S 11 SF 408/10 E

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Halle (Saale) (SAN)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 11 SF 408/10 E
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zur zeitlichen Anwendbarkeit des § 48 Abs. 4 RVG in der ab 1.8.2013 geltenden Fassung
Die Erinnerung wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die nach § 56 Abs. 1 RVG zulässige Erinnerung ist nicht begründet.

Nach § 45 Abs. 1 RVG erhält der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt die gesetzliche Vergütung aus der Landeskasse. Den Anspruch auf Vergütung gegen die Staatskasse können nur Handlungen während der Beiordnung begründen (Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 19. Auflage, § 48, Rn. 103). Zeitlich beginnt die Beiordnung mit dem Wirksamwerden des Beiordnungsbeschlusses, d. h. in dem Zeitpunkt, zu dem der Beiordnungsbeschluss dem beigeordneten Rechtsanwalt bekannt gemacht worden ist (Müller-Rabe, a. a. O., Rn. 83). Dies gilt nicht, wenn eine zeitliche Rückwirkung angeordnet oder sonst erkennbar gewollt worden ist (a. a. O.). Eine zeitliche Rückwirkung kann jedoch grundsätzlich nur ab dem Zeitpunkt erfolgen, in dem der nach § 117 ZPO vollständige Antrag bei dem Gericht eingegangen ist (Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, 5. Auflage, Rn. 505). Nach § 73a SGG i. V. m. § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind dem Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe eine Erklärung des Beteiligten über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie entsprechende Belege beizufügen. Nach § 73a SGG i. V. m. § 117 Abs. 4 ZPO muss sich der Beteiligte der entsprechenden Formulare bedienen.

Der Prozesskostenhilfebeschluss vom 27. November 2008 ist der Erinnerungsführerin am 1. Dezember 2008 zugestellt worden (siehe Empfangsbekenntnis). Dem Beschluss ist eine zeitliche Rückwirkung nicht zu entnehmen. Im Übrigen sind nach dem Inhalt des Prozesskostenhilfeheftes keinerlei Unterlagen, um die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der von der Erinnerungsführerin vertretenen Klägerin zu belegen, eingereicht worden, so dass sich auch daraus keine Rückwirkung entnehmen lässt.

Die Beiordnung erstreckte sich damit hier auf den 1. Dezember 2008, da das Verfahren, für welches die Erinnerungsführerin beigeordnet worden ist, am selben Tag durch Verbindung beendet wurde.

Die Bestimmung des § 48 Abs. 4 Satz 1 RVG (in der ab 1. August 2013 geltenden Fassung) wonach die Beiordnung in Angelegenheiten, in denen nach § 3 Abs. 1 RVG Betragsrahmengebühren entstehen, sich auf Tätigkeiten ab dem Zeitpunkt der Beantragung der Prozesskostenhilfe erstreckt, wenn vom Gericht nichts anderes bestimmt ist, ist hier nicht anwendbar. Diese Regelung trat erst zum 1. August 2013 in Kraft (Art. 50 des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 23. Juli 2013, BGBl I 2586). Die Beiordnung erfolgte bereits mit dem PKH-Beschluss vom 27. November 2008 unter Zugrundelegung der zum damaligen Zeitpunkt geltenden Regelungen.

Auch aus dem allgemeinen Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts, wonach eine Änderung des Verfahrensrechts grundsätzlich auch anhängige Rechtsstreitigkeiten erfasst (siehe z. B. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. Juni 2011 – L 25 AS 211/10 B PKH –, juris) ergibt sich nichts anderes. Das Prozesskostenhilfeverfahren war nämlich bei Inkrafttreten der RVG-Änderung zum 1. August 2013 nicht mehr rechtshängig gewesen. Es war mit dem Verstreichen der der Staatskasse eingeräumten Rechtsmittelsfrist rechtskräftig abgeschlossen.

Die Vergütung für anwaltliche Tätigkeiten bemisst sich nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG). In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen – wie im vorliegenden Fall – das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist, entstehen Betragsrahmengebühren (§ 3 Abs. 1 Satz 1 RVG). Die Höhe der Vergütung bestimmt sich nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zum RVG (§ 2 Abs. 2 Satz 1 RVG, hier in der bis 31. Juli 2013 geltenden Fassung, siehe § 60 Abs. 1 RVG in der ab 1. August 2013 geltenden Fassung).

Bei Rahmengebühren bestimmt entsprechend § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts kann bei der Bemessung herangezogen werden. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.

Ausgangspunkt für die Bemessung der Gebühr ist der Durchschnittsfall, der die Mittelgebühr rechtfertigt. Erst wenn die Kriterien des Durchschnittsfalls bekannt sind, kann entschieden werden, ob im konkreten Fall ein Abweichen von der Mittelgebühr nach oben oder unten angezeigt ist.

Im erstinstanzlichen sozialgerichtlichen Verfahren liegt eine durchschnittliche anwaltliche Tätigkeit vor, wenn eine Klage erhoben wird oder ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt wird, Akteneinsicht genommen wird, die Klage bzw. der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz begründet wird und zu vom Gericht veranlassten Ermittlungen (z. B. Einholung von Befundberichten, Arbeitgeberauskünften, Beiziehung von Klinikberichten, Röntgenaufnahmen, weiterer Akten) Stellung genommen wird.

Durchschnittlich schwierig vor dem Sozialgericht sind Verfahren, in denen wegen laufender Leistungen (z. B. Arbeitslosengeld, Krankengeld, Rente, Grundsicherungsleistungen), wegen Anerkennung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten oder Behinderungen, aber auch wegen einmaliger Leistungen (z. B. Heil- und Hilfsmittel, Rehabilitationsleistungen) gestritten wird.

Die Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger bzw. Antragsteller hängt nicht nur vom Streitgegenstand, sondern auch vom subjektiven Empfinden des Klägers bzw. Antragstellers ab. Die Bedeutung der Angelegenheit kann jedenfalls dann grundsätzlich als durchschnittlich angesehen werden, wenn nur wegen einer einmaligen Leistung gestritten wird. Sofern dagegen wegen Leistungen mit Dauerwirkung gestritten wird, wird grundsätzlich eine überdurchschnittliche Bedeutung anzunehmen sein.

Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse eines Klägers bzw. Antragstellers sind jedenfalls dann zumindest als durchschnittlich anzusehen, wenn die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht erforderlich ist. Ist dagegen die Gewährung von Prozesskostenhilfe erforderlich, liegen zumindest unterdurchschnittliche Einkommens- und Vermögensverhältnisse vor. Bei Empfängern von Grundsicherungsleistungen liegen regelmäßig deutlich unterdurchschnittliche Einkommens- und Vermögensverhältnisse vor.

Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit am 1. Dezember 2008 war deutlich unterdurchschnittlich: die Klage war bereits vor diesem Zeitraum erhoben und begründet worden. Akteneinsicht wurde nicht genommen. Stellungnahmen erfolgten nicht. Die Sache war höchstens durchschnittlich schwierig, ebenso die Bedeutung für die Klägerin. Wegen des Anspruchs auf Prozesskostenhilfe für die Klägerin ist davon auszugehen, dass unterdurchschnittliche Einkommens- und Vermögensverhältnisse vorliegen. Wegen der Unterdurchschnittlichkeit in zwei der vier Kriterien ist eine Gebühr aus Nr. 3103 VV-RVG in Höhe der Hälfte der Mittelgebühr angemessen. Die angefochtene Entscheidung ist daher nicht zu beanstanden. Hinter den Festsetzungen in dem Beschluss kann wegen des auch im Erinnerungsverfahren geltenden Verbots der reformatio in peius nicht zurückgeblieben werden.

Für die Festsetzung der Terminsgebühr Nr. 3106 VV-RVG (in der bis 31. Juli 2013 geltenden Fassung) geht das Gericht von folgenden Überlegungen aus: Die Mittelgebühr ist in der Regel angemessen, wenn der Termin mehr als eine halbe Stunde gedauert hat. Zugrunde gelegt wird dabei, dass ein durchschnittlicher Termin bei den Sozialgerichten diese Länge hat. Bei kürzeren Terminen findet ein Abschlag von der Mittelgebühr statt (21-30 Minuten ¾ der Mittelgebühr, 11-20 Minuten ½ Mittelgebühr, 0-10 Minuten ¼ Mittelgebühr), bei längeren erfolgt eine Erhöhung. Von dieser "statischen" Lösung ist dann abzuweichen, wenn Anhaltspunkte vorliegen, die auf eine besondere Schwierigkeit oder andere Umstände in dem Termin schließen lassen, die eine andere Bemessung rechtfertigen. Umstände, die außerhalb des Termins liegen, werden dabei nicht berücksichtigt.

Der Termin am 1. Dezember 2008 dauerte 21 Minuten. Dabei wurden drei weitere Sachen verhandelt. Es kann davon ausgegangen werden, dass für jede Sache rund fünf Minuten aufgewandt worden sind. Anhaltspunkte für terminserschwerende Umstände liegen nicht vor. Die festgesetzte Gebühr ist daher angemessen.

Für das Erinnerungsverfahren entstehen keine Gerichtskosten. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten (§ 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG).
Rechtskraft
Aus
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