönlichen Dienstleistung getroffen, wird der Mieter von seiner Verpflichtung, die vereinbarte Vergütung zu zahlen, nicht frei, wenn er die Dienstleistungen abweichend von der Auswahlentscheidung von anderen Leistungserbringern entgegen nimmt. Die Mietergemeinschaft kann den Sprecher durch Beschluss bevollmächtigen, die Verträge mit den Leistungserbringern im Namen und mit Vollmacht der Mieter abzuschließen, nachdem sie darüber mehrheitlich abgestimmt haben.
Die Klägerin schloss außerdem mit dem Caritasverband W eV einen Betreuungsvertrag vom 15.9.2012 über benötigte Hilfeleistungen. Darin heißt es ua:
§ 1 Vertragsgegenstand
Dieser Vertrag regelt im Rahmen des Wohnens in der Hausgemeinschaft St Nikolaus in Worms die Erbringung der im Alltag benötigten Hilfestellungen des Auftraggebers für den Auftragnehmer, soweit sie nicht Gegenstand des Pflegevertrages über ambulante Leistungen nach SGB XI (Leistungen bei häuslicher Pflege nach § 36 SGB XI) und SGB V (häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V) sind.
§ 2 Leistungsbeschreibung
(1) Zu den Hilfestellungen gehören Mahlzeitenversorgung, sonstige hauswirtschaftliche Leistungen, persönliche Beratung und Unterstützung, soziale Betreuung und ständige Personalpräsenz.
(5) Zur sozialen Betreuung gehört insbesondere die Gestaltung des Alltags (Tagesstrukturierung) und Gemeinschaftsveranstaltungen.
(6) Bei der ständigen Personalpräsenz ist sichergestellt, dass die Mieter der Hausgemeinschaft jederzeit eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter des Auftraggebers ansprechen können.
Die Mietergemeinschaft beauftragte die Sozialstation S , deren Träger der Caritasverband eV ist, mit der Erbringung der Pflegeleistungen.
Unter dem 4.6.2013 beantragte die Klägerin bei der Beklagten einen Wohngruppenzuschlag nach § 38a SGB XI. Mit Bescheid vom 20.8.2013 und Widerspruchsbescheid vom 3.4.2014 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab. Zur Begründung hieß es: Bei der Wohngemeinschaft handele es sich nicht um eine ambulant betreute Wohngruppe im Sinne des § 38a SGB XI. Die Einrichtung sei keine selbstorganisierte Wohngemeinschaft nach § 6 des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes über Wohnformen und Teilhabe (LWTG), sondern unterliege nach § 5 LWTG der Heimaufsicht. Die Wohngruppe sei nicht selbst-, sondern fremdorganisiert. Es fehle an der freien Wählbarkeit der Pflege- und Betreuungsleistungen.
Am 29.4.2014 hat die Klägerin Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen: Das Erfordernis der freien Wählbarkeit der Pflege- und Betreuungsleistungen sei nach § 18 des Mietvertrages erfüllt. Diese Regelung werde auch tatsächlich gelebt, wie der Beschluss der Mietergemeinschaft vom 19.11.2012 belege. § 38a SGB XI greife auch für fremdbestimmte Wohngruppen ein. Es komme nicht darauf an, ob die Wohngemeinschaft unter § 5 oder § 6 LWTG falle; entscheidend sei die vorliegend gegebene heimrechtliche Zulässigkeit. Die Bewohner könnten die Gemeinschaftsräume frei gestalten. Die Klägerin hat das Ergebnisprotokoll und die Anwesenheitsliste über die Mieterversammlung vom 19.11.2012 vorgelegt. Dort heißt es ua:
3. Wahl des ambulanten Pflegedienstes in der Wohngemeinschaft
Es wurden von den Mietern keine Neuvorschläge eingebracht. Somit ist Sozialstation St Lioba weiterhin im Bereich des SGB XI und V Leistung tätig. Die Mieter sind sehr zufrieden.
Ferner hat die Klägerin den Pflegevertrag mit der Sozialstation S vom 15.9.2012 vorgelegt. Durch Urteil vom 21.4.2015 hat das Sozialgericht (SG) Mainz die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf zusätzliche Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngruppen nach Maßgabe des § 38a SGB XI. Für die Zeit bis zum 31.12.2014 sei Prüfungsmaßstab § 38a SGB XI aF. Vorliegend handele es sich nicht um eine ambulante Wohngruppe im Sinne des § 38a SGB XI aF iVm § 6 LWTG. Die Voraussetzungen des § 6 LWTG sei schon deshalb nicht erfüllt, weil entgegen Abs. 2 Buchstabe a dieser Vorschrift mehr als acht Personen die Wohngemeinschaft und entgegen Abs. 1 Nr. 3 dieser Vorschrift 22 statt höchstens 16 Personen das ganze Haus bewohnten. Hinzu komme, dass die freie Wahl des Pflegedienstes aus rechtlichen Gründen nicht gewährleistet sei. Den Bewohnern sei es zwar möglich, einen anderen als den ausgewählten Anbieter zu wählen; sie müssten sich aber an den Kosten für den ausgewählten Anbieter beteiligen. Diese Sanktion stehe der gesetzgeberischen Konzeption der ungehinderten Wahl des Pflegedienstes entgegen. Bestimmte "ambulante Pflegeleistungen aus dem Katalog der Pflegeleistungen nach § 14 Abs. 4 SGB XI" – insbesondere hauswirtschaftliche Leistungen, Mahlzeitenversorgung, persönliche Beratung und Unterstützung, soziale Betreuung und ständige Personalpräsenz – würden nicht durch einen externen Pflegedienst, sondern durch einen nicht durch kollektiven Beschluss der Mieterversammlung auswechselbaren Dienstleister, den Caritasverband W eV, erbracht. Dies sei als weiteres rechtliches Hindernis zu werten. Es spreche im Übrigen vieles dafür, dass eine Verflechtung der Interessen zwischen den Dienstleistern (Pflegedienst, Betreuungsdienstleister, Vermieter) vorliege. Darauf weise der Um-stand hin, dass die Mieterversammlung unter Leitung einer Vertreterin des Caritasverbandes W eV stattfinde und dass nie Alternativangebote anderer Pflegedienste eingeholt und vorgelegt worden seien. Ein weiteres Indiz sei die Tatsache, dass die Anwesenheitsliste der Mieterversammlung am 19.11.2012 auf dem Papier der Sozialstation S geführt worden sei. Dies lege nahe, dass Vertreter der Sozialstation S bei der Mieterversammlung zugegen gewesen seien. Auch für die Zeit ab dem 1.1.2015 habe die Klägerin keinen Anspruch auf den geforderten Zuschlag. Der Anspruch scheitere insoweit daran, dass nicht iSd § 38a Abs. 1 Nr. 3 SGB XI nF eine Person gemeinschaftlich beauftragt sei, unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung allgemeine organisatorische, verwaltende betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten zu verrichten oder hauswirtschaftliche Unterstützung zu leisten. Vorliegend sei die Beauftragung vielmehr nicht gemeinschaftlich, sondern durch Individualvereinbarung erfolgt. Auch die Voraussetzung des § 38a Abs. 1 Nr. 4 SGB XI nF sei nicht erfüllt, da der Caritasverband W eV umfassender Dienstleister sei.
Gegen dieses ihrer Verfahrensbevollmächtigen am 6.5.2015 zugestellte Urteil richtet sich die am 29.5.2015 eingelegte Berufung der Klägerin, die vorträgt: Entgegen der Auffassung des SG sei die freie Wählbarkeit der Pflege- und Betreuungsleistungen gewährleistet. Die Terminologie des rheinland-pfälzischen Heimrechts sei nicht entscheidend. Für die Zeit ab dem 1.1.2015 scheitere der Anspruch nicht an der fehlenden gemeinschaftlichen Beauftragung iSd § 38a Abs. 1 Nr. 3 SGB XI nF. Wegen der kollektiven Entscheidung der Mietergemeinschaft über den Pflegedienst könne an der erforderlichen gemeinschaftlichen Beauftragung kein Zweifel bestehen. Ebenfalls nicht nachvollziehbar sei die Annahme des SG, der Wohngruppenzuschlag sei nach § 38a Abs. 1 Nr. 4 SGB XI nF wegen der Vollversorgung durch den Caritasverband W eV ausgeschlossen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Mainz vom 21.4.2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20.8.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3.4.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 27.6.2013 einen Wohngruppenzu-schlag nach § 38a SGB XI zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor, sie halte daran fest, dass die Organisation der Wohngruppe, die gemäß § 5 LWTG vorgegeben sei, die freie Wählbarkeit der Pflege- und Betreuungsleistungen ein-schränke.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakte verwiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Klägerin hat Anspruch auf den Wohngruppenzuschlag nach § 38a SGB XI. Das angefochtene Urteil und der ablehnende Bescheid der Beklagten sind aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung des Wohngruppenzuschlags nach § 38a SGB XI ab dem 27.6.2013, dem Tag der Antragstellung (vgl. § 33 Abs. 1 Satz 2 SGB XI), zu verurteilen.
Anspruchsgrundlage für den Wohngruppenzuschlag ist § 38a SGB XI in der hier maßgeblichen Fassung des Pflege-Neuausrichtungs-Gesetzes (PNG) vom 23.10.2012 (BGBl I S. 2246; im Folgenden § 38a SGB XI aF). Diese Bestimmung lautete:
"(1) Pflegebedürftige haben Anspruch auf einen pauschalen Zuschlag in Höhe von 200 Euro monatlich, wenn
1. sie in ambulant betreuten Wohngruppen in einer gemeinsamen Wohnung mit häuslicher pflegerischer Versorgung leben,
2. sie Leistungen nach § 36, § 37 oder § 38 beziehen,
3. in der ambulant betreuten Wohngruppe eine Pflegekraft tätig ist, die organisatorische, verwaltende oder pflegerische Tätigkeiten verrichtet, und
4. es sich um ein gemeinschaftliches Wohnen von regelmäßig mindestens drei Pflegebedürftigen handelt mit dem Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung, dem die jeweils maßgeblichen heimrechtlichen Vorschriften oder ihre Anforderungen an Leistungserbringer nicht entgegenstehen.
(2) Keine ambulante Versorgungsform im Sinne von Absatz 1 liegt vor, wenn die freie Wählbarkeit der Pflege- und Betreuungsleistungen rechtlich oder tatsächlich eingeschränkt ist. Die von der Gemeinschaft unabhängig getroffenen Regelungen und Absprachen sind keine tatsächlichen Einschränkungen in diesem Sinne."
Bei der Wohngruppe, in der die Klägerin lebt, handelt es sich um eine ambulant betreute Wohngruppe im Sinne dieser Bestimmung. Die freie Wählbarkeit der Pflege- und Betreuungsleistungen iSd § 38a Abs. 2 SGB XI aF ist nicht eingeschränkt. Nach § 18 Abs. 1 des von der Klägerin abgeschlossenen Mietvertrags ist der Mieter als Mitglied der Mietergemeinschaft berechtigt zu entscheiden, wer die persönlichen Dienstleistungen im Bereich der Pflege und sonstigen Betreuung erbringen soll. Damit ist sowohl bei den Pflege- als auch bei den sonstigen Betreuungsleistungen die Wahlmöglichkeit der Bewohner rechtlich sichergestellt. Die in § 18 Abs. 5 des Mietvertrags geregelte Bindung des einzelnen Mieters an die Auswahlentscheidung der Mietergemeinschaft stellt nach § 38 Abs. 2 Satz 2 SGB XI aF keine Einschränkung dar, die eine ambulante Versorgungsform aus-schließt.
Eine tatsächliche Einschränkung der Wahlmöglichkeit ergibt sich auch nicht aus den – im Termin zur mündlichen Verhandlung des Senats zum Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits gemachten – (früheren) Angaben in der Internetpräsentation des Caritasverbands W (s. Akte SG Mainz S 7 P 14/14 [L 5 P 16/15], inzwischen nicht mehr abrufbar). Soweit es dort in der Präsentation der Wohngemeinschaften im Haus St. N heißt: "Präsenzkräfte sind 24 Stunden täglich ansprechbar." sowie "Die Präsenzkräfte des Hauses begleiten die Mieter des Hauses durch den Tag.", ergibt sich allein hieraus keine tatsächliche Einschränkung der durch den Mietvertrag begründeten rechtlichen Wahlmöglichkeit. Aus den Angaben in der Internetpräsentation ergibt sich nicht, dass die Präsenz-kraft nicht von der Mietergemeinschaft gewählt werden könnte. Selbst die Bezeichnung "Präsenzkräfte des Hauses" lässt nicht den zwingenden Schluss zu, dass die Wahl der Präsenzkraft durch die Mietergemeinschaft ausgeschlossen ist. In der Internetpräsentation heißt es auch, Pflegedienstleistungen würden bei Bedarf "durch die Caritas Sozialstation St. L erbracht". Insoweit kann die Internetpräsentation auch als Beschreibung des zum Veröffentlichungszeitpunkt bestehenden Ist-Zustands verstanden werden. Sie enthält jedenfalls keine Aussagen dazu, dass eine Wahl der Präsenzkraft oder des Pflegedienstleisters durch die Mietergemeinschaft entgegen den Bestimmungen des Mietvertrags ausgeschlossen oder eingeschränkt wäre.
Auch die personellen und gesellschaftsrechtlichen Verbindungen zwischen dem Vermieter und der Präsenzkraft bzw. dem Pflegedienst rechtfertigen für sich allein nicht den Schluss, dass die Wahlmöglichkeiten der Mieter bezüglich dieser Dienstleistungen tatsächlich eingeschränkt seien. In solchen Fällen mag ein Interesse des Vermieters bestehen, dass die mit ihm verbundenen Pflegekräfte und Träger die entsprechenden Aufgaben in der Einrichtung wahrnehmen. Soweit jedoch keine weiteren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Vermieter die Wahlmöglichkeiten der Mietergemeinschaft zugunsten der von ihm bevorzugten Dienstleister einschränkt, kann allein aus der tatsächlichen Wahl dieser Anbieter nicht auf eine unzulässige tatsächliche Einschränkung der Wahlmöglichkeit geschlossen werden. Im vorliegenden Fall ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Vermieter die Mieter daran gehindert hätte, andere Anbieter für Präsenzkräfte oder Pflegedienstleistungen vorzuschlagen oder zu wählen. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die persönliche Situation der pflegebedürftigen Mieter diesen die tatsächliche Wahrnehmung ihrer Wahlmöglichkeiten in der Mietergemeinschaft erschweren kann. Der Gesetzgeber geht in § 38a Abs. 2 Satz 2 SGB XI aF jedoch selbst davon aus, dass die betroffenen Wohngemeinschaften zu eigenen unabhängigen Entscheidungen in der Lage sind. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die C C Dienstleistungs- und Serviceunternehmen W GmbH als Vermieter oder andere dieser verbundene Personen die Mieter, deren Angehörige oder sonstige Betreuungspersonen zu einer bestimmten Entscheidung gedrängt hätten. Eine unzulässige Beeinflussung kann nicht allein darin gesehen werden, dass die Versammlung der Mietergemeinschaft von der aktuell tätigen Präsenzkraft organisiert wird und für das Protokoll oder die Abstimmung Formulare oder sonstige Materialien der aktuell beauftragten Präsenzkraft oder des aktuell beauftragten Pflegedienstes benutzt werden. Andere Anhaltspunkte, die belegen könnten, dass die Wahlmöglichkeiten der Mieter tatsächlich eingeschränkt sind, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Auch die Anforderungen des § 38a Abs. 1 Nr. 4 SGB XI aF sind erfüllt. Insbesondere stehen die maßgeblichen heimrechtlichen Vorschriften bzw. ihre Anforderungen an Leistungserbringer vorliegend dem Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung nicht entgegen. Zwar lebt die Klägerin nicht in einer "selbstorganisierten Wohngruppe" im Sinne des § 6 des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes über Wohnformen und Teilhabe (LWTG). Denn nach dem Mietvertrag können die Bewohner oder die für sie vertretungsberechtigten Personen nicht über die Aufnahme neuer Mitbewohner selbst entscheiden (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c LWTG) und die Wohngemeinschaft verfügt über mehr als acht Plätze (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a LWTG). "Ambulant betreute Wohngruppen" im Sinne des § 38a SGB V sind jedoch nicht nur solche Wohngruppen, die die Anforderungen des § 6 LWTG an "selbstorganisierte Wohngemeinschaften" erfüllen. Bereits die Begriffe sind nicht identisch. Das Landesgesetz über Wohnformen und Teilhabe beschreibt zudem nur allgemein die Anforderungen an Betreiber von Einrichtungen zur Betreuung von pflegebedürftigen und behinderten volljährigen Menschen; es definiert dagegen weder den Begriff der "ambulant betreuten Wohngruppe" im Sinne des § 38a SGB XI aF noch enthält es eine institutionelle Abgrenzung zwischen ambulanter und stationärer Betreuung von Pflegebedürftigen (vgl. dazu auch Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf des Pflege-Neuausrichtungsgesetzes BT-Drucks 17/9669, Seite 7 sowie Gegenäußerung der Bundesregierung Seite 21). Wie zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig ist, handelt es sich um eine Einrichtung im Sinne des § 5 LWTG. Diese erfüllt die heimrechtlichen Anforderungen bzw. die Anforderungen an die Leistungserbringer, die an eine solche Wohnform gestellt werden. Nach der in den Verwaltungsakten der Beklagten (Blatt 36) enthaltenen Stellungnahme des Caritasverbandes für die Diözese M eV vom 27.11.2013 wurden das Konzept und die weitere Ausgestaltung der Betreuung in den Wohn-gruppen in enger Absprache mit der zuständigen heimrechtlichen Betreuungs- und Prüfbehörde entwickelt und nicht beanstandet.
Die Klägerin hat auch Anspruch auf den Wohngruppenzuschlag für die Zeit ab dem 1.1.2015. Nach der Übergangsregelung des § 122 Abs. 3 SGB XI wird für Personen, die am 31.12.2014 einen Anspruch auf einen Wohngruppenzuschlag nach § 38a in der bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung haben, diese Leistung weiter erbracht, wenn sich an den tatsächlichen Verhältnissen nichts ge-ändert hat. Da eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse bisher nicht eingetreten ist, hat die Klägerin auch über den 31.12.2014 hinaus Anspruch auf den Wohngruppenzuschlag. Auf die Frage, ob die Anspruchsvoraussetzungen auch nach der ab 1.1.2015 geltenden Neufassung des § 38a SGB XI erfüllt sind, kommt es daher nicht an.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht vorliegen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, da die streiterheblichen Rechtsfragen abgelaufenes, nur bis zum 31.12.2014 gültiges Recht betreffen.
2. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Umstritten ist ein Anspruch auf einen Wohngruppenzuschlag nach § 38a Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI).
Die Klägerin, bei der Beklagten pflegeversichert, erhält von dieser seit September 2011 Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe II und seit April 2014 nach der Pflegestufe I. Sie lebt seit dem 15.9.2012 im Haus S in W , einer Wohngemeinschaft für demenziell Erkrankte. Träger der Einrichtung Wohngemeinschaft S ist der Caritasverband W eV. In dem Haus gibt es zwei separate Wohngruppen mit jeweils 11 Bewohnern.
Die Klägerin schloss mit der C Caritas Dienstleistungs- und Serviceunternehmen W GmbH, einer Tochtergesellschaft des Caritasverbandes W eV, einen Mietvertrag über einen Wohnraum mit einer Wohnfläche von 37,68 qm (da-von 23,09 qm Allgemeinfläche zur gemeinsamen Nutzung, 14,59 qm persönliche Wohnfläche). Die Bruttowarmmiete beträgt monatlich 367,27 EUR. In § 18 Abs. 1 dieses Vertrages heißt es:
(I) Mit dem Abschluss dieses Mietvertrages ist der Mieter als Mitglied der Mietergemeinschaft im Haus (Kolpingstr 12, 67549 Worms) berechtigt, darüber zu entscheiden, wer die persönlichen Dienstleistungen
Pflege
hauswirtschaftliche Leistungen
Mahlzeitenversorgung
sonstige hauswirtschaftliche Leistungen
persönliche Beratung und Unterstützung
soziale Betreuung und ständige Personalpräsenz
jeweils für die Mieter erbringt. Das Nähere über die Rechte und Pflichten beim Empfang der persönlichen Dienstleistungen ergibt sich aus dem entsprechenden Vertrag mit dem jeweiligen Leistungserbringer der persönlichen Dienstleistungen.
(2) Im ersten Quartal eines Kalenderjahres wählt die Mietergemeinschaft jährlich jeweils für 2 Jahre eine Sprecherin oder einen Sprecher und eine stellvertretende Sprecherin oder Sprecher, die die Interessen der Mieter im Bereich der persönlichen Dienstleistungen Dritter vertreten.
(3) Zur Herbeiführung einer Entscheidung über die Erbringung der persönlichen Leistungen lädt der Sprecher oder im Fall der Verhinderung der stellvertretende Sprecher der Mietergemeinschaft im 1. Quartal eines Kalenderjahres die Mietergemeinschaft schriftlich zu einer Versammlung ein. Beschlüsse der Mietergemeinschaft werden mit einfacher Mehrheit gefasst.
(4) Die Versammlung ist beschlussfähig, wenn die Hälfte der Mieter der Mietergemeinschaft anwesend ist oder durch schriftlich bevollmächtigte Personen vertreten wird. Wenn die Versammlung nicht beschlussfähig ist, beruft der Sprecher innerhalb von vier Wochen eine neue Versammlung schriftlich ein, die ohne Rücksicht auf die Beschlussfähigkeit beschlussfähig ist. Hierauf ist in der schriftlichen Einladung hinzuwirken.
(5) Hat die Mietergemeinschaft eine Auswahl-Entscheidung über die Anbieter der persönlichen Dienstleistung getroffen, wird der Mieter von seiner Verpflichtung, die vereinbarte Vergütung zu zahlen, nicht frei, wenn er die Dienstleistungen abweichend von der Auswahlentscheidung von anderen Leistungserbringern entgegen nimmt. Die Mietergemeinschaft kann den Sprecher durch Beschluss bevollmächtigen, die Verträge mit den Leistungserbringern im Namen und mit Vollmacht der Mieter abzuschließen, nachdem sie darüber mehrheitlich abgestimmt haben.
Die Klägerin schloss außerdem mit dem Caritasverband W eV einen Betreuungsvertrag vom 15.9.2012 über benötigte Hilfeleistungen. Darin heißt es ua:
§ 1 Vertragsgegenstand
Dieser Vertrag regelt im Rahmen des Wohnens in der Hausgemeinschaft St Nikolaus in Worms die Erbringung der im Alltag benötigten Hilfestellungen des Auftraggebers für den Auftragnehmer, soweit sie nicht Gegenstand des Pflegevertrages über ambulante Leistungen nach SGB XI (Leistungen bei häuslicher Pflege nach § 36 SGB XI) und SGB V (häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V) sind.
§ 2 Leistungsbeschreibung
(1) Zu den Hilfestellungen gehören Mahlzeitenversorgung, sonstige hauswirtschaftliche Leistungen, persönliche Beratung und Unterstützung, soziale Betreuung und ständige Personalpräsenz.
(5) Zur sozialen Betreuung gehört insbesondere die Gestaltung des Alltags (Tagesstrukturierung) und Gemeinschaftsveranstaltungen.
(6) Bei der ständigen Personalpräsenz ist sichergestellt, dass die Mieter der Hausgemeinschaft jederzeit eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter des Auftraggebers ansprechen können.
Die Mietergemeinschaft beauftragte die Sozialstation S , deren Träger der Caritasverband eV ist, mit der Erbringung der Pflegeleistungen.
Unter dem 4.6.2013 beantragte die Klägerin bei der Beklagten einen Wohngruppenzuschlag nach § 38a SGB XI. Mit Bescheid vom 20.8.2013 und Widerspruchsbescheid vom 3.4.2014 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab. Zur Begründung hieß es: Bei der Wohngemeinschaft handele es sich nicht um eine ambulant betreute Wohngruppe im Sinne des § 38a SGB XI. Die Einrichtung sei keine selbstorganisierte Wohngemeinschaft nach § 6 des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes über Wohnformen und Teilhabe (LWTG), sondern unterliege nach § 5 LWTG der Heimaufsicht. Die Wohngruppe sei nicht selbst-, sondern fremdorganisiert. Es fehle an der freien Wählbarkeit der Pflege- und Betreuungsleistungen.
Am 29.4.2014 hat die Klägerin Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen: Das Erfordernis der freien Wählbarkeit der Pflege- und Betreuungsleistungen sei nach § 18 des Mietvertrages erfüllt. Diese Regelung werde auch tatsächlich gelebt, wie der Beschluss der Mietergemeinschaft vom 19.11.2012 belege. § 38a SGB XI greife auch für fremdbestimmte Wohngruppen ein. Es komme nicht darauf an, ob die Wohngemeinschaft unter § 5 oder § 6 LWTG falle; entscheidend sei die vorliegend gegebene heimrechtliche Zulässigkeit. Die Bewohner könnten die Gemeinschaftsräume frei gestalten. Die Klägerin hat das Ergebnisprotokoll und die Anwesenheitsliste über die Mieterversammlung vom 19.11.2012 vorgelegt. Dort heißt es ua:
3. Wahl des ambulanten Pflegedienstes in der Wohngemeinschaft
Es wurden von den Mietern keine Neuvorschläge eingebracht. Somit ist Sozialstation St Lioba weiterhin im Bereich des SGB XI und V Leistung tätig. Die Mieter sind sehr zufrieden.
Ferner hat die Klägerin den Pflegevertrag mit der Sozialstation S vom 15.9.2012 vorgelegt. Durch Urteil vom 21.4.2015 hat das Sozialgericht (SG) Mainz die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf zusätzliche Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngruppen nach Maßgabe des § 38a SGB XI. Für die Zeit bis zum 31.12.2014 sei Prüfungsmaßstab § 38a SGB XI aF. Vorliegend handele es sich nicht um eine ambulante Wohngruppe im Sinne des § 38a SGB XI aF iVm § 6 LWTG. Die Voraussetzungen des § 6 LWTG sei schon deshalb nicht erfüllt, weil entgegen Abs. 2 Buchstabe a dieser Vorschrift mehr als acht Personen die Wohngemeinschaft und entgegen Abs. 1 Nr. 3 dieser Vorschrift 22 statt höchstens 16 Personen das ganze Haus bewohnten. Hinzu komme, dass die freie Wahl des Pflegedienstes aus rechtlichen Gründen nicht gewährleistet sei. Den Bewohnern sei es zwar möglich, einen anderen als den ausgewählten Anbieter zu wählen; sie müssten sich aber an den Kosten für den ausgewählten Anbieter beteiligen. Diese Sanktion stehe der gesetzgeberischen Konzeption der ungehinderten Wahl des Pflegedienstes entgegen. Bestimmte "ambulante Pflegeleistungen aus dem Katalog der Pflegeleistungen nach § 14 Abs. 4 SGB XI" – insbesondere hauswirtschaftliche Leistungen, Mahlzeitenversorgung, persönliche Beratung und Unterstützung, soziale Betreuung und ständige Personalpräsenz – würden nicht durch einen externen Pflegedienst, sondern durch einen nicht durch kollektiven Beschluss der Mieterversammlung auswechselbaren Dienstleister, den Caritasverband W eV, erbracht. Dies sei als weiteres rechtliches Hindernis zu werten. Es spreche im Übrigen vieles dafür, dass eine Verflechtung der Interessen zwischen den Dienstleistern (Pflegedienst, Betreuungsdienstleister, Vermieter) vorliege. Darauf weise der Um-stand hin, dass die Mieterversammlung unter Leitung einer Vertreterin des Caritasverbandes W eV stattfinde und dass nie Alternativangebote anderer Pflegedienste eingeholt und vorgelegt worden seien. Ein weiteres Indiz sei die Tatsache, dass die Anwesenheitsliste der Mieterversammlung am 19.11.2012 auf dem Papier der Sozialstation S geführt worden sei. Dies lege nahe, dass Vertreter der Sozialstation S bei der Mieterversammlung zugegen gewesen seien. Auch für die Zeit ab dem 1.1.2015 habe die Klägerin keinen Anspruch auf den geforderten Zuschlag. Der Anspruch scheitere insoweit daran, dass nicht iSd § 38a Abs. 1 Nr. 3 SGB XI nF eine Person gemeinschaftlich beauftragt sei, unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung allgemeine organisatorische, verwaltende betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten zu verrichten oder hauswirtschaftliche Unterstützung zu leisten. Vorliegend sei die Beauftragung vielmehr nicht gemeinschaftlich, sondern durch Individualvereinbarung erfolgt. Auch die Voraussetzung des § 38a Abs. 1 Nr. 4 SGB XI nF sei nicht erfüllt, da der Caritasverband W eV umfassender Dienstleister sei.
Gegen dieses ihrer Verfahrensbevollmächtigen am 6.5.2015 zugestellte Urteil richtet sich die am 29.5.2015 eingelegte Berufung der Klägerin, die vorträgt: Entgegen der Auffassung des SG sei die freie Wählbarkeit der Pflege- und Betreuungsleistungen gewährleistet. Die Terminologie des rheinland-pfälzischen Heimrechts sei nicht entscheidend. Für die Zeit ab dem 1.1.2015 scheitere der Anspruch nicht an der fehlenden gemeinschaftlichen Beauftragung iSd § 38a Abs. 1 Nr. 3 SGB XI nF. Wegen der kollektiven Entscheidung der Mietergemeinschaft über den Pflegedienst könne an der erforderlichen gemeinschaftlichen Beauftragung kein Zweifel bestehen. Ebenfalls nicht nachvollziehbar sei die Annahme des SG, der Wohngruppenzuschlag sei nach § 38a Abs. 1 Nr. 4 SGB XI nF wegen der Vollversorgung durch den Caritasverband W eV ausgeschlossen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Mainz vom 21.4.2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20.8.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3.4.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 27.6.2013 einen Wohngruppenzu-schlag nach § 38a SGB XI zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor, sie halte daran fest, dass die Organisation der Wohngruppe, die gemäß § 5 LWTG vorgegeben sei, die freie Wählbarkeit der Pflege- und Betreuungsleistungen ein-schränke.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakte verwiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Klägerin hat Anspruch auf den Wohngruppenzuschlag nach § 38a SGB XI. Das angefochtene Urteil und der ablehnende Bescheid der Beklagten sind aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung des Wohngruppenzuschlags nach § 38a SGB XI ab dem 27.6.2013, dem Tag der Antragstellung (vgl. § 33 Abs. 1 Satz 2 SGB XI), zu verurteilen.
Anspruchsgrundlage für den Wohngruppenzuschlag ist § 38a SGB XI in der hier maßgeblichen Fassung des Pflege-Neuausrichtungs-Gesetzes (PNG) vom 23.10.2012 (BGBl I S. 2246; im Folgenden § 38a SGB XI aF). Diese Bestimmung lautete:
"(1) Pflegebedürftige haben Anspruch auf einen pauschalen Zuschlag in Höhe von 200 Euro monatlich, wenn
1. sie in ambulant betreuten Wohngruppen in einer gemeinsamen Wohnung mit häuslicher pflegerischer Versorgung leben,
2. sie Leistungen nach § 36, § 37 oder § 38 beziehen,
3. in der ambulant betreuten Wohngruppe eine Pflegekraft tätig ist, die organisatorische, verwaltende oder pflegerische Tätigkeiten verrichtet, und
4. es sich um ein gemeinschaftliches Wohnen von regelmäßig mindestens drei Pflegebedürftigen handelt mit dem Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung, dem die jeweils maßgeblichen heimrechtlichen Vorschriften oder ihre Anforderungen an Leistungserbringer nicht entgegenstehen.
(2) Keine ambulante Versorgungsform im Sinne von Absatz 1 liegt vor, wenn die freie Wählbarkeit der Pflege- und Betreuungsleistungen rechtlich oder tatsächlich eingeschränkt ist. Die von der Gemeinschaft unabhängig getroffenen Regelungen und Absprachen sind keine tatsächlichen Einschränkungen in diesem Sinne."
Bei der Wohngruppe, in der die Klägerin lebt, handelt es sich um eine ambulant betreute Wohngruppe im Sinne dieser Bestimmung. Die freie Wählbarkeit der Pflege- und Betreuungsleistungen iSd § 38a Abs. 2 SGB XI aF ist nicht eingeschränkt. Nach § 18 Abs. 1 des von der Klägerin abgeschlossenen Mietvertrags ist der Mieter als Mitglied der Mietergemeinschaft berechtigt zu entscheiden, wer die persönlichen Dienstleistungen im Bereich der Pflege und sonstigen Betreuung erbringen soll. Damit ist sowohl bei den Pflege- als auch bei den sonstigen Betreuungsleistungen die Wahlmöglichkeit der Bewohner rechtlich sichergestellt. Die in § 18 Abs. 5 des Mietvertrags geregelte Bindung des einzelnen Mieters an die Auswahlentscheidung der Mietergemeinschaft stellt nach § 38 Abs. 2 Satz 2 SGB XI aF keine Einschränkung dar, die eine ambulante Versorgungsform aus-schließt.
Eine tatsächliche Einschränkung der Wahlmöglichkeit ergibt sich auch nicht aus den – im Termin zur mündlichen Verhandlung des Senats zum Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits gemachten – (früheren) Angaben in der Internetpräsentation des Caritasverbands W (s. Akte SG Mainz S 7 P 14/14 [L 5 P 16/15], inzwischen nicht mehr abrufbar). Soweit es dort in der Präsentation der Wohngemeinschaften im Haus St. N heißt: "Präsenzkräfte sind 24 Stunden täglich ansprechbar." sowie "Die Präsenzkräfte des Hauses begleiten die Mieter des Hauses durch den Tag.", ergibt sich allein hieraus keine tatsächliche Einschränkung der durch den Mietvertrag begründeten rechtlichen Wahlmöglichkeit. Aus den Angaben in der Internetpräsentation ergibt sich nicht, dass die Präsenz-kraft nicht von der Mietergemeinschaft gewählt werden könnte. Selbst die Bezeichnung "Präsenzkräfte des Hauses" lässt nicht den zwingenden Schluss zu, dass die Wahl der Präsenzkraft durch die Mietergemeinschaft ausgeschlossen ist. In der Internetpräsentation heißt es auch, Pflegedienstleistungen würden bei Bedarf "durch die Caritas Sozialstation St. L erbracht". Insoweit kann die Internetpräsentation auch als Beschreibung des zum Veröffentlichungszeitpunkt bestehenden Ist-Zustands verstanden werden. Sie enthält jedenfalls keine Aussagen dazu, dass eine Wahl der Präsenzkraft oder des Pflegedienstleisters durch die Mietergemeinschaft entgegen den Bestimmungen des Mietvertrags ausgeschlossen oder eingeschränkt wäre.
Auch die personellen und gesellschaftsrechtlichen Verbindungen zwischen dem Vermieter und der Präsenzkraft bzw. dem Pflegedienst rechtfertigen für sich allein nicht den Schluss, dass die Wahlmöglichkeiten der Mieter bezüglich dieser Dienstleistungen tatsächlich eingeschränkt seien. In solchen Fällen mag ein Interesse des Vermieters bestehen, dass die mit ihm verbundenen Pflegekräfte und Träger die entsprechenden Aufgaben in der Einrichtung wahrnehmen. Soweit jedoch keine weiteren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Vermieter die Wahlmöglichkeiten der Mietergemeinschaft zugunsten der von ihm bevorzugten Dienstleister einschränkt, kann allein aus der tatsächlichen Wahl dieser Anbieter nicht auf eine unzulässige tatsächliche Einschränkung der Wahlmöglichkeit geschlossen werden. Im vorliegenden Fall ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Vermieter die Mieter daran gehindert hätte, andere Anbieter für Präsenzkräfte oder Pflegedienstleistungen vorzuschlagen oder zu wählen. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die persönliche Situation der pflegebedürftigen Mieter diesen die tatsächliche Wahrnehmung ihrer Wahlmöglichkeiten in der Mietergemeinschaft erschweren kann. Der Gesetzgeber geht in § 38a Abs. 2 Satz 2 SGB XI aF jedoch selbst davon aus, dass die betroffenen Wohngemeinschaften zu eigenen unabhängigen Entscheidungen in der Lage sind. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die C C Dienstleistungs- und Serviceunternehmen W GmbH als Vermieter oder andere dieser verbundene Personen die Mieter, deren Angehörige oder sonstige Betreuungspersonen zu einer bestimmten Entscheidung gedrängt hätten. Eine unzulässige Beeinflussung kann nicht allein darin gesehen werden, dass die Versammlung der Mietergemeinschaft von der aktuell tätigen Präsenzkraft organisiert wird und für das Protokoll oder die Abstimmung Formulare oder sonstige Materialien der aktuell beauftragten Präsenzkraft oder des aktuell beauftragten Pflegedienstes benutzt werden. Andere Anhaltspunkte, die belegen könnten, dass die Wahlmöglichkeiten der Mieter tatsächlich eingeschränkt sind, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Auch die Anforderungen des § 38a Abs. 1 Nr. 4 SGB XI aF sind erfüllt. Insbesondere stehen die maßgeblichen heimrechtlichen Vorschriften bzw. ihre Anforderungen an Leistungserbringer vorliegend dem Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung nicht entgegen. Zwar lebt die Klägerin nicht in einer "selbstorganisierten Wohngruppe" im Sinne des § 6 des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes über Wohnformen und Teilhabe (LWTG). Denn nach dem Mietvertrag können die Bewohner oder die für sie vertretungsberechtigten Personen nicht über die Aufnahme neuer Mitbewohner selbst entscheiden (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c LWTG) und die Wohngemeinschaft verfügt über mehr als acht Plätze (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a LWTG). "Ambulant betreute Wohngruppen" im Sinne des § 38a SGB V sind jedoch nicht nur solche Wohngruppen, die die Anforderungen des § 6 LWTG an "selbstorganisierte Wohngemeinschaften" erfüllen. Bereits die Begriffe sind nicht identisch. Das Landesgesetz über Wohnformen und Teilhabe beschreibt zudem nur allgemein die Anforderungen an Betreiber von Einrichtungen zur Betreuung von pflegebedürftigen und behinderten volljährigen Menschen; es definiert dagegen weder den Begriff der "ambulant betreuten Wohngruppe" im Sinne des § 38a SGB XI aF noch enthält es eine institutionelle Abgrenzung zwischen ambulanter und stationärer Betreuung von Pflegebedürftigen (vgl. dazu auch Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf des Pflege-Neuausrichtungsgesetzes BT-Drucks 17/9669, Seite 7 sowie Gegenäußerung der Bundesregierung Seite 21). Wie zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig ist, handelt es sich um eine Einrichtung im Sinne des § 5 LWTG. Diese erfüllt die heimrechtlichen Anforderungen bzw. die Anforderungen an die Leistungserbringer, die an eine solche Wohnform gestellt werden. Nach der in den Verwaltungsakten der Beklagten (Blatt 36) enthaltenen Stellungnahme des Caritasverbandes für die Diözese M eV vom 27.11.2013 wurden das Konzept und die weitere Ausgestaltung der Betreuung in den Wohn-gruppen in enger Absprache mit der zuständigen heimrechtlichen Betreuungs- und Prüfbehörde entwickelt und nicht beanstandet.
Die Klägerin hat auch Anspruch auf den Wohngruppenzuschlag für die Zeit ab dem 1.1.2015. Nach der Übergangsregelung des § 122 Abs. 3 SGB XI wird für Personen, die am 31.12.2014 einen Anspruch auf einen Wohngruppenzuschlag nach § 38a in der bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung haben, diese Leistung weiter erbracht, wenn sich an den tatsächlichen Verhältnissen nichts ge-ändert hat. Da eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse bisher nicht eingetreten ist, hat die Klägerin auch über den 31.12.2014 hinaus Anspruch auf den Wohngruppenzuschlag. Auf die Frage, ob die Anspruchsvoraussetzungen auch nach der ab 1.1.2015 geltenden Neufassung des § 38a SGB XI erfüllt sind, kommt es daher nicht an.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht vorliegen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, da die streiterheblichen Rechtsfragen abgelaufenes, nur bis zum 31.12.2014 gültiges Recht betreffen.
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