S 15 SO 74/13

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 SO 74/13
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Bescheid vom 11.01.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2013 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Beklagte trägt 2/3 der Kosten.

III. Der Streitwert wird auf 88.070,78 Euro festgesetzt.



Tatbestand:


Streitgegenstand ist der Bescheid vom 11.01.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2013, mit dem die Beklagte Kostenersatz gegen die Klägerin als Erbin nach Frau C. in Höhe von 88.070,78 EUR für den Zeitraum vom 27.03.1990 bis 23.11.1995 festsetzt.

Die Klägerin ist die Tochter der am 1995 verstorbenen Frau C ... Die Verstorbene hat eine weitere Tochter, Frau D ... Beide Töchter sind laut Erbschein vom 05.12.1995 Miterben der Verstorbenen. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin ist die Tochter der Klägerin und Enkelin der Verstorbenen.

Die Verstorbene war vom 27.03.1990 bis zu ihrem Tod am 1995 in einer stationären Einrichtung untergebracht und erhielt dort von der Beklagten Hilfe zur Pflege nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG).

Am 19.05.1992 hatte Frau D. als Bevollmächtigte der Verstorbenen der Beklagten mitgeteilt, dass an Frau C. ein Hausgrundstück im Großraum B. zurückübertragen werden solle. Nähere Daten fehlten noch. Auf Nachfrage der Beklagten vom 26.05.1992 teilte Frau D. unter dem 26.08.1992 mit, dass Frau C. einen Antrag auf Rückübereignung für ein Grundstück in K. gestellt habe. Der Antrag sei angenommen, weiteres habe sich noch nicht ergeben. Auf weitere Nachfrage der Beklagten beim Landratsamt Leipziger Land, teilte dieses mit Schreiben vom 28.06.1995 seine beabsichtigte Entscheidung mit. Demnach sollte auf der Grundlage des Vermögensgesetzes der genannte Grundbesitz auf Frau C. rückübertragen werden. Frau C. sei verpflichtet, einen Ablösebetrag in Höhe von insgesamt 2.250 DM zu hinterlegen. Des Weiteren waren die im Grundbuch eingetragenen Belastungen in Höhe von insgesamt 3.250 DM aufgeführt. Mit Schreiben vom 17.08.1995 teilte das Landratsamt Leipziger Land eine veränderte beabsichtigte Entscheidung mit. Demnach betrug die Ablösesumme lediglich 1.000 DM. Auch die Belastungen betrugen nach diesem Schreiben lediglich 1.000 DM. Mit Schreiben vom 07.09.1995 wandte sich die Beklagte erneut an das Landratsamt Leipziger Land und fragte an, ob nach Ablauf der im Schreiben vom 17.08.1995 enthaltenen Frist eine Stellungnahme von Frau C. oder deren Tochter Frau D. abgegeben oder ein Auskunftsanspruch geltend gemacht worden sei. Ein Abdruck dieses Schreibens ging an Frau D ... Mit Schreiben vom 07.09.1995 übermittelte das Landratsamt Leipziger Land seinen an Frau D. als Vertreterin von Frau A. gerichteten Bescheid vom 07.09.1995. Demnach wurde der o.g. Grundbesitz auf Frau C. rückübertragen. Der festgesetzte Ablösebetrag sowie die im Grundbuch eingetragenen Belastungen belaufen sich demnach auf 1.000 DM.

Darauf hin teilte die Beklagte Frau D. mit Schreiben vom 16.10.1995 mit, dass aufgrund der Rückübertragung Sozialhilfe nur noch darlehensweise zu gewähren sei. Unabhängig davon sei noch zu prüfen, ob eventuell der bereits bei Hilfegewährung (also ab 27.03.1990) bestehende Anspruch auf Rückübertragung als Vermögen im Sinne des BSHG zu werten sei. Hierzu ergehe zu gegebener Zeit ein entsprechender Bescheid.

Mit weiterem Schreiben vom 16.10.1995 wandte sich die Beklagte an Frau C. und Frau D. mit der Bitte um nähere Angaben über das Objekt und dessen zukünftige Nutzung und Verwertung. Frau D. teilte der Beklagten daraufhin mit Schreiben vom 23.10.1995 mit, dass der Bescheid noch keine Bestandskraft habe. Verfügungsberechtigt sei immer noch die Gemeindeverwaltung K ... Ihre Mutter könne erst über ihr Vermögen verfügen, wenn sie wieder im Grundbuch eingetragen sei. Erst dann träten alle Rechte und Pflichten in Kraft. Wenn die Beklagte weiterhin darauf bestehe, dass die Sozialhilfe seit dem 07.09.1995 darlehensweise gewährt werde, dann solle die Beklagte mitteilen, ab wann sie ihre Unterhaltszahlungen an das Sozialamt einstellen könne. Bis jetzt sei ihr von der Gemeindeverwaltung lediglich mitgeteilt worden, dass das Haus vermietet sei. Zu weiteren Auskünften sei sie nicht bereit gewesen.

Mit Schreiben vom 24.10.1995 teilte das Landratsamt Leipziger Land dann mit, dass der Bescheid vom 07.09.1995 bestandskräftig geworden sei. Ein Widerspruch sei nicht eingegangen.

Am 23.11.1995 starb Frau C ...

Mit an Frau D. gerichtetem Schreiben vom 09.01.1996 bat die Beklagte um Unterlagen zum Nachlass.

Bereits am 18.12.1995 war bei der Beklagten unter dem Datum des 12.12.1995 eine neue "beabsichtigte Entscheidung zum Rücknahmebescheid" des Landratsamts Leipziger Land ein. Demnach sollte der Bescheid vom 07.09.1995 zurückgenommen werden. Als Begründung wurde angeführt, dass das Vermögensamt beim Landratsamt Leipziger Land nach Eintritt der Bestandskraft durch die Ausgangsbehörde Potsdam-Mittelmark Kenntnis davon erhalten habe, dass bei der Ausgangsbehörde ein konkurrierender Anspruch der Conference on Jewish Material Against Germany vorliege.

Unter dem 09.01.1996, eingegangen bei der Beklagten am 15.01.1996, erging daraufhin ein entsprechender Rücknahmebescheid.

Mit Schreiben vom 30.01.1996 fragte die Beklagte bei Frau D. an, ob sie dagegen Widerspruch erhoben habe. Frau D. antwortete, dass sie nach dem Tod ihrer Mutter keinen Informationsbedarf des Beklagten mehr sehe, nachdem ihr am 23.11.1995 telefonisch mitgeteilt worden sei, dass sich die Angelegenheit nun erledigt hätte. Sie bitte auch um entsprechende Mitteilung an das Vermögensamt in Leipzig. Die Beklagte habe auch davon gesprochen, ihr eine Endabrechnung zuzusenden. Bis heute habe sie diese nicht erhalten. Sofern sich die gesetzlichen Bestimmungen zwischenzeitlich geändert hätten, bitte sie ausführlich um Aufklärung.

Am 22.02.1996 teilte das Landratsamt Leipziger Land der Beklagten mit, dass die Entscheidung über den Anspruch der Claims Conference abzuwarten sei. Mit Schreiben vom 25.03.1996 wandte sich die Beklagte erneut an Frau D ... Sie gehe davon aus, dass Frau D. bei einer positiven Entscheidung hinsichtlich des vermögensrechtlichen Anspruchs als mögliche Erbin nach ihrer Mutter die Begünstigte sein werde. Nach § 92c BSGH seien Erben des Hilfeempfängers zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet. Die Ersatzpflicht der Erben gehöre zu den Nachlassverbindlichkeiten. Der Erbe hafte mit dem Wert des im Zeitpunkt des Erbfalles vorhandenen Nachlasses. Sollten außer Frau D. noch weitere Erben vorhanden seien, werde um Mitteilung gebeten. Eine Kostenaufstellung zu den Leistungen werde die Beklagte ihr bzw. den Erben zusammen mit dem Leistungsbescheid zustellen.

Auf Nachfrage des Beklagten beim Landratsamt Leipziger Land vom 03.12.1996 wurde mitgeteilt, dass mit einer abschließenden Entscheidung nicht vor 1998 zu rechnen sei.

Mit Schreiben vom 03.03.1998 übersandte die Beklagte an Frau D. eine Aufstellung der Kosten. Die ungedeckten Sozialhilfeaufwendungen, d.h. abzüglich Einnahmen aus Rente und Unterhaltszahlungen belaufen sich demnach auf 172.251,48 DM. Das Schreiben enthielt den Hinweis, dass nach Eingang der erbetenen Auskunft vom Landratsamt Leipziger Land weitere Nachricht erfolge.
Unter dem 05.02.1998 übersandte das Landratsamt Leipziger Land die Mitteilung, dass Mitte Februar der betreffende Bescheid ergehen werde. Auf weitere Nachfrage der Beklagten vom 03.08.1998 teilte das Landratsamt Leipziger Land mit, dass dem Amt zur Regelung offener Vermögensfragen des Landkreises Leizpiger Land der Bescheid des Sächsischen Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen Brandenburg vom 13.03.1998 vorliege. Dieser Bescheid sei nicht bestandskräfig geworden, es sei Klage eingereicht worden. Rücksprachen hätten ergeben, dass auch in nächster Zeit mit keiner abschließenden Bearbeitung zu rechnen sei.

Mit Schreiben vom 22.02.2002 stellte die Beklagte eine erneute Sachstandsanfrage an das Landratsamt Leipziger Land. Unter dem 28.02.2002 wurde von dort mitgeteilt, dass der betreffende vermögensrechtliche Anspruch am 13.02.2001 an das Landratsamt Delitzsch zuständigkeitshalber abgegeben worden sei. Dieses teilte wiederum mit, dass die Sache am 13.06.2001 an die Stadt Leipzig übergeben worden sei. Von dort erfolgte unter dem 11.04.2002 der Hinweis, dass die Bearbeitung ruhe. Das betreffende Klageverfahren sei bislang nicht abgeschlossen.

Am 20.04.2010 teilte Frau D. schließlich telefonisch mit, dass sie und ihre Schwester das Haus in der ehemaligen DDR nun geerbt hätten und die Sozialhilfekosten für ihre Mutter zurückzahlen müssten. Frau D. bat um ein Schreiben der Beklagten, in dem eine Forderung des Sozialamtes geltend gemacht werde. Frau D. werde den Betrag von 172.251,48 DM an die Stadt Wuppertal erstatten. Zur Zeit stünde sie in Verkaufsverhandlungen mit mehreren Interessenten, die das Grundstück erwerben wollten. Sie rechne mit ca. vier Monaten bis zur Unterzeichnung eines Kaufvertrages.

Mit an Frau D. adressiertem Schreiben vom 11.05.2010 bat die Beklagte daraufhin um Erstattung des Betrages. Das Schreiben lautet in Auszügen wie folgt:

"Sehr geehrte Frau D.,

[ ...] Nach dem Tode Ihrer Mutter haben Sie und Ihre Schwester A. die Angelegenheit weiter verfolgt. Der Grundbesitz gehört nunmehr Ihnen und Ihrer Schwester zu gleichen Teilen. Der Grundbesitz soll in den nächsten Monaten veräußert werden, so dass Sie und Ihre Schwester die rückständigen Sozialhilfeleistungen Ihrer Mutter nunmehr an die Stadt Wuppertal begleichen können. Voraussichtlich wird der Besitz in den nächsten 3-4 Monaten verkauft werden.
Mit Schreiben vom 03.03.1998 hatte Ihnen Herr Hilfe bereits die Aufwendungen für den Sozialhilfezeitraum mitgeteilt. Der Gesamtbetrag beliefe sich auf insgesamt 172.251,48 DM = 88.707,78 EUR.
Ich bitte um Erstattung dieses Betrages, sobald der Verkauf des Grundbesitzes erfolgt ist und Ihnen/Ihrer Schwester die entsprechenden Gelder zur Verfügung stehen. Die Überweisung bitte ich vorzunehmen auf das Konto der Stadt Wuppertal [ ...]."

Mit Schreiben vom selben Tag ließ die Beklagte der Klägerin eine Fotokopie dieses Schreibens zukommen mit der Bitte um Kenntnisnahme und ggfs. weitere Veranlassung hinsichtlich der Erstattung der von der Beklagten in der Vergangenheit erbrachten Sozialhilfeleistungen für ihre verstorbene Mutter Frau C ...

Nach Aktenlage bat daraufhin die Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 08.07.2010 in einem Telefonat mit der Beklagten um Zusendung des Schreibens vom 11.05.2010, da ihre Mutter (die Klägerin) dieses nicht erhalten habe. Sie teilte mit, dass die Klägerin im Heim lebe, und nannte die entsprechende Anschrift.

Mit Schreiben vom 04.08.2010 teilte Frau D. mit, dass das Haus verkauft worden sei. Den Betrag von 88.070,78 EUR habe sie überwiesen.

Mit Schreiben ebenfalls vom 04.08.2010 wandte sich die Klägerin an die Beklagte. Unter Bezugnahme auf das Schreiben der Beklagten vom 11.05.2010 wies sie darauf hin, dass ihr das Schreiben vom 03.03.1998 nicht vorliege und bat um dessen Zusendung sowie um Zusendung einer detaillierten Aufstellung, aus der sowohl die Aufwendungen der Sozialhilfe als auch die erbrachten Unterhaltszahlungen von ihr bzw. ihrer Schwester hervorgingen, jeweils getrennt ausgewiesen.

Aus einem Telefonvermerk der Beklagten vom 09.08.2010 zu diesem Schreiben geht hervor, dass das Schreiben mit Frau D. nicht abgesprochen gewesen sei. Frau D. habe alle Unterlagen, insbesondere das Schreiben vom 03.03.1998 sowie die Kostenaufstellung an ihre Schwester weiter gereicht. Zwischen den Schwestern sei die Aufteilung der 88.070,78 EUR streitig, da Unterhalt in unterschiedlicher Höhe gezahlt worden sei.

Mit Schreiben vom 09.08.2010 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die erbetene Aufstellung sowie das Schreiben vom 03.03.1998 an Frau D. als Bevollmächtigte der verstorbenen Mutter C. geschickt worden sei. Frau D. hätte alle Unterlagen an die Klägerin weitergeleitet und zwischenzeitlich auch den geforderten Betrag an die Beklagte gezahlt.

Aus dem in der Akte befindlichen Kontoauszug der Beklagten ergibt sich die Überweisung vom 04.08.2010 durch Frau D ...

Mit Schreiben vom 18.11.2012 verlangte die Prozessbevollmächtigte für die Klägerin die Rückzahlung der am 04.08.2010 gezahlten 88.070,78 EUR. Die tatsächliche Rückübertragung des im Streit stehenden Grundstücks habe erst im März 2010 realisiert werden können. Bis dahin habe sich der Grundbesitz im Volkseigentum befunden. Da Frau C. daher nie im Grundbuch eingetragen gewesen sei und somit zu keiner Zeit Eigentümerin gewesen sei, bedeute dies, dass sie zum Zeitpunkt des Erbfalles am 23.11.1995 gemäß § 102 Abs. 2 Satz 2 SGB XII kein Vermögen und kein Grundbesitz vorhanden gewesen sei, und aufgrund dessen keinerlei Regressanspruch für die Heimpflegekosten bestanden habe.

Damit seien gleichermaßen auch die Voraussetzungen zur Geltendmachung von Erbenersatzansprüchen nach § 102 Abs. 4 Satz 1 SGB XII entfallen. Aus der Gesetzeslage ergebe sich, dass es sich bei Ihrem Rückforderungsschreiben vom 11.05.2010 über die Erstattung von Sozialhilfeleistungen einerseits um einen nicht bestehenden Anspruch handle, und andererseits wäre auch der rechtmäßige Anspruch verjährt gewesen, womit die Forderung unrechtmäßig gewesen sei und Frau A. und Frau D. die Zahlung vom 04.08.2010 zurückverlangen. Frau A. und Frau D. hätten beide diese Zahlung in gutem Glauben und Vertrauen auf die Richtigkeit dieses Forderungsschreibens des Sozialamtes geleistet.

Unter dem 12.12.2012 legte die Prozessbevollmächtigte eine Vollmacht der Klägerin vor.

Mit Schreiben vom 10.12.2012 wandte sich auch die Schwester der Klägerin, Frau D. an die Beklagte und fragte, wie es mit dem verwertbaren Vermögen in der Zeit vom 12.12.1995 bis 27.01.2010 stehe, und wann der Anspruch auf Kostenersatz erlösche.

Mit gesonderten, an die Klägerin sowie deren Schwester Frau D. gerichteten Bescheiden vom 11.01.2013 setzte die Beklagte den Kostenersatzanspruch in Höhe von 88.070,78 EUR nach § 102 SGB XII fest. Beide Bescheide enthalten den Hinweis, dass der Betrag in Höhe von 88.070,78 EUR von der Erbengemeinschaft bereits am 04.08.2010 gezahlt worden sei und der Kostenersatzanspruch betragsmäßig bereits erfüllt sei. Weitere Zahlungen bräuchten nicht erbracht werden.

Mit Schreiben vom 22.01.2013 erhob Frau D. Widerspruch. Mit anwaltlichem Schreiben vom 19.03.2013 wurde der Widerspruch begründet.

Mit Schreiben vom 08.02.2012 erhob die Prozessbevollmächtigte für die Klägerin Widerspruch. Mit Schreiben vom 28.02.2013 begründete sie den Widerspruch.

Mit Widerspruchsbescheiden vom 21.06.2013 wurden die Widersprüche zurückgewiesen.

Gegen den an Frau D. gerichteten Widerspruchsbescheid wurde nicht Klage erhoben.

Gegen den an die Klägerin gerichteten Widerspruchsbescheid erhob die Klägerin über die Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom 28.07.2013 Klage beim Sozialgericht Augsburg, dort eingegangen am 29.07.2013.

Die Prozessbevollmächtigte teilte unter anderem mit, dass die Klägerin die Forderung an die Beklagte in Kürze an sie abtreten werde, da sie aus Altersgründen die Klage nicht in eigenem Namen führen möchte. Gleichzeitig legte sie eine Abtretungserklärung vor. Auf Nachfrage des Gerichts vom 06.09.2013 teilte die Prozessbevollmächtigte dann unter Vorlage einer Vollmacht mit, dass die Klägerin selbst Klägerin sei. Auf die Abtretung werde verzichtet. Gleichzeitig begründete sie die Klage. Insbesondere sei der Anspruch nach § 203 BGB verjährt. Das Schreiben von Frau D. vom 06.02.1996 stelle ein Weigerungsschreiben dar. Dieser Brief sei ein eindeutiges Indiz für eine Beendigung der Hemmung. Am 03.03.1998 habe Frau D. dann noch eine Kostenaufstellung erhalten, was aber nicht als "Verhandlungen" im Sinne von § 203 BGB gesehen werden könne. Die Beklagte habe zwar bis zum Jahr 2002 mit dem Amt für offene Vermögensfragen korrespondiert, aber in dieser Zeit keine Verhandlungen mit Frau D. geführt.

Die Klägerin beantragt:

1. Der Bescheid vom 11.01.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2013 wird aufgehoben.
2. Der bereits bezahlte Betrag von 88.070,78 EUR wird zurückerstattet.
Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Verjährung sei nicht eingetreten. Die Verjährung sei durch Verhandlungen mit Frau D. auch gegenüber der Klägerin gehemmt worden. Davon unabhängig sei der Anspruch auch deswegen gehemmt gewesen, weil die Erben vom Tod der Mutter bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rückübertragung im Jahre 2010 nur einen unfertigen Nachlassanspruch gehabt hätten und damit die Hemmung vor 2010 gar nicht enden konnte. Außerdem sei bis zum Anruf von Frau D. am 20.04.2010 gar nicht bekannt gewesen, dass und in welchem Umfang die Klägerin tatsächlich Erbin geworden sei. Dass am 05.12.1995 ein Erbschein ausgestellt worden sei, sei zum einen erst durch die Einreichung einer Kopie des Abhilfebescheides des Bundesamtes für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen bekannt geworden. Zum anderen hätte der Erbschein bis 2010 nichts über den wirtschaftlichen Wert des Erbes ausgesagt. Schließlich sei durch den Verweis in § 102 SGB XII auf die Bestimmungen des BGB zur Ablaufhemmung § 211 BGB einschlägig, wonach die Verjährung bei Nachlassforderungen erst sechs Monate nach Erbschaftsannahme eintrete

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts wegen der Einzelheiten auf die Akte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts verwiesen.



Entscheidungsgründe:


Die Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 11.01.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2013 ist zulässig und begründet, da der Bescheid rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt. Die Leistungsklage auf Rückzahlung von 88.070, 78 EUR ist zulässig, aber unbegründet.

1. Die Klage gegen den Bescheid vom 11.01.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2013 ist als reine Anfechtungsklage statthaft, § 54 Abs. 1 SGG. Sie ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Die Prozessbevollmächtigte ist als Tochter der Klägerin gemäß § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGG vertretungsbefugt. An der zunächst angekündigten Abtretung von Ansprüchen wurde nicht festgehalten.
Die Klage ist auch begründet. Die Festsetzung von Kostenersatz gegenüber der Klägerin war rechtswidrig. Die Verpflichtung zum Kostenersatz ist gemäß § 102 Abs. 4 Satz 1 SGB XII erloschen.

Die Prüfung misst sich an § 102 SGB XII, nicht etwa an § 44 ff. SGB X. Denn mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 11.01.2013 wurde erstmalig ein Kostenersatzanspruch gegenüber der Klägerin festgesetzt. Das Schreiben vom 11.05.2010, mit dem bereits zuvor Kostenersatz verlangt worden war, war ausschließlich an die Schwester der Klägerin, Frau D. gerichtet. Dieses an Frau D. gerichtete Schreiben wurde lediglich in Kopie und "zur Kenntnis und ggfs. weiteren Veranlassung" an die Klägerin versandt. Darin kann keine Bekanntgabe gegenüber der Klägerin gesehen werden. Der Bescheid vom 11.01.2013 stellt damit keinen Bescheid nach §§ 44 ff. SGB X dar, sondern die erstmalige Festsetzung eines Kostenersatzanspruchs gegenüber der Klägerin.

Gemäß § 102 Abs. 4 Satz 1 SGB XII erlischt der Anspruch auf Kostenersatz in drei Jahren nach dem Tod der leistungsberechtigten Person, ihres Ehegatten oder ihres Lebenspartners. Die Leistungsberechtigte C. ist am 23.11.1995 verstorben. Im Zeitpunkt des Bescheiderlasses am 11.01.2013 waren die drei Jahre bereits weit abgelaufen.

Die Verjährung war auch nicht gemäß § 102 Abs. 4 Satz 2, § 103 Abs. 3 Satz 2 SGB XII in Verbindung mit § 203 ff. BGB gehemmt. Ein Hemmungstatbestand liegt nicht vor.

Gemäß § 203 BGB ist die Verjährung gehemmt, wenn zwischen Schuldner und Gläubiger Verhandlungen schweben. Dies war vorliegend nicht der Fall. Die Beklagte wandte sich erstmals mit Schreiben vom 11.05.2010 an die Klägerin. Zu diesem Zeitpunkt war die Verjährungsfrist jedoch bereits abgelaufen. Eine Hemmung nach § 203 BGB kommt demnach nicht mehr in Betracht. Vorher hatte die Beklagte ausschließlich mit der Schwester der Klägerin, Frau D., kommuniziert. Da die Hemmungstatbestände für jeden Schuldner getrennt zu prüfen sind, wirkt sich eine etwaige Hemmung nach § 203 BGB im Verhältnis zwischen der Beklagten und Frau D. auf den Ablauf der Erlöschensfrist für die Klägerin nicht aus.

§ 211 BGB hindert ebenfalls nicht den Ablauf der Frist. Nach dieser Vorschrift tritt die Verjährung eines Anspruchs, der zu einem Nachlass gehört oder sich gegen eine Nachlass richtet, nicht vor dem Ablauf von sechs Monaten nach dem Zeitpunkt ein, in dem die Erbschaft von dem Erben angenommen oder das Insolvenzverfahren über den Nachlass eröffnet wird oder von dem an der Anspruch von einem oder gegen eine Vertreter geltend gemacht werden kann. Vorliegend wurde bereits am 05.12.1995 ein Erbschein ausgestellt. Der Erbschein wird auf Antrag ausgestellt. Spätestens mit der Stellung dieses Antrags auf einen Erbschein ist die Erbschaft angenommen, § 2357 BGB. Auch die Frist des § 211 BGB ist demzufolge bereits abgelaufen. Im Übrigen hatten die Klägerin und ihre Schwester die Erbschaft zwischenzeitlich auch bereits konkludent angenommen.

Davon unabhängig sei der Anspruch nach Auffassung der Beklagten auch deswegen gehemmt gewesen, weil die Erben vom Tod der Mutter bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rückübertragung im Jahre 2010 nur einen unfertigen Nachlassanspruch gehabt hätten und damit die Hemmung vor 2010 gar nicht enden konnte. Auch diese Begründung greift letztlich nicht. Die Erlöschensfrist läuft unabhängig davon ab, wann der Anspruch entsteht. § 102 Abs. 4 Satz 1 SGB XII legt den Tod des Hilfebedürftigen als Verjährungsbeginn fest, nicht das Wirksamwerden von Nachlassansprüchen. Zweck dieser Regelung ist es auch, Rechtsfrieden herzustellen. Es ist nicht Aufgabe des Sozialhilfeträgers, über Jahre oder Jahrzehnte eine ggf. äußerst aufwendige Verfolgung und Überwachung von Rückerstattungsansprüchen zu betreiben (vgl. auch Schellhorn in Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Auflage, § 103 Rn. 33). Im Übrigen erscheint es auch fraglich, inwiefern sich die Beklagte auf dieses Argument berufen kann, nachdem sie den Kostenersatzanspruch am 11.05.2010 ja bereits geltend gemacht und die Zahlung gefordert hatte.

Die Beklagte beruft sich weiter darauf, dass bis zum Anruf von Frau D. am 20.04.2010 nicht bekannt gewesen sei, dass und in welchem Umfang die Klägerin tatsächlich Erbin geworden sei. Dass am 05.12.1995 ein Erbschein ausgestellt worden sei, sei zum einen erst durch die Einreichung einer Kopie des Abhilfebescheides des Bundesamtes für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen bekannt geworden. Zum anderen hätte der Erbschein bis 2010 nichts über den wirtschaftlichen Wert des Erbes ausgesagt. Auch dieses Argument des Beklagten greift nicht durch. Zum einen gilt gemäß § 2366 BGB der Erbschein als richtig, es sei denn, dass der andere die Unrichtigkeit kennt oder weiß, dass das Nachlassgericht die Rückgabe des Erbscheins wegen Unrichtigkeit verlangt hat. Eine diesbezügliche Kenntnis der Beklagten wird weder vorgetragen noch ergibt sich diese aus den Unterlagen. Vielmehr ergibt sich aus den Verwaltungsakten, dass die Beklagte durchaus Kenntnis davon hatte, dass neben Frau D. eine weitere Tochter und damit gesetzliche Erbin existiert. Denn die Klägerin hatte Unterhaltszahlungen an die verstorbene Leistungsberechtigte geleistet. In der Akte findet sich dazu eine entsprechende Auflistung aus Februar 1998.
Auch ein Hemmungstatbestand der §§ 204 bis 208 BGB ist nicht gegeben.

Nach alledem war der Anspruch auf Kostenersatz im Zeitpunkt des Bescheiderlasses bereits gemäß § 102 Abs. 4 Satz 1 SGB XII erloschen.

Der Bescheid war bereits aus diesem Grund aufzuheben.

Die Frage, ob die Beklagte ihr Ermessen, welchen Gesamtschuldner sie in welcher Höhe in Anspruch nimmt (vgl. BSG Urteil vom 23.08.2013, Az. B 8 SO 7/12), in rechtmäßiger ausgeübt hat, kann dahinstehen.

Anders als die Beklagte hält das Gericht ein Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin für gegeben, auch wenn die betreffende Zahlung bereits geleistet worden. Denn mit dem streitgegenständlichen Bescheid schafft die Beklagte einen (weiteren) Rechtsgrund zum "Behaltendürfen" der geleisteten Zahlung. Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse, diesen zu beseitigen.

2. Die ebenfalls erhobene Leistungsklage auf Rückzahlung von 88.070,78 EUR ist hingegen unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rückzahlung der im Jahr 2010 von Frau D. geleisteten Zahlung in Höhe von 88.070,78 EUR.

Voraussetzung wäre, dass die Klägerin selbst Zahlungen geleistet hat, für die letztlich kein Rechtsgrund besteht. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Aus den von der Klägerin im Klageverfahren vorgelegten Kontoauszügen ergibt sich, dass der Kaufpreis für das Grundstück am 03.08.2010 an Frau D. überwiesen worden ist. Am 04.08.2010 hat Frau D. die geforderten 88.070,78 EUR dann an die Beklagte überwiesen. Am 09.08.2010 hat Frau D. weitere 33.932,81 EUR an Frau D. überwiesen (Betreff "Abrechnung K.").

Die Abwicklung des Grundstückverkaufs durch die Erben und die dabei erfolgten Zahlungsflüsse stellen sich demnach als Erbauseinandersetzung und Begleichung von Verbindlichkeiten aus der Erbmasse dar, nicht hingegen als von der Klägerin geleistete Zahlungen auf eine Forderung der Beklagten. Streitigkeiten unter den Miterben nach §§ 421 ff. BGB sind aber ggf. im Zivilverfahren zwischen den Erben geltend zu machen. Sie sind nicht Gegenstand der sozialgerichtlichen Klage.
§ 131 Abs. 1 Satz 1 SGG ist vorliegend nicht einschlägig. Die Vorschrift lautet: "Wird ein Verwaltungsakt aufgehoben, der bereits vollzogen ist, so kann das Gericht aussprechen, dass und in welcher Weise die Vollziehung des Verwaltungsakts rückgängig zu machen ist." Dessen Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Bei der Zahlung im Jahr 2010 handelt es sich nicht um die Vollziehung dieses Verwaltungsaktes, sondern um die Vollziehung eines an Frau D. gerichteten Verwaltungsaktes vom 11.05.2010.

3. Die Kostenentscheidung berücksichtigt, dass die Klage teilweise, nämlich soweit sie die Rückzahlung von 88.070,78 EUR betrifft, abzuweisen war, § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO.

4. Die Entscheidung über den Streitwert stützt sich auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm § 52 Abs 3, § 63 Abs 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz.
Rechtskraft
Aus
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