L 2 V 10/07

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
2
1. Instanz
SG Kiel (SHS)
Aktenzeichen
S 12 V 215/05
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 2 V 10/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 6. Februar 2007 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt als Rechtsnachfolgerin des Versorgungsberechtigten die Anerkennung weiterer Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen und höhere Beschädigtenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) für den Zeitraum von November 2002 bis Oktober 2007.

Die Klägerin ist die Witwe des am 1. September 1924 geborenen und am 6. Oktober 2007 verstorbenen Versorgungsberechtigten G P. Dieser hatte im April 1944 als Soldat eine Granatsplitterverletzung erlitten. Als Schädigungsfolgen waren durch Neufeststellungsbescheid vom 23. Januar 1998 zuletzt anerkannt worden:

1.Verlust des linken Beines im Oberschenkel mit Phantomschmerzen und statischen Beschwerden der Lendenwirbelsäule, linkskonvexe Ausbiegung der unteren Lendenwirbelsäule,

2. Weichteilstecksplitter und reizlose Narbe im linken Schulterbereich.

Beschädigtenversorgung war zunächst nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 v. H., seit Oktober 1969 nach einer MdE um 80 v. H. gezahlt worden. Durch Abhilfebescheid vom 15. Mai 1998 war die MdE seit Oktober 1997 auf 90 v. H erhöht worden. Dem lag insbesondere die gutachtliche Feststellung zugrunde, dass die Phantomschmerzen sich verschlimmert hätten und diese sich auch im Zusammenhang mit der Funktionsstörung der Wirbelsäule zusätzlich negativ auf das Gehvermögen auswirkten.

Im Verfahren nach dem Schwerbehindertengesetz wurde durch Neufestellungsbescheid vom 18. September 1998 ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 festgestellt. Dabei wurden neben den Schädigungsfolgen Herz- und Kreislaufstörungen sowie eine Funktionsstörung der Lendenwirbelsäule berücksichtigt.

Im November 2002 stellte der Versorgungsberechtigte einen Neufeststellungsantrag nach dem BVG, mit dem er die Verschlimmerung der Fehlbelastung der LWS durch die Oberschenkelprothese links mit Funktionsausfall sowie die zusätzliche Anerkennung der dem beigefügten Röntgenbefund aus März 2002 zu 1) bis 4) zu entnehmenden Gesundheitsstörungen (Fehlhaltung mit rechtskonvexer Skoliose und Hyperlordose des lumbo-sacralen Überganges, Osteochondrose LW 5/SW 1, mäßige Spondylosis deformans LW 1 bis 5, Spondylarthrosis LW 4 bis SW 1) als weitere Schädigungsfolgen geltend machte. Das Landesamt für soziale Dienste Schleswig-Holstein (LAsD) holte die versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Dr. S (1/03) und des Internisten Dr. A (5/05 und 6/05), das Gutachten des Arztes für Chirurgie Dr. F (11/03), die ergänzende Stellungnahme des Dr. F (1/04) und nach dem Hinweis des Klägers auf die Zunahme der Schmerzzustände das Gutachten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie B (4/04) ein und lehnte den Antrag mit Bescheid vom 19. Juli 2004 ab. Nach den Ergebnissen der chirurgischen und nervenärztlichen Untersuchungen sei es nicht zu einer wesentlichen Änderung der anerkannten Schädigungsfolgen gegenüber den bei den Untersuchungen im Jahre 1996 erhobenen Befunden gekommen. Da sich nun eine rechtskonvexe Seitverbiegung der Lendenwirbelsäule gezeigt habe, die sich zuvor als linkskonvexe Verbiegung dargestellt habe, sei nicht von einer fixierten Seitverbiegung auszugehen. Auf die Beurteilung der Gesamt-MdE habe dies aber keinen Einfluss.

Mit seinem hiergegen gerichteten Widerspruch machte der Versorgungsberechtigte geltend, dass die Schwere seiner Schmerzen auch an seinen Herz- und Kreislaufproblemen erkennbar sei. Infolge des täglichen Schmerzstress habe sich seine Bluthoch¬druckerkrankung verschlimmert, und in den Jahren 2002/2003 sei zusätzlich eine absolute Arrhythmie infolge Vorhofflimmerns aufgetreten, die Digitalisbehandlung und Antikoagulation erfordere. Nur durch Kardioversion habe ein stabiler Sinusrhythmus wiederhergestellt werden können. Wegen seiner Schmerzen nehme er stark wirkende Opioid-Analgetika ein, was ein weiteres Indiz für die Schmerzzunahme sei. Auch sei durch das zunehmende Alter seine Widerstandskraft herabgesetzt.

Das LAsD holte hierzu zwei weitere Stellungnahmen des Dr. A (9/04 und 11/04), eine weitere Stellungnahme der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie B (11/04) und das Gutachten des Arztes für Anästhesiologie Dr. Sa (7/05) ein und wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 01. September 2005 zurück. Nach dem Ergebnis der Begutachtungen sei es zu keiner wesentlichen Verschlimmerung der als Schädigungsfolgen anerkannten Gesundheitsstörungen gekommen. Die Stumpfbeschwerden seien bei der MdE-Bewertung ausreichend berücksichtigt worden. Ein ursächlicher Zusammenhang mit der internistischen Erkrankung (Bluthochdruck, Herz- und Kreislaufstörungen) bestehe nach versorgungsärztlicher Auffassung nicht.

Zur Begründung seiner am 12. September 2005 bei dem Sozialgericht Kiel erhobenen Klage hat der Versorgungsberechtigte im Wesentlichen vorgetragen: Die Bewertung der Phantomschmerzen und der Belastungsinsuffizienz der LWS sei zu kurz gekommen. Die ausführlichen Gutachten reichten jedoch aus, um eine Gesamt-MdE um mehr als 90 v.H. anzunehmen, soweit bei der Beurteilung die persönliche Auffassung der Gutachter über die nicht genügend ausgeschöpfte Therapie unbewertet bleibe. Zur Anwendung eines Tens-Gerätes sei z.B. zu berücksichtigen, dass der damalige Leiter der Orthopädischen Versorgungsstelle Neumünster, der ca. 1975 mit einer Tens-Erfolgsstudie beschäftigt gewesen sei, ihm von der Benutzung abgeraten habe. Viele Ärzte auch aus seinem persönlichen Umfeld hätten sich seit Jahrzehnten laufend um Hilfe bemüht und wegen der katastrophalen Nebenwirkungen verschiedener Medikamente zwischenzeitlich die Behandlung abgesetzt. Für die derzeitige Schmerzintensität möge das innerhalb von zwei Jahren dreimal aufgetretene Vorhofflimmern als Indiz gelten. Er glaube nicht, dass eine Kausalität mit dem fast lebenslangen Schmerzstress sicher verneint werden könne. Die nachlassende Widerstandskraft im Alter von nunmehr 81 Jahren sei wahrscheinlich auch nicht unbeachtlich. Der auf S. 27 des Gutachtens aus Juli 2005 erwähnte zügige Gang mit Stock auf dem Klinikflur gebe nicht die LWS-Symptomatik bei alltäglichen Bodenverhältnissen auf Wegen und Straßen wieder. Hier benötige er Stockstützen oder den PKW. Seite 24 des Gutachtens aus Juli 2005 beinhalte einen Schreib- oder Hörfehler, denn die tägliche Quälerei gebe es nicht erst seit 2004. Rechtlich sei zudem zu klären, inwieweit eine Bindungswirkung an Entscheidungen nach dem Schwerbehindertengesetz, hier die Festsetzung des GdB von 100 mit Feststellungsbescheid vom 18. September 1998, bestehe (unter Hinweis auf Bundessozialgericht, Urt. v. 08. März 1995 - 9 RV 9/94). Die Behinderungen deckten sich inhaltlich mit den anerkannten Schädigungsfolgen bis auf die Kreislaufstörungen, die aber damals einen GdB von 10 ergeben hätten und für den Gesamt-GdB unbeachtlich gewesen seien.

Der Versorgungsberechtigte hat beantragt,

den Bescheid des beklagten Landes vom 19. Juli 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01. September 2005 aufzuheben und das beklagte Land zu verurteilen, ihm Beschädigtenversorgung nach einer MdE von 100 v.H. seit November 2002 zu gewähren und als weitere Schädigungsfolge "Herz-/Kreislaufstörungen" anzuerkennen.

Das beklagte Land hat sich auf die Begründung des Widerspruchsbescheides bezogen und beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht hat Befund- und Behandlungsberichte des Arztes für Allgemeinmedizin V (11/05 und 12/05) nebst beigefügten ärztlichen Unterlagen eingeholt und in der mündlichen Verhandlung am 6. Februar 2007 Beweis erhoben durch Sachverständigenvernehmung des Arztes für Chirurgie Dr. Ab.

Durch Urteil vom 6. Februar 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Beschädigtenversorgung nach einer MdE um 100 v. H. seit November 2002 und auf Anerkennung von Herz¬/Kreislaufstörungen als weitere Schädigungsfolge. Die Kammer folge insbesondere nach Anhörung des Sachverständigen Dr. Ab , dessen Gutachten für sie nachvollziehbar und überzeugend sei, der Begründung des angefochtenen Bescheides und sehe gemäß § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Gegen das ihm am 14. Februar 2007 zugestellte Urteil richtet sich die am 13. März 2007 eingegangene Berufung des Versorgungsberechtigten, zu deren Begründung im Wesentlichen vorgetragen wird: Dr. Ab , auf dessen Gutachten das Sozialgericht das Urteil stütze, bestätige zwar im Ergebnis eine Verschlimmerung der Phantomschmerzen, gebe aber zum Grad keine Stellungnahme ab und begründe auch nicht, warum sich trotz einer deutlichen Verschlimmerung der Phantomschmerzen an der Gesamt-MdE nichts ändern solle. In dem Gutachten erfolge auch keine Erörterung und Bewertung der durch die Veränderung der Lendenwirbelsäule bedingten Funktionsausfälle. Auch zu den massiven Herz-Kreislaufbeschwerden des Versorgungsberechtigten treffe Dr. Ab keine Feststellungen. Hierzu fehle ihm als Chirurg auch die nötige Fachkompetenz. Es sei ein fachinternistisches Gutachten einzuholen, auch zu der Frage, ob eine Schmerzsymptomatik durch Phantomschmerz als Ursache der aufgetretenen Herzerkrankung angesehen werden könne. Der Versorgungsberechtigte habe seit über 40 Jahren täglich an Phantomschmerzen gelitten. Die Schmerzintensität habe seit ca. 8 Jahren kontinuierlich zugenommen, seit 2003/2004 in häufigeren Intervallen und gesteigerter Schmerzqualität. Aufgrund dieser massiven Verschlechterung sei es nicht gerechtfertigt, den Grad der MdE bezogen auf die Phantomschmerzen wie bereits seit 1998 auch weiterhin mit nur 30 v.H. zu bewerten. Es sei darauf hinzuweisen, dass das Medikament Neurontin - erst ab 1/05 in der gelben Liste - dem Versorgungsberechtigten lediglich nachts eine geringfügige Linderung verschafft habe. Den Gutachtern fehle offenbar eine Erfahrung mit Patienten, die seit mehr als 40 Jahren unter Phantomschmerz aufgrund Kriegsverletzung litten; die Bewertung mit 30 v. H. erscheine mehr zufällig. Die Ausführungen des Dr. Sa , der oberflächlich behaupte, der Versorgungsberechtigte sei im Vergleich zu anderen Amputierten nicht stärker oder ungewöhnlich stark durch Schmerzen beeinträchtigt, zeigten, dass sein Gutachten erhebliche willkürliche bzw. subjektive Züge aufweise. Soweit Dr. Sa behaupte, der Versorgungsberechtigte habe sich nicht bzw. inkonsequent therapiert, liege das Gegenteil auf der Hand. Die Verschlimmerung des Bluthochdrucks und die Herzerkrankung seien Folgen des Phantomschmerz bedingten, Jahrzehnte währenden Schmerzstress mit Schlafentzug. Bisher hätten sich lediglich die Ärzte Dr. Sa und A zu einem Zusammenhang Schmerzstress/Schlafentzug und Herzrhythmusstörung geäußert. Beide verneinten zwar einen Zusammenhang, es handele sich dabei aber offensichtlich nur um Vermutungen, Begründungen fehlten. Dr. Sa rate zumindest zur Einholung eines fachinternistischen Gutachtens, das das Sozialgericht aber nicht eingeholt habe. Die Wirbelsäulenerkrankung des Versorgungsberechtigten sei anerkanntermaßen Folge des Prothesen bedingten Schiefganges. Dr. Ab nehme in seinem Gutachten aber keine Erörterung der LWS bedingten Funktionsausfälle vor. Eine Bewertung der diesbezüglichen MdE fehle gänzlich. Die Einzel-MdE für die Funktionsstörung der Lendenwirbelsäule sei mit mindestens 40 v.H. zu bewerten. Im Vergleich zu 1997/1998 sei dem Versorgungsberechtigten ein Heben und Tragen, Vorbeugen und Bücken nicht mehr möglich gewesen. Er habe sich im Vergleich zu 1998 nur noch stark eingeschränkt fortbewegen können. Entgegen der Darstellung des Dr. Ab habe er auch nicht mehr mit dem Rad fahren können. Unzutreffend sei die Behauptung des Dr. Sa , der Versorgungsberechtigte sei über eine Strecke von 80 m zügig und schmerzfrei gegangen. Richtig sei vielmehr, dass er veranlasst worden sei, dem Arzt ohne Krücken und nur mit einem Handstock zu folgen. Hiermit sei eine erhebliche und schmerzhafte LWS-Belastung verbunden gewesen, mit der er sich aber nicht an den Arzt gewandt habe, da diesem ein Gutachtenauftrag nur zur Exploration des Phantomschmerzes erteilt worden war.

Die Klägerin als Rechtsnachfolgerin des Versorgungsberechtigten beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 6. Februar 2007 und den Bescheid des Landesamtes für soziale Dienste Schleswig-Holstein vom 19. Juli 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. September 2005 aufzuheben, und das beklagte Land zu verurteilen, als weitere Schädigungsfolgen Bluthochdruck und Herz-/Kreislaufstörungen anzuerkennen und für den Zeitraum vom 1. November 2002 bis 31. Oktober 2007 Beschädigtenversorgung nach einer MdE bzw. einem GdS um 100 v.H. zu gewähren.

Das beklagte Land beantragt,

die Berufung zurückzuweisen

und schließt sich den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils an.

Der Senat hat einen Befund-(Verlaufs-)bericht des Herrn V (8/07) beigezogen und eine Stellungnahme des beklagten Landes zu der Frage eingeholt, ob die AHP, zuletzt Stand 2008, insoweit aktuell sind, als sie keinen Hinweis auf einen Kausalzusammenhang zwischen einer Gliedmaßenamputation/Phantomschmerzen und der Entstehung von Bluthochdruck bzw. Vorhofflimmern geben, oder ob es neue Erkenntnisse aus dem Sachverständigenbeirat, Sektion Versorgungsmedizin gibt, die noch nicht in die AHP eingeflossen sind.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die den Versorgungsberechtigten G P betreffenden Verwaltungsvorgänge des Landesamtes für soziale Dienste Schleswig-Holstein (Rentenakten nach dem BVG, Schwerbehindertenakte) Bezug genommen. Diese Vorgänge sind auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung des Senats am 16. Dezember 2008 gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§ 143 Sozialgerichtsgesetz – SGG) und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin, die das Verfahren als Rechtsnachfolgerin des verstorbenen Versorgungsberechtigten fortführt, hat keinen Anspruch auf die Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen und auf die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach einer MdE um 100 v. H. Gegenüber der letzten bestandskräftigen Feststellung der MdE mit Bescheid vom 15. Mai 1998 ist keine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch, (SGB X) eingetreten. Auch sind gegenüber dem genannten Bescheid und dem weiteren Bescheid vom 23. Januar 1998, mit dem die Schädigungsfolgen zuletzt neu bezeichnet worden waren, keine weiteren Schädigungsfolgen hinzugetreten.

Bei dem Versorgungsberechtigten bestand seit der Kriegsverletzung die Amputation des linken Beines im Oberschenkel. Nach allen in den Akten vorliegenden medizinischen Unterlagen handelte es sich weder um einen besonders kurzen Oberschenkelstumpf noch um besonders ungünstige Stumpfverhältnisse. Diese Schädigungsfolge war nach den Vorgaben der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (im Folgenden: AHP) in allen maßgeblichen Fassungen, zuletzt Teil 2 SGB IX, Stand 2008, mit einer MdE um 70 v. H. zu bewerten (AHP Nr. 26.18 S. 123). Dies hat insbesondere Dr. A in seiner Stellungnahmen aus November 2004 nochmals zutreffend zusammenfassend dargestellt und ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.

Dass für die Folgen der Oberschenkelamputation dennoch eine MdE um 90 v. H. angenommen wurde, folgt allein aus den erheblichen Phantomschmerzen, unter denen der Versorgungsberechtigte - ebenfalls unstreitig – litt. Ausgeprägte Phantomschmerzen bestanden bereits seit den sechziger Jahren. In seinem Neufeststellungsantrag aus Oktober 1969 machte der Versorgungsberechtigte ständig vorhandene Schmerzen geltend, die seinen Nachtschlaf stärker als vorher beeinträchtigten, die Einnahme schmerzstillender Medikamente erforderten und ihm bei geistiger Berufstätigkeit einen zusätzlichen Aufwand an Konzentration und Energie abverlangten. Wegen dieser Schmerzen wurde die MdE bereits durch Bescheid vom 23. März 1970 auf 80 v. H. erhöht. Dabei wurde für die Phantomschmerzen eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v. H., nach Einschätzung des Gutachters im unteren Ermessensspielraum, zu Grunde gelegt. Die weitere Erhöhung der MdE auf 90 v. H. mit Bescheid vom 15. Mai 1998 berücksichtigte nach den verschiedenen hierzu in der Akten vorliegenden gutachtlichen Stellungnahmen vor allem eine weitere deutliche Verschlechterung der Phantomschmerzen. Eine detaillierte Schilderung der Schmerzen findet sich dabei vor allem in dem nervenärztlichen Gutachten des Dr. Sb aus April 1996. Hier gab der Versorgungsberechtigte an, er habe fast ständig Phantomschmerzen, zumindest jeden Tag und auch jede Nacht, in den letzten Jahren mit dem Gefühl der Zehenverkrampfung. Es bestehe seit mehreren Jahren mit zunehmend kurzen Unterbrechungen, eigentlich fast dauernd stechender Schmerz, schneidend-reißend im Stumpfbereich. Meist träten darüber hinaus aber noch stärkere Schmerzanteile auf, die mit Verkrampfung gezielt begännen und dann nach oben zögen, in sehr starker Form, nicht eigentlich in Intervallen, meist dann als über Stunden andauernder Schmerz. Er schlafe wegen dieser Schmerzen nachts nur ca. zwei bis drei Stunden und müsse betonen, dass er gut schlafe, wenn der Schmerz nicht da sei. Am Tag gehe es ihm eigentlich schlechter, wenn er in die Prothese gehe, es scheine dadurch ein Reiz am Stumpfende mehr zu werden. Dieser Reiz verstärke sich weiter beim Stehen und besonders beim Gehen. Dr. Sb hielt in seiner abschließenden Stellungnahme für den Phantomschmerz eine MdE um 30 v.H. als untere Ermessensgrenze für angemessen unter Berücksichtigung eines jetzt nach den Angaben des Versorgungsberechtigten fast ständig bestehenden Phantomschmerzes. Es folgt eine Erörterung dazu, dass die geschilderten Schmerzen für Phantomschmerzen nicht ganz typisch seien, sondern die Schilderungen des Versorgungsberechtigten eher so genannten kausalgieformen Schmerzen ähnelten.

Demnach wurde bereits in dem Neufeststellungsverfahren 1996 eine deutliche Verstärkung der bereits zuvor berücksichtigten Phantomschmerzen angenommen und bewertet. Schon die damalige Schilderung des Versorgungsberechtigten, die der Erhöhung der MdE auf 90 v.H. zugrunde lag, lässt eine weitere - wesentliche - Verschlimmerung der Schmerzen von Vornherein nur schwer vorstellbar erscheinen. Sie kann auch nach dem Ergebnis der umfangreichen Ermittlungen des Landesamtes für soziale Dienste im Zusammenhang mit dem aktuellen Neufeststellungsantrag aus Oktober 2002 sowie nach der Beweisaufnahme durch das Sozialgericht im Ergebnis nicht festgestellt werden. Weder der Gutachter auf dem chirurgischen Fachgebiet, Dr. F , noch die Gutachterin auf dem nervenärztlichen Fachgebiet, Frau B , bejahten eine wesentliche Änderung der Verhältnisse gegenüber dem Vorbefund. Auch der Facharzt für Anästhesiologie Dr. Sa konnte sich in seinem ausführlichen Gutachten aus Juli 2005 von einer wesentlichen Verschlechterung nicht überzeugen. In seiner zusammenfassenden Beurteilung führt Dr. Sa aus, die von dem Versorgungsberechtigten angegebene zunehmende Schmerzsymptomatik im Vergleich zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. Sb lasse sich aus den vorgelegten Akten nicht nachvollziehen, was aber daran liegen könne, dass bisher keine systematische Dokumentation (z. B. durch einen schmerzdiagnostisch und -therapeutisch Erfahrenen) vorgenommen worden sei. Weiter weist Dr. Sa darauf hin, dass eine Diskrepanz zwischen dem erhobenen klinischen Befund, den Ergebnissen der Fragebögen zu den Schmerz assoziierten Beeinträchtigungen und den nicht konsequenten bzw. nicht unternommenen Therapieversuche einerseits und der beklagten Einschränkung bzw. Behinderung durch die Schmerzen andererseits auffällig sei. Eine depressive Störung oder einer höhergradige Depression als Folge der Schmerzen lägen aus schmerztherapeutischer Sicht nicht vor. Auch hätten sich keine Hinweise dafür gefunden, dass die geklagten Schmerzen Symptom einer depressiven Störung oder einer Depression seien. Hierfür habe auch Frau B aus neurologisch-psychiatrischer Sicht keinen Hinweis gefunden. Insgesamt sei damit die festgestellte Gesamt-MdE um 90 v. H. nicht zu erhöhen. Aus dem Gutachten der Frau B ergibt sich zudem eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Tagesablauf des Versorgungsberechtigten, der auch zum damaligen Zeitpunkt noch durch zahlreiche regelmäßige Aktivitäten geprägt war. Den Gutachten ist zudem zu entnehmen, dass der Versorgungsberechtigte sich in sehr guten Allgemeinzustand befand und dabei einen deutlich jüngeren Eindruck machte, als es seinem Alter entsprach; Dr. F schilderte den damals knapp 80jährigen Versorgungsberechten als "frisch und vital". Auch der durch das Sozialgericht vernommene Arzt für Chirurgie Dr. Ab ist im Ergebnis nicht zu der Annahme einer wesentlichen Verschlechterung gegenüber dem maßgeblichen Vorbefund gelangt und hielt seinerseits eine Einzel-MdE von 30 v. H. für die Schmerzproblematik und eine Gesamt-MdE um 90 v. H. in Übereinstimmung mit allen Vorgutachtern auch weiterhin für angemessen. Der Senat schließt sich dieser ihn überzeugenden Beurteilung an. Er berücksichtigt dabei auch, dass, wie der Versorgungsberechtigte es in seiner Klagebegründung selbst angegeben hat, die Schmerzen für ihn mit zunehmendem Alter immer schlechter verkraftbar waren. Dass die Auswirkungen von Funktionsstörungen, die sich ihrerseits nicht verschlechtert haben, sich mit zunehmendem Alter subjektiv stärker auswirken, ist nachvollziehbar, führt jedoch nicht zu einer Erhöhung der MdE (vgl. BSG, Urt. v. 6. September 1989 - 9 RV 26/88, SozR 3100 § 30 Nr. 79, zum sog. Nachschaden, insbesondere juris Leitsatz 1 und Rn. 13).

Hinsichtlich der als mittelbare Schädigungsfolge anerkannten Verbiegung der Lendenwirbelsäule und der hierdurch bedingten Funktionsstörung ist ebenfalls keine wesentliche Verschlechterung eingetreten. Dass eine linkskonvexe Verbiegung der Lendenwirbelsäule anerkannt worden war, in dem von dem Versorgungsberechtigten zu einem Neufeststellungsantrag eingereichten Röntgenbefund aus März 2002 jedoch eine rechtskonvexe Verbiegung bescheinigt wurde, was auch dem Untersuchungsbefund des Dr. F entsprach, wohingegen Dr. Ab in seinem Gutachten wiederum eine linkskonvexe Seitverbiegung feststellte, ist für die Beurteilung der MdE nicht von Bedeutung. Allenfalls kann hieraus, sofern es sich nicht zum Teil um Seitenverwechslungen handelte, gefolgert werden, dass jedenfalls keine fixierte Seitverbiegung besteht; hierauf hat Dr. F in seiner Stellungsnahme aus Januar 2004 überzeugend hingewiesen. Ebenso hat er darin zutreffend dargelegt, dass für die Bewertung der MdE nicht der Röntgenbefund, sondern das Ausmaß der funktionellen Störungen ausschlaggebend ist. Insoweit ist aber noch für den Zeitpunkt der Untersuchung des Klägers bei Dr. Ab im Januar 2007 eine - insbesondere unter Berücksichtigung des Alters des Versorgungsberechtigten von zu diesem Zeitpunkt 82 Jahren - sehr gute Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule (Fingerspitzen-Fußboden-Abstand (FBA) 0, Maß nach Schober 10:13,5) dokumentiert. Dabei bestand kein Druck- oder Klopfschmerz über der Wirbelsäule, und es ergaben sich auch keine Hinweise auf Nervenwurzelreizerscheinungen oder gar motorische Störungen. Damit fällt die als mittelbare Schädigungsfolge anerkannte Funktionsstörung der LWS bei der Bildung des Gesamtgrades der MdE/des GdS auch weiterhin nicht ins Gewicht.

Der Bluthochdruck und die Herzrhythmusstörungen des Versorgungsberechtigten sind nicht als mittelbare Schädigungsfolgen anzuerkennen. Die AHP, zuletzt Stand 2008, geben keinen Hinweis auf einen Kausalzusammenhang zwischen einer Gliedmaßenamputation/Phantomschmerzen und der Entstehung von Bluthochdruck bzw. Vorhofflimmern. Unter Nr. 97 Abs. 4 der AHP 2008 heißt es, es sei nicht erwiesen, dass ein Gliedmaßenverlust wesentliche Bedingung für die Entwicklung eines Bluthochdrucks sei. Speziell zu dem Zusammenhang zwischen Amputationen, hierdurch ggf. verursachten Stumpfschmerzen und Herzrhythmusstörungen findet sich in den AHP keine Aussage. Damit kann von der Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs im Sinne des § 1 Abs. 3 BVG nicht ausgegangen werden, wie dies auch der Internist Dr. A in seinen Stellungnahmen ausgeführt hat. Nach der Rechtsprechung des BSG sind die AHP, im Sinne antizipierter Sachverständigengutachten, auch insoweit maßgeblich, als darin der aktuelle medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisstand betreffend die Ursachen für die Entstehung bestimmter Erkrankungen berücksichtigt ist. Sofern die AHP (noch) dem allgemeinen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechen und sich daraus ein Kausalzusammenhang nicht ableiten lässt, kann dieser nicht durch ein Gutachten im Einzelfall begründet werden (vgl. BSG, Urt. v. 27. August 1998 - B 9 VJ 2/97 R, juris Rn. 14; Urt. v. 12. Juni 2003 - B 9 VG 1/02 R, BSGE 91, 107, juris Rn. 21). Dass die AHP hinsichtlich der hier bedeutsamen Fragstellungen noch dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechen, ergibt sich aus der Stellungnahme des Dr. Hartwig vom 10. November 2008. Danach gibt es insbesondere keine neuen Erkenntnisse aus den regelmäßigen Sitzungen des Sachverständigenbeirats von 1991 bis November 2008. Die Thematik Gliedmaßenamputation und Entstehung von Bluthochdruck/Vorhofflimmern wurde hier nicht erörtert. Weiter legt Dr. Hartwig dar, dass durchgeführte medizinische Studien keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Gliedmaßenamputation und einer Blutdrucksteigerung oder einer anderweitigen amputationsbedingten Rückwirkung auf das Herz im Sinne eines im EKG dokumentierten Herzschadens ergeben haben. Auch wenn Dr. Hartwig sich zu dem Phantomschmerz nicht ausdrücklich geäußert hat, ist aus seiner Stellungnahme hinreichend sicher abzuleiten, dass auch für Phantomschmerzen eine derartige Kausalität nicht anerkannt ist. Denn Phantomschmerzen setzen eine Amputation voraus. Damit gibt es keine Hinweise darauf, dass die AHP hinsichtlich der genannten Kausalitätsfragen nicht mehr auf dem aktuellen Stand sind, mit der Folge, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der Amputation und hier insbesondere den dauerhaften Schmerzen und dem erhöhtem Blutdruck bzw. Vorhofflimmern oder anderen Herzrhythmusstörungen des Versorgungsberechtigten nicht wahrscheinlich ist. Die bloße Möglichkeit eines Ursachenzusammenhanges reicht für die Anerkennung als Schädigungsfolge nicht aus. Erst recht kommt es nicht darauf an, dass ein Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden kann, wie es der Kläger in seiner Klagebegründung formuliert hat.

Da demnach die Bluthochdruckerkrankung und die Herzrhythmusstörungen nicht als mittelbare Schädigungsfolgen anzuerkennen sind, bedarf es schon deshalb keiner näheren Erörterung der von dem Versorgungsberechtigten in seiner Klagebegründung unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG aufgeworfenen Frage einer Bindungswirkung der Feststellung des GdB nach dem SchwbG/SGB IX für die Feststellung der MdE nach dem BVG. Diese Frage kann sich allenfalls stellen, wenn die GdB-Feststellung ausschließlich Schädigungsfolgen betrifft. Hier sind dagegen in den Bescheid vom 18. September 1998 über die Feststellung eines GdB von 100 auch nicht schädigungsbedingte Herz- Kreislaufstörungen – unter (unzutreffender) Annahme der Bindungswirkung einer früheren zu hohen Bewertung des Einzel-GdB hierfür - erneut mit einem Einzel-GdB von 40 in die Bewertung eingeflossen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG) sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
Saved