L 6 AS 269/13 B

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kiel (SHS)
Aktenzeichen
S 34 AS 684/12
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 269/13 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Für die Prüfung der Erfolgsaussichten eines Prozesskostenhilfeantrags ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt seiner Entscheidungsreife abzustellen.

2. Entscheidungsreif ist ein Prozesskostenhilfeantrag frühestens zu dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller seinen Antrag schlüssig begründet, die notwendigen Erklärungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen eingereicht und der Gegner Gelegenheit erhalten hat, sich innerhalb einer angemessenen Frist zu äußern.

3. Auf die Erfolgsaussichten bei Eingang des Prozesskostenhilfeantrags ist auch dann nicht abzustellen, wenn sich die Gegenerklärung im Nachhinein als entbehrlich erweist.

4. Sofern ein Anspruch auf Auszahlung bewilligter Leistungen mit einem Eilantrag wirksam verfolgt werden kann, kann es an einem Rechtsschutzbedürfnis für eine parallel erhobene Leistungsklage fehlen.
Die Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 16. Mai 2013 wird zurückgewiesen. Kosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist der Anspruch der Kläger auf Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren S 34 AS 684/12, mit dem die Kläger die Auszahlung bereits bewilligter Leistungen begehrt haben.

Die Kläger standen bei dem Beklagten im laufenden Bezug von Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld. Mit Bescheid vom 2. März 2012 waren ihnen und der Ehefrau des Klägers zu 1. u. a. für die Monate März bis Juli 2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 1.066,42 EUR bewilligt worden. Nachdem den Klägern und der Ehefrau des Klägers zu 1. in den Vormonaten jeweils ca. 560,00 EUR ausbezahlt worden waren – Unterkunftskosten und Tilgungsleistungen für Altschulden wurden an Vermieter und Versorger direkt gezahlt –, erhielten sie für den Monat Juni 2012 – abgesehen von einer Abschlagszahlung von 50,00 EUR – zunächst keine Leistungen.

Am 14. Juni 2012 haben sie beim Sozialgericht Kiel Leistungsklage erhoben, einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und – unter Beifügung einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse – Prozesskostenhilfe beantragt. Im Eilverfahren zum Az. S 34 AS 184/12 ER hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 18. Juni 2012 anerkannt, zur Auszahlung der bewilligten Leistungen verpflichtet zu sein und sich zur Übernahme der notwendigen außergerichtlichen Kosten bereit erklärt. Die Kläger haben dieses Anerkenntnis angenommen.

Im Hauptsacheverfahren zum Az. S 34 AS 684/12 hat der Beklagte mit Schriftsätzen vom 12. bzw. 25. Juli 2012 erklärt, kein Anerkenntnis abgeben zu wollen. Dem Rechtsschutzinteresse der Kläger sei bereits durch das Anerkenntnis im korrespondierenden Eilverfahren entsprochen worden. Ein Kostenanerkenntnis werde nicht abgegeben, da die Erhebung der Leistungsklage neben dem zeitgleich betriebenen Eilverfahren nicht erforderlich gewesen sei.

Mit Beschluss vom 16. Mai 2013 hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Die Rechtsverfolgung habe im Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags keine hinreichende Erfolgsaussicht (mehr) gehabt. Maßgeblich sei der Zeitpunkt, in dem die Gegenerklärung des Beklagten vom 12. Juli 2012 eingegangen sei. Zu diesem Zeitpunkt habe bereits das Anerkenntnis des Beklagten im Eilverfahren vom 18. Juni 2012 vorgelegen und sei der streitige Betrag schon zu Auszahlung gelangt. Dadurch sei das Rechtsschutzbedürfnis für die Leistungsklage entfallen.

Mit der am 22. Mai 2013 erhobenen Beschwerde gestehen die Kläger zu, dass Entscheidungsreife zwar im Regelfall erst bei Eingang der Gegenerklärung eintrete. Hier sei aber nicht auf die Gegenerklärung vom 12. Juli 2012 im Hauptsacheverfahren, sondern die Gegenerklärung vom 18. Juni 2012 im korrespondierenden Eilverfahren maßgeblich, weil das Gericht bereits mit ihr ausreichende Informationen erhalten habe, um über das Prozesskostenhilfegesuch entscheiden zu können. Vorliegend sei das Rechtsschutzbedürfnis daher nicht vor, sondern frühestens zeitgleich mit dem Eintritt der Bewilligungsreife weggefallen. Weil der Beklagte mit der Gegenerklärung keine sachlichen oder rechtlichen Einwendungen vorgebracht habe, sei es auf diese vorliegend im Übrigen schon gar nicht angekommen, so dass ein Abwarten der Gegenerklärung unzweckmäßig gewesen und Bewilligungsreife damit schon früher eingetreten sei. Auch sonst sei dem Klagebegehren nicht die notwendige Erfolgsaussicht abzusprechen. Namentlich habe es nicht deshalb von vornherein am Rechtsschutzbedürfnis gefehlt, weil die bloße Stellung eines Eilantrags zur Erreichung des Rechtsschutzziels ausreichend gewesen wäre. Beide Verfahren dürften grundsätzlich zeitgleich betrieben werden. Zwar könne es vorkommen, dass ein Eilverfahren zur Erledigung des Hauptsacheverfahrens beitrage, wenn der Gegner den geltend gemachten Anspruch vorbehaltlos anerkenne. Allein die potenzielle Möglichkeit einer solchen Entwicklung dürfe aber nicht zur Unzulässigkeit der Klage führen, zumal mit dem Eilantrag (Auszahlung der Leistungen ab Eingang des Eilantrags bei Gericht am 14. Juni 2012) und dem Hauptsacheantrag (Auszahlung der gesamten Leistungen für den Monat Juni 2012) auch unterschiedliche Rechtsschutzziele verfolgt worden seien.

II.

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist ungeachtet der Frage statthaft, ob in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte. Die insoweit die Beschwerde ausschließende Regelung des § 172 Abs. 3 Nr. 2 lit. b Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der Fassung des Gesetzes vom 19. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3836) ist am 25. Oktober 2013 und damit erst nach Erhebung der Beschwerde in Kraft getreten. Nach den Grundsätzen des intertemporalen Prozessrechts bleiben statthaft erhobene Rechtsbehelfe bei nachträglicher Änderung der Prozessrechtslage grundsätzlich zulässig (Senatsbeschluss vom 26. November 2013 – L 6 AS 277/13 B PKH – zit. n. juris; vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, Vor § 143 Rn. 10b m.w.N.). Der Senat ist zum bisherigen Recht in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, dass die für das Berufungsverfahren geltende Vorschrift des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG für das Beschwerdeverfahren, in dem um die Bewilligung von PKH gestritten wird, nicht anwendbar und die PKH-Beschwerde in Hauptsacheverfahren damit ohne Rücksicht auf den Beschwerdewert statthaft ist (vgl. Senatsbeschluss vom 20. August 2011 L 6 AS 52/11 B PKH , zitiert nach juris m.w.N.).

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf seinen Antrag hin Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Das Sozialgericht hat den Antrag der Kläger, ihnen Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt P zu gewähren, zu Recht mit der Begründung abgelehnt, dass die erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg der Klage nicht gegeben ist. Nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen grundsätzlich auf die Begründung des erstinstanzlichen Beschlusses Bezug (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

Auch das Beschwerdevorbringen ändert nichts daran, dass die Klage im Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags keine hinreichende Erfolgsaussicht mehr gehabt hat.

Für die Entscheidungsreife ist nicht der Zeitpunkt der Antragstellung maßgeblich, sondern frühestens der Zeitpunkt, in dem der Antragsteller seinen Antrag schlüssig begründet, die notwendigen Erklärungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen eingereicht und der Gegner Gelegenheit erhalten hat, sich innerhalb einer angemessenen Frist zu äußern (vgl. § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dies entspricht der Senatsrechtsprechung (Senatsbeschluss vom 31. Juli 2009 – L 6 B 65/09 AS PKH), überdies der – soweit ersichtlich – einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung im Bundesgebiet (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. Februar 2009 – L 13 AS 4995/08 PKH-B; Bayerisches LSG, Beschlüsse vom 19. März 2009 – L 7 AS 52/09 B PKH – und vom 20. Mai 2012 – L 7 AS 343/12 B PKH; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. März 2011 – L 5 AS 2297/10 B PKH; LSG Hessen, Beschluss vom 26. Juli 2011 – L 7 AL 113/11 B; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. März 2009 – L 6 B 12/09 AS; LSG Sachsen, Beschluss vom 14. Juli 2011 – L 7 SO 83/10 B PKH, jeweils zit. n. juris) und der einschlägigen Kommentarliteratur (Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O, § 73a Rn. 7d).

Entscheidungsreife ist danach frühestens eingetreten, als der Beklagte innerhalb einer angemessenen Zeit am 18. Juni 2012 seine Gegenerklärung im korrespondierenden Eilverfahren zum Az. S 34 AS 184/12 ER abgegeben und den klägerischen Anspruch auf Auszahlung der bewilligten Leistungen anerkannt hat. Mit diesem Anerkenntnis ist unmittelbar das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage entfallen und damit auch die Erfolgsaussicht für das weitere Klageverfahren weggefallen. Entgegen der Ansicht der Kläger spielt es insoweit keine Rolle, ob der zum Wegfall der Erfolgsaussichten führende Umstand vor Eintritt der Entscheidungsreife, oder – wie hier – zeitgleich damit eingetreten ist. Die von den Klägern für ihren Standpunkt in Bezug genommene Entscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. März 2009 – L 7 AS 52/09 B PKH gibt dazu nichts her. Entscheidend ist vielmehr, dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe auf Grundlage einer Prognoseentschei¬dung über die Erfolgsaussichten der Klage zu erfolgen hat. Auf diese Erfolgsprognose ist es aber ohne Einfluss, ob ein erledigendes Ereignis bereits vor Abgabe der Gegenerklärung oder gleichzeitig mit ihr eingetreten ist. In keinem dieser Fälle wird eine Verurteilung des Gegners noch hinreichend wahrscheinlich sein.

Der Senat folgt auch nicht der Ansicht der Kläger, dass es für die Entscheidungsreife ausnahmsweise auf den Zeitpunkt ankomme, in dem der Prozesskostenhilfeantrag bei Gericht eingegangen sei (hier: 14. Juni 2012), weil die Gegenerklärung vorliegend substanzlos und damit entbehrlich gewesen sei. Dieses Ergebnis lässt sich nicht auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO stützen. Zwar kann danach Prozesskostenhilfe auch ohne die grundsätzlich erforderliche vorherige Anhörung des Gegners bewilligt werden, wenn die Einholung einer Stellungnahme aus besonderen Gründen unzweckmäßig erscheint. Bewilligungsreife bei Antragseingang ließe sich damit aber nur begründen, wenn die "besonderen Gründe" zu diesem Zeitpunkt objektiv vorgelegen haben und für den Richter ohne Weiteres erkennbar gewesen sind. § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält verfahrensrechtliche Direktiven für den zuständigen Richter. Er hat grundsätzlich rechtliches Gehör zu gewähren und darf nur ausnahmsweise davon abweichen, wenn besondere Gründe vorliegen und diese eine vorherige Anhörung des Gegners unzweckmäßig erscheinen lassen. Diese Zweckmäßigkeitserwägungen kann der Richter nur auf Grundlage des jeweils aktuellen Kenntnisstandes anstellen; Gesichtspunkte, die erst nachträglich eine vorherige Anhörung des Gegners obsolet erscheinen lassen, können die Ermessensentscheidung für oder gegen die Gewährung rechtlichen Gehörs nicht beeinflussen und sind daher unbeachtlich.

Daran gemessen liegen besondere Gründe i.S. des § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die eine sofortige PKH-Entscheidung gerechtfertigt hätten, nicht vor. Es war im Zeitpunkt der Antragstellung nicht objektiv erkennbar, ob der Beklagte einen Rechtsgrund z. B. nach § 40 Abs. 2 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) i.V.m. § 331 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) für die Nichtauszahlung der bewilligten Leistungen hatte. Zumindest im Hauptsacheverfahren hat auch keine Veranlassung bestanden, aus Gründen der Vordringlichkeit bzw. Eilbedürftigkeit ohne Anhörung des Gegners augenblicklich über Prozesskostenhilfe zu entscheiden.

Ob den Klägern ein Anspruch auf Erstattung ihrer notwendigen Aufwendungen für das Klageverfahren nach § 193 SGG zukommen kann, ist hier nicht zu entscheiden. Wesentlich dürfte es insoweit auf die Frage ankommen, ob die Kläger ein berechtigtes Interesse gehabt haben, neben dem Eilantrag auch eine Leistungsklage in der Hauptsache zu erheben. Der Senat hat bereits entschieden, dass es in einer Situation, in der die Auszahlung bewilligter Leistungen mit einem Eilantrag wirksam verfolgt werden kann, am allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis für die nicht fristgebundene allgemeine Leistungsklage fehlen kann (Senatsbeschluss vom 10. Januar 2014 – L 6 AS 312/13 B PKH). Das Sozialgericht wird auch in Ansehung des Beschwerdevorbringens zu würdigen haben, ob in der konkreten Situation gleichwohl besondere Umstände für das Vorliegen des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses streiten oder ob und inwieweit der Beklagte durch vorprozessuales Verhalten (auch) das Klageverfahren veranlasst hat.

Außergerichtliche Kosten sind im Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahren nicht zu erstatten (§ 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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