Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 U 281/13
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zuständige Berufsgenossenschaft für ein Integrationsunternehmen
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu tragen; im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.
3. Der Streitwert wird auf 93.715,92 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Klägerin will an die Beigeladene überwiesen werden.
Die Klägerin wurde zum 1. April 1995 gegründet und mit Bescheid der Beklagten vom 15. April 1997 bei dieser als Mitglied aufgenommen. Als Gesellschaftszweck der Klägerin ist festgeschrieben, durch geeignete Maßnahmen Arbeitsplätze für psychisch kranke Menschen zu schaffen. Weiter ist festgelegt, dass die Klägerin ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige und mildtätige Zwecke und nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgt. Die Klägerin betreibt zwei Lebensmittelmärkte und führt drei Betriebe, in denen verschiedene Fertigungsarbeiten durchgeführt werden. Nach ihren Angaben sind ca. 54 % ihrer Beschäftigten schwerbehinderte Menschen. Die Klägerin wird derzeit von der Beklagten unter der Tarifstelle 17 (Beschäftigungs-/Qualifizierungsprojekte, Integrationsunternehmen) veranlagt.
Im Februar 2013 beantragte die Klägerin die Überweisung an die zuständige Berufsgenossenschaft. Die Lebensmittelmärkte gehörten zur Beigeladenen, die Fertigungsbetriebe zur Berufsgenossenschaft Energie, Textil, Elektro und Medienerzeugnisse (BG ETEM). Das unfallrelevante Geschehen an den Arbeitsplätzen werde geprägt durch Produktion und Dienstleistung. Der gemeinnützige Unternehmenszweck sei insofern irrelevant. Die Klägerin sei ein richtiges Unternehmen und kein bloßes Beschäftigungs- oder Qualifizierungsprojekt. Die Integration werde so behindert.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 18. Juni 2013 eine Überweisung an die BG ETEM ab. Es handle sich eindeutig um ein Integrationsunternehmen, welches in die Zuständigkeit der Beklagten falle. Auf einzelne ausgeübte Tätigkeiten der einzelnen Arbeitnehmer komme es nicht an.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 5. September 2013 zurückgewiesen. Die Voraussetzungen für eine Überweisung seien nicht gegeben.
Dagegen hat die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten am 7. Oktober 2013 Klage zum Sozialgericht Augsburg erheben lassen. Der Schwerpunkt der Beschäftigung liege beim Handel. Die Zuständigkeit sei von Anfang an unrichtig gewesen. Sie habe sich am betrieblichen Unfallgeschehen zu orientieren und nicht am ideellen Unternehmenszweck. Die Mittelverwendung sei ebenfalls irrelevant. Es sei willkürlich, wenn sämtliche Integrationsunternehmen mit unterschiedlichen Risiken bei einer Berufsgenossenschaft veranlagt würden. Die Integrationsunternehmen zählten nicht zu den Wohlfahrtseinrichtungen wegen der Förderung, weil diese den Unternehmenscharakter nicht veränderten. Die Arbeitnehmer würden auf Regelarbeitsplätzen beschäftigt. Nicht erst seit Inkrafttreten der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen sollten behinderte Menschen möglichst inklusiv in normalen Unternehmen an normalen Arbeitsplätzen beschäftigt werden. Es liefe diesem Ziel zuwider, wenn solche Unternehmen unfallversicherungsrechtlich nicht wie normale Unternehmen behandelt würden. Damit liege auch eine unzulässige Benachteiligung vor.
Mit Beschluss vom 28. Januar 2014 ist die Beiladung erfolgt.
Die Beklagte hat noch ergänzt, der Begriff der Wohlfahrtspflege sei weit zu verstehen. Es zählten dazu auch Unternehmensarten auf dem Gebiet der Hilfen für Menschen mit Behinderung, so auch Integrationsunternehmen. Seit jeher halte sich die Beklagte für diese Unternehmen für zuständig und dies sei auch ursprünglich von allen Integrationsunternehmen akzeptiert worden.
Die Beigeladene hat ausgeführt, die berufsgenossenschaftliche Zuständigkeit richte sich nach Art und Gegenstand eines Unternehmens. Dies ergebe sich jedoch nicht aus der Tätigkeit einzelner Mitarbeiter, sondern aus der wirtschaftlichen Ausrichtung, also dem Geschäftszweck. Die Klägerin betreibe nicht gewerbsmäßig Handel und Verkauf zum Zweck der Gewinnerzielung. Vielmehr wolle sie mit steuerlicher Förderung und dem Gemeinnützigkeitsstatus behinderte Personen sinnvoll beschäftigen.
Für die Klägerin wird beantragt:
Der Bescheid der Beklagten vom 18. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. September 2013 und der Bescheid vom 15. April 1997 werden aufgehoben, es wird festgestellt, dass die Beigeladene zuständiger Unfallversicherungsträger für die Klägerin ist, und die Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin an die Beigeladene zu überweisen.
Für die Beklagte wird beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten
sowie den Inhalt der Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, auch wenn die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid lediglich die Überweisung an eine dritte Berufsgenossenschaft, nicht aber an die Beigeladene abgelehnt hat. Denn die Beklagte hat im Prozess deutlich gemacht, dass sie auch die Überweisung an die Beigeladene ablehnt.
Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 18. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. September 2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn die Klägerin ist zutreffend Mitglied der Beklagten.
Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Überweisung an einen anderen Unfallversicherungsträger ist § 136 Abs. 1 Satz 4 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII). Danach überweist der Unfallversicherungsträger das Unternehmen dem zuständigen Unfallversicherungsträger, wenn die Feststellung der Zuständigkeit für ein Unternehmen von Anfang an unrichtig war oder sich geändert hat. Die Feststellung der Zuständigkeit war von Anfang an unrichtig, wenn sie den Zuständigkeitsregelungen eindeutig widerspricht oder das Festhalten an dem Bescheid zu schwerwiegenden Unzuträglichkeiten führen würde, § 136 Abs. 2 Satz 1 SGB VII. Eine Anwendung von § 136 Abs. 1 Satz 4 SGB VII wegen anfänglicher Unrichtigkeit kommt allerdings nicht infrage, wenn die Zuständigkeit des die Mitgliedschaft führenden Unfallversicherungsträgers auf einer Überweisung beruht, weil es dann an einer erstmaligen Aufnahme fehlt und im Rahmen der Überweisung die Zuständigkeit umfassend geprüft wurde (BSG, Urteil vom 12. April 2005, B 2 U 8/04 R; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 136 Rz. 5). Eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen im Sinn des § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X), die zu einer Änderung der Zuständigkeit führt, liegt nach § 136 Abs. 2 Satz 2 SGB VII vor, wenn das Unternehmen grundlegend und auf Dauer umgestaltet worden ist.
Im Fall der Klägerin ist eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Somit bleibt allein eine anfänglich unrichtige Zuständigkeit. Deren Prüfung kommt auch infrage, weil die Aufnahme der Klägerin bei der Beklagten nicht auf einer Überweisung beruht.
Eine anfänglich unrichtige Zuständigkeit liegt nicht vor. Die Klägerin ist ein Unternehmen, das nicht in die Zuständigkeit einer landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft oder eines Unfallversicherungsträgers der öffentlichen Hand fällt, § 121 Abs. 1 SGB VII. Welche gewerbliche Berufsgenossenschaft für die Klägerin zuständig ist, orientiert sich damit gemäß § 122 SGB VII mangels entsprechender Rechtsverordnung nach der überkommenen Aufteilung, wie sie im Beschluss des Bundesrates des Deutschen Reiches vom 21. Mai 1885 festgehalten ist. Eine Abänderung dieser bundesgesetzlichen Zuständigkeitsregelungen mittels Satzungsrechts einer Berufsgenossenschaft ist ohne eine entsprechende Rechtsgrundlage nicht möglich, so dass es auf die Satzungen der infrage kommenden Berufsgenossenschaften nicht entscheidend ankommt.
Die beklagte Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtpflege ist nach der genannten überkommenen Aufteilung auch für Unternehmen im Bereich der Wohlfahrtspflege zuständig. Diese wird verstanden als die planmäßige, zum Wohl der Allgemeinheit und nicht des Erwerbs wegen ausgeübte, vorbeugende oder helfende, unmittelbare Betreuung von gesundheitlich, sittlich oder wirtschaftlich gefährdeten Menschen (BSG, Urteil vom 31. Januar 2012, B 2 U 3/11 R).
Darunter ist der Gegenstand des klägerischen Unternehmens (nach wie vor) zu fassen. Nach ihrem Gesellschaftsvertrag war und ist es Gegenstand des Unternehmens, durch geeignete Maßnahmen Arbeitsplätze für psychisch kranke Menschen zu schaffen. Weiter ist festgelegt, dass die Klägerin ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige und mildtätige Zwecke und nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgt. Ihren Gesellschaftsgegenstand setzt die Klägerin um, indem sie nach eigenen Angaben - diese zweifelt das Gericht auch nicht an - zu ca. 54 % schwerbehinderte Menschen i.S.d. § 2 Abs. 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) beschäftigt, davon gehört wohl ein guter Teil zu dem in § 132 Abs. 2 SGB IX genannten Kreis. Die Klägerin zählt sich zu den Integrationsunternehmen nach § 132 Abs. 1 SGB IX und erhält als solches auch Mittel vom Integrationsamt. Sie betreibt drei Betriebe, in denen Lohnfertigungen für andere Unternehmen vorgenommen werden, sowie zwei Lebensmittelgeschäfte ("CAP-Märkte"). In all diesen Betrieben sind - das hat zuletzt der Prozessbevollmächtigte der Klägerin so in der mündlichen Verhandlung angegeben - schwerbehinderte Menschen als Beschäftigte in dem von § 132 Abs. 3 SGB IX vorgesehenen Umfang tätig. Etwas anderes wäre auch fragwürdig im Hinblick auf den steuerrechtlichen Status der Klägerin als gemeinnütziges bzw. mildtätiges Unternehmen i.S.d. §§ 51 ff. der Abgabenordnung, im Hinblick auf die Einstufung der Klägerin als Integrationsunternehmen nach § 132 Abs. 1 SGB IX sowie angesichts der Privilegierung nach § 180 Abs. 2 SGB VII. Daher gibt es für das Gericht keinen begründeten Anlass, an diesem Umstand zu zweifeln.
Aus der skizzierten Umsetzung ihres satzungsmäßigen Gesellschaftsgegenstandes ergibt sich für das Gericht, dass die Klägerin ihre Betriebe anders als sonstige Unternehmen, die nicht zu den Integrationsprojekten gezählt werden können, nicht allein aus wirtschaftlichen Gründen unterhält, sondern eines übergeordneten ideellen Zwecks wegen. Dem kommt bei der Umsetzung und tatsächlichen Tätigkeit bei der Klägerin ein solches Gewicht zu, dass ein erkennbarer Unterscheid zu rein auf Gewinnerzielung ausgerichteten Unternehmen besteht. Unfallversicherungsrechtlich schlägt sich das dahin nieder, dass nicht weiter von Interesse ist, mittels welcher Art der Tätigkeit die Klägerin ihren Gesellschaftsgegenstand konkret umsetzt und mit welcher anderen Unternehmensbranche die Klägerin bei Außerachtlassung dessen verglichen werden könnte. Ebenso kommt es nicht darauf an, welche Tätigkeiten einzelne Mitarbeiter der Klägerin tatsächlich ausführen, sondern maßgeblich ist allein der das gesamte Unternehmen prägende und leitende Gegenstand. Dieser besteht hier darin, behinderten Menschen sinnvolle und ihren Beeinträchtigungen angepasste, möglichst "normale" Beschäftigungsmöglichkeiten anzubieten. Die Klägerin ist deswegen aufgrund ihrer Unternehmensart keinen Unternehmen gleichzusetzen, welche dies nicht als Unternehmensgegenstand verfolgen, sondern sie ist als Wohlfahrtsunternehmen anzusehen. Andernfalls würde sich gerade aus den Integrationsbemühungen, die letztlich die Klägerin ausmachen, keine Auswirkung mehr für das SGB VII ergeben. Das kann aber schon im Hinblick auf § 180 Abs. 2 SGB VII und auf weitere, o.g. gesetzgeberische Regelungen zum Zweck des Nachteilsausgleichs nicht angenommen werden.
Wie oben bereits dargestellt, ist auch keine Unterscheidung nach den verschiedenen zur Klägerin gehörenden Betrieben zu treffen. Von einem einheitlichen Unternehmen ist nämlich auszugehen, wenn zwischen den einzelnen Teilunternehmen ein wirtschaftlicher und betriebstechnischer Zusammenhang besteht und die Betriebsteile einer einheitlichen Leitung unterstehen und der Verfügungsgewalt desselben Unternehmers unterliegen (BSG, Urteil vom 28. November 2006, B 2 U 33/05 R). So verhält es sich bei der Klägerin. Deshalb kommt eine vom Gericht angedachte Aufteilung des klägerischen Unternehmens in Haupt- und Nebenbetrieb - dann mit etwaiger Fremdveranlagung des letzteren Teils - letztlich nicht infrage.
Ein eindeutiger Widerspruch zur Zuständigkeitsverteilung zwischen der Beklagten und der Beigeladenen liegt damit nicht vor. Auch stellt sich der Verbleib der Klägerin bei der Beklagten nicht als schwerwiegende Unzuträglichkeit dar. Denn etwaige, von der Klägerin erhoffte Beitragseinsparungen bei einer Überweisung an eine andere Berufsgenossenschaft begründen eine solche Unzuträglichkeit nicht.
Eine andere Beurteilung folgt auch nicht aufgrund einer von der Klägerin angeführten Diskriminierung ihrer behinderten Beschäftigten. Eine solche scheidet schon aus, weil die Zuständigkeit der Beklagten zu Recht anzunehmen ist und daraus keine unerlaubte Benachteiligung abzuleiten sein kann. Ferner träfe eine Benachteiligung keinen behinderten Menschen selbst, sondern die Klägerin, die aber derartige Rechte nicht innehat. Außerdem könnte aufgrund der angesprochenen mannigfachen Nachteilsausgleiche keine Rede von einer - gar unzulässigen - Benachteiligung sein.
Soweit die Klägerseite noch die (den Arbeitsplatz schwerbehinderter Menschen schützende) Prävention nach § 84 SGB IX angesprochen hat, übersieht sie, dass diese einem völlig anderen Regelungsziel dient als die nach SGB VII von den Unfallversicherungsträgern wahrzunehmende (arbeitsplatzsicherheitsbezogene) Prävention.
Somit ist die Klägerin zu Recht Mitglied der Beklagten.
Die Veranlagung der Klägerin durch die Beklagte ist nicht streitgegenständlich. Aufgrund der obigen Darlegungen erscheint diese jedoch auch zutreffend erfolgt zu sein.
Daher ist die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 154 Abs. 1 und 3 sowie § 162 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung. Nachdem die Beigeladene keinen Sachantrag gestellt und somit nicht am Prozessrisiko teilgenommen hat, ist auch eine Erstattung ihrer außergerichtlichen Kosten nicht angezeigt.
Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Beim Streit über die richtige Veranlagung bzw. die Überweisung ist als Streitwert der dreifache Betrag des jährlichen Beitrags, mindestens aber der vierfache Auffangstreitwert, also 20.000 EUR, anzunehmen (BSG, Urteil vom 31. Januar 2012, B 2 U 3/11 R). Der erstgenannte Betrag ist hier der höhere. Die Beklagte hat als letzten jährlichen Beitrag 31.238,64 EUR angegeben. Der dreifache Betrag beläuft sich demnach auf 93.715,92 EUR und wird als Streitwert festgesetzt.
2. Die Klägerin hat die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu tragen; im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.
3. Der Streitwert wird auf 93.715,92 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Klägerin will an die Beigeladene überwiesen werden.
Die Klägerin wurde zum 1. April 1995 gegründet und mit Bescheid der Beklagten vom 15. April 1997 bei dieser als Mitglied aufgenommen. Als Gesellschaftszweck der Klägerin ist festgeschrieben, durch geeignete Maßnahmen Arbeitsplätze für psychisch kranke Menschen zu schaffen. Weiter ist festgelegt, dass die Klägerin ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige und mildtätige Zwecke und nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgt. Die Klägerin betreibt zwei Lebensmittelmärkte und führt drei Betriebe, in denen verschiedene Fertigungsarbeiten durchgeführt werden. Nach ihren Angaben sind ca. 54 % ihrer Beschäftigten schwerbehinderte Menschen. Die Klägerin wird derzeit von der Beklagten unter der Tarifstelle 17 (Beschäftigungs-/Qualifizierungsprojekte, Integrationsunternehmen) veranlagt.
Im Februar 2013 beantragte die Klägerin die Überweisung an die zuständige Berufsgenossenschaft. Die Lebensmittelmärkte gehörten zur Beigeladenen, die Fertigungsbetriebe zur Berufsgenossenschaft Energie, Textil, Elektro und Medienerzeugnisse (BG ETEM). Das unfallrelevante Geschehen an den Arbeitsplätzen werde geprägt durch Produktion und Dienstleistung. Der gemeinnützige Unternehmenszweck sei insofern irrelevant. Die Klägerin sei ein richtiges Unternehmen und kein bloßes Beschäftigungs- oder Qualifizierungsprojekt. Die Integration werde so behindert.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 18. Juni 2013 eine Überweisung an die BG ETEM ab. Es handle sich eindeutig um ein Integrationsunternehmen, welches in die Zuständigkeit der Beklagten falle. Auf einzelne ausgeübte Tätigkeiten der einzelnen Arbeitnehmer komme es nicht an.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 5. September 2013 zurückgewiesen. Die Voraussetzungen für eine Überweisung seien nicht gegeben.
Dagegen hat die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten am 7. Oktober 2013 Klage zum Sozialgericht Augsburg erheben lassen. Der Schwerpunkt der Beschäftigung liege beim Handel. Die Zuständigkeit sei von Anfang an unrichtig gewesen. Sie habe sich am betrieblichen Unfallgeschehen zu orientieren und nicht am ideellen Unternehmenszweck. Die Mittelverwendung sei ebenfalls irrelevant. Es sei willkürlich, wenn sämtliche Integrationsunternehmen mit unterschiedlichen Risiken bei einer Berufsgenossenschaft veranlagt würden. Die Integrationsunternehmen zählten nicht zu den Wohlfahrtseinrichtungen wegen der Förderung, weil diese den Unternehmenscharakter nicht veränderten. Die Arbeitnehmer würden auf Regelarbeitsplätzen beschäftigt. Nicht erst seit Inkrafttreten der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen sollten behinderte Menschen möglichst inklusiv in normalen Unternehmen an normalen Arbeitsplätzen beschäftigt werden. Es liefe diesem Ziel zuwider, wenn solche Unternehmen unfallversicherungsrechtlich nicht wie normale Unternehmen behandelt würden. Damit liege auch eine unzulässige Benachteiligung vor.
Mit Beschluss vom 28. Januar 2014 ist die Beiladung erfolgt.
Die Beklagte hat noch ergänzt, der Begriff der Wohlfahrtspflege sei weit zu verstehen. Es zählten dazu auch Unternehmensarten auf dem Gebiet der Hilfen für Menschen mit Behinderung, so auch Integrationsunternehmen. Seit jeher halte sich die Beklagte für diese Unternehmen für zuständig und dies sei auch ursprünglich von allen Integrationsunternehmen akzeptiert worden.
Die Beigeladene hat ausgeführt, die berufsgenossenschaftliche Zuständigkeit richte sich nach Art und Gegenstand eines Unternehmens. Dies ergebe sich jedoch nicht aus der Tätigkeit einzelner Mitarbeiter, sondern aus der wirtschaftlichen Ausrichtung, also dem Geschäftszweck. Die Klägerin betreibe nicht gewerbsmäßig Handel und Verkauf zum Zweck der Gewinnerzielung. Vielmehr wolle sie mit steuerlicher Förderung und dem Gemeinnützigkeitsstatus behinderte Personen sinnvoll beschäftigen.
Für die Klägerin wird beantragt:
Der Bescheid der Beklagten vom 18. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. September 2013 und der Bescheid vom 15. April 1997 werden aufgehoben, es wird festgestellt, dass die Beigeladene zuständiger Unfallversicherungsträger für die Klägerin ist, und die Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin an die Beigeladene zu überweisen.
Für die Beklagte wird beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten
sowie den Inhalt der Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, auch wenn die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid lediglich die Überweisung an eine dritte Berufsgenossenschaft, nicht aber an die Beigeladene abgelehnt hat. Denn die Beklagte hat im Prozess deutlich gemacht, dass sie auch die Überweisung an die Beigeladene ablehnt.
Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 18. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. September 2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn die Klägerin ist zutreffend Mitglied der Beklagten.
Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Überweisung an einen anderen Unfallversicherungsträger ist § 136 Abs. 1 Satz 4 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII). Danach überweist der Unfallversicherungsträger das Unternehmen dem zuständigen Unfallversicherungsträger, wenn die Feststellung der Zuständigkeit für ein Unternehmen von Anfang an unrichtig war oder sich geändert hat. Die Feststellung der Zuständigkeit war von Anfang an unrichtig, wenn sie den Zuständigkeitsregelungen eindeutig widerspricht oder das Festhalten an dem Bescheid zu schwerwiegenden Unzuträglichkeiten führen würde, § 136 Abs. 2 Satz 1 SGB VII. Eine Anwendung von § 136 Abs. 1 Satz 4 SGB VII wegen anfänglicher Unrichtigkeit kommt allerdings nicht infrage, wenn die Zuständigkeit des die Mitgliedschaft führenden Unfallversicherungsträgers auf einer Überweisung beruht, weil es dann an einer erstmaligen Aufnahme fehlt und im Rahmen der Überweisung die Zuständigkeit umfassend geprüft wurde (BSG, Urteil vom 12. April 2005, B 2 U 8/04 R; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 136 Rz. 5). Eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen im Sinn des § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X), die zu einer Änderung der Zuständigkeit führt, liegt nach § 136 Abs. 2 Satz 2 SGB VII vor, wenn das Unternehmen grundlegend und auf Dauer umgestaltet worden ist.
Im Fall der Klägerin ist eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Somit bleibt allein eine anfänglich unrichtige Zuständigkeit. Deren Prüfung kommt auch infrage, weil die Aufnahme der Klägerin bei der Beklagten nicht auf einer Überweisung beruht.
Eine anfänglich unrichtige Zuständigkeit liegt nicht vor. Die Klägerin ist ein Unternehmen, das nicht in die Zuständigkeit einer landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft oder eines Unfallversicherungsträgers der öffentlichen Hand fällt, § 121 Abs. 1 SGB VII. Welche gewerbliche Berufsgenossenschaft für die Klägerin zuständig ist, orientiert sich damit gemäß § 122 SGB VII mangels entsprechender Rechtsverordnung nach der überkommenen Aufteilung, wie sie im Beschluss des Bundesrates des Deutschen Reiches vom 21. Mai 1885 festgehalten ist. Eine Abänderung dieser bundesgesetzlichen Zuständigkeitsregelungen mittels Satzungsrechts einer Berufsgenossenschaft ist ohne eine entsprechende Rechtsgrundlage nicht möglich, so dass es auf die Satzungen der infrage kommenden Berufsgenossenschaften nicht entscheidend ankommt.
Die beklagte Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtpflege ist nach der genannten überkommenen Aufteilung auch für Unternehmen im Bereich der Wohlfahrtspflege zuständig. Diese wird verstanden als die planmäßige, zum Wohl der Allgemeinheit und nicht des Erwerbs wegen ausgeübte, vorbeugende oder helfende, unmittelbare Betreuung von gesundheitlich, sittlich oder wirtschaftlich gefährdeten Menschen (BSG, Urteil vom 31. Januar 2012, B 2 U 3/11 R).
Darunter ist der Gegenstand des klägerischen Unternehmens (nach wie vor) zu fassen. Nach ihrem Gesellschaftsvertrag war und ist es Gegenstand des Unternehmens, durch geeignete Maßnahmen Arbeitsplätze für psychisch kranke Menschen zu schaffen. Weiter ist festgelegt, dass die Klägerin ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige und mildtätige Zwecke und nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgt. Ihren Gesellschaftsgegenstand setzt die Klägerin um, indem sie nach eigenen Angaben - diese zweifelt das Gericht auch nicht an - zu ca. 54 % schwerbehinderte Menschen i.S.d. § 2 Abs. 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) beschäftigt, davon gehört wohl ein guter Teil zu dem in § 132 Abs. 2 SGB IX genannten Kreis. Die Klägerin zählt sich zu den Integrationsunternehmen nach § 132 Abs. 1 SGB IX und erhält als solches auch Mittel vom Integrationsamt. Sie betreibt drei Betriebe, in denen Lohnfertigungen für andere Unternehmen vorgenommen werden, sowie zwei Lebensmittelgeschäfte ("CAP-Märkte"). In all diesen Betrieben sind - das hat zuletzt der Prozessbevollmächtigte der Klägerin so in der mündlichen Verhandlung angegeben - schwerbehinderte Menschen als Beschäftigte in dem von § 132 Abs. 3 SGB IX vorgesehenen Umfang tätig. Etwas anderes wäre auch fragwürdig im Hinblick auf den steuerrechtlichen Status der Klägerin als gemeinnütziges bzw. mildtätiges Unternehmen i.S.d. §§ 51 ff. der Abgabenordnung, im Hinblick auf die Einstufung der Klägerin als Integrationsunternehmen nach § 132 Abs. 1 SGB IX sowie angesichts der Privilegierung nach § 180 Abs. 2 SGB VII. Daher gibt es für das Gericht keinen begründeten Anlass, an diesem Umstand zu zweifeln.
Aus der skizzierten Umsetzung ihres satzungsmäßigen Gesellschaftsgegenstandes ergibt sich für das Gericht, dass die Klägerin ihre Betriebe anders als sonstige Unternehmen, die nicht zu den Integrationsprojekten gezählt werden können, nicht allein aus wirtschaftlichen Gründen unterhält, sondern eines übergeordneten ideellen Zwecks wegen. Dem kommt bei der Umsetzung und tatsächlichen Tätigkeit bei der Klägerin ein solches Gewicht zu, dass ein erkennbarer Unterscheid zu rein auf Gewinnerzielung ausgerichteten Unternehmen besteht. Unfallversicherungsrechtlich schlägt sich das dahin nieder, dass nicht weiter von Interesse ist, mittels welcher Art der Tätigkeit die Klägerin ihren Gesellschaftsgegenstand konkret umsetzt und mit welcher anderen Unternehmensbranche die Klägerin bei Außerachtlassung dessen verglichen werden könnte. Ebenso kommt es nicht darauf an, welche Tätigkeiten einzelne Mitarbeiter der Klägerin tatsächlich ausführen, sondern maßgeblich ist allein der das gesamte Unternehmen prägende und leitende Gegenstand. Dieser besteht hier darin, behinderten Menschen sinnvolle und ihren Beeinträchtigungen angepasste, möglichst "normale" Beschäftigungsmöglichkeiten anzubieten. Die Klägerin ist deswegen aufgrund ihrer Unternehmensart keinen Unternehmen gleichzusetzen, welche dies nicht als Unternehmensgegenstand verfolgen, sondern sie ist als Wohlfahrtsunternehmen anzusehen. Andernfalls würde sich gerade aus den Integrationsbemühungen, die letztlich die Klägerin ausmachen, keine Auswirkung mehr für das SGB VII ergeben. Das kann aber schon im Hinblick auf § 180 Abs. 2 SGB VII und auf weitere, o.g. gesetzgeberische Regelungen zum Zweck des Nachteilsausgleichs nicht angenommen werden.
Wie oben bereits dargestellt, ist auch keine Unterscheidung nach den verschiedenen zur Klägerin gehörenden Betrieben zu treffen. Von einem einheitlichen Unternehmen ist nämlich auszugehen, wenn zwischen den einzelnen Teilunternehmen ein wirtschaftlicher und betriebstechnischer Zusammenhang besteht und die Betriebsteile einer einheitlichen Leitung unterstehen und der Verfügungsgewalt desselben Unternehmers unterliegen (BSG, Urteil vom 28. November 2006, B 2 U 33/05 R). So verhält es sich bei der Klägerin. Deshalb kommt eine vom Gericht angedachte Aufteilung des klägerischen Unternehmens in Haupt- und Nebenbetrieb - dann mit etwaiger Fremdveranlagung des letzteren Teils - letztlich nicht infrage.
Ein eindeutiger Widerspruch zur Zuständigkeitsverteilung zwischen der Beklagten und der Beigeladenen liegt damit nicht vor. Auch stellt sich der Verbleib der Klägerin bei der Beklagten nicht als schwerwiegende Unzuträglichkeit dar. Denn etwaige, von der Klägerin erhoffte Beitragseinsparungen bei einer Überweisung an eine andere Berufsgenossenschaft begründen eine solche Unzuträglichkeit nicht.
Eine andere Beurteilung folgt auch nicht aufgrund einer von der Klägerin angeführten Diskriminierung ihrer behinderten Beschäftigten. Eine solche scheidet schon aus, weil die Zuständigkeit der Beklagten zu Recht anzunehmen ist und daraus keine unerlaubte Benachteiligung abzuleiten sein kann. Ferner träfe eine Benachteiligung keinen behinderten Menschen selbst, sondern die Klägerin, die aber derartige Rechte nicht innehat. Außerdem könnte aufgrund der angesprochenen mannigfachen Nachteilsausgleiche keine Rede von einer - gar unzulässigen - Benachteiligung sein.
Soweit die Klägerseite noch die (den Arbeitsplatz schwerbehinderter Menschen schützende) Prävention nach § 84 SGB IX angesprochen hat, übersieht sie, dass diese einem völlig anderen Regelungsziel dient als die nach SGB VII von den Unfallversicherungsträgern wahrzunehmende (arbeitsplatzsicherheitsbezogene) Prävention.
Somit ist die Klägerin zu Recht Mitglied der Beklagten.
Die Veranlagung der Klägerin durch die Beklagte ist nicht streitgegenständlich. Aufgrund der obigen Darlegungen erscheint diese jedoch auch zutreffend erfolgt zu sein.
Daher ist die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 154 Abs. 1 und 3 sowie § 162 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung. Nachdem die Beigeladene keinen Sachantrag gestellt und somit nicht am Prozessrisiko teilgenommen hat, ist auch eine Erstattung ihrer außergerichtlichen Kosten nicht angezeigt.
Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Beim Streit über die richtige Veranlagung bzw. die Überweisung ist als Streitwert der dreifache Betrag des jährlichen Beitrags, mindestens aber der vierfache Auffangstreitwert, also 20.000 EUR, anzunehmen (BSG, Urteil vom 31. Januar 2012, B 2 U 3/11 R). Der erstgenannte Betrag ist hier der höhere. Die Beklagte hat als letzten jährlichen Beitrag 31.238,64 EUR angegeben. Der dreifache Betrag beläuft sich demnach auf 93.715,92 EUR und wird als Streitwert festgesetzt.
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