L 5 KR 202/11 B ER

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 17 KR 542/11 ER
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 202/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Eine Zurückverweisung an das Sozialgericht ist auch in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zulässig, sofern Prozesswirtschaftlichkeit, Beschleunigungsgebot und Effektivität des Rechtsschutzes dem nicht entgegenstehen.
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 5. Oktober 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung über den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes an das Sozialgericht Lübeck zurückverwiesen. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen. Die Kostenentscheidung bleibt einer erneuten Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten. &8195;

Gründe:

I.

Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes begehrt die Antragstellerin von der Antragsgegnerin die Kostenübernahme für eine Haushaltshilfe.

Die 1966 geborene Antragstellerin ist als Rentnerin bei der Antragsgegnerin krankenversichert. Sie wohnt in einem Haushalt mit ihren Kindern, die am 6. Dezember 1991, 1. Dezember 2004 und 28. Dezember 2005 geboren sind. Im Jahre 2008 wurde bei ihr eine Brustkrebserkrankung diagnostiziert. Während der anschließenden Behandlung übernahm die Antragsgegnerin die Kosten für Haushaltshilfe, mit Unterbrechungen und zum Teil im Rahmen eines Gerichtsverfahrens, bis 10. August 2010. Eine Weiterzahlung lehnte die Antragsgegnerin mangels akuter Krankheit ab. Der anschließende Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz blieb ohne Erfolg (Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 12. Oktober 2010 und Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 25. November 2010).

Im Januar 2011 beantragte die Antragstellerin erneut die Gewährung von Haushaltshilfe mit der Begründung, dass aufgrund ihrer Erkrankung eine Strahlen- und Chemotherapie notwendig werde. Nach Anhörung des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) übernahm die Antragsgegnerin erneut die Kosten der Haushaltshilfe, zunächst für zwei Stunden und später für drei Stunden an fünf Wochentagen bis 31. August 2011. Unter Vorlage ärztlicher Bescheinigungen der Schmerztherapeutin Preuss und der Internistin und Psychotherapeutin Dr. B. beantragte die Antragstellerin eine Weitergewährung der Haushaltshilfe. Dies lehnte die Antragsgegnerin nach erneuter Anhörung des MDK mit Bescheid vom 26. August 2011 ab, weil nach Auskunft des MDK ein chronisches Leiden vorliege. Hiergegen legte die Antragstellerin Widerspruch ein. Beim Sozialgericht Lübeck hat sie am 11. September 2011 den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Verpflichtung der Antragsgegnerin beantragt, ihr Haushaltshilfe für sechs Stunden täglich an fünf Tagen der Woche für die Dauer der ärztlich bescheinigten Notwendigkeit zur Verfügung zu stellen, zunächst bis zur Abklärung der weiteren Heilbehandlung in den nächsten sechs Wochen. Zur Begründung hat sie vorgetragen, das Jugendamt habe auf ihren Antrag hin auf Bitten des Sozialamtes zur Abwehr der Notlage die Kostenübernahme für zwei Stunden täglich zugesagt, allerdings nur, wenn sie im Wege der einstweiligen Anordnung sich um eine Kostenübernahme durch die Antragsgegnerin beim Sozialgericht bemühe. Ihr Gesundheitszustand, auf den der MDK seine Stellungnahme beziehe, entspreche leider nicht den neuesten Erkenntnissen. Nach der Untersuchung am 1. September 2011 mit Hilfe eines CT sei festgestellt worden, dass bei ihr der dringende Verdacht eines beidseitigen Karzinoms der Ovarien bestehe. Die stärker gewordenen Schmerzen und das gesamte verschlechterte Allgemeinbefinden (Müdigkeit, Gehstörungen etc.) unterstrichen diese Diagnose. Dazu hat die Antragstellerin u. a. den Bericht der Radiologischen Praxis Dres. Ba. u. a., L., vom 2. September 2011 u. a. vorgelegt. In einem weiteren Schriftsatz hat die Antragstellerin darauf hingewiesen, dass ihr ältester Sohn ab 10. Oktober 2011 an einer ganztägigen Weiterbildungsmaßnahme des Jobcenter Lübeck teilnehmen werde. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass er in der Vergangenheit und auch gerade jetzt, wo das Jugendamt nur zwei Stunden täglich Hilfe leiste, seine Mutter soweit wie möglich bei der täglichen Hausarbeit unterstützt habe. Der Gesundheitszustand der Antragstellerin habe sich seit 14 Tagen massiv verschlechtert. Seit dieser Zeit leide sie mehrfach am Tage an Taubheitsgefühlen an beiden Armen und am linken Bein. Ihre Ärzte hätten sich diese Taubheitserscheinungen nicht erklären können. Eine weitere Abklärung solle durch die ohnehin behandelnde Neurologin Preuss erfolgen. Dazu hat die Antragstellerin eine Bescheinigung des Jobcenter Lübeck vom 28. September 2011 vorgelegt.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 5. Oktober 2011 den Antrag im wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, dass es an der Voraussetzung nach § 13 Abs. 3 der Satzung der Antragsgegnerin fehle, wonach eine andere im Haushalt lebende Person den Haushalt nicht weiterführen könne. Dabei handele es sich um den am 6. Dezember 1991 geborenen Sohn der Antragstellerin C. E., dem eine Weiterführung des Haushalts möglich und auch zuzumuten sei. Den Dienst in der Bundeswehr habe er noch nicht angetreten. Die Antragstellerin könne sich auch nicht auf die behauptete Maßnahme der Agentur für Arbeit, in der er sich befinden solle, berufen. Insoweit habe sie weder die Art der Maßnahme benannt noch etwa den Umfang der zeitlichen Inanspruchnahme.

Gegen den ihr am 16. Oktober 2011 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, eingegangen beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht am 2. November 2011. Zur Begründung trägt sie vor, die Einsatzfähigkeit ihres Sohnes sei seit dem 10. Oktober 2011 nicht mehr gegeben, da er seitdem in einem Langzeitpraktikum der Agentur für Arbeit mit über acht Stunden täglich Abwesenheitsdauer von zuhause eingesetzt sei. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin und des MDK sei sie auch akut krank. Bei ihr bestehe der Verdacht auf eine cervicale Myelopathie, die voraussichtlich kurzfristig operativ behandelt werden müsse. Körperliche Schonung sei zwingend vorgeschrieben. Diese Erkrankung stehe mit ihren anderen Leiden wohl kaum in einem direkten Zusammenhang. Zwischenzeitlich leiste das Jugendamt der Stadt L. häusliche Pflege im Rahmen von Jugendhilfe bis zum 4. Dezember 2011, wie sich aus dem Bescheid der Hansestadt vom 16. September 2011 ergebe. Im Widerspruchsverfahren trete der Ausschuss am 4. November 2011 zusammen. In diesem Zusammenhang sei dem Ausschuss die aktuelle Gesundheitssituation der Antragstellerin unter Angabe von Beweismitteln dargelegt worden. Mit Widerspruchsbescheid vom 11. November 2011 hat die Antragsgegnerin den Widerspruch zurückgewiesen. Sie beantragt unter Vorlage dieses Widerspruchsbescheides die Zurückweisung der Beschwerde.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig und im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und der Zurückverweisung der Sache an das Sozialgericht zur erneuten Entscheidung über den Antrag in entsprechender Anwendung des § 159 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) begründet, weil das Verfahren an einem wesentlichen Mangel gemäß Nr. 2 der Vorschrift leidet. Eine solche Zurückverweisung ist auch in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich zulässig (vgl. etwa Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 159 Rz. 1; Hk-SGG, Lüdtke, § 159 Rz. 3; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 25. März 2009 – L 3 AS 148/09 B ER -; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. No¬vember 2006 – L 18 B 1037/06 AS ER -).

Ein wesentlicher Mangel im Sinne dieser Norm liegt bei einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht des § 103 SGG vor, wenn sich das Gericht zu weiteren Ermittlungen aus seiner rechtlichen Sicht hätte gedrängt fühlen müssen (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer a.a.O. § 144 Rz. 33 m. w. N. auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts). Das ist hier der Fall.

Rechtlich zutreffend ist das Sozialgericht davon ausgegangen, dass der Anspruch auf Haushaltshilfe nach § 13 Abs. 3 der Satzung der Antragsgegnerin, aber auch nach § 38 Abs. 3 des Fünften Sozialgesetzbuches (SGB V), ausgeschlossen ist, soweit eine im Haushalt lebende Person den Haushalt weiterführen kann. Als eine solche Person kommt auch, wie von der Antragstellerin im Grundsatz auch nicht bestritten wird, ihr 19jähriger Sohn C. in Betracht. Allerdings bestehen nach dem Vortrag der Antragstellerin und dem Akteninhalt deutliche Hinweise darauf, dass dem Sohn C. die Haushaltsführung aufgrund der Durchführung einer Maßnahme der Agentur für Arbeit nicht zumutbar ist. In diesem Zusammenhang hat das Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 7. November 2000 – B 1 KR 15/99 R - = SozR 3-2500 § 38 Nr. 3) ausgeführt, dass § 38 Abs. 3 SGB V dem Versicherten nur entgegengehalten werden könne, wenn der anderen Person ein Einsatz im Haushalt nicht nur möglich, sondern unter Berücksichtigung ihrer sonstigen insbesondere beruflichen Verpflichtung auch zumutbar sei. So brauche er sich nicht auf die Aushilfe durch ein Haushaltsmitglied verweisen zu lassen, das eine Berufstätigkeit oder Schulausbildung aufgeben oder einschränken müsse, um die Weiterführung des Haushalts sicherstellen zu können. Eine Verpflichtung des Hausgenossen, sich zu diesem Zweck beurlauben zu lassen, bestehe nicht.

Offensichtlich geht auch das Sozialgericht in dem angefochtenen Beschluss davon aus, dass die Teilnahme an einer Maßnahme der Agentur für Arbeit grundsätzlich dem Einwand nach § 38 Abs. 3 SGB V und § 13 Abs. 3 der Satzung der Antragsgegnerin entgegenstehen kann. Gleichwohl geht das Sozialgericht von der Zumutbarkeit der Haushaltsführung durch C. E. mit der Begründung aus, dass weder die Art der Maßnahme noch der Umfang der zeitlichen Inanspruchnahme benannt und vorgetragen worden sei. In diesem Zusammenhang verkennt das Sozialgericht allerdings die auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes geltende Amtsermittlungspflicht. Nach § 103 SGG erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Die Antragstellerin selbst hat bereits im sozialgerichtlichen Verfahren im Schriftsatz vom 5. Oktober 2011 darauf hingewiesen, dass ihr Sohn an einer Maßnahme des Jobcenter Lübeck ab 10. Oktober 2011 teilnimmt. Hinsichtlich des zeitlichen Umfangs hat sie dabei auf Ganztätigkeit (gemeint: Ganztägigkeit) hingewiesen. Dies folgt auch aus dem Schreiben des Jobcenter Lübeck vom 26. September 2011, in dem dieses bestätigt, dass ihr Sohn C. E. voraussichtlich ab dem 4. Oktober 2011 an der Vollzeitweiterbildung Jugend und Wirtschaft teilnehmen werde. Bestehen dann noch Zweifel an dem zeitlichen Umfang der Maßnahme und ihrem Inhalt, wäre und war das Sozialgericht nach § 103 SGG dazu verpflichtet, diese durch eine Auskunft beim Jobcenter auszuräumen oder/und einen Bewilligungsbescheid von der Antragsgegnerin einzufordern. Dies gilt insbesondere deshalb, weil allein mit dieser Begründung das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von Haushaltshilfe ablehnt.

Neben dieser Auskunft des Jobcenter wird das Sozialgericht gegebenenfalls medizinisch aufzuklären haben, inwieweit sich der akute Zustand der Antragstellerin verschlimmert hat. Bereits im sozialgerichtlichen Verfahren hat diese auf den aufgrund einer Untersuchung am 1. September 2011 geäußerten Verdacht eines beidseitigen Karzinoms der Ovarien hingewiesen. Darüber hinaus trägt die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren als weitere Verdachtsdiagnose eine cervicale Myelopathie mit zwischenzeitlicher Untersuchung durch den Neurologen Prof. Dr. A. M. und voraussichtlich kurzfristiger operativer Behandlung vor. Auch dieser Verdachtsdiagnose wird das Sozialgericht nachzugehen haben. Dabei wird die Antragsgegnerin gegebenenfalls eine erneute Stellungnahme des MDK einzuholen haben, dem diese Verdachtsdiagnosen bei seiner letzten Stellungnahme vom 25. August 2011 noch nicht bekannt waren.

Der Senat hat von dem ihm nach § 159 Abs. 1 SGG eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht und die Sache an das Sozialgericht zurückverwiesen, weil die Entscheidung des Sozialgerichts auf dem festgestellten Verfahrensmangel beruhen kann. Es genügt insoweit, dass die Möglichkeit einer anderen Entscheidung besteht (Urteil des beschließenden Senats vom 6. Oktober 2011 L 5 KR 66/11 -). Des Weiteren hat der Senat in seine Ermessensentscheidung einbezogen, dass eine Zurückverweisung gerade im einstweiligen Rechtsschutz nur dann erfolgen sollte, sofern Prozesswirtschaftlichkeit, Beschleunigungsgebot und Effektivität des Rechtschutz dem nicht entgegenstehen (vgl. Hk-SGG Lüdtke a.a.O.). Vorliegend ist für den Senat bei seiner Entscheidung über die Zurückverweisung maßgebend, dass die Sache noch nicht spruchreif ist und von den angesprochenen Ermittlungen abhängt. Gerade im Beschwerdeverfahren darf darüber hinaus nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Entscheidung des Landessozialgerichts, anders als die Entscheidung durch das Sozialgericht, endgültig ist. Im vorliegenden Fall ist die Zurückverweisung deswegen geboten, um der Antragstellerin hinsichtlich der zu treffenden Sachentscheidung nach entsprechender vollständiger Ermittlung der Voraussetzungen den Rechtsweg nicht zu verkürzen. Auch die im einstweiligen Rechtsschutz grundsätzlich gebotene zeitnahe Entscheidung spricht im vorliegenden Fall nicht gegen die Durchführung der Ermittlungen mit anschließender Entscheidung durch das Sozialgericht, da, wenn auch zeitlich begrenzt, die Jugendhilfe Leistungen der häuslichen Pflege übernimmt.

Die Kostenentscheidung bleibt der endgültigen Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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