S 5 U 44/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 U 44/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Bescheid vom 9. Juli 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 2004 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte wird verurteilt, die beim Kläger vorliegende bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule als beruflich verursacht im Sinne einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen, wobei die zum derzeitigen Zeitpunkt vorliegenden Folgen der beruflich verursachten Erkrankung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 v.H. zu bewerten sind.
III. Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten in voller Höhe zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die beim Kläger vorliegenden Wirbelsäulenbeschwerden die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) (BK 2108) erfüllen.

Der am 1966 geborene Kläger absolvierte zunächst von 1984 bis 1986 eine Lehre als Büromaschinenmechaniker, die abgebrochen wurde, anschließend eine Lehre als Großhandelskaufmann, die er im Jahr 1988 abschloss. Seit dem 15.06.1988 ist er als Rettungsassistent in der Notfallrettung tätig.

Im Februar 2002 meldete der Arbeitgeber des Klägers einen Unfall vom 20.01.2002, bei dem der Kläger beim Lagern und anschließenden Abtransport einer bewusstlosen Patientin über eine Treppe plötzlich Schmerzen im Bereich von Lendenwirbelsäule (LWS) und Brustwirbelsäule (BWS) verspürt habe.

Zusammen mit der ärztlichen Unfallmeldung wurde eine Kernspintomographie vom 28.01.2002 vorgelegt, wonach beim Kläger Bandscheibenvorfälle in den Segmenten L5/S1, L4/L5 und Th 10/11 gegeben waren.

Nachdem der Beklagte zu erkennen gegeben hatte, dass die vorliegenden Bandscheibenvorfälle nicht als Unfallfolge anerkennungsfähig seien, beantragte der Kläger mit Schreiben vom 10.06.2002 die Anerkennung einer Berufskrankheit. Gleichzeitig legte er eine Kernspintomographie der LWS vom 31.03.2000 vor, bei der Bandscheibenvorwölbungen in den Segmenten L4/5 und L5/S1 festgestellt worden waren.

Aus gesundheitlichen Gründen (Wirbelsäulenbeschwerden) reduzierte der Kläger zum 01.07.2002 seine Arbeitszeit auf 49,9 % (22,5 Stunden pro Woche).

Auf Nachfrage des Beklagten gab der Kläger am 08.07.2002 an, dass heftige Rückenschmerzen im Bereich der LWS ab 1999/2000 beim Heben und Retten von Personen aufgetreten seien.

Am 27.09.2002 äußerte sich der beratende Arzt des Beklagten nach Vorlage der Unterlagen dahingehend, dass zur Beantwortung der Frage einer BK 2108 eine Begutachtung erforderlich sei.

Am 10.01.2003 erstellte der Präventionsdienst des Beklagten eine arbeitstechnische Stellungnahme zur BK 2108. Er äußerte sich darin wie folgt:

Die vollschichtige Tätigkeit des Klägers vom 15.06.1988 bis zum 30.06.2002 als Rettungsassistent erfülle das Kriterium der Langjährigkeit im Sinne des Merkblattes zur BK 2108. Die für das Arbeitsfeld eines Rettungsassistenten bestimmenden Tätigkeiten seien der Krankentransport und der Rettungsdienst. In beiden Tätigkeitsbereichen würden die Lastgewichte nach dem genannten Merkblatt teilweise deutlich überschritten, auch müsse zum großen Teil eher körperfern gehoben werden und die Belastungen würden, je nach Umgebungsbedingungen, auch in stark verdrehter Körperhaltung oder mit einer Rumpfbeugung von mehr als 90° auftreten. Ausgehend von den durchschnittlichen Einsatzzeiten der Jahre 1997 bis 2001 hätten belastende Tätigkeiten durchschnittlich pro Schicht einen Zeitanteil von etwa 60 bis 100 Minuten umfasst. Die nach dem Merkblatt zur BK 2108 geforderte Regelmäßigkeit und Häufigkeit der belastenden Tätigkeiten seien daher gegeben. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen seien erfüllt.

Im Rahmen der weiteren Aufklärung holte die Beklagte bei den behandelnden Ärzten des Klägers Befundberichte ein. Ebenso wurde ein Gutachten des Chirurgen Dr. E. vom 25.11.2002 beigezogen, das wegen des ursprünglich gemeldeten Unfalls erstellt worden war. Der Gutachter hatte sich darin (am Rande) auch zur Frage einer BK 2108 dahingehend geäußert, dass das Berufsbild des Rettungsassistenten nicht zwangsläufig in höherem Maße Bandscheibenschäden bedinge als andere Berufe.

Im Auftrag des Beklagten erstellte der Orthopäde Professor Dr. Dr. M. am 15.05.2003 ein Gutachten. Er führte darin Folgendes aus:

Die Voraussetzungen zur Anerkennung einer BK 2108 seien aus seiner Sicht nicht gegeben. Er verweise insofern auf das Gutachten des Dr. E. vom 25.11.2002. Bislang habe der Kläger seine Tätigkeit als Rettungsassistent nicht aufgegeben, jedoch ab dem 01.07.2002 um 50 % reduziert. Die tatsächliche Arbeitsbelastung des Klägers erfülle nicht die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die BK 2108. Die Stellungnahme des Präventionsdienstes sei für ihn nicht nachvollziehbar. Insbesondere der Abschnitt der unteren LWS unterliege bei fast allen Menschen altersentsprechend degenerativen Veränderungen. Die Röntgenbilddiagnostik habe keinen Nachweis über das Alter wesentlich hinausgehender Veränderungen erbracht. Zudem sei ebenso eine Bandscheibenzwischenraumverschmälerung im Bereich der unteren BWS zu verzeichnen. Belastungsadaptive Reaktionen seien nicht gegeben. Eine BK 2108 sei daher nicht anzunehmen. Die gefährdende Tätigkeit habe der Kläger nicht aufgegeben, sondern lediglich mit der Halbierung der wöchentlichen Arbeitszeit reduziert. U.a. wurde auch darauf hingewiesen, dass beim Kläger ein diskreter Beckenschiefstand (Höhenminderung rechts lediglich 0,5 cm) bestehe. Das Profil der Wirbelsäule sei unauffällig.

Der gewerbeärztliche Dienst stimmte diesem Gutachten am 17.06.2003 zu.

Gestützt auf dieses Gutachten lehnte es der Beklagte mit Bescheid vom 09.07.2003 ab, eine BK 2108 anzuerkennen.

Mit Schreiben vom 25.07.2003 legten die damaligen Bevollmächtigten des Klägers Widerspruch ein. Mit Schreiben vom 08.10.2003 wurde der Widerspruch damit begründet, dass die durch ständiges schweres Heben und Tragen geprägte Tätigkeit des Klägers die Ursache für die bandscheibenbedingte Wirbelsäulenerkrankung sei. In der Allgemeinbevölkerung bei Personen zwischen 35 und 40 Jahren sei ein derart fortgeschrittenes Krankheitsbild nicht regelmäßig zu finden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22.01.2004 wurde Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.

Dagegen erhoben die Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 11.02.2004 Klage.

Im Rahmen der weiteren Ermittlungen holte das Gericht Befundberichte bei den behandelnden Ärzten ein und zog die mit bildgebenden Verfahren angefertigten Aufnahmen bei. U.a. war am 17.07.2003 eine weitere Kernspintomographie der LWS angefertigt worden, bei der insgesamt eine gewissse Befundbesserung im Vergleich zur Voruntersuchung vom 28.01.2002 festzustellen war.

Im Auftrag des Gerichts erstellte der Orthopäde Dr. P. am 07.12.2004 ein Gutachten. Er führte darin Folgendes aus:

Beim Kläger liege eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Wirbelsäule vor. Bei der Kernspintomographie vom 31.03.2000 seien Aufbraucherscheinungen mit Bandscheibenvorwölbungen in den Segmenten L4/5, L5/S1 und TH11/12 festgestellt worden. Zum gleichen Zeitpunkt seien degenerative Veränderungen der Wirbelgelenke beschrieben worden. Im Verlauf der weiteren Kernspintomographien seien diese Befunde verstärkt festgestellt worden. Bei der Kernspintomographie vom 28.01.2002 seien Bandscheibenvorfälle in den Segmenten L4/5 und stärker L5/S1 erkennbar. Es seien jedoch später gewisse Rückbildungstendenzen (Kernspintomographie vom 18.06.2003) zu erkennen.

Auffallend seien insbesondere die Veränderungen im Bereich des Übergangs von BWS zu LWS, in einer Region mit vermehrter Bewegung, jedoch nicht einer Region mit vermehrter statischer Belastung.

Nach den Unterlagen seien Beschwerden erstmals ab Mitte der neunziger Jahre aufgetreten. Damals sei der Kläger ca. 30 Jahre alt gewesen. Die Beschwerden seien dann manifester Ende der neunziger Jahre bzw. ca. 2000 geworden. Zu diesem Zeitpunkt seien auch vermehrte Hinweise für Nervenwurzelreizerscheinungen und Schmerzzustände beschrieben worden.

Eine vermehrte Belastung bestehe durch die deutliche Übergewichtigkeit des Klägers (103 kg bei 184 cm Körpergröße). Als konkurrierende Veränderung sei durchaus auch die Wirbelsäulenverkrümmung (rechtskonvexe Seitausneigung der LWS) aufgrund eines Beckenschiefstandes zu berücksichtigen.

Zusammenfassend kam der Gutachter zu dem Ergebnis, dass seiner Einschätzung nach die Voraussetzungen für Anerkennung einer BK 2108 nicht vorlägen. Die Schwere der Last, die Häufigkeit und Dauer belastender Vorgänge, aber auch die Gesamtheit der belastenden Einwirkungen seien nicht gegeben. Seiner Ansicht nach liege keine den Beschwerden entsprechende Berechnung der Gesamtbelastungsdosis im Sinne der BK 2108 vor. Er empfehle dem Gericht, die erforderlichen Berechnungen durch den technischen Dienst der Beklagten durchführen zu lassen und auch den Gewerbearzt mit einer Bewertung der neuen Daten zu beauftragen. Sollten sich bei der Nachholung der Berechnungen die entsprechenden Werte ergeben, so sei die Frage des Vorliegens einer BK 2108 nochmals zu klären.

Nach ausführlichen Hinweisen des Gerichts im Schreiben vom 25.12.2004 äußerten sich die Bevollmächtigten des Klägers dahingehend, dass der Gutachter nicht in der Lage sei, die arbeitstechnischen Voraussetzungen ausreichend zu bewerten. Zudem sei für sie eine rechtskonvexe Seitausneigung der LWS bei Beckenschiefstand nicht nachzuvollziehen, da der Vorgutachter Prof. Dr. Dr. M. dies nicht beschrieben habe. Zur Übergewichtigkeit des Klägers sei darauf hinzuweisen, dass dieser im Jahre 2002 ein Gewicht von 94 kg und vor Auftreten der Wirbelsäulenbeschwerden sogar nur von 88 kg (BMI 26) gehabt habe. Durch die Wirbelsäulenbeschwerden sei die Mobilität des Klägers zunehmend eingeschränkt gewesen, was dann leider mit einer Gewichtszunahme einhergegangen sei. Im Rahmen der BK 2108 verlange die medizinische Literatur auch belastungsadaptive Reaktionen im Bereich der unteren BWS und der oberen LWS. Derartige belastungsadaptive Reaktionen seien im Fall des Klägers nachweisbar.

Mit Schreiben vom 25.04.2005 legte der Beklagte eine ergänzende arbeitstechnische Stellungnahme zur BK 2108 vom 19.04.2005 vor. Danach habe sich unter Zugrundelegung des Mainz-Dortmunder-Dosismodells (MDD) eine Tagesdosis von knapp 5100 Nh ergeben. Dies würde 93 % des Grenzwertes für die Tagesdosis für Männer von 5500 Nh entsprechen und gelte damit als nicht gefährdend. Somit sei der gesamte Tätigkeitsabschnitt des Versicherten als nicht gefährdend zu beurteilen. Würde man, entgegen der Regeln des MDD, eine Gesamtdosis berechnen, würde sich beim Kläger eine Gesamtdosis von rund 17 MNh ergeben, was einem Anteil von 68,1 % des Richtwertes für die Gesamtdosis nach dem MDD von 25 MNh entspreche. Auch danach würde die Tätigkeit nicht als gefährdend gelten. Zudem werde auf die Rechtsprechung des Bayerischen Landessozialgerichts (BayLSG) hingewiesen, das seinerzeit die Auffassung vertreten habe, dass das Berufsbild des Rettungssanitäters nicht von der Tätigkeit des Hebens und Tragens geprägt sei und daher eine BK 2108 nicht in Betracht komme.

Mit Schreiben vom 03.05.2005 äußerte sich der Beklagte zudem dahingehend, dass nach seiner Ansicht ein belastungskonformes Schadensbild nicht vorliege. Beim Kläger sei ein bisegmentaler Schaden gegeben, der nicht belastungstypisch sei.

Mit Schreiben vom 24.06.2005 bestellten sich die nunmehrigen Bevollmächtigten des Klägers. Gleichzeitig beanstandeten sie am Gutachten des Dr. P., dass die Klärung der arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht dem medizinischen Sachverständigen obliege.

Der Beklagte wies mit Schreiben vom 07.07.2005 nochmals darauf hin, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Wenn schon der Grenzwert der Tagesdosis nicht überschritten werde, könne sich für die - entscheidende - Gesamtdosis kein für die Annahme einer gefährdenden Tätigkeit relevanter Wert ergeben. Denn nach den geltenden Konventionen dürften Tage mit Werten unterhalb des Grenzwertes für die Tagesdosis überhaupt nicht für die Berechnung der Gesamtdosis herangezogen werden. Die entgegen den geltenden Konventionen durchgeführte Berechnung der Gesamtdosis habe einen Wert von 68,1 % des Richtwerts für die Gesamtdosis ergeben, der weit unterhalb jeder relevanten Belastung sei.

Im Auftrag des Gerichts nahm der gerichtliche Gutachter Dr. P. mit Schreiben vom 23.01.2006 dahingehend Stellung, das nach Kenntnis der nunmehrigen arbeitstechnischen Ermittlungen eine BK 2108 zu bejahen sei. Er halte eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 20 v.H. für gerechtfertigt.

Da aus Sicht des Gerichts der Gutachter bei seiner Stellungnahme zu sehr auf die arbeitstechnischen Voraussetzungen, nicht aber auf die medizinischen Kriterien abgestellt hatte, bat das Gericht den Gutachter mit Schreiben vom 06.02.2006 um Abwägung der medizinischen Kriterien, um die Kausalität besser beurteilen zu können.

Mit Schreiben vom 06.03.2006 äußerte sich der Gutachter ergänzend zu den medizinischen Kriterien:

Beim Kläger lägen objektivierbare bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS, aber auch im Bereich des Übergangs von BWS zu LWS vor. Es fänden sich in den beschriebenen Abschnitten der unteren LWS sog. belastungsadaptive Reaktionen als Ausdruck für die dort ablaufende statische Belastung. Eine entsprechende klinische Symptomatik mit Wurzelreizerscheinungen sei immer wieder aufgetreten und habe zur Unterbrechung der Arbeitstätigkeit geführt.

Es sei jedoch darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung der Sozialgerichte belastungsadaptive Veränderungen nur in einem (einzigen) Bereich der Wirbelsäule vorliegen dürften. Lägen Veränderungen in mehreren Bereichen der Wirbelsäule, wie dies vorliegend der Fall sei, vor, so sei dies aufgrund der aktuellen Rechtsprechung gewissermaßen eine Ausschlusstatsache. Zusammenfassend möchte er aber nochmals darauf hinweisen, dass nach seiner Einschätzung belastungsadaptive Reaktionen im Bereich der LWS als Hinweis für einen Zusammenhang im Sinne einer BK 2108 zu deuten seien. Der von der Rechtsprechung vorgenommene Ausschluss einer Berufskrankheit bei Vorliegen von Veränderungen in mehreren Etagen der Wirbelsäule sei für ihn aus medizinischer Sicht problematisch.

Mit Schreiben vom 17.05.2006 wiesen die Bevollmächtigten des Klägers darauf hin, dass der Gutachter fälschlicherweise von einem Übergewicht des Klägers ausgegangen sei. So sei eine merkbare Gewichtszunahme des Klägers erst ab dem Jahr 2002 (damaliges Gewicht: 94 kg; Gewicht im Jahr 2004: 103 kg) eingetreten. Zudem sei es nicht richtig, dass der Kläger einen Beckenschiefstand habe, der zur Verkrümmung der Wirbelsäule geführt habe. Erstmalig sei im Gutachten vom 15.05.2003 von einem diskreten Beckenschiefstand mit Höhenminderung um 0,5 cm rechts- seitig berichtet worden. Damals habe aber eine regelrecht aufgebaute LWS vorgelegen. Ein Beckenschiefstand mit Verkrümmung der LWS habe daher zum Zeitpunkt der Antragstellung bezüglich der BK 2108 nicht vorgelegen. Er habe sich erst später aus der Schonhaltung infolge der LWS-Erkrankung ergeben. Zudem sei nicht die gesamte BWS, sondern lediglich die unter BWS von einem Schaden betroffen, wobei die Ausprägung dieses Schadens gegenüber der Schädigung der LWS vergleichsweise gering sei. Schließlich sei auf einen Aufsatz von Dr. Bolm-Audorff zu verweisen, wonach degenerative Veränderungen mehrerer benachbarter Wirbelsäulenabschnitte, beispielsweise der LWS und der BWS, eine BK 2108 nicht ausschließen würden.

Mit Schreiben vom 12.06.2006 beantragten die Bevollmächtigten des Klägers, den Chirurgen Dr. I. gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gutachtlich zu hören.

Dieser führt im Gutachten vom 02.10.2006 Folgendes aus:

Beim Kläger lägen rezidivierende Lumbalgien und Lumboischialgien links mit intermittierendem motorischem L5-Syndrom bei Bandscheibenvorfall L4/5 sowie L5/S1, ein Wurzelreizsyndrom S1 links, eine intermittierende und diskrete Fußheberschwäche links, eine Bandscheibenvorwölbung im Bereich TH10/11 ohne neurologische Symptomatik und eine beginnende Hüftgelenksarthrose beidseits vor.

Die LWS-Beschwerden seien erstmals 1990 aufgetreten. Ab 1999 habe laufende ärztliche Behandlungsbedürftigkeit mit mehrfachen Krankschreibungen bestanden. Hinzugekommen seien Lumboischialgien entsprechend einer S1-Wurzelreizsymptomatik. Es sei eine plausible zeitliche Korrelation zwischen Belastungen in der Arbeit und der Entwicklung des Schadensbildes gegeben.

Es bestehe eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS. In den Segmenten L4/5 und L5/S1 seien deutliche Osteochondrosen nachzuweisen. Der Bandscheibenraum L4/5 sei höhengemindert, noch deutlicher der Bandscheibenraum L5/S1. Nebenbefundlich seien in den Segmenten TH11 bis L1 Chondrosen nachweisbar. Der Hauptbefund liege im Segment L5/S1, wobei sich das Bandscheibengewebe verlagert habe und zu einer Impression der S1-Nervenwurzel links geführt habe.

Die beim Kläger vorliegenden Bandscheibenschäden im beruflich belasteten Abschnitt würden sich vom Degenerationszustand der belastungsfernen Abschnitte deutlich hervorheben. Bezogen auf die Verschmälerung der Bandscheibenräume handle es sich um einen von oben nach unten zunehmenden Befund, wobei diese Verschmälerung am deutlichsten im Bereich L5/S1 ausgeprägt sei. Diese bildtechnisch nachweisbaren Veränderungen würden mit der beruflichen Exposition im Sinne eines belastungskonformen Schadensbildes korrelieren.

Das Vorliegen von Chondrosen in der BWS sei nicht geeignet, den Sachverhalt eines belastungskonformen Schadensbildes zu widerlegen. Für den Vergleich zwischen LWS und den darüber gelegenen Wirbelsäulenabschnitten seien Chondrosen und Vorfälle maßgeblich. Berufliche Einwirkungen im Sinne der BK 2108 würden hauptsächlich die LWS belasten, während die Belastungen an der HWS bzw. der BWS erheblich geringer seien. Entsprechend sei zu erwarten, dass sich berufliche Belastungen im Sinne der BK 2108 hauptsächlich an der LWS auswirken würden. Bei beruflichen Belastungen, die intensiv genug seien und lange genug eingewirkt hätten, sei es aber plausibel, das es neben mehrsegmentalen Veränderungen an der LWS auch zu einer Mitreaktion der belastungsfernen HWS und BWS kommen könne. Die epidemiologische Literatur bestätige, dass derartige Mitreaktionen möglich seien, wobei jedoch eine Betonung der berufsbedingten Bandscheibenveränderungen an der LWS erkennbar bleibe.

Beim Kläger hebe sich der Degenerationszustand des belasteten Abschnitts deutlich von den belastungsfernen Abschnitten hervor. Von klinischer Sacherelevanz sei, dass durchgehend Schmerzen und radikuläre Symptome von den unteren Wirbelsäulensegmenten ausgehen würden. Zudem lägen ein vermehrter Muskeltonus im Bereich der unteren LWS sowie Schmerzen und Bewegungseinschränkungen im Bereich der LWS vor.

Radiologisch seien Zunahmen der sklerosierenden Verdichtungen und Bandscheibenminderungen in den unteren LWS-Segmenten zu finden. Eine Zunahme reaktiver Randzackenbildungen im Bereich der Deck- und Trageplatten der höher gelegenen Wirbelkörper liege nicht vor.

Zu bedenken sei weiter, dass keine wesentlichen außerberuflichen bzw. schicksalhaften Krankheitsursachen entzündlicher oder anlagebedingte Genese vorlägen, die zwangsläufig zu einer Bandscheibenerweichung führen könnten. Es lägen auch keine sonstigen relevanten statischen Auffälligkeiten vor, wie z.B. eine vermehrte Beckenkippung. Ein gravierender Beinlängenunterschied bestehe ebenso wie eine wesentliche Fehlhaltung der Wirbelsäule nicht. Bei einer allenfalls geringen Seitverbiegung der Wirbelsäule handle es sich um streng genommen noch um keine Skoliose und auch keinesfalls um eine biomechanisch wirksame prädiskotische Deformität. Zwar habe eine Studie ein signifikant erhöhtes Risiko von degenerativen LWS-Veränderungen bei Patienten mit Skoliose im Vergleich zu gesunden Kontrollprobanden ergeben, diese Aussage gelte jedoch nur für Skoliosen, die im Mittel einen Winkelgrad von über 30 Grad nach Cobb aufweisen würden und damit als hochgradige Skoliosen einzustufen seien. Diese Einschätzung teile auch die Unterarbeitsgruppe "Konkurrierende Faktoren" der Konsensus-Arbeitsgruppe des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften zur Begutachtung der BK 2108, die einer leicht- oder mittelgradigen Skoliose keine Bedeutung bei der Entwicklung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Wirbelsäule zumesse.

Beim Kläger stünden die langjährige Wirbelsäulenerkrankung und das belastungskonforme Schadensbild ganz im Vordergrund.

Auch bei einer gleichzeitigen Erkrankung von anderen Wirbelsäulenabschnitten - hier der BWS - könne nicht automatisch eine wesentliche Verursachung der LWS-Erkrankung durch eine berufliche Belastung verneint werden. Vielmehr sei im Einzelfall zu prüfen, ob diese Erkrankung zusammen mit der LWS-Erkrankung für eine entsprechende Schadensanlage spreche oder andere Ursachen habe. Zudem sei darauf hinzuweisen, dass die ausgeprägteste Höhenminderung der Bandscheibenräume beim Kläger in den untersten lumbalen Segmenten lokalisiert sei.

Aus medizinischer Sicht bestehe ein Zwang zur Unterlassung von Tätigkeiten, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Erkrankung ursächlich seien. Aus diesem Grund habe der Kläger auch bereits seine Arbeitszeit reduziert.

Die MdE schätze er auf 20 v.H.

Mit Schreiben vom 19.10.2006 wiesen die Bevollmächtigten daraufhin, dass allein damit, dass der Kläger bislang gezwungenermaßen (zur Bestreitung des Lebensunterhalts) die belastende Tätigkeit noch nicht aufgeben habe können, der Klageanspruch noch nicht weggefallen sei. Es sei insofern auf § 9 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) zu verweisen. Der Versicherungsträger sei zur Entscheidung verpflichtet, auch wenn die in einem BK-Tatbestand geforderte Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit noch nicht vollzogen worden sei.

Am 07.11.2006 übersandte das Gericht das Gutachten dem Beklagten zur Stellungnahme.

Mit Schreiben vom 08.08.2007 äußerte sich der Beklagte nach rund neun Monaten kurz vor der auf den 13.08.2007 anberaumten mündlichen Verhandlung zum eingeholten Gutachten wie folgt:

Dem Gutachten des Dr. I. könne nicht gefolgt werden.

Es seien bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfüllt. Zur Begründung werde auf das Urteil des BayLSG vom 25.04.2001 verwiesen, wonach bei einem Rettungssanitäter keine Tätigkeiten bejaht werden könnten, wie sie sich der Verordnungsgeber nach dem Merkblatt zur BK 2108 vorgestellt habe. Das Berufsbild des Rettungssanitäters sei gerade nicht durch schweres Heben und Tragen geprägt, sondern von wechselnden Tätigkeiten.

Zudem seien auch nicht die medizinischen Voraussetzungen zu bejahen. Es sei nicht nachvollziehbar, warum Dr. I. zu dem Ergebnis komme, dass im vorliegenden Fall ein sog. belastungskonformes Schadensbild gegeben sei. Die überwiegende Zahl der Sachverständigen vertrete die Ansicht, dass eine mono- bzw. (wie hier vorliegend) bisegmentale Bandscheibenerkrankung gerade nicht einem solchen belastungskonformen Schadensbild entspreche. Derartige Bandscheibenerkrankungen fänden sich bekanntlich zur Genüge auch in Büroberufen, bei denen eine Exposition im Sinne der BK 2108 nicht zur Diskussion stehe.

Dass eine bisegmentale Bandscheibenerkrankung nicht einer erhöhten beruflichen Belastung entspreche, werde auch durch die Ausführungen von Prof. Dr. A. in einem Gutachten vom 13.03.2007, das im Rahmen eines Rechtsstreits vor dem Sozialgericht Koblenz erstellt worden sei, belegt. Danach fänden sich bisegmentale Bandscheibenvorwölbungen bzw. -vorfälle bei den BK-relevanten Berufen in 20 % und bei den nicht BK-relevanten Berufen in 25,4 % der Fälle. Ein derartiger Bandscheibenschaden zeige sich also häufiger bei der nicht belasteten Gruppe als bei der belasteten (wie dem Gutachten zu entnehmen ist, hat der Gutachter diese Zahlen aufgrund einer Analyse der von ihm behandelten Patienten gewonnen).

Abschließend werde darauf hingewiesen, dass der Kläger seine belastende Tätigkeit noch nicht aufgegeben habe und somit ein Rentenanspruch derzeit ohnehin nicht in Betracht komme.

In der mündlichen Verhandlung vom 13.08.2007 beantragte der Bevollmächtigte des Klägers,

den Bescheid vom 09.07.2003 in Gestalt des Widerspruchsbe scheides vom 22.01.2004 aufzuheben und den Beklagten dazu zu verurteilen, die beim Kläger vorliegende bandscheibenbe dingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule als beruflich ver ursacht im Sinne einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen, wobei die zum jetzigen Zeitpunkt vorliegenden Folgen der beruf lich verursachten Erkrankung mit einer Minderung der Er werbsfähigkeit in Höhe von 20 v.H. zu bewerten seien.

Der Vertreter des Beklagten beantragte,

die Klage abzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Akten des Gerichts und des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet.

Beim Kläger liegt eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS im Sinne der BK 2108 vor, die hinreichend wahrscheinlich auf die berufliche Tätigkeit des Klägers als Rettungssanitäter zurückzuführen ist und die derzeit mit einer MdE in Höhe von 20 v.H. zu bewerten ist. Ein Rentenanspruch resultiert daraus bis zum heutigen Tage jedoch nicht, da die belastende Tätigkeit noch nicht (vollständig) aufgegeben worden ist.

Versicherungsfälle sind gem. § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten.

Gem. § 9 Abs. 1 SGB VII sind Berufskrankheiten solche Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet hat (Listenprinzip) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Krankheit muss durch eine versicherte Tätigkeit hinreichend wahrscheinlich verursacht oder wesentlich verschlimmert worden sein, d.h. die Gefährdung durch schädigende Einwirkungen muss ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen sein und die Einwirkung muss diese Krankheit verursacht haben.

Alle rechtserheblichen Tatsachen, d.h. insbesondere die schädigende Einwirkung und die Erkrankung (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 22.06.2004, Az.: B 2 U 22/03 R), bedürfen des vollen Beweises, d.h. sie müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorgelegen haben (vgl. BSGE 45, 285, 287).

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden kann (vgl. BSGE 58, 80, 83; 61, 127, 128). Oder in anderen Worten gesagt - das Gericht muss von der zu beweisenden Tatsache mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit ausgehen können (vgl. BSGE 45, 285, 287).

Für den ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie zwischen der schädigenden Einwirkung und der Gesundheitsstörung (haftungsausfüllende Kausalität) genügt dagegen eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSGE 58, 80; 61, 127, 129 ).

Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ist dann gegeben, wenn nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalles mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden (vgl. BSGE 45, 285, 286; 60, 58, 59).

Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ist dagegen nicht gegeben, wenn ein Zusammenhang nur nicht auszuschließen oder bloß möglich ist (vgl. BSG SozR Nr. 41 zu § 128 SGG; BSG SozR Nr. 20 zu § 542 a.F. RVO; BSGE 19, 52 = SozR Nr. 62 zu § 542 a.F. RVO; BSG SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Meyer-Ladewig, in: Meyer-Ladewig, Keller, Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 128, RdNr. 3c; Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 09.05.2006, Az.: B 2 U 26/04 R).

Auch wenn eine Alternativursache (neben der beruflichen Belastung) für die Entstehung des Schadens fehlt oder nicht nachgewiesen ist, kann damit noch nicht ein hinreichend wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Gesundheitsschaden begründet werden. Denn es gibt bei der Beurteilung von Berufskrankheiten (ebenso wie von Arbeitsunfällen) keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006, Az.: B 2 U 26/04 R). Würde man dieser Regel nicht folgen, würde dies insbesondere bei komplexen Krankheitsgeschehen nicht selten zu einer Beweislastumkehr führen, für die eine gesetzliche Grundlage fehlt (vgl. BSG, Urteil vom 07.09.2004, Az.: B 2 U 34/03 R ).

Ebenso kann noch nicht aus der Tatsache, dass die Arbeitsbedingungen grundsätzlich dazu geeignet sind, eine Berufskrankheit zu verursachen, darauf geschlossen werden, dass bei Vorliegen einer Erkrankung, die unter eine Berufskrankheit subsumiert werden könnte, diese Erkrankung auch tatsächlich im Einzelfall durch die berufliche Belastung verursacht ist und damit eine Berufskrankheit darstellt. Denn die Erfüllung der sog. arbeits- technischen Voraussetzungen stellt noch nicht einen Anscheinsbeweis im Sinne des § 9 Abs. 3 SGB VII zu Gunsten des ursächlichen Zusammenhangs dar (vgl. BSG SGb 1999, S. 39 ff; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.06.2000, Az. L 17 U 112/98). Vielmehr bleibt im konkreten Einzelfall weiter zu prüfen, ob die exakte Ausprägung des Krankheitsbildes dem der entsprechenden Berufskrankheit entspricht.

Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSGE 63, 277, 280). Daran fehlt es, wenn eine Krankheitsanlage so leicht ansprechbar gewesen ist, dass die Auslösung akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte (vgl. BSGE 62, 220, 221).

Die Frage, ob ein Ursachenzusammenhang zwischen beruflicher Belastung und Gesundheitsschaden besteht, beurteilt sich im Berufskrankheitenrecht (wie auch im Recht des Arbeitsunfalls) nach der Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.2006, Az.: B 2 U 13/05 R).

Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie (vgl. dazu Heinrichs, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 65. Auflage, vor § 249, RdNr. 57 ff; zu den Unterschieden vgl. BSGE 63, 277, 280) auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen.

Im Sozialrecht erfolgt diese Unterscheidung und Zurechnung nach der Theorie der wesentlichen Bedingung. Nach dieser werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSGE 1, 72, 76; Urteil des BSG vom 12.04.2005, Az.: B 2 U 27/04 R). Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. des Gesundheitsschadens abgeleitet werden (vgl. BSGE 1, 72, 76).

Die Rechtsprechung hat für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache folgende Grundsätze herausgearbeitet: Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob die berufliche Belastung wesentlich war. Ob dies auch für eine konkurrierende Ursache gilt, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben (vgl. BSG SozR Nr. 6 zu § 589 RVO). Ist aber eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) wesentlich und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts (vgl. BSGE 12, 242, 245).

Auch wenn die Theorie der wesentlichen Bedingung im Unterschied zu der an der generellen Geeignetheit einer Ursache sich orientierenden Adäquanztheorie auf den Einzelfall abstellt (zu den Unterschieden vgl. BSGE 63, 277, 280), bedeutet dies nicht, dass generelle oder allgemeine Erkenntnisse über den Ursachenzusammenhang bei der Theorie der wesentlichen Bedingungen nicht zu berücksichtigen oder entbehrlich wären (vgl. BSG SozR Nr. 6 zu § 589 RVO). Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten beruflichen Belastungen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Dies schließt eine Prüfung ein, ob eine berufliche Belastung nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006, Az.: B 2 U 26/04 R).

In diesem Rahmen ist es nicht erforderlich, dass es zu jedem Ursachenzusammenhang statistisch-epidemiologische Forschungen geben muss. Denn derartige Forschungen sind nur eine Methode zur Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse unter mehreren und können im Übrigen nicht auf alle denkbaren Ursachenzusammenhänge angewandt werden, z.B. nicht bei einem Treppensturz und anschließendem Beinbruch ohne erkennbare Besonderheiten (vgl. Krasney, in: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band 3, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Januar 2006, § 8 RdNr. 312), aber auch, weil nicht für alle Fallkonstellationen derartige, auf breiter Grundlage aufbauende Erkenntnisse vorliegen. Gibt es keinen allgemein geltenden medizinischen Erkenntnisstand zu einer bestimmten Fragestellung, kann in Abwägung der verschiedenen Auffassungen einer nicht nur vereinzelt vertretenen Auffassung gefolgt werden (BSG SozR Nr. 33 zu § 128 SGG).

Der wissenschaftliche Erkenntnisstand ist jedoch kein eigener Prüfungspunkt bei der Prüfung des Ursachenzusammenhangs. Er stellt lediglich die wissenschaftliche Grundlage dar, auf der die geltend gemachten Gesundheitsstörungen des konkreten Versicherten zu bewerten sind (vgl. BSGE 18, 173, 176). Bei dieser einzelfallbezogenen Bewertung ist auf das individuelle Ausmaß der Beeinträchtigung des Versicherten abzustellen, so wie es sich objektiv, d.h. nicht nur aus der subjektiven Sicht des Versicherten, darstellt (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006, Az.: B 2 U 1/05 R).

Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht (im Vollbeweis) nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht hinreichend wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleiten möchte, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des Klägers, bei den einem Anspruch entgegen stehenden Tatsachen zu Lasten der Beklagten (vgl. BSGE 6, 70, 72).

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge einer Berufskrankheit um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII. Sofern die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mindestens 10 v.H. beträgt, ist bei Vorliegen mehrerer Versicherungsfälle eine Berücksichtigung im Rahmen einer Stützrente möglich (§ 56 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB VII).

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Dabei kommt es entscheidend darauf an, welche Funktionsbeeinträchtigungen im Sinne einer Beeinträchtigung körperlicher oder geistiger Fähigkeiten sich aus der Berufskrankheit ergeben.

Auf den bisherigen Beruf oder die bisherige Tätigkeit kommt es dabei grundsätzlich nicht an (vgl. Ricke, in: Kasseler Kommentar, § 56 SGB VII, RdNr. 16). Damit ist sichergestellt, dass bei identischen Folgen einer Berufskrankheit die MdE aller Erkrankten unabhängig von der individuellen beruflichen Tätigkeit prinzipiell die selbe ist. Bei der Festlegung der MdE ist auf den Maßstab der individuellen Erwerbsfähigkeit des Erkrankten vor Eintritt des Versicherungsfalls abzustellen (vgl. BSGE 21, 63, 66), wobei für die MdE die Erwerbsfähigkeit jedes Versicherten vor dem Versicherungsfall mit 100 anzusetzen ist (vgl. BSGE 43, 209, 210).

Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung haben sich für die Einschätzung der MdE in Form von Rententabellen oder Empfehlungen im Laufe der Zeit Erfahrungswerte herausgebildet. Voraussetzung für die Anerkennung von Empfehlungen zur MdE-Bemessung als allgemeine Erfahrungssätze ist, dass sie auf wissenschaftlicher Grundlage von Fachgremien ausschließlich aufgrund der zusammengefassten Sachkunde und Erfahrung ihrer sachverständigen Mitglieder erstellt worden sind, dass sie immerwiederkehrend angewendet und von Gutachtern, Verwaltungsbehörden, Versicherungsträgern, Gerichten sowie Betroffenen anerkannt und akzeptiert werden (vgl. BSGE 40, 120, 123 f). Derartigen Empfehlungen oder MdE-Tabellen, wie sie in der Kommentarliteratur (vgl. z.B. Ricke, a.a.O., § 56 SGB VII, RdNrn. 40 - 82) und in der Begutachtungsliteratur (vgl. z.B. Schönberger, Mehrtens, Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, u.a. S. 282, 342, 382, 432, 477, 514, 536, 537, 562, 604, 661, 685, 724, 897, 951; Mehrhoff, Meindl, Muhr, Unfallbegutachtung, 11. Auflage, S. 143 - 194, 315 - 332) zu den verschiedensten Folgen von Unfällen und Berufskrankheiten enthalten sind, kommt nicht der Rechtscharakter einer gesetzlichen Norm zu. Sie stellen aber als antizipierte Sachverständigengutachten allgemeine Erfahrungssätze im oben genannten Sinne dar, um den unbestimmten Rechtsbegriff der MdE auszufüllen, und tragen dazu bei, dass im Sinne des allgemeinen Gleichheitssatzes gleichartige Schadenslagen mit der gleichen MdE beurteilt werden. Allgemeine Wertungen zur MdE bei bestimmten Schadenslagen sind dabei nur dann als Richtwerte im Sinne allgemeiner Erfahrungssätze anzusehen, wenn darin die Folgen dieser Schadenslagen für die Erwerbsfähigkeit so weitgehend abgeklärt sind, dass eine Beurteilung durch medizinische Sachverständige im Einzelfall hinsichtlich der Anwendung dieser Richtwerte, der Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls sowie der Prüfung, ob wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, dass diese Richtwerte einer erneuten Überprüfung bedürfen, ausreicht (vgl. BSG, Beschluss vom 19.03.1996, Az.: 2 BU 161/95).

Die Beurteilung, ob und in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des erkrankten Versicherten durch Folgen einer Berufskrankheit beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Bei der Bewertung der MdE sind die von der Rechtsprechung und dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die zwar nicht für die Entscheidung in jedem Einzelfall bindend sind, aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis bilden (vgl. BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22 m.w.N.).

Die ärztlichen Schätzungen zur MdE sind für das Gericht bedeutsame, oft unentbehrliche Anhaltspunkte, ohne dass das Gericht daran gebunden wäre (vgl. Schönberger, a.a.O., S. 154). So hat das Bundessozialgericht (BSG) mehrfach (vgl. z.B. Beschluss vom 22.08.1989, Az.: 2 BU 101/89) darauf hingewiesen, dass die Bewertung der MdE nicht die eigentliche Aufgabe des ärztlichen Sachverständigen ist. Dessen Sachkunde bezieht sich in erster Linie darauf, festzustellen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit sich derartige Beeinträchtigungen auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben daher keine für das Gericht bindende Wirkung, auch wenn sie eine wichtige Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE darstellen.

Der Gesichtspunkt der Schmerzen hat im Regelfall keinen entscheidenden Einfluss auf die Höhe der MdE. Dies begründet sich zum einen damit, dass in den Richtwerten bereits die üblicherweise vorhandenen Schmerzen enthalten sind (vgl. Schönberger, a.a.O., S. 312). Zum anderen wird dadurch der Problematik Rechnung getragen, dass Schmerzen nicht objektiv messbar sind, sondern das Schmerzempfinden subjektiv geprägt ist. Es gilt daher der Grundsatz, dass nicht der Schmerz selbst, sondern seine Wirkung auf die Erwerbsfähigkeit des Versicherten in die MdE-Bewertung einzufließen hat (vgl. Schönberger, a.a.O., S. 312 f.), wobei die Auswirkungen des Schmerzes als funktionelle Beeinträchtigungen objektivierbar sein müssen (vgl. Sozialgericht Augsburg, Urteil vom 09.01.2006, Az.: S 5 U 110/04).

Bei manchen Berufskrankheiten hat der Verordnungsgeber (so z.B. auch bei der BK 2108) einen sog. Unterlassungszwang als zusätzliches Tatbestandsmerkmal aufgeführt. Dieser Unterlassungszwang beruht auf der gesetzlichen Ermächtigung in § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII. Dieses tätigkeitsbezogene Merkmal beschreibt einerseits in typisierender Weise den Schweregrad der Erkrankung. Andererseits hat es die Funktion eines typisierenden Kausalitätsanzeichens, aufgrund dessen die nicht für entschädigungswürdig gehaltenen leichten Fälle einer Krankheit, die häufig nicht ihre Ursache in der versicherten Tätigkeit finden, abgegrenzt werden (vgl. BSGE 84, 30). Zudem stellt es eine Regelung zum eigenen Schutz des Versicherten dar, der durch die Ausübung finanziellen Drucks - ohne die Aufgabe der belastenden Tätigkeit kann er keine Verletztenrente erhalten - zur Aufgabe der gesundheitsschädlichen Tätigkeit gebracht werden soll. Schließlich soll mit dem Unterlassungszwang im Interesse der Gesamtheit der Versicherten bezweckt werden, dass der Versicherte nicht auf dem gefährdenden Arbeitsplatz verbleibt und damit eine weitergehende Verschlimmerung mit daraus resultierenden höheren Entschädigungsleistungen resultiert (vgl. BSGE 56, 94, 98).

Um zu verhindern, dass ein Versicherter in der Unsicherheit darüber, ob die bei ihm vorliegende Erkrankung als Berufskrankheit anerkannt werden wird, entweder seine belastende Tätigkeit weiter ausübt und sich damit gesundheitlich weiter schädigt oder seine berufliche Tätigkeit aufgibt, obwohl ihm danach möglicherweise vom Versicherungsträger mitgeteilt werden wird, dass eine Berufskrankheit mangels beruflicher Verursachung der Erkrankung nicht anerkannt werden wird, und er damit seinen Arbeitsplatz verloren hat, ohne das ihm dafür Entschädigungsansprüche zustehen, hat der Gesetzgeber für derartige Fälle die Regelung des § 9 Abs. 4 SGB VII geschaffen. Dadurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass dem Versicherten oft die Tätigkeitsaufgabe mangels Gewissheit einer Entschädigung nicht zumutbar ist (vgl. Ricke, a.a.O., § 9 SGB VII, RdNr. 30). Damit hat ein Versicherter einen Anspruch auf eine Entscheidung des Unfallversicherungsträgers darüber, ob mit Ausnahme der Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit sämtliche anderen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit gegeben sind.

Bei der in Frage stehenden BK 2108 handelt es sich um bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

Bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS haben eine multifaktorielle Ätiologie (vgl. schon BR-Drs. 773/92, S. 8). Sie sind weit verbreitet und kommen in allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen vor. Unter den beruflichen Einwirkungen, die bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS wesentlich verursachen und/oder verschlimmern können, sind fortgesetztes Heben, Tragen und Absetzen schwerer Lasten sowie Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung wichtige Gefahrenquellen.

Aufgrund der multifaktoriellen Entstehung von bandscheibenbedingten Erkrankungen (vgl. auch Schönberger, a.a.O., S. 577), der Dauer der zu berücksichtigenden Zeiträume und des Fehlens eines eindeutig abgrenzbaren Krankheitsbildes, das für Belastungen durch Heben und Tragen oder Arbeit in extremer Rumpfbeugehaltung typisch wäre (vgl. Bolm-Audorff u.a., Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung der auf Anregung des HVBG eingeschalteten interdisziplinären Arbeitsgruppe, Trauma und Berufskrankheit 3, 2005, S. 211 ff), stellt sich letztlich entscheidend nur die Frage nach einer wesentlichen Mitverursachung der LWS-Erkrankung durch die versicherten Einwirkungen. Aus diesen Gründen ist auch die Beweisvermutung des § 9 Abs. 3 SGB VII bei der BK 2108 nach heutigem wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht anwendbar (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.2006, Az.: B 2 U 13/05 R).

Um einen Zusammenhang zwischen einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS und der beruflichen Belastung herstellen zu können, müssen folgende Bedingungen erfüllt sein: Es
1. müssen die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt sein,
2. muss der Nachweis einer tatsächlich vorliegenden bandscheibenbedingten Erkrankung geführt werden,
3. müssen die bildtechnisch nachweisbaren degenerativen Verän derungen das altersdurchschnittlich zu erwartende Ausmaß überschreiten,
4. muss der zeitliche Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und Entstehung der Erkrankung gesichert sein und
5. müssen konkurrierende Verursachungsmöglichkeiten anlagebe dingter, statischer, entzündlicher oder unfallbedingter Genese zumindest als Ursachen von überragender Bedeutung aus geschlossen sein (vgl. Schönberger, a.a.O., S. 563 ff; BSG, Urteil vom 22.06.2004, Az.: B 2 U 13/05 R). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen wird auch in der aktuellsten wissenschaftlichen Veröffentlichung, die auf breiter Basis beruht, nämlich den o.g. Konsensempfehlungen (vgl. Bolm-Audorff, a.a.O., S. 211 ff) vorausgesetzt.

Im einzelnen stellt sich die Prüfung der genannten Voraussetzungen wie folgt dar:

1. Arbeitstechnische Voraussetzungen:

Für das Vorliegen einer BK 2108 müssen die arbeitstechnischen Voraussetzungen im Sinne eines langjährigen berufsbedingten Hebens oder Tragens schwerer Lasten oder langjähriger berufsbedingter Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung vorliegen.

Nach der älteren Rechtsprechung wurde in diesem Zusammenhang mangels exakter Beurteilungs- und Abgrenzungskriterien darauf abgestellt, ob das jeweilige Berufsbild durch die vorgenannten gefährdenden Tätigkeiten geprägt war. Zum Tätigkeitsprofil eines Rettungssanitäters äußerte sich das BayLSG (vgl. Urteil vom 25.04.2001, Az.: L 2 U 174/98) dahingehend, dass es allgemein bekannt sei, dass das Berufsbild des Rettungssanitäters nicht von der Tätigkeit des Hebens und Tragens, sondern von wechselnden Vorgängen geprägt sei und dass zwischen den einzelnen Rettungseinsätzen auch bloße Wartezeiten ohne körperliche Beeinträchtigungen anfallen würden. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt seien.

Dieser älteren Rechtsprechung kann heute in dieser Pauschalität nicht mehr gefolgt werden. Denn die in der Vergangenheit in der Rechtsprechung vorgenommenen allgemeinen Betrachtungen einer beruflichen Tätigkeit dahingehend, inwiefern diese von Heben und Tragen geprägt ist, sind gerade wegen ihrer Verallgemeinerung und vergleichsweise oberflächlichen Betrachtung der beruflichen Tätigkeit nicht dazu geeignet, verlässliche Aussagen zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen zuzulassen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn eine berufliche Tätigkeit auch mit Hebe- und Tragevorgängen nicht unerheblichen Umfangs verbunden ist, wie dies auch bei einem Rettungssanitäter der Fall ist.

Derartige allgemeine Betrachtungen eines Berufsbildes sind auch nach den neueren Erkenntnissen nicht mehr erforderlich, da die Praxis mit dem sog. Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) eine Berechnungsmethode geschaffen hat, die geeignet ist, präzisere Aussagen zur beruflichen Belastung der LWS zu treffen. Dieses Modell ist nach der ständigen obergerichtlichen und höchstgerichtlichen Rechtsprechung als geeignete Methode dafür anerkannt, genauere Aufklärung bezüglich der arbeitstechnischen Voraussetzungen zu verschaffen (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 18.03.2003, Az.: B 2 U 13/02 R).

Mit dem MDD wurde ein Verfahren entwickelt, in welchem die in Frage kommenden Wirbelsäulenbelastungen nach diversen Kriterien (Schwere der Lasten, Häufigkeit und Dauer der belastenden Vorgänge, Gesamtzeit der belastenden Einwirkungen, Körperhaltung, Häufigkeit und Dauer von Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung) erfasst und bewertet werden.

Dem MDD liegt folgende Berechnung zu Grunde: Zur Beurteilung einer möglichen Gefährdung wird aus der Belastungshöhe und der Belastungsdauer eine schichtbezogene Beurteilungsdosis (Tagesdosis) errechnet. Relevant als Lastgewichte sind u.a. bei beidhändigem Heben oder Umsetzen für Männer Gewichte mit 20 kg oder mehr, bei einhändigem Heben oder Umsetzen Gewichte mit 10 kg oder mehr; bei Frauen liegen die entsprechenden Werte bei 10 kg bzw. 5 kg (vgl. auch Merkblatt zur BK 2108, Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 01.09.2006, Bundesarbeitsblatt 10-2006, S. 30 ff, dort Ziff. IV, wobei in der vorgenannten Neufassung des Merkblatts vom Jahr 2006 eine gewisse Modifizierung der Lastgewichte gegenüber dem zuvor geltenden Merkblatt (vgl. z.B. Mehrhoff. a.a.O., S. 285, 287) enthalten ist). Als Belastungshöhe wird die Druckkraft auf das Bandscheibensegment L5/S1, als Belastungsdauer die Dauer für Hebe- oder Tragevorgänge herangezogen. Dabei geht die Druckkraft gegenüber der Belastungsdauer aufgrund des höheren Schädigungspotentials überproportional in die Berechnung der Tagesdosis ein. Als täglicher Tagesdosis-Richtwert, bei dessen Erreichen oder Überschreiten mit einer Gefährdung für das Entstehen bandscheibenbedingter Erkrankungen der LWS zu rechnen ist, wird ein Wert von 5500 Nh für Männer und 3500 Nh für Frauen abgeleitet. Dies bedeutet, dass Tätigkeiten mit Dosiswerten ab diesen Werten als Gefährdung im Sinne der BK 2108 anzusehen sind. Wird der Tagesdosis-Richtwert erreicht oder überschritten, so werden nach den Vorgaben des MDD die Tagesdosen zu einer Gesamtdosis (Lebensarbeitsdosis) addiert. Als Richtwert für die Gesamtdosis, bei dessen Erreichen die arbeitstechnischen Voraussetzungen zum Entstehen einer BK 2108 als gegeben angesehen werden können, werden 25 MNh für Männer und 17 MNh für Frauen vorgeschlagen (vgl. Schäfer u.a., Beurteilung der Belastungen durch Heben und Tragen schwerer Lasten im Berufskrankheiten- Feststellungsverfahren nach BK-Nr. 2108, SGb 2002, S. 202 ff).

Die im MDD festgeschriebenen Grenzwerte, sowohl bezüglich der Tagesdosis als auch der Gesamtdosis, stellen jedoch keine festen Grenzwerte, sondern allenfalls Orientierungswerte dar (zum Tagesdosiswert: vgl. BSG, Urteil vom 18.03.2003, Az.: B 2 U 13/02 R; BSG, Urteil vom 19.08.2003, Az.: B 2 U 1/02 R; zum Gesamtdosiswert: vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23.06.2005, Az.: L 6 U 2188/03). So spricht bereits das MDD selbst von Schwellenwerten oder Richtwerten (vgl. ASUMed 1999, 101, 109). Diese Einschätzung ist auch rechtlich zutreffend. Grenzwerte, bei deren Unterschreitung die Kausalität im Einzelfall mangels Vorliegens der arbeitstechnischen Voraussetzungen stets auszuschließen wäre bzw. bei deren Erreichen sie u.U. - erleichtert - angenommen werden könnte, können nur im Wege der Rechtsetzung durch den Verordnungsgeber in die Berufskrankheiten-Verordnung eingeführt werden (vgl. BSG, Urteil vom 18.03.2003, Az.: 13/02 R). Im Gegensatz zu anderen Berufskrankheiten (BK 4104, BK 4111) ist dies bezüglich der BK 2108 nicht erfolgt. Es muss daher der von Schäfer (vgl. Schäfer u.a., a.a.O., S. 202) vertretenen Ansicht, dass bei der Ermittlung der Gesamtdosis nur die Tagesdosiswerte zu berücksichtigen seien, die die Tagesdosisrichtwerte des MDD erreichen oder überschreiten würden, entgegengetreten werden. Denn Schäfer missachtet dabei, dass die vom MDD aufgestellten Richtwerte keine festen Grenzwerte darstellen können.

Eine Unterschreitung der Richtwerte kann daher im Einzelfall nicht ohne weiteres zu der Konsequenz führen, dass die Anerkennung einer BK 2108 bereits mangels Vorliegens der arbeitstechnischen Voraussetzungen abgelehnt würde. Vielmehr ist bei Unterschreitung der Richtwerte im Einzelfall zunächst festzustellen, wie weit die im Einzelfall errechnete Dosis von den Richtwerten entfernt ist, und danach abzuwägen, ob sich aufgrund der im Einzelfall erreichten Belastungswerte und der vorliegenden medizinischen Befunde eine weitergehende medizinische Aufklärung aufdrängt bzw. ob nach detaillierter medizinischer Aufklärung die medizinische Befundlage wesentlich für eine beruflich bedingte Entstehung der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS spricht (ähnlich vgl. BSG, Urteil vom 18.03.2003, Az.: B 2 U 13/02 R; BSG, Urteil vom 19.08.2003, Az.: B 2 U 1/02 R). In Anwendung dieser Grundsätze ist beispielsweise das BayLSG (vgl. BayLSG, Urteil vom 17.03.2005, Az.: L 3 U 359/04) zu dem Ergebnis gekommen, dass bei einer Unterschreitung des (Tages-)Dosisgrenzwerts um mehr als die Hälfte auf eine medizinische Abklärung im Einzelfall verzichtet werden kann. In einem anderen Fall, in dem der Grenzwert für die Lebensdosis zu rund 70 % erreicht war, äußerte sich der selbe Senat des BayLSG in seiner Entscheidung vom selben Tag (vgl. BayLSG, Urteil vom 17.03.2005, Az.: L 3 U 379/03) hingegen nicht mehr so eindeutig und holte zur weiteren Aufklärung ein medizinisches Gutachten ein, um eine verlässlichere Basis für die Entscheidung zu haben. Das BayLSG führte zum einen aus, dass es eigentlich der Einholung eines medizinischen Gutachtens nicht mehr bedurft hätte. Andererseits habe es sich im Interesse einer umfassenden Aufklärung zu der Einholung eines Gutachtens veranlasst gesehen, weil die Arbeitsabläufe einer Fußpflegerin und Kosmetikerin (, die im damaligen Verfahren auf die Anerkennung einer BK 2108 geklagt hatte,) mangels genügend großer Vergleichszahlen nicht wissenschaftlich erfasst seien und daher nur eine vergleichsweise ungenaue Abschätzung der damit verbundenen Belastungen möglich sei.

Dass bei einem Rettungssanitäter nicht pauschal davon ausgegangen werden kann, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfüllt sind, lässt sich auch aus der Rechtsprechung des LSG Berlin (vgl. LSG Berlin, Urteil vom 17.07.2003, Az.: L 2 U 13/01) entnehmen, das in der genannten Entscheidung allein auf die medizinischen Voraussetzungen, nicht aber auf die arbeitstechnischen Voraussetzungen abgestellt hat. Dies entspricht i.Ü. auch der Erfahrung des erkennenden Gerichts in anderen Fällen, in denen Rettungssanitäter auf die Anerkennung einer BK 2108 geklagt haben.

2. Bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS:

Zu der Frage, was unter einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS zu verstehen ist, hat der Verordnungsgeber in der Begründung zur Zweiten Änderungsverordnung zur BKV (2. ÄndVO BKV), durch welche die BK 2108 in die Berufskrankheitenliste aufgenommen worden ist (vgl.BR-Drs. 773/92, S. 8), eingehende Ausführungen gemacht. Danach sind unter bandscheibenbedingten Erkrankungen zu verstehen: Bandscheibendegeneration (Diskose), Instabilität im Bewegungssegment, Bandscheibenvorfall (Prolaps) oder Höhenminderung einer Bandscheibe (Chondrose), degenerative Veränderungen der Wirbelkörperabschlussplatten (Osteochondrosen), knöcherne Ausziehungen an den vorderen seitlichen Randleisten der Wirbelkörper (Spondylose) und degenerative Veränderungen der Wirbelgelenke (Spondylarthrose) mit den durch derartige Befunde bedingten Beschwerden und Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule. Erforderlich ist damit in jedem Fall die klinische Symptomatologie einer Nervenwurzelirritation oder -läsion. Die vorgenannten Diagnosen als Ausprägung einer BK 2108 stehen auch in Übereinstimmung mit dem Konsensempfehlungen (vgl. Bolm-Audorff, a.a.O., S. 211, 214 ff).

Ob auch Erkrankungen geringeren Ausmaßes, gegebenenfalls nur radiologische Veränderungen ohne feststellbare Funktionsbeeinträchtigungen, eine bandscheibenbedingte Erkrankung, wie sie für die BK 2108 erforderlich ist, darstellen können, ist Gegenstand der Ausführungen im Urteil des BSG vom 31.05.2005, Az.: B 2 U 12/04 R. Das BSG hat dazu Folgendes ausgeführt:

"Aus dem Wortlaut des Verordnungstextes und diesen Ausführungen ist zu entnehmen, dass ein objektivierter Bandscheibenschaden vorliegen muss, der in einer kausalen Beziehung zu einer Erkrankung der LWS ...im Sinne der in der Begründung genannten Krankheitsbilder steht (s. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 2. September 1998 - L 2 U 4279/97 = E-LSG U - 106 = NZS 1999, 93; Brandenburg BG 1993, 791, 794). Der Senat hat es bisher offen gelassen, ob auch Erkrankungen geringeren Ausmaßes - etwa bloße röntgenologisch feststellbare Veränderungen der LWS ohne Funktionsbeeinträchtigung - zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS ausreichen (BSG, Urteil vom 22. August 2000 - B 2 U 34/99 R = SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2). Dass dies der Fall ist, folgt nicht nur aus den genannten Materialien, sondern auch aus einer sinnorientierten Auslegung der Regelung unter Beachtung des Gesamtzusammenhangs. Die Erkrankung im Sinne der Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKVO muss zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Dies ist nur bei einem Krankheitsbild möglich, das über einen längeren Zeitraum andauert, also chronisch oder zumindest chronisch wiederkehrend ist, und das zu Funktionseinschränkungen führt, die eben eine Fortsetzung der genannten Tätigkeit unmöglich machen (vgl. Brandenburg BG 1993, 791, 794; LSG Baden-Württemberg, a.a.O.; zustimmend Peter Becker SGb 2000, 116, 118 m.w.N). "

Zwar sind die Formulierungen des BSG in sich widersprüchlich. Denn die Formulierung "Dass dies der Fall ist" im 3. Satz der zitierten Passage würde bedeuten, dass "auch Erkrankungen geringeren Ausmaßes - etwa bloße röntgenologisch feststellbare Veränderungen der LWS ohne Funktionsbeeinträchtigung der LWS zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS ausreichen" würden. Dies hat das BSG aber offensichtlich nicht zum Ausdruck bringen wollen, wie sich aus den an den 3. Satz anschließenden Ausführungen ergibt. Denn in der Folge macht das BSG deutlich, dass Tatbestandsvoraussetzung für eine BK 2108 jedenfalls ein klinisches Beschwerdebild mit Funktionseinschränkungen ist, also bloß mit bildgebenden Verfahren nachweisbare Veränderungen ohne funktionelle Einschränkungen nicht ausreichen, um eine BK 2108 zu begründen. Dies entspricht auch dem Grundsatz in der gesetzlichen Unfallversicherung, dass relevant nur Funktionsbeeinträchtigungen sind, nicht aber entscheidend bloße radiologische Befunde sein können. Es handelt sich damit offenbar um ein Formulierungsversehen (Auslassung des Wortes "nicht"); tatsächlich wollte das BSG den genannten 3. Satz ohne Zweifel wie folgt formulieren: "Dass dies nicht der Fall ist, ... ".

Dies entspricht auch sämtlichen Ausführungen in der maßgeblichen medizinischen Literatur. So fordert das bereits oben angeführte Merkblatt zur BK 2108 (in beiden Fassungen) chronisch rezidivierende Beschwerden in der Kreuz-Lendengegend mit Belastungs-, Entlastungs- sowie Hyperlordose-Kreuzschmerz (beim lokalen Lumbalsyndrom) bzw. eine pseudoradikuläre Schmerzausstrahlung in die Oberschenkelmuskulatur, ein- oder beidseitig segmental ins Bein ausstrahlende, dem Verlauf des Ischiasnerven folgende Schmerzen, meist in Verbindung mit Zeichen eines lokalen Lumbalsyndroms (beim mono- oder polyradikulären Wurzelreizsyndrom) oder polyradikuläre lumbale Wurzelsyndrome (beim Kaudasyndrom). Die Begutachtungsliteratur (vgl. beispielhaft Schönberger, a.a.O., S. 567) verlangt neben einem objektivierten Bandscheibenschaden die Sicherung der klinischen Relevanz dieses Schadens, also ein chronisches oder chronisch-rezidivierendes Beschwerdebild mit funktionellen Einschränkungen. In den Konsensempfehlungen schließlich (vgl. Bolm-Audorff u.a., a.a.O., S. 215 f) wird in Übereinstimmung mit den vorgenannten Veröffentlichungen darauf hingewiesen, dass der bildgebende Nachweis eines Bandscheibenschadens (Höhenminderung und/oder Vorfall) zwar eine unabdingbare, nicht aber eine hinreichende Voraussetzung für den Nachweis einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS ist. Hinzukommen muss eine korrelierende klinische Symptomatik, die vergleichbar den Ausführungen im Merkblatt zur BK 2108 beschrieben ist.

Eine relevante Änderung in den für das Vorliegen einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS erforderlichen Voraussetzungen hat sich durch die angeführten und online am 04.08.2005 publizierten Konsensempfehlungen (vgl. Bolm-Audorff, a.a.O., S. 211 ff) nicht ergeben (vgl. z.B. das nach Veröffentlichung der Konsensempfehlungen ergangene Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 06.02.2006, Az.: L 1 U 2572/05, das zur Beschreibung einer bandscheibenbedingten Erkrankung auf die genannte Entscheidung des BSG vom 31.05.2005, Az.: B 2 U 12/04 R, verweist). Es ist daher - wie in der Vergangenheit auch - neben einem durch bildgebende Verfahren objektivierten Bandscheibenschaden im Sinne einer morphologischen Veränderung auch die klinische Relevanz dieses Schadens im Sinne neurologischer Ausfälle zu sichern (vgl. Schönberger, a.a.O., S. 567 ff). Von klinischer Relevanz kann nur dann ausgegangen werden, wenn die neurologischen Ausfälle objektivierbar sind durch Sensibilitätsausfälle, Kraftminderungen in den relevanten Muskelabschnitten, Reflexausfälle oder Schmerzausstrahlungen, wobei diese Befunde mit den bildtechnischen Befunden korrelieren müssen (vgl. Schönberger, a.a.O., S. 567 ff; Bolm-Audorff, a.a.O., S. 215 f).

3. Bildtechnisch nachgewiesene altersvorauseilende degenerative Veränderungen der LWS:

Das Schadensbild der BK 2108 entspricht den Volkskrankheiten durch chronisch-degenerative Veränderungen der Bandscheiben, die weit verbreitet sind und auch bei Angehörigen von Berufen auftritt, deren Tätigkeit mit keinerlei besonderen Belastungen der Bandscheiben der LWS verbunden ist. So ist beispielsweise ein Bandscheibenvorfall im Bereich der unteren LWS auch bei Angehörigen sitzender Berufe, bei denen nicht von einer überdurchschnittlich hohen Belastung der unteren LWS auszugehen ist, weit verbreitet.

Nicht ohne Grund wird daher die BK 2108 in der Literatur wiederholt als Problemfall bezeichnet (vgl. z.B. Wilde, Volkskrankheiten als Berufskrankheiten?, SGb 2004, S. 599, 607 ff) und auf die Dialektik dieser Berufskrankheit hingewiesen. Denn einerseits ist die Annahme, dass hohe körperliche Belastungen den Haltungs- und Bewegungsapparat des Menschen schädigen können, biomechanisch ohne weiteres plausibel. Andererseits stellen bandscheibenbedingte Erkrankungen einen Ausschnitt als der Volkskrankheit "Rückenschmerz" - vor allem im Bereich der LWS - dar, für deren Entstehung insbesondere die individuelle Disposition in Verbindung mit dem altersbedingten Degenerationsprozess, aber auch metabolische Faktoren, Übergewicht sowie das Fehlen physischer Belastung verantwortlich sein können. Die hohe "Hintergrundbelastung" ist es letztlich auch, auf die die Kritik an der generellen Eignung, aber auch am sozialpolitischen und ökonomischen Sinn der BK 2108 gestützt wird.

Diese allgemeinen und sicher nicht ohne Berechtigung erhobenen Zweifel an der BK 2108 können jedoch nicht dazu führen, dass in der Praxis eine Anerkennung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS nicht mehr als Berufskrankheit erfolgt. Denn dies würde bedeuten, dass durch die praktische Handhabung bei der Umsetzung der Vorgaben für eine Berufskrankheit deren - gegebenenfalls medizinisch und sozialpolitisch begründbare - Fragwürdigkeit entgegen den Vorgaben des Verordnungsgebers, der die infrage gestellte Berufskrankheit gerade (noch) nicht abgeschafft hat, dadurch Rechnung getragen würde, dass diese Berufskrankheit durch den faktischen Vollzug abgeschafft würde. Eine derartige Abschaffung - und sei dies auch noch so nahe liegend - kann jedoch nicht im Rahmen der Tätigkeit der Verwaltung oder im Wege der Rechtsprechung, sondern ausschließlich durch eine Entscheidung des Verordnungsgebers erfolgen. Solange eine derartige Entscheidung des Verordnungsgebers nicht erfolgt ist, ist daher dem Willen des Verordnungsgebers Rechnung zu tragen. Abschließend sei auch darauf hingewiesen, dass die BK 2108 - bei allen medizinischen und rechtlichen Bedenken gegen ihre Berechtigung - nicht der notwendigen Bestimmtheit ermangelt, die Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz - GG -) ist (vgl. BSG, Beschluss vom 31.05.1996, Az.: 2 BU 237/95).

Die Anerkennung einer BK 2108 kommt daher dann in Betracht, wenn die beim Versicherten vorliegenden degenerativen Veränderungen dem altersüblichen und dem Alter nach zu erwartenden Degenerationszustand merkbar vorauseilen, so dass es nahe liegt, dass diese vorauseilenden degenerativen Veränderungen auf eine besondere berufliche Belastung zurückzuführen sind.

Es gibt also kein eindeutig abgrenzbares belastungstypisches Krankheitsbild, sondern lediglich ein belastungskonformes Schadensbild. Dieses belastungskonforme Schadensbild wird beschrieben durch den Vergleich der Veränderungen zwischen Beschäftigten mit hoher Wirbelsäulenbelastung und der Normalbevölkerung. Neben den Kriterien des Lebensalters beim Auftreten der Schädigung und des Ausprägungsgrads in einem bestimmten Alter ist von besonderer Relevanz das Verteilungsmuster der Bandscheibenschäden an der LWS sowie die Lokalisationsunterschiede zwischen biomechanisch hoch und mäßig belasteten Wirbelsäulenabschnitten der gleichen Personen. Schließlich kann auch noch die Entwicklung einer Begleitspondylose für eine Entstehung des Schadens durch die berufliche Beanspruchung sprechen (vgl. zu allem Bolm-Audorff, a.a.O., S. 212 f).

Belastungskonform ist ein Schadensbild dann, wenn die Lokalisierung der bildtechnisch nachweisbaren Veränderungen mit der beruflichen Exposition korreliert (vgl. Schönberger, a.a.O., S. 579 f).

In den Konsensempfehlungen (vgl. Bolm-Audorff, a.a.O., S. 211 ff), die letztlich keine entscheidende Weiterentwicklung der bereits bisher gestellten Anforderungen, sondern lediglich den Mindestkonsens aus den bereits bisher in verschiedenen Ausprägungen vertretenen medizinischen Meinungen darstellen und damit den aktuellen Erkenntnisstand wiedergeben, wie er von der großen Mehrheit der auf diesem Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt wird (zum Begriff des aktuellen Erkenntnisstands vgl. BSG, Urteil vom 27.06.2006, Az.: B 2 U 13/05 R), sind im Sinne einer besseren Übersichtlichkeit und Einordnung verschiedener Schadenskonstellationen unterschiedliche Fallgruppen entwickelt worden. Zu den einzelnen Fallgruppen wird jeweils darauf hingewiesen, ob unter den mit der Problematik des Zusammenhangs befassten medizinischen Wissenschaftlern Konsens bezüglich der Beurteilung des Zusammenhangs zwischen beruflicher Tätigkeit und Entstehung der Erkrankung besteht oder nicht. Insofern ist zu den Konsensempfehlungen darauf hinzuweisen, dass diese lediglich für die Fälle eine Erleichterung bei der Beurteilung des Zusammenhangs mit sich bringen, in denen ein Konsens hinsichtlich der Beurteilung des Zusammenhangs besteht. In allen übrigen Fällen verbleibt es bei den Problemen der Zusammenhangsbeurteilung, wie sie auch bisher schon gegeben waren.

4. Zeitlicher Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und Entstehung der bandscheibenbedingten Erkrankung:

Der zeitliche Zusammenhang zwischen beruflicher Exposition und erster Manifestation sowie der Verlauf der bandscheibenbedingten Erkrankung müssen nachvollziehbar sein. Zu beachten sind insbesondere der Zustand vor Aufnahme der belastenden Tätigkeit im Vergleich zum aktuellen Befinden, der Zeitraum bis zur ersten Manifestation der bandscheibenbedingten Erkrankung und der Verlauf der Erkrankung während längerer belastungsfreier Intervalle (vgl. Schönberger, S. 580 f). Dem liegt die aus epidemiologischen Studien gewonnene Erfahrung zu Grunde, dass ca. 10 Berufsjahre als untere Grenze der Dauer der belastenden Tätigkeit gefordert sind. So war im Rahmen von derartigen Studien bei Bauarbeitern und Pflegepersonal in der Regel erst nach mehr als zehnjähriger Expositionsdauer ein Anstieg in der Häufigkeit von degenerativen Wirbelsäulenerkrankungen zu beobachten (vgl. Merkblatt, a.a.O., Ziff IV m.w.N), was plausibel damit zu erklären ist, dass erst eine erhöhte Belastung von längerer Dauer zu einer altersvorauseilenden degenerativen Schädigung führen kann. In einer durch die berufliche Belastung verursachte Erkrankung spricht in diesem Zusammenhang auch, wenn die Erkrankung während längerer belastungsfreier Intervalle oder nach endgültiger Unterlassung rückläufig ist (vgl. auch Schönberger, a.a.O., S. 581, Bolm-Audorff, a.a.O., S. 327).

5. Ausschluss konkurrierender Verursachungsmöglichkeiten anlagebedingter, statischer, entzündlicher oder unfallbedingter Genese:

Da die Problematik der Beurteilung des Zusammenhangs im Rahmen der BK 2108 darin liegt, eine Abgrenzung von in der Gesamtbevölkerung nicht seltenen und auf anlagebedingten prädisponierenden Faktoren beruhenden Erkrankungen zu treffen, kommt dem Gesichtspunkt der prädisponierenden Faktoren besondere Bedeutung zu. Schon die Feststellung einer - ebenfalls als Ursache der bandscheibenbedingten Erkrankung infrage kommenden - Prädisposition kann dazu führen, dass die Wahrscheinlichkeit einer Verursachung bzw. wesentlichen Mitverursachung der Bandscheibenschädigung durch die berufliche Einwirkung nicht mehr schlüssig zu begründen ist (vgl. Schönberger, a.a.O., S. 580 f m.w.N.). Denn derartige prädisponierende Faktoren sprechen dafür, dass es auch ohne eine berufliche Belastung zur Entstehung der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS gekommen wäre und die berufliche Belastung einen lediglich unwesentlichen Beitrag zum Entstehen der Krankheit geliefert hat. Welche prädisponierenden Faktoren gegen eine berufliche Verursachung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS sprechen können, ist im Detail in der maßgeblichen Literatur dargestellt (vgl. Merkblatt zur BK 2108, dort Ziff. III a.E; Bolm-Audorff, a.a.O., S. 228 ff).

Sind sämtliche vorgenannten Voraussetzungen erfüllt, ist also ein Zusammenhang zwischen der beruflichen Belastung und der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS hinreichend wahrscheinlich gemacht, tritt der Versicherungsfall der BK 2108 mit Unterlassung sämtlicher belastenden und gefährdenden Tätigkeiten ein. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Unterlassungszwang noch nicht vollzogen ist, wenn die Wirbelsäulenbelastungen zwar reduziert, aber noch nicht alle wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten im Sinne der BK 2108 aufgegeben worden sind (vgl. Schönberger, a.a.O., S. 581 m.w.N.). Die Annahme, dass eine bloße Reduzierung der belastenden Tätigkeit (ggf. auch mit der Konsequenz, dass nach dem MDD nicht mehr von einer gefährdenden Tätigkeit ausgegangen werden kann) nicht ausreicht, um den Unterlassungstatbestand zu begründen, ergibt sich einerseits bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes (§ 9 Abs. 1 S. 2 SGB VII und § 9 Abs. 4 SGB VII: " ...Unterlassung aller Tätigkeiten ..."), andererseits auch aus dem Schutzzweck der Norm und der Erkenntnis, dass bei Vorliegen einer nicht unerheblichen Schädigung bereits u.U. auch geringerwertige Belastungen zu einer weiteren Verschlimmerung des Schadens führen können.

Nach den Ausführungen in der Begutachtungsliteratur (vgl. Schönberger, a.a.O., S. 582 f m.w.N.) hatten sich die Empfehlungen für die Einschätzung der MdE bei der BK 2108 zum Zeitpunkt der Veröffentlichung (im Jahre 2003) noch nicht zu allgemeinen Erfahrungssätzen verdichtet. Diese Einschätzung stützte Schönberger in der im Jahr 2003 veröffentlichten 7. Auflage seines Werkes darauf, dass der Zeitraum seit Einführung der Berufskrankheiten der Wirbelsäule im Jahr 1993 für die Entwicklung allgemeiner Erfahrungssätze zur MdE relativ kurz sei, zumal nur in einem geringen Prozentsatz der angezeigten Erkrankungen eine Berufskrankheit anzuerkennen gewesen sei. Zudem habe sich zum damaligen Zeitpunkt aus einer Gesamtbetrachtung der Veröffentlichungen zur MdE bei der BK 2108 noch keine im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts übereinstimmende Aussage dazu ergeben, unter welchen Voraussetzungen Funktionseinschränkungen der LWS mit einer MdE in Höhe von 10 v.H. oder einer solchen in Höhe von 20 v.H. zu bewerten seien.

Diese Ausführungen von Schönberger sind zum heutigen Zeitpunkt als überholt zu betrachten. So enthalten die Konsensempfehlungen (vgl. Bolm-Audorff, a.a.O., S. 324 ff), die den Mindestkonsens aus den bereits bisher in verschiedenen Ausprägungen vertretenen medizinischen Meinungen darstellen und damit den aktuellen medizinwissenschaftlichen Erkenntnisstand wiedergeben, wie er von der großen Mehrheit der auf diesem Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt wird, klare Orientierungswerte für die Einschätzung der MdE. So ist beispielsweise ein lokales LWS-Syndrom oder ein lumbales Wurzelkompressionssyndrom mit mittelgradigen belastungsabhängigen Beschwerden mit einer MdE in Höhe von 20 v.H. zu bewerten (vgl. Bolm-Audorff, a.a.O., S. 327).

Auf den hierzu entscheidenden Fall übertragen bedeutet dies Folgendes:

Eine Überprüfung der oben genannten Voraussetzungen 1. bis 5. ergibt, dass die beim Kläger vorliegende Erkrankung im Bereich der LWS hinreichend wahrscheinlich auf seine berufliche Tätigkeit als Rettungssanitäter zurückzuführen ist. Die sich aus den derzeitigen funktionellen Einschränkungen der Berufskrankheit ergebende MdE ist mit 20 v.H. einzuschätzen. Einer Rentenzahlung steht jedoch zum jetzigen Zeitpunkt noch entgegen, dass der Kläger die belastenden Tätigkeiten noch nicht vollständig aufgegeben hat.

1. Arbeitstechnische Voraussetzungen:

Wie bereits oben erläutert, ist es nicht zulässig, allein aufgrund des Berufsbildes des Rettungssanitäters davon auszugehen, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Die in der älteren Rechtsprechung (vgl. z.B. BayLSG, Urteil vom 25.04.2001, Az.: L 2 U 174/98) vertretene pauschale Auffassung, der Beruf des Rettungssanitäters sei nicht von Hebe- und Tragebelastungen geprägt und könne daher nicht zum Entstehen einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS führen, ist zum einen durch die Einführung des mit dem MDD verbundenen genaueren Berechnungsmodells für die Belastungen überholt und ist zum anderen wegen der zu stark verallgemeinernden Betrachtungsweise nicht vertretbar. Denn wie dem Gericht aus mehreren Verfahren, in denen Rettungssanitäter die Anerkennung einer BK 2108 begehrten, bekannt ist, sind die Ausprägungen der Tätigkeiten von Rettungssanitätern nicht immer gleich, sondern von verschiedenen Faktoren abhängig. Je nach Einsatzgebiet (z.B. Stadt mit großem Altbauanteil und hohen Gebäuden, wo vergleichsweise selten Lifte in den Häusern zur Verfügung stehen; Stadt mit hohem Neubauanteil und weitgehendem Einbau von Liften; lockere Wohnbebauung von vorwiegend Einfamilien- und Doppelhäusern auf dem flachen Lande; geringe Besiedelungsdichte im Alpenvorland und -raum) stellt sich die berufliche Belastung eines Rettungssanitäters durch Hebe- und Tragebelastungen unterschiedlich dar. So ist bei einem Rettungssanitäter mit einem hauptsächlichen Einsatz in einer Stadt mit hohem Altbauanteil davon auszugehen, dass er zum einen bereits mehr Rettungseinsätze pro Arbeitsschicht zu verrichten hat als ein Rettungssanitäter auf dem Lande mit geringer Besiedelungsdichte, da in letzterem Gebiet der Anteil der Fahrzeiten höher liegt als in der Stadt. Zudem wird der Rettungssanitäter im Altbaugebiet erheblich mehr durch Hebe- und Tragebelastungen einer Belastung der LWS exponiert sein, da in einem derartigen Gebiet vergleichsweise oft die Rettungseinsätze mit längeren Tragestrecken über mehrere Stockwerke und gegebenenfalls verwinkelte Treppen verbunden sind. Bei den Einsätzen auf dem flachen Lande und großzügiger Wohnbebauung im Sinne von Einfamilienhäusern werden sich hingegen die Tragestecken eher kurz darstellen und vergleichsweise wenige Stockwerke mit Tragebelastungen überwunden werden.

Eine einigermaßen zuverlässige Bewertung der arbeitstechnischen Voraussetzungen ist daher nur dann möglich, wenn die Berechnungen des MDD zu Grunde gelegt werden, wobei insofern wiederum problematisch ist, dass diese Berechnungen auf einer pauschalierenden Bewertung und Erfassung der arbeitstäglichen Verrichtungen eines Rettungssanitäters beruhen, auch wenn versucht wird, möglichst den individuellen Umständen der Arbeit eines konkreten Versicherten Rechnung zu tragen. Dabei ist dem Gericht aus in der Vergangenheit hier durchgeführten Verfahren bekannt, dass die Ergebnisse der Berechnungen nach dem MDD nicht unerheblich voneinander abweichen, wobei die entscheidende Kammer in der Vergangenheit bereits in Einzelfällen die Erfahrung gemacht hat, dass auch eine Überschreitung sowohl der Tagesdosis- als auch der Lebensdosisgrenzwerte bei Rettungssanitätern in Betracht kommt.

Im vorliegenden Fall haben die Berechnungen des Beklagten ergeben, dass der Grenzwert für die Tagesdosis für Männer zu rund 93 % erreicht worden ist. Bei einer derart geringfügigen Unterschreitung des Grenzwerts kann mit Sicherheit noch nicht davon ausgegangen werden, dass bereits wegen der Nichterreichung des Tagesdosisgrenzwerts die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Dies ist damit zu begründen, dass der Grenzwert lediglich einen Richtwert darstellt und jedenfalls eine Unterschreitung von lediglich 7 % noch nicht zu dem Schluss führen kann, dass die berufliche Tätigkeit des Klägers nicht dazu geeignet war, eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS hervorzurufen.

Auch der von der Beklagten errechnete Wert für die Lebensdosis von 68,1 % des Richtwerts schließt die Entstehung einer BK 2108 noch nicht aus. Aus den oben angeführten Urteilen ergibt sich, dass auch bei einer Unterschreitung des Richtwerts für die Lebensdosis noch nicht pauschal eine BK 2108 abgelehnt werden darf. Der Rechtsprechung ist vielmehr der Grundsatz zu entnehmen, dass erst ab einer vergleichsweise deutlichen Unterschreitung der Lebensdosis eine weitergehende medizinische Überprüfung des Sachverhaltes entbehrlich werden kann, wobei jedoch bei den in der veröffentlichten Rechtsprechung vorliegenden Sachverhalten die Unterschreitung der Lebensdosis zum Teil noch um einiges höher war als im hier zu entscheidenden Fall. Das BayLSG jedenfalls hat in einem Fall, in dem der Grenzwert für die Lebensdosis zu rund 70 % erreicht war, der also mit dem vorliegenden Fall annähernd identisch ist, zur weiteren Aufklärung ein medizinisches Gutachten eingeholt, um eine verlässlichere Basis für die Entscheidung zu haben (vgl. BayLSG, Urteil vom 17.03.2005, Az.: L 3 U 379/03).

Aus den vorgenannten Überlegungen heraus ergibt sich daher, dass allein wegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen eine BK 2108 noch nicht abgelehnt werden kann. Aus der Unterschreitung des Grenzwerts für die Lebensdosis ergeben sich allenfalls Konsequenzen dahingehend, dass im Rahmen der Prüfung der medizinischen Voraussetzungen einer BK 2108 im Zweifelsfalle eine BK 2108 eher abgelehnt werden muss, wie sich dies beispielsweise auch aus den Begutachtungshinweisen in den Konsensempfehlungen an verschiedener Stelle ergibt (vgl. Bolm-Audorff, a.a.O., z.B. S. 217 zur Konstellation B2).

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass auch der Beklagte selbst zunächst davon ausgegangen ist, dass beim Kläger die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine BK 2108 ohne Zweifel erfüllt sind, wie sich aus der arbeitstechnischen Stellungnahme des Präventionsdienstes des Beklagten vom 10.01.2003 ergibt. Bei dieser Stellungnahme wurden noch nicht die Vorgaben des MDD zu Grunde gelegt, sondern die Hinweise, wie sie sich aus dem Merkblatt zur BK 2108 sowohl aus der damals maßgeblichen Fassung (vgl. z.B. Mehrhoff. a.a.O., S. 285, 287) als auch aus der im Jahre 2006 veröffentlichten Fassung (vgl. Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 01.09.2006, Bundesarbeitsblatt 10-2006, S. 30 ff, dort Ziff. IV) ergeben. Nach der aktuellen Fassung (die alte Fassung enthält sich genauerer Aussagen) ist ab einer Gesamttragedauer von circa 30 Minuten pro Arbeitstag und einer Belastungsdauer von 10 Berufsjahren von einer potentiellen Gefährdung im Sinne der BK 2108 auszugehen. Die vom Präventionsdienst des Beklagten durchgeführten Ermittlungen haben ergeben, dass wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten einen Zeitanteil von für etwa 60 bis 100 Minuten pro Arbeitsschicht umfassten, was deutlich über den im Merkblatt genannten Zeitwerten liegt. Insofern muss unter Zugrundelegung des Merkblatts davon ausgegangen werden, dass die arbeitstäglichen Belastungen deutlich über den erforderlichen Grenzwerten liegen.

Unter Zugrundelegung dieser Prämisse und der Vorgabe im Merkblatt, dass von einer langwierigen belastenden Tätigkeit ab circa 10 Berufsjahren zu sprechen ist, ergibt sich der Schluss, dass am Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen nach den eigenen Ermittlungen des Beklagten keine Zweifel bestehen, da der Kläger bis zur Reduzierung seiner Arbeitszeit im Jahre 2002 rund 14 Jahre beruflich belastend beschäftigt war. Dies wiederum weckt gewisse Bedenken daran, ob die Berechnungen des Beklagten nach dem MDD, die für die Tagesdosis eine geringfügige Unterschreitung des Grenzwerts und für die Lebensdosis eine Unterschreitung von rund 30 % ergeben haben, tatsächlich zutreffend sind. Denn es ist mit gewisser Verwunderung eine nicht unerhebliche Abweichung der Bewertung der Arbeitsbelastung des Klägers einerseits nach dem Merkblatt und andererseits nach dem MDD festzustellen.

Sofern sich der Beklagte bei seinem Antrag auf Klageabweisung auf die ältere Rechtsprechung des BayLSG (vgl. BayLSG, Urteil vom 25.04.2001, Az.: L 2 U 174/98) stützt und vorträgt, dass bei einem Rettungssanitäter grundsätzlich nicht vom Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen ausgegangen werden könne, da dieses Berufsbild gerade nicht durch schweres Heben und Tragen geprägt sei, so muss dazu in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen werden, dass es sich hierbei um eine unseriöse und in sich widersprüchliche Argumentation des Beklagten handelt. Denn die Ermittlungen des Präventionsdienstes der Beklagten (vgl. Stellungnahme vom 10.01.2003) haben eindeutig ergeben, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen im Falle des Klägers bei Zugrundelegung des Merkblatts zur BK 2108 erfüllt sind. So haben die Ermittlungen zu dem Ergebnis geführt, dass der Kläger pro arbeitstäglicher Schicht wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten mit einem Zeitanteil von etwa 60 bis 100 Minuten verrichtet hat. Nach dem Merkblatt zur BK 2108 ist aber bereits bei einer Gesamttragedauer von 30 Minuten pro Tag von einer potentiell gefährdenden Tätigkeit im Sinne der BK 2108 auszugehen. Aus diesem Grund ist der Präventionsdienst - nachvollziehbar - zu dem Ergebnis gekommen, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen beim Kläger eindeutig erfüllt sind. Wenn der Beklagte diese konkreten Ermittlungen nunmehr durch die Bezugnahme auf allgemeine Ausführungen in einem anderen Einzelfall infrage stellt, handelt es sich dabei um eine nicht nachvollziehbare und unzulässige Argumentation.

Zusammenfassend ist daher darauf hinzuweisen, dass aufgrund der arbeitstechnischen Voraussetzungen eine BK 2108 mit Sicherheit nicht ausgeschlossen werden kann.

2. Bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS:

Beim Kläger liegen rezidivierende Lumbalgien und Lumboischialgien links mit intermittierendem motorischem L5-Syndrom bei Bandscheibenvorfall L4/5 sowie L5/S1, eine intermittierende und diskrete Fußheberschwäche links und eine Bandscheibenvorwölbung im Bereich TH10/11 ohne neurologische Symptomatik vor. Der Bandscheibenraum L4/5 ist höhengemindert, noch deutlicher der Bandscheibenraum L5/S1. Der Hauptbefund liegt im Segment L5/S1, wo sich das Bandscheibengewebe verlagert hat und zu einer Impressionen der S1-Nervenwurzel führt. Bezogen auf die Verschmälerung der Bandscheibenräume handelt es sich um einen von oben nach unten zunehmenden Befund, der am deutlichsten im Segment L5/S1 ausgeprägt ist. Von klinischer Relevanz ist, dass beim Kläger durchgehend Schmerzen und radikuläre Symptome, die von den unteren LWS-Segmenten ausgehen, vorliegen. Zudem sind ein vermehrter Muskeltonus im Bereich der unteren LWS sowie Schmerzen und Bewegungseinschränkungen im Bereich der LWS gegeben.

Von einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS ist daher ohne jeden Zweifel auszugehen.

3. Bildtechnisch nachgewiesene altersvorauseilende degenerative Veränderungen der LWS:

Zwei Bandscheibenvorfälle in den Segmenten L4/5 sowie (stärker ausgeprägt) L5/S1 mit einem Wurzelreizsyndrom S1 links stellen einen degenerativen Zustand da, wie er für einen heute vierzigjährigen Versicherten nicht altersentsprechend ist. Zu berücksichtigen ist zudem, dass die Bandscheibenvorfälle und die deutlichen Höhenminderungen der Bandscheibenräume (Chondrosen) bereits erstmals bei der Kernspintomographie vom 28.01.2002 festgestellt worden sind, also zu einem Zeitpunkt, als der Kläger gerade erst 35 Jahre alt war. Der Degenerationszustand beim Kläger im Bereich der unteren LWS geht damit deutlich über den Zustand hinaus, wie er bei einem 35-jährigen üblicherweise vorliegt.

Sofern der Gutachter im Verwaltungsverfahren Prof. Dr. Dr. M. meint, die Röntgenbilddiagnostik habe keinen Nachweis von über das Alter wesentlich hinausgehenden Veränderungen erbracht, ist diese Aussage für das Gericht nicht nachvollziehbar. Denn das Vorliegen zweier Bandscheibenvorfälle bei einem 35-jährigen stellt ohne Zweifel nicht einen üblichen und in zahlreichen Fällen zu erwartenden Degenerationszustand bei Personen dieser Altersgruppe dar. Darüber hinaus leidet dieses Gutachten an dem Mangel, dass der Gutachter schwerpunktmäßig auf das aus seiner Sicht fehlende Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen abstellt. Die Beurteilung der arbeitstechnischen Voraussetzungen obliegt jedoch nicht wesentlich dem medizinischen Sachverständigenden zur Beurteilung, sondern liegt im Aufgaben- und Ermittlungsbereich des arbeitstechnischen Dienstes (Präventionsdienstes) des Beklagten. Dass der Gutachter die überzeugenden Ermittlungen des Präventionsdienstes infrage gestellt und letztlich völlig übergangen hat, macht dieses Gutachten weitgehend unverwertbar, zumal eine medizinische Auseinandersetzung mit den im Raum stehenden und nach der Begutachtungsliteratur zu beachtenden Kriterien nicht erfolgt ist.

Auch das Verteilungsmuster der Bandscheibenschäden an der LWS sowie die Lokalisationsunterschiede zwischen biomechanisch hoch und mäßig belasteten Wirbelsäulenabschnitten beim Kläger sprechen dafür, dass die bandscheibenbedingte Erkrankung durch die berufliche Belastung des Klägers entstanden ist. Denn eine Hebe- und Tragebelastung beansprucht insbesondere den unteren Bereich der LWS und führt in den unteren Segmenten der LWS zu Bandscheibenschädigungen mit nach unten zunehmender Ausprägung. Dies ist vorliegend der Fall. Beim Kläger sind die Segmente L4/5 und L5/S1 betroffen, wobei die Bandscheibenschädigung im weiter unten liegenden Segment L5/S1 am deutlichsten ausgeprägt ist.

Ein belastungskonformes Schadensbild liegt daher beim Kläger vor.

Dem steht nicht entgegen, dass beim Kläger nebenbefundlich auch eine Chondrose im Übergangsbereich von BWS zu LWS vorliegt. Dies hat der Gutachter Dr. I. überzeugend ausgeführt. So hat er in Übereinstimmung mit der Begutachtungsliteratur darauf hingewiesen, dass die epidemiologische Literatur angibt, dass derartige Mitreaktionen möglich sind, wobei jedoch eine Betonung der berufsbedingten Bandscheibenveränderungen an der LWS erkennbar sein muss. Dies ist vorliegend der Fall. Im Übergangsbereich von BWS zu LWS liegt lediglich eine Höhenminderung des Bandscheibenraums vor, die eine deutlich geringere degenerative Schädigung darstellt, als dies im Bereich der unteren LWS mit den Bandscheibenvorfällen in den Segmenten L4/5 und L5/S1 der Fall ist. Derartige Mitreaktionen sind bei beruflichen Belastungen von größerer Intensität und Dauer möglich und schließen eine BK 2108 nur dann aus, wenn die degenerative Schädigung im Bereich der BWS stärker oder zumindest gleich stark ausgeprägt ist wie die Schädigung im Bereich der unteren LWS, was hier nicht der Fall ist.

Diese Einschätzung entspricht auch den maßgeblichen Vorgaben in den Konsensempfehlungen (vgl. Bolm-Audorff, a.a.O., S. 216 ff). In diesen Konsensempfehlungen sind zur Beurteilung des Zusammenhangs typische Fallkonstellationen beschrieben. Diesen Fallkonstellationen (vgl. Bolm-Audorff, a.a.O., S. 217 ff) liegt zunächst zu Grunde, dass eine gesicherte bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS vorliegt, eine ausreichende berufliche Exposition erfolgt ist und eine plausible zeitliche Korrelation zur Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung besteht (zu letzterem Gesichtspunkt: vgl. weiter unten). Für die mit dem Buchstaben "B" beginnenden Konstellationen ist zunächst eine Lokalisation der bandscheibenbedingten Erkrankung im Segment L5/S1 und/oder L4/5 erforderlich. Zusätzlich muss der Bandscheibenschaden eine Chondrose im Grad II oder höher und/oder einen Bandscheibenvorfall darstellen (vgl. Bolm-Audorff, a.a.O., S. 217).

Die hier vorliegende Konstellation entspricht im wesentlichen der Konstellation B4 im Sinne der Konsensempfehlungen (vgl. Bolm-Audorff, a.a.O., S. 217). Diese Konstellation wird dadurch beschrieben, dass wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren (dazu vgl. weiter unten) nicht erkennbar sind und eine Begleitspondylose nicht vorliegt. Zudem wird bei der Konstellation B4 von einem Bandscheibenschaden an der HWS ausgegangen, der schwächer ausgeprägt ist als an der LWS. Zwar liegt beim Kläger kein Bandscheibenschaden an der HWS, sondern an der BWS vor. Dies dürfte aber an der Einordnung unter die Konstellationen B4 der Konsensempfehlungen nichts ändern, da es dabei im Wesentlichen darauf ankommt, dass ein weiterer Bandscheibenschaden an der HWS und/oder der BWS vorliegt (so die einleitenden Hinweise in den Konsensempfehlungen, S. 217, mittlere Spalte, Beginn des unteren Drittels) und im weiteren in den Konsensempfehlungen eine Differenzierung zwischen Fällen mit zusätzlichen Bandscheibenschäden an der HWS bzw. der BWS nicht mehr erfolgt. Da vom Grundgedanken her davon auszugehen ist, dass Bandscheibenschäden an anderen Abschnitten der Wirbelsäule als der LWS einen Gesichtspunkt darstellen, der eher gegen eine berufliche Entstehung des Bandscheibenschadens im Bereich der LWS spricht, ist eine wesentliche Differenzierung auch nicht angebracht, zumal ein Schaden in Übergangsbereich von BWS zu LWS, wie er beim Kläger vorliegt, näher an den besonders beruflich belasteten Segmenten bei einer BK 2108 liegt als ein Bandscheibenschaden im Bereich der HWS, bei der i.Ü. bei der nicht beruflich belasteten Bevölkerung häufiger (degenerative) Bandscheibenschäden auftreten als bei der BWS.

Bei der Konstellation B4 muss mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt sein, damit der Zusammenhang zwischen der beruflichen Belastung und der bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS wahrscheinlich ist: Entweder muss eine Höhenminderung und/oder ein Bandscheibenvorfall an mehreren Bandscheiben - bei monosegmentaler/m Chondrose/Prolaps in L5/S1 oder L4/5 "black disc" im MRT in mindestens zwei angrenzenden Segmenten - gegeben sein oder es muss eine besonders intensive Belastung vorgelegen haben, bei der als Anhaltspunkt das Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren betrachtet werden kann oder es muss ein besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen erfüllt sein, wobei als Anhaltspunkt das Erreichen der Hälfte des MDD-Tagesdosis-Richtwertes durch hohe Belastungsspitzen (Frauen ab 4,5 kN; Männer ab 6 kN) gesehen werden kann. Im vorliegenden Fall ist zumindest von der Erfüllung des ersten Kriteriums auszugehen, da nicht nur ein Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1, sondern auch im Segment L4/5 vorliegt. Zudem liegt es nahe, bei einem Rettungssanitäter von hohen Belastungsspitzen auszugehen, da - wie schon das BayLSG ( vgl. BayLSG, Urteil vom 25.04.2001, Az.: L 2 U 174/98) zutreffend angenommen hat - die Tätigkeit eines Rettungssanitäters nicht durch dauerndes (d.h. fast ununterbrochenes) Heben und Tragen geprägt ist, sondern durch zeitlich begrenzte Hebe- und Tragevorgänge, bei denen dann aber Gewichte bewegt werden, die die Grenzwerte des Merkblatts zur BK 2108 (vgl. dort Ziff. V) um ein Vielfaches überschreiten

Sofern der Beklagte diese Einschätzung mit Schreiben vom 08.08.2007 in Abrede stellt und die Behauptung vorträgt, dass die überwiegende Zahl der ihm bekannten und von den Sozialgerichten immer wieder mit der Begutachtung solcher Fälle betrauten Sachverständigen der Ansicht sei, dass eine mono- bzw. (wie hier vorliegend) bisegmentale Bandscheibenerkrankung gerade nicht einem belastungskonformen Schadensbild entspreche, steht dies nicht in Übereinstimmung mit dem derzeitigen Stand der Wissenschaft, wie er beispielsweise in den Konsensempfehlungen zum Ausdruck gekommen ist. Denn aus den Konsensempfehlungen zu den mit dem Buchstaben "B" beginnenden Konstellationen ist zweifelsfrei ersichtlich, dass auch beim Vorliegen einer bandscheibenbedingten Erkrankung in lediglich einem einzigen Segment (L4/5 oder L5/S1) eine BK 2108 anzuerkennen sein kann (vgl. z.B. die Konstellation B1). I.Ü. war die vom Beklagten vertretene Meinung, dass monosegmente Bandscheibenschäden wie durch eine berufliche Belastung im Sinne der BK 2108 verursacht sein könnten, schon im Jahre 1996 überholt und von den maßgeblichen medizinischen Wissenschaftlern revidiert worden (vgl. BSG, Beschluss vom 31.05.1996, Az.: 2 BU 237/95). Damit ist die Ansicht des Beklagten überzeugend als längst nicht mehr dem aktuellen Kenntnisstand entsprechend widerlegt, dass bei einem monosegmentalen Schaden eine BK 2108 ausgeschlossen sei. Noch viel weniger kann die Ansicht des Beklagten überzeugen, dass eine BK 2108 bei einem bisegmentalen Schaden, wie er hier vorliegt, nicht in Betracht komme. Dies entspricht i.Ü. auch der Erfahrung des Gerichts mit anderen Gutachtern, die sich zu bisegmentalen Schäden geäußert haben.

Auch der Hinweis des Beklagten auf ein in einem anderen Rechtsstreit erstelltes Gutachten des Prof. Dr. A. vom 13.03.2007 und die dort zitierte Untersuchung, dass bisegmentale Bandscheibenschäden bei den BK-relevanten Berufen in (nur) 20 % und bei den nicht BK-relevanten Berufen in 25,4 % der Fälle aufträten, also in der nicht belasteten Gruppe sogar häufiger der Fall seien als in der belasteten, kann sachlich nicht überzeugen. Denn bei dieser Argumentation übersieht der Beklagte, dass es für die BK 2108 kein belastungstypisches, sondern lediglich ein belastungskonformes Schadensbild gibt, da sich das Schadensbild dieser BK nicht wesentlich von einem Teil der Schadensbilder im Rahmen der Volkskrankheit "Rückenschmerzen" unterscheidet. Zudem verstößt der Beklagte mit dieser Argumentation gegen die klaren Vorgaben der Begutachtungsliteratur, nach denen bei der BK 2108 die epidemiologischen Daten nicht die wesentlichen Grundlagen bei Kausalitätsprüfung im Einzelfall sind, sondern nur ergänzend zu den einzelfallbezogenen Beurteilungskriterien herangezogen werden dürfen (vgl. Schönberger, a.a.O., S. 564 f).

4. Zeitlicher Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und Entstehung der bandscheibenbedingten Erkrankung:

Beim Kläger sind erstmals Rückenbeschwerden im Jahre 1990, dann wieder im Jahr 1993 dokumentiert. Diese Beschwerden haben sich ab 1999 verstärkt, wobei Lumboischialgien entsprechend einer S1-Wurzelreizsymptomatik hinzugekommen sind. Damit besteht eine plausible zeitliche Korrelation zwischen Belastungen in der Arbeit ab 1988 und der Entwicklung des Schadensbildes.

Für eine berufliche Verursachung des Bandscheibenschadens spricht auch, dass sich radiologisch zwischen der Kernspintomographie vom 28.01.2002 und der Kernspintomographie vom 18.06.2003 eine gewisse Besserung gezeigt hat, was damit begründet werden kann, dass der Kläger ab dem 01.07.2002 seine Arbeitszeit und damit auch die berufliche Belastung der LWS um rund die Hälfte reduziert hat. In Übereinstimmung mit den medizinischen Erkenntnissen ist davon ausgehen, dass sich bei Unterlassung der beruflich belastenden Tätigkeit (hier entsprechend: einer Reduzierung der Belastung) und bei konservativer Behandlung innerhalb der auf die Reduzierung oder Unterlassung der Belastung folgenden Zeit eine gewisse Besserung der bandscheibenbedingten Erkrankung ergibt (vgl. Bolm-Audorff, a.a.O., S. 327).

5. Ausschluss konkurrierender Verursachungsmöglichkeiten anlagebedingter, statischer, entzündlicher oder unfallbedingter Genese:

Im Merkblatt zur BK 2108 (dort Ziff. III a.E.) sind die diversen möglichen konkurrierenden Ursachen für die Entstehung einer bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS aufgezählt, wie sie auch in der maßgeblichen Begutachtungsliteratur und den Konsensempfehlungen genannt sind (vgl. Bolm-Audorff, a.a.O., S. 228 ff). Keine dieser konkurrierenden Verursachungsmöglichkeiten kommt vorliegend in Betracht.

Die bis heute vorliegenden epidemiologischen Studien haben keine hinreichende Evidenz für einen Zusammenhang zwischen Übergewicht und Rückenbeschwerden ergeben. Übergewicht kann daher nicht als gesicherter Risikofaktor für die Entstehung bandscheibenbedingter Erkrankungen der LWS betrachtet werden (vgl. Bolm-Audorff, a.a.O., S. 248, 252). Zudem könnte auch nicht von einem relevanten Übergewicht des Klägers ausgegangen werden. Denn es ist berücksichtigen, dass eine Gewichtszunahme erst erfolgt ist, als der Kläger wegen der bereits aufgetretenen massiven Beeinträchtigungen infolge der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS seine Mobilität reduzieren musste und aus diesem Grund eine Gewichtszunahme eingetreten ist. Noch im Jahre 2002 wog der Kläger nach seinen eigenen glaubhaften Angaben bei einer Körpergröße von 184 cm 94 kg, was beim muskulösen Körperbau des Klägers ein allenfalls geringes Übergewicht darstellt, das noch nicht geeignet ist, als wesentlicher Faktor bei der Entstehung einer bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS betrachtet zu werden. Vor Beginn der Beschwerden wog er nach eigenen Angaben nur 88 kg, was als im Bereich des Normalgewichts liegend zu bezeichnen ist.

Die beim Kläger vorliegende Seitverbiegung der Wirbelsäule ist so gering ausgeprägt, dass noch keine Skoliose im strengen Sinn vorliegt. Da nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand, wie er in den Konsensempfehlungen zum Ausdruck kommt (vgl. Bolm-Audorff, a.a.O., S. 233 ff), nur mittelgradige oder hochgradige Skoliosen eine konkurrierende Verursachungsmöglichkeit darstellen können, ist die hier vorliegende geringe Seitverbiegung der Wirbelsäule, die noch nicht einmal den Schweregrad einer leichtgradigen Skoliose erreicht, keinesfalls eine konkurrierende Verursachungsmöglichkeit für die Entstehung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS.

Auch der diskrete Beckenschiefstand mit einer Höhenminderung um 0,5 cm ist zu gering ausgeprägt, als dass darin eine konkurrierende Verursachungsmöglichkeit liegen könnte (vgl. Bolm-Audorff, a.a.O., S. 237 f, 251). Denn eine fixierte Skoliose hat sich daraus nicht ergeben.

Bei Berücksichtigung aller maßgeblichen Kriterien ist daher ein hinreichend wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen der beruflichen Belastung des Klägers und der Entstehung der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS anzunehmen.

Der derzeit vorliegende Zustand infolge der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS ist mit einer MdE in Höhe von 20 v.H. einzuschätzen. Dies entspricht den übereinstimmenden Einschätzungen der Gutachter Dr. P. und Dr. I. und den Konsensempfehlungen, in denen auch Richtwerte zu einer Schätzung der MdE enthalten sind (vgl. Bolm-Audorff, a.a.O., S. 324 ff). Diese Richtwerte stellen einen Mindestkonsens der mit dieser Berufskrankheit befassten medizinischen Sachverständigen und damit den anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft dar, der sich seit der Veröffentlichung von Schönberger (vgl. Schönberger, a.a.O., S. 582 f) im Jahre 2003 verdichtet hat. Die beim Kläger vorliegenden Beeinträchtigungen sind dabei in der Stufe 2, Leistungseinschränkungen mittel, einzuordnen und mit einer MdE in Höhe von 20 v.H. zu bewerten (vgl. Bolm-Audorff, a.a.O., S. 327). Beim Kläger liegt ein lokales LWS-Syndrom und ein lumbales Wurzelkompressionssyndrom mit mittelgradigen belastungsabhängigen Beschwerden sowie eine Lumboischialgie mit belastungsabhängigen Beschwerden vor. Der Kläger leidet durchgehend unter Schmerzen und radikulären Symptomen, es liegt ein vermehrter Muskeltonus im Bereich der unteren LWS sowie Schmerzen und Bewegungseinschränkungen im Bereich der LWS vor. Zudem ist eine Fußheberschwäche mit Auswirkung auf das Gangbild gegeben.

Eine Rentengewährung kann zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht erfolgen, da der Kläger die gefährdende Tätigkeit noch nicht vollständig aufgegeben hat. Zwar hat er seine Arbeitszeit auf rund die Hälfte reduziert. Damit ist aber der Unterlassungszwang noch nicht vollzogen, da noch nicht alle wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten aufgegeben worden sind; eine bloße Reduzierung der Wirbelsäulenbelastung reicht dafür nicht aus (vgl. Schönberger, a.a.O., S. 581). Sofern in der vorgenannten Begutachtungsliteratur in gewissem Widerspruch zu den zunächst zitierten Ausführungen darauf hingewiesen wird, dass eine fortbestehende Gefährdung (nur dann) anzunehmen sei, solange die weiter ausgeübte Tätigkeit mit einer Überschreitung der Tagesdosiswerte nach dem MDD verbunden sei oder besondere Belastungsspitzen bei der Tätigkeit auftreten würden, so kann das Gericht dem aus den oben dargestellten Gründen nicht folgen. Zum einen lässt sich diese Auslegung nicht in Übereinstimmung mit dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung bringen, zum anderen könnte gerade bei der BK 2108 mit der Problematik der Ermittlung einer gefährdenden Belastung keine einigermaßen sichere Differenzierung getroffen werden, wann noch von einer gefährdenden Tätigkeit auszugehen ist. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass nach der oben angeführten Rechtsprechung auch bei einer nicht unerheblichen Unterschreitung der Richtwerte für die Tages- oder Lebensdosis noch von einer potentiell gefährdenden Tätigkeit auszugehen ist. Dies und der im Interesse des Versicherten liegende Gesundheitsschutz sowie das Interesse der Versichertengemeinschaft, eine etwaige Verschlimmerung des beruflich bedingten Gesundheitszustandes und damit höhere Entschädigungsansprüche durch eine weitere Belastung zu verhindern, setzen voraus, dass alle Tätigkeiten unterlassen werden, die mit einer nicht völlig zu vernachlässigenden Belastung für die Wirbelsäule verbunden sind. Dies erfordert, dass eine ursprünglich belastende Tätigkeit im Wesentlichen ganz aufgegeben wird und nicht nur in ihrem Umfang halbiert wird.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass beim Kläger sämtliche Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 2108 mit Ausnahme der Erfüllung des Unterlassungszwanges erfüllt sind. Dies ist entsprechend den Vorgaben in § 9 Abs. 4 SGB VII im Rahmen des Urteils auszusprechen. Die Gewährung einer Verletztenrente kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht erfolgen, obwohl die derzeit vorliegenden Folgen der beruflich bedingten Erkrankung mit einer MdE in Höhe von 20 v.H. einzuschätzen sind. Für eine Rentengewährung muss der Kläger noch die belastenden Tätigkeiten vollständig aufgeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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