Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 14 AS 992/14
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Nichtaufnahme eines ruhenden Beschäftigungsverhältnisses trotz Möglichkeit ist geeignet, einen Ersatzanspruch gemäß § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II auszulösen. Von der Regelung sind auch Fallgestaltungen erfasst, in denen eine bereits zuvor bestehende Hilfebedürftigkeit aufrechterhalten wurde (entgegen Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 03.03.2008, Az.: L 3 B 187/07 AS ER).
2. Eine intensive Mutter Kind Beziehung ist weder außergewöhnlich noch pathologisch. Sie steht auch einer temporären Fremdbetreuung des Kindes, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, nicht entgegen und stellt damit für sich genommen keinen wichtigen Grund im Sinne des § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II dar.
2. Eine intensive Mutter Kind Beziehung ist weder außergewöhnlich noch pathologisch. Sie steht auch einer temporären Fremdbetreuung des Kindes, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, nicht entgegen und stellt damit für sich genommen keinen wichtigen Grund im Sinne des § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II dar.
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 17. Juli 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 2014 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Beklagte gegen die Klägerin wegen sozialwidrigen Verhaltens einen Anspruch auf Erstattung erbrachter Leistungen in Höhe von 5.021,22 Euro hat.
Nach der Geburt ihres ersten Kindes J. A. am 2010 befand sich die am 1980 geborene Klägerin bis zum 16.06.2013 in Elternzeit. Ihr Beschäftigungsverhältnis beim S. in K. ruhte derweil. Vom 01.05.2010 bis zum 31.08.2014 bezog die Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Beklagten (bzw. von dessen Rechtsvorgänger).
Noch während der Elternzeit beantragte die seinerzeit alleinerziehende Klägerin am 11.03.2013 bei ihrem Arbeitgeber Sonderurlaub ohne Fortzahlung der Bezüge vom Ende der Elternzeit am 16.06.2013 an bis zum 31.01.2015. Der Arbeitgeber der Klägerin entsprach diesem Antrag mit Schreiben vom 14.03.2013.
Nach Ablauf der Elternzeit wurde die Klägerin durch die Arbeitsvermittlung des Beklagten eingeladen, um ihre berufliche Situation zu besprechen. Die Klägerin teilte am 01.07.2013 mit, sie habe Sonderurlaub beantragt, weil ihr Sohn nicht fremdbetreuungsfähig sei. Vor dem 01.02.2015 wolle sie nicht wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren.
In der Folge fanden mehrere Termine in der Arbeitsvermittlung statt, bei denen der Beklagte der Klägerin mitteilte, dass von ihr eine Wiederaufnahme des ruhenden Beschäftigungsverhältnisses erwartet werde. Zudem bot die Arbeitsvermittlerin des Beklagten der Klägerin unter anderem an, für sie einen Beratungstermin beim Allgemeinen Sozialdienst und einer Erziehungsberatungsstelle zu vereinbaren.
Die Klägerin nahm diese Angebote nicht wahr und legte dem Beklagten ärztliche Atteste der Kinderärztin D. vom 28.06.2013 und des Internisten C. vom 26.07.2013, 18.09.2013, 04.11.2013 und 15.01.2014 vor, in denen diese ohne Benennung von Diagnosen unter anderem ausführten, dass eine Fremdbetreuung "schwierig" sei bzw. "noch deutlich verfrüht" wäre.
Mit Bescheid vom 21.01.2014 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 04.04.2014 und vom 10.07.2014 bewilligte der Beklagte der Klägerin auf ihren Weitergewährungsantrag vom 07.01.2014 hin Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.02.2014 bis zum 31.07.2014 in monatlicher Höhe zwischen 625,71 Euro und 756,01 Euro. Darüber hinaus überwies der Beklagte Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge für die Klägerin in monatlicher Höhe von 162,66 Euro an das Bundesversicherungsamt. Ein Leistungsanspruch des Sohnes der Klägerin errechnete sich nicht, da dessen Bedarf durch eigenes Einkommen (Kindergeld und Unterhalt) gedeckt war.
Mit Schreiben vom 26.06.2014 hörte der Beklagte die Klägerin zu der Absicht an, die für die Zeit ab 01.02.2014 gewährten Leistungen nach dem SGB II gemäß § 34 Abs. 1 SGB II von ihr zurückzuverlangen. Die Klägerin habe infolge der Nichtaufnahme einer möglichen Erwerbstätigkeit bei ihrem bisherigen Arbeitgeber ihre Hilfebedürftigkeit wissentlich neu herbeigeführt, obwohl sie die Möglichkeit gehabt habe, die Hilfebedürftigkeit zu beenden. Kindbezogene Hinderungsgründe seien bei der Klägerin nicht vorhanden bzw. seien bis zum 01.02.2014 zu beseitigen gewesen. Nach Vollendung des 3. Lebensjahres eines Kindes bestehe grundsätzlich Verpflichtung zur Vollzeittätigkeit.
Die Klägerin vertrat die Ansicht, die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs nach § 34 Abs. 1 SGB II lägen nicht vor. Sie habe ihre Hilfebedürftigkeit weder vorsätzlich noch grob fahrlässig herbeigeführt. Sie sei ausschließlich aus Gründen des Wohls ihres Sohnes nicht arbeiten gegangen. Ihr Sohn sei "massivst" an sie gebunden und sei nicht bereit gewesen, diese Bindung schon aufzugeben. Ihr Sohn sei nicht altersgerecht entwickelt. Er sei im fraglichen Zeitraum vom 01.02. bis 31.07.2014 nicht in der Lage gewesen, den Kindergarten zu besuchen oder fremd betreut zu werden. Die Klägerin legte ein weiteres ärztliches Attest des Internisten C. vom 27.06.2014 vor, wonach eine sofortige Kindergarteneingliederung zu "verstärkt regressivem Verhalten" führen könnte und für den Sohn der Klägerin "gesundheitsschädlich" wäre.
Mit Bescheid vom 17.07.2014 verpflichtete der Beklagte die Klägerin zur Erstattung für die Zeit vom 01.02. bis 31.07.2014 erbrachter Leistungen in Höhe von insgesamt 5.021,22 Euro. Die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 SGB II lägen vor. Ein Hinderungsgrund zur Arbeitsaufnahme sei nicht belegt. Die Betreuung des Sohnes der Klägerin könnte schon seit Spätherbst 2013 gesichert sein. Die von der Klägerin geltend gemachten kindbezogenen Gründe habe sie nur pauschal erhoben und nicht bewiesen. Die im Konjunktiv gehaltenen Ausführungen in den vorgelegten Attesten seien nicht geeignet, daraus eine Ungeeignetheit für einen Kindergarten zu rechtfertigen. Selbst wenn, käme auch eine Betreuung bei einer Tagesmutter in Frage.
Hiergegen erhob die Klägerin am 14.08.2014 Widerspruch. Aus den vorgelegten ärztlichen Attesten ergebe sich eindeutig, dass ihr Sohn noch nicht ohne psychische Schäden in den Kindergarten oder zur Fremdbetreuung verbracht werden konnte.
Der Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 11.09.2014 als unbegründet zurück. Die sich aus den ärztlichen Attesten ergebende intensive Mutter-Kind-Beziehung sei nichts Außergewöhnliches. Wer - wie die Klägerin - eine Fremdbetreuung nicht ermöglicht, auch nicht probeweise, könne sich nicht darauf berufen, dass eine Fremdbetreuung nicht möglich sei.
Hiergegen erhob die Klägerin am 02.10.2014 Klage zum Sozialgericht Augsburg. Sie habe weder vorsätzlich noch grob fahrlässig ihre Hilfebedürftigkeit herbeigeführt. Infolge der operativen Versorgung eines Leistenbruchs am 18.10.2012 habe ihr Sohn eine ausgeprägte Bindung zu ihr entwickelt. Er sei derart auf sie fixiert gewesen, dass eine Fremdbetreuung "extrem schwierig" gewesen sei. Bei einer Trennung von ihr wäre das Wohl ihres Sohnes "durch eventuell nicht vorhersehbare seelische Folgen" gefährdet gewesen. Aus diesem Grund habe sie zur Betreuung ihres Sohnes Sonderurlaub bis zum 31.01.2015 beantragen müssen.
Das Gericht holte einen Befundbericht betreffend den Sohn der Klägerin von der Kinderärztin D. vom 19.02.2015 ein. Die Kinderärztin berichtete unter anderem wie folgt: "( ...) 29.06.2012: Vorsorgeuntersuchung U7, ( ...), Status und Entwicklung sehr gut, ( ...) 23.10.2012: Kontrolle nach Leistenbruch-OP am 18.10.2012 in der Kinderklinik, Wunde reizlos 06.11.2012: Kontrolle nach Leistenbruch-OP, Wunde reizlos, Kind unauffällig, 28.06.2013: Vorsorgeuntersuchung U7a, ( ...), Entwicklung altersgerecht, sprachlich sehr gut, starke Abwehr, ( ...) bei der letzten Untersuchung am 10.10.2013 hatte Justin einen Infekt der oberen Luftwege, ansonsten war das Kind in gutem Allgemeinzustand und von altersgerechter Entwicklung."
Auf Anregung der Klägerin holte das Gericht in der Folge noch einen weiteren Befundbericht betreffend den Sohn der Klägerin vom Internisten C. vom 26.06.2015 ein. Dieser berichtete unter anderem: "J. ist ein anhänglicher Junge seiner Mutter gegenüber. Diese war viele Jahre alleinerziehend und somit die einzige Bezugsperson. Bei Thematisierung des Kindergartenbesuchs führt dies bei J. zu Schlafstörungen, Ess-Störungen und vermehrter Anhänglichkeit."
Die Klägerin beantragt, den Bescheid vom 17.07.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.09.2014 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht zum zuständigen Sozialgericht Augsburg erhobene Klage ist auch im Übrigen zulässig, sachlich aber unbegründet. Denn der Bescheid vom 17.07.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.09.2014 ist formell und materiell rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Beklagte hat gegen die Klägerin einen Anspruch auf Ersatz der für die Zeit vom 01.02.2014 bis 31.07.2014 erbrachten Leistungen in Höhe von 5.021,22 Euro.
Rechtsgrundlage hierfür ist § 34 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB II. Danach ist derjenige, der nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II an sich (oder an Personen, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben) ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet. Der Ersatzanspruch umfasst auch die geleisteten Beiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung.
1. Der Anwendungsbereich des § 34 SGB II ist eröffnet.
a) Die 1980 geborene Klägerin hat das 18. Lebensjahr bereits im Jahre 1998 vollendet und gehört damit zum ersatzpflichtigen Personenkreis.
b) Der Beklagte ist ersatzberechtigt, da er derjenige ist, der der Klägerin Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.02.2014 bis zum 31.07.2014 gewährt hat (Bescheid vom 21.01.2014 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 04.04.2014 und vom 10.07.2014).
c) Dass die mit den vorgenannten Bescheiden gewährten Leistungen rechtmäßig waren, d.h. mit dem materiellen Recht in Einklang standen, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Insbesondere war die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum in der Höhe der gewährten Leistungen hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II.
2. Sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen des § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II sind erfüllt.
a) Die Klägerin hat die Voraussetzungen für die Gewährung von SGB-II-Leistungen an sich im streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.07.2014 herbeigeführt, indem sie - trotz unstreitig bestehender Möglichkeit - nicht spätestens zum 01.02.2014 wieder in das ruhende Beschäftigungsverhältnis mit dem S. K. eingetreten ist.
Dabei geht die erkennende Kammer davon aus, dass von § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II auch Fallgestaltungen erfasst sind, in denen - wie vorliegend - eine bereits zuvor bestehende Hilfebedürftigkeit aufrechterhalten wurde.
Das Sächsische Landessozialgericht (LSG) hat in diesem Zusammenhang mit Beschluss vom 03.03.2008 (Az.: L 3 B 187/07 AS-ER, abrufbar in juris, dort Rdnr. 13) - ohne nähere Begründung - angenommen, das Aufrechterhalten der Hilfebedürftigkeit sei nach dem Gesetzeswortlaut nicht ausreichend. Einige Gesetzeskommentierungen haben diese Ansicht - ebenfalls ohne nähere Begründung - übernommen (Link in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 34 Rdnr. 21; Fügemann in: Hauck/Noftz, SGB II, Stand 06/2014, § 34 Rdnr. 30; Grote-Seifert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 34 Rdnr. 21).
Eine andere Literaturmeinung sieht das Aufrechterhalten der Hilfebedürftigkeit hingegen als Unterfall des Herbeiführens an (Hänlein in: Gagel, SGB II/SGB III, 58. Ergänzungslieferung Juni 2015, § 34 Rdnr. 11; Fachliche Hinweise-BA § 34 Anm. 7).
Der letztgenannten Ansicht folgt die Kammer. Durch den Wortlaut des § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II ist das Herbeiführen der Voraussetzungen künftiger Leistungen auch erst während des laufenden Leistungsbezuges (d.h. für den folgenden Bewilligungszeitraum) keineswegs ausgeschlossen. Die erstgenannte Ansicht des Sächsischen LSG ist mit dem Zweck der Vorschrift, der Wiederherstellung der Nachrangigkeit der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, nicht in Einklang zu bringen.
Zwar hat das Bundessozialgericht (BSG) sich noch nicht ausdrücklich zu dieser Frage geäußert. Im Urteil vom 02.11.2012 (Az.: B 4 AS 39/12 R = BSGE 112, 135-141, Rdnr. 14) heißt es aber: "Der Ersatzanspruch nach § 34 SGB II setzt nicht voraus, dass schon vor Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit SGB II-Leistungen bezogen wurden ( ...)." Dieser Satz wird von der erkennenden Kammer dahingehend verstanden, dass auch das BSG eine Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit im laufenden Leistungsbezug als möglichen, wenn nicht sogar häufigsten Fall des Ersatzanspruchs nach § 34 SGB II ansieht.
b) Die Klägerin hat sich auch sozialwidrig verhalten, indem sie nicht wieder in das ruhende Beschäftigungsverhältnis mit dem S. K. eingetreten ist.
Der Vorwurf der Sozialwidrigkeit ist begründet, wenn der Betreffende - im Sinne eines objektiven Unwerturteils - in zu missbilligender Weise sich selbst (oder die Mitglieder seiner Bedarfsgemeinschaft) in die Lage gebracht hat, Leistungen des SGB II in Anspruch nehmen zu müssen. Maßgebend ist, dass das Verhalten aus der Sicht der Gemeinschaft - in Bezug auf den Erhalt von SGB-II-Leistungen (BSG, a.a.O., Rdnr. 22) - zu missbilligen ist. Es muss ein spezifischer Bezug zur Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit bestehen. Das den Ersatzanspruch auslösende Verhalten muss aber nicht zwingend rechtswidrig im Sinne einer unerlaubten Handlung gemäß §§ 823ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sein. Es kommt vielmehr auf die Umstände des Einzelfalles an, ob ein Verhalten als sozialwidrig gewertet werden kann. Das sozialwidrige Verhalten kann in einem Tun oder Unterlassen bestehen.
Wenn ein Beschäftigungsverhältnis in Kenntnis der dann eintretenden Hilfebedürftigkeit aufgegeben wird, so ist dieses Verhalten - in grundsicherungsrechtlicher Hinsicht - als sozialwidrig anzusehen (vgl. zur Vorgängerregelung des § 92a Bundessozialhilfegesetz - BSHG -: OVG Lüneburg, Urteil vom 22.11.1995, Az.: 4 L 817/95 = ZfF 1998, 62-64). Nicht anders ist der vorliegende Fall der Nichtaufnahme eines ruhenden Beschäftigungsverhältnisses zu werten.
Sicherlich ist das maßgebliche Verhalten der Klägerin nicht rechtswidrig im Sinne der §§ 823ff. BGB; es wird aber von der Gemeinschaft derjenigen, die die Mittel für die Grundsicherungsleistungen aufbringen, missbilligt. Mit anderen Worten: Die Entscheidung der Klägerin, das ruhende Beschäftigungsverhältnis nicht wieder aufzunehmen und stattdessen ihren Sohn rund um die Uhr selbst zu betreuen, stellt keine unerlaubte Handlung dar. Die Nichtwahrnehmung der Gelegenheit, ihre Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 9 SGB II zu beseitigen, widerspricht aber dem Anstandsgefühl der billig und gerecht denkenden Steuerzahler und ist folglich als sozialwidrig im Sinne des § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II einzustufen.
c) Die Klägerin hatte für ihr Verhalten auch keinen wichtigen Grund.
Die Ersatzpflicht tritt nach § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht ein, wenn der Betreffende für sein Verhalten einen wichtigen Grund hat. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass die Ersatzpflicht nur dann eintreten soll, wenn dem Ersatzpflichtigen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung seiner Interessen mit den Belangen der Solidargemeinschaft ein anderes Verhalten zugemutet werden kann.
Eine nähere Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs "wichtiger Grund" wurde vom Gesetzgeber nicht vorgenommen. Hinweise für eine Konkretisierung lassen sich aus den Zumutbarkeitsregelungen des § 10 Abs. 1 SGB II entnehmen. Kann der Betreffende danach eine Arbeit ablehnen und führt dieses Verhalten zur Hilfebedürftigkeit bzw. zur Zahlung von Leistungen, so dürfte ein wichtiger Grund im Sinne des § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II anzunehmen sein (Link, a.a.O., Rdnr. 29). Dies wäre nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II insbesondere dann der Fall, wenn die Ausübung der Arbeit die Erziehung eines Kindes des Betreffenden gefährden würde.
Einen solchen - sog. kindbezogenen - Grund - vermag die Kammer vorliegend bei gebotener objektiver Betrachtung (Link, a.a.O., Rdnr. 30 m.w.N.) nicht zu erkennen. Aus den Befunden der Kinderärztin D. ergibt sich eine altersgerechte Entwicklung des Sohnes der Klägerin. Anlässlich der Vorsorgeuntersuchungen U7 und U7a (am 29.06.2012 bzw. am 28.06.2013) schätzte die Kinderärztin den Status und die - insbesondere sprachliche - Entwicklung des Kindes als "sehr gut" bzw. "altersgerecht" ein, die Abwehr imponierte als "stark". Auch im Zusammenhang mit der von der Klägerin in Bezug genommenen am 18.10.2012 (also mehr als 15 Monate vor dem hier streitgegenständlichen Zeitraum!) erfolgten Leistenbruch-Operation hat die Kinderärztin D. am 23.10.2012 und am 06.11.2012 unauffällige Befunde erhoben.
Nichts anderes ergibt sich aus den knappen Ausführungen des Internisten C ... Er beschreibt in seinen Attesten lediglich eine intensive Mutter-Kind-Beziehung. Eine solche ist weder außergewöhnlich noch pathologisch. Sie steht auch einer temporären Fremdbetreuung des Kindes nicht entgegen.
Hinzu kommt, dass eine Fremdbetreuung vorliegend nicht einmal ausprobiert worden ist. Unter Berücksichtigung der Regelvermutung des § 10 Abs. 1 Nr. 3, 2. Halbs. SGB II, wonach bei einem Kind über drei Jahren bei Ausübung einer Erwerbstätigkeit keine Gefährdung der Erziehung anzunehmen ist, vermag das Gericht im Ergebnis nicht objektiv festzustellen, dass eine Fremdbetreuung im streitgegenständlichen Zeitraum nicht möglich gewesen ist und die Erziehung des Sohnes der Klägerin gefährdet hätte.
d) Der Klägerin ist hinsichtlich der Sozialwidrigkeit ihres Verhaltens jedenfalls der Vorwurf grober Fahrlässigkeit, wenn nicht gar der Vorwurf bedingten Vorsatzes, zu machen.
Die Ersatzpflicht tritt nach § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II nur ein, wenn der Ersatzpflichtige die Voraussetzungen für die Gewährung von SGB-II-Leistungen vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Vorsätzlich handelt, wer wissentlich und willentlich die Voraussetzungen der Gewährung von SGB-II-Leistungen herbeiführt (direkter Vorsatz) oder diesen Erfolg als möglich erkennt und billigend in Kauf nimmt (bedingter Vorsatz). Grob fahrlässig handelt, wer die verkehrserforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, mithin dasjenige nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen.
Der Beklagte hat die Klägerin seit dem ersten Termin in der Arbeitsvermittlung nach dem Ende der Elternzeit am 01.07.2013 aktenkundig mehrfach mündlich und schriftlich darauf hingewiesen, dass von ihr die Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit beim S. erwartet wird. Folglich musste der Klägerin bei Stellung des Weitergewährungsantrags für den hier streitgegenständlichen Zeitraum am 07.01.2014 jedenfalls klar sein, dass ihr Verhalten missbilligt wird. Gründe dafür, dass gerade der Klägerin als Verwaltungsangestellte im öffentlichen Dienst in subjektiver Hinsicht kein Verschuldensvorwurf gemacht werden kann, sind weder von ihr vorgetragen worden noch von Amts wegen ersichtlich.
e) Schließlich besteht zwischen dem sozialwidrigen Verhalten der Klägerin und dem Erhalt von SGB-II-Leistungen ein Kausalzusammenhang.
Hätte die Klägerin das Arbeitsverhältnis beim S. fortgesetzt, wäre sie im streitgegenständlichen Zeitraum nicht hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II gewesen.
3. Folglich hat die Klägerin dem Beklagten alle kausal auf ihr schuldhaftes Verhalten zurückzuführenden Leistungen zu erstatten, mithin insgesamt 5.021,22 Euro.
Hierunter fallen sämtliche für den streitgegenständlichen Zeitraum gewährten Geldleistungen, vorliegend die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 20 SGB II einschließlich der gezahlten Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung (vgl. § 34 Abs. 1 S. 2 SGB II), der Mehrbedarf bei Alleinerziehung gemäß § 21 Abs. 3 SGB II und die Unterkunftskosten gemäß § 22 SGB II.
Etwaige Fehler bei der Berechnung der Höhe der zu erstattenden Leistungen durch den Beklagten sind nicht ersichtlich.
4. Es liegt auch kein Grund vor, von der Geltendmachung des Ersatzanspruchs abzusehen.
Dies wäre gemäß § 34 Abs. 1 S. 3 SGB II dann der Fall, soweit die Geltendmachung für die Klägerin als Ersatzpflichtige eine Härte bedeuten würde.
Insoweit liegt in der finanziellen Belastung durch die Ersatzpflicht für sich genommen noch keine Härte vor. Anders läge der Fall - in Anlehnung an die bis zum 31.03.2011 geltende Fassung des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB II (a.F.) - nur dann, wenn die Ersatzpflicht die Klägerin zukünftig wieder von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II abhängig machen würde. Dies ist aber derzeit angesichts des Einkommens ihres Ehemannes auszuschließen.
5. Schließlich ist der Ersatzanspruch auch nicht gemäß § 34 Abs. 3 S. 1 SGB II erloschen.
Nach dieser Vorschrift erlischt der Ersatzanspruch drei Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Leistung erbracht worden ist.
Vorliegend wurden die streitgegenständlichen Leistungen im Jahr 2014 erbracht; der Erstattungsanspruch wurde im selben Jahr geltend gemacht.
Nach alledem ist die Klage mit der sich aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ergebenden Kostenfolge abzuweisen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Beklagte gegen die Klägerin wegen sozialwidrigen Verhaltens einen Anspruch auf Erstattung erbrachter Leistungen in Höhe von 5.021,22 Euro hat.
Nach der Geburt ihres ersten Kindes J. A. am 2010 befand sich die am 1980 geborene Klägerin bis zum 16.06.2013 in Elternzeit. Ihr Beschäftigungsverhältnis beim S. in K. ruhte derweil. Vom 01.05.2010 bis zum 31.08.2014 bezog die Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Beklagten (bzw. von dessen Rechtsvorgänger).
Noch während der Elternzeit beantragte die seinerzeit alleinerziehende Klägerin am 11.03.2013 bei ihrem Arbeitgeber Sonderurlaub ohne Fortzahlung der Bezüge vom Ende der Elternzeit am 16.06.2013 an bis zum 31.01.2015. Der Arbeitgeber der Klägerin entsprach diesem Antrag mit Schreiben vom 14.03.2013.
Nach Ablauf der Elternzeit wurde die Klägerin durch die Arbeitsvermittlung des Beklagten eingeladen, um ihre berufliche Situation zu besprechen. Die Klägerin teilte am 01.07.2013 mit, sie habe Sonderurlaub beantragt, weil ihr Sohn nicht fremdbetreuungsfähig sei. Vor dem 01.02.2015 wolle sie nicht wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren.
In der Folge fanden mehrere Termine in der Arbeitsvermittlung statt, bei denen der Beklagte der Klägerin mitteilte, dass von ihr eine Wiederaufnahme des ruhenden Beschäftigungsverhältnisses erwartet werde. Zudem bot die Arbeitsvermittlerin des Beklagten der Klägerin unter anderem an, für sie einen Beratungstermin beim Allgemeinen Sozialdienst und einer Erziehungsberatungsstelle zu vereinbaren.
Die Klägerin nahm diese Angebote nicht wahr und legte dem Beklagten ärztliche Atteste der Kinderärztin D. vom 28.06.2013 und des Internisten C. vom 26.07.2013, 18.09.2013, 04.11.2013 und 15.01.2014 vor, in denen diese ohne Benennung von Diagnosen unter anderem ausführten, dass eine Fremdbetreuung "schwierig" sei bzw. "noch deutlich verfrüht" wäre.
Mit Bescheid vom 21.01.2014 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 04.04.2014 und vom 10.07.2014 bewilligte der Beklagte der Klägerin auf ihren Weitergewährungsantrag vom 07.01.2014 hin Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.02.2014 bis zum 31.07.2014 in monatlicher Höhe zwischen 625,71 Euro und 756,01 Euro. Darüber hinaus überwies der Beklagte Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge für die Klägerin in monatlicher Höhe von 162,66 Euro an das Bundesversicherungsamt. Ein Leistungsanspruch des Sohnes der Klägerin errechnete sich nicht, da dessen Bedarf durch eigenes Einkommen (Kindergeld und Unterhalt) gedeckt war.
Mit Schreiben vom 26.06.2014 hörte der Beklagte die Klägerin zu der Absicht an, die für die Zeit ab 01.02.2014 gewährten Leistungen nach dem SGB II gemäß § 34 Abs. 1 SGB II von ihr zurückzuverlangen. Die Klägerin habe infolge der Nichtaufnahme einer möglichen Erwerbstätigkeit bei ihrem bisherigen Arbeitgeber ihre Hilfebedürftigkeit wissentlich neu herbeigeführt, obwohl sie die Möglichkeit gehabt habe, die Hilfebedürftigkeit zu beenden. Kindbezogene Hinderungsgründe seien bei der Klägerin nicht vorhanden bzw. seien bis zum 01.02.2014 zu beseitigen gewesen. Nach Vollendung des 3. Lebensjahres eines Kindes bestehe grundsätzlich Verpflichtung zur Vollzeittätigkeit.
Die Klägerin vertrat die Ansicht, die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs nach § 34 Abs. 1 SGB II lägen nicht vor. Sie habe ihre Hilfebedürftigkeit weder vorsätzlich noch grob fahrlässig herbeigeführt. Sie sei ausschließlich aus Gründen des Wohls ihres Sohnes nicht arbeiten gegangen. Ihr Sohn sei "massivst" an sie gebunden und sei nicht bereit gewesen, diese Bindung schon aufzugeben. Ihr Sohn sei nicht altersgerecht entwickelt. Er sei im fraglichen Zeitraum vom 01.02. bis 31.07.2014 nicht in der Lage gewesen, den Kindergarten zu besuchen oder fremd betreut zu werden. Die Klägerin legte ein weiteres ärztliches Attest des Internisten C. vom 27.06.2014 vor, wonach eine sofortige Kindergarteneingliederung zu "verstärkt regressivem Verhalten" führen könnte und für den Sohn der Klägerin "gesundheitsschädlich" wäre.
Mit Bescheid vom 17.07.2014 verpflichtete der Beklagte die Klägerin zur Erstattung für die Zeit vom 01.02. bis 31.07.2014 erbrachter Leistungen in Höhe von insgesamt 5.021,22 Euro. Die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 SGB II lägen vor. Ein Hinderungsgrund zur Arbeitsaufnahme sei nicht belegt. Die Betreuung des Sohnes der Klägerin könnte schon seit Spätherbst 2013 gesichert sein. Die von der Klägerin geltend gemachten kindbezogenen Gründe habe sie nur pauschal erhoben und nicht bewiesen. Die im Konjunktiv gehaltenen Ausführungen in den vorgelegten Attesten seien nicht geeignet, daraus eine Ungeeignetheit für einen Kindergarten zu rechtfertigen. Selbst wenn, käme auch eine Betreuung bei einer Tagesmutter in Frage.
Hiergegen erhob die Klägerin am 14.08.2014 Widerspruch. Aus den vorgelegten ärztlichen Attesten ergebe sich eindeutig, dass ihr Sohn noch nicht ohne psychische Schäden in den Kindergarten oder zur Fremdbetreuung verbracht werden konnte.
Der Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 11.09.2014 als unbegründet zurück. Die sich aus den ärztlichen Attesten ergebende intensive Mutter-Kind-Beziehung sei nichts Außergewöhnliches. Wer - wie die Klägerin - eine Fremdbetreuung nicht ermöglicht, auch nicht probeweise, könne sich nicht darauf berufen, dass eine Fremdbetreuung nicht möglich sei.
Hiergegen erhob die Klägerin am 02.10.2014 Klage zum Sozialgericht Augsburg. Sie habe weder vorsätzlich noch grob fahrlässig ihre Hilfebedürftigkeit herbeigeführt. Infolge der operativen Versorgung eines Leistenbruchs am 18.10.2012 habe ihr Sohn eine ausgeprägte Bindung zu ihr entwickelt. Er sei derart auf sie fixiert gewesen, dass eine Fremdbetreuung "extrem schwierig" gewesen sei. Bei einer Trennung von ihr wäre das Wohl ihres Sohnes "durch eventuell nicht vorhersehbare seelische Folgen" gefährdet gewesen. Aus diesem Grund habe sie zur Betreuung ihres Sohnes Sonderurlaub bis zum 31.01.2015 beantragen müssen.
Das Gericht holte einen Befundbericht betreffend den Sohn der Klägerin von der Kinderärztin D. vom 19.02.2015 ein. Die Kinderärztin berichtete unter anderem wie folgt: "( ...) 29.06.2012: Vorsorgeuntersuchung U7, ( ...), Status und Entwicklung sehr gut, ( ...) 23.10.2012: Kontrolle nach Leistenbruch-OP am 18.10.2012 in der Kinderklinik, Wunde reizlos 06.11.2012: Kontrolle nach Leistenbruch-OP, Wunde reizlos, Kind unauffällig, 28.06.2013: Vorsorgeuntersuchung U7a, ( ...), Entwicklung altersgerecht, sprachlich sehr gut, starke Abwehr, ( ...) bei der letzten Untersuchung am 10.10.2013 hatte Justin einen Infekt der oberen Luftwege, ansonsten war das Kind in gutem Allgemeinzustand und von altersgerechter Entwicklung."
Auf Anregung der Klägerin holte das Gericht in der Folge noch einen weiteren Befundbericht betreffend den Sohn der Klägerin vom Internisten C. vom 26.06.2015 ein. Dieser berichtete unter anderem: "J. ist ein anhänglicher Junge seiner Mutter gegenüber. Diese war viele Jahre alleinerziehend und somit die einzige Bezugsperson. Bei Thematisierung des Kindergartenbesuchs führt dies bei J. zu Schlafstörungen, Ess-Störungen und vermehrter Anhänglichkeit."
Die Klägerin beantragt, den Bescheid vom 17.07.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.09.2014 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht zum zuständigen Sozialgericht Augsburg erhobene Klage ist auch im Übrigen zulässig, sachlich aber unbegründet. Denn der Bescheid vom 17.07.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.09.2014 ist formell und materiell rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Beklagte hat gegen die Klägerin einen Anspruch auf Ersatz der für die Zeit vom 01.02.2014 bis 31.07.2014 erbrachten Leistungen in Höhe von 5.021,22 Euro.
Rechtsgrundlage hierfür ist § 34 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB II. Danach ist derjenige, der nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II an sich (oder an Personen, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben) ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet. Der Ersatzanspruch umfasst auch die geleisteten Beiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung.
1. Der Anwendungsbereich des § 34 SGB II ist eröffnet.
a) Die 1980 geborene Klägerin hat das 18. Lebensjahr bereits im Jahre 1998 vollendet und gehört damit zum ersatzpflichtigen Personenkreis.
b) Der Beklagte ist ersatzberechtigt, da er derjenige ist, der der Klägerin Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.02.2014 bis zum 31.07.2014 gewährt hat (Bescheid vom 21.01.2014 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 04.04.2014 und vom 10.07.2014).
c) Dass die mit den vorgenannten Bescheiden gewährten Leistungen rechtmäßig waren, d.h. mit dem materiellen Recht in Einklang standen, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Insbesondere war die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum in der Höhe der gewährten Leistungen hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II.
2. Sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen des § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II sind erfüllt.
a) Die Klägerin hat die Voraussetzungen für die Gewährung von SGB-II-Leistungen an sich im streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.07.2014 herbeigeführt, indem sie - trotz unstreitig bestehender Möglichkeit - nicht spätestens zum 01.02.2014 wieder in das ruhende Beschäftigungsverhältnis mit dem S. K. eingetreten ist.
Dabei geht die erkennende Kammer davon aus, dass von § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II auch Fallgestaltungen erfasst sind, in denen - wie vorliegend - eine bereits zuvor bestehende Hilfebedürftigkeit aufrechterhalten wurde.
Das Sächsische Landessozialgericht (LSG) hat in diesem Zusammenhang mit Beschluss vom 03.03.2008 (Az.: L 3 B 187/07 AS-ER, abrufbar in juris, dort Rdnr. 13) - ohne nähere Begründung - angenommen, das Aufrechterhalten der Hilfebedürftigkeit sei nach dem Gesetzeswortlaut nicht ausreichend. Einige Gesetzeskommentierungen haben diese Ansicht - ebenfalls ohne nähere Begründung - übernommen (Link in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 34 Rdnr. 21; Fügemann in: Hauck/Noftz, SGB II, Stand 06/2014, § 34 Rdnr. 30; Grote-Seifert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 34 Rdnr. 21).
Eine andere Literaturmeinung sieht das Aufrechterhalten der Hilfebedürftigkeit hingegen als Unterfall des Herbeiführens an (Hänlein in: Gagel, SGB II/SGB III, 58. Ergänzungslieferung Juni 2015, § 34 Rdnr. 11; Fachliche Hinweise-BA § 34 Anm. 7).
Der letztgenannten Ansicht folgt die Kammer. Durch den Wortlaut des § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II ist das Herbeiführen der Voraussetzungen künftiger Leistungen auch erst während des laufenden Leistungsbezuges (d.h. für den folgenden Bewilligungszeitraum) keineswegs ausgeschlossen. Die erstgenannte Ansicht des Sächsischen LSG ist mit dem Zweck der Vorschrift, der Wiederherstellung der Nachrangigkeit der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, nicht in Einklang zu bringen.
Zwar hat das Bundessozialgericht (BSG) sich noch nicht ausdrücklich zu dieser Frage geäußert. Im Urteil vom 02.11.2012 (Az.: B 4 AS 39/12 R = BSGE 112, 135-141, Rdnr. 14) heißt es aber: "Der Ersatzanspruch nach § 34 SGB II setzt nicht voraus, dass schon vor Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit SGB II-Leistungen bezogen wurden ( ...)." Dieser Satz wird von der erkennenden Kammer dahingehend verstanden, dass auch das BSG eine Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit im laufenden Leistungsbezug als möglichen, wenn nicht sogar häufigsten Fall des Ersatzanspruchs nach § 34 SGB II ansieht.
b) Die Klägerin hat sich auch sozialwidrig verhalten, indem sie nicht wieder in das ruhende Beschäftigungsverhältnis mit dem S. K. eingetreten ist.
Der Vorwurf der Sozialwidrigkeit ist begründet, wenn der Betreffende - im Sinne eines objektiven Unwerturteils - in zu missbilligender Weise sich selbst (oder die Mitglieder seiner Bedarfsgemeinschaft) in die Lage gebracht hat, Leistungen des SGB II in Anspruch nehmen zu müssen. Maßgebend ist, dass das Verhalten aus der Sicht der Gemeinschaft - in Bezug auf den Erhalt von SGB-II-Leistungen (BSG, a.a.O., Rdnr. 22) - zu missbilligen ist. Es muss ein spezifischer Bezug zur Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit bestehen. Das den Ersatzanspruch auslösende Verhalten muss aber nicht zwingend rechtswidrig im Sinne einer unerlaubten Handlung gemäß §§ 823ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sein. Es kommt vielmehr auf die Umstände des Einzelfalles an, ob ein Verhalten als sozialwidrig gewertet werden kann. Das sozialwidrige Verhalten kann in einem Tun oder Unterlassen bestehen.
Wenn ein Beschäftigungsverhältnis in Kenntnis der dann eintretenden Hilfebedürftigkeit aufgegeben wird, so ist dieses Verhalten - in grundsicherungsrechtlicher Hinsicht - als sozialwidrig anzusehen (vgl. zur Vorgängerregelung des § 92a Bundessozialhilfegesetz - BSHG -: OVG Lüneburg, Urteil vom 22.11.1995, Az.: 4 L 817/95 = ZfF 1998, 62-64). Nicht anders ist der vorliegende Fall der Nichtaufnahme eines ruhenden Beschäftigungsverhältnisses zu werten.
Sicherlich ist das maßgebliche Verhalten der Klägerin nicht rechtswidrig im Sinne der §§ 823ff. BGB; es wird aber von der Gemeinschaft derjenigen, die die Mittel für die Grundsicherungsleistungen aufbringen, missbilligt. Mit anderen Worten: Die Entscheidung der Klägerin, das ruhende Beschäftigungsverhältnis nicht wieder aufzunehmen und stattdessen ihren Sohn rund um die Uhr selbst zu betreuen, stellt keine unerlaubte Handlung dar. Die Nichtwahrnehmung der Gelegenheit, ihre Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 9 SGB II zu beseitigen, widerspricht aber dem Anstandsgefühl der billig und gerecht denkenden Steuerzahler und ist folglich als sozialwidrig im Sinne des § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II einzustufen.
c) Die Klägerin hatte für ihr Verhalten auch keinen wichtigen Grund.
Die Ersatzpflicht tritt nach § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht ein, wenn der Betreffende für sein Verhalten einen wichtigen Grund hat. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass die Ersatzpflicht nur dann eintreten soll, wenn dem Ersatzpflichtigen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung seiner Interessen mit den Belangen der Solidargemeinschaft ein anderes Verhalten zugemutet werden kann.
Eine nähere Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs "wichtiger Grund" wurde vom Gesetzgeber nicht vorgenommen. Hinweise für eine Konkretisierung lassen sich aus den Zumutbarkeitsregelungen des § 10 Abs. 1 SGB II entnehmen. Kann der Betreffende danach eine Arbeit ablehnen und führt dieses Verhalten zur Hilfebedürftigkeit bzw. zur Zahlung von Leistungen, so dürfte ein wichtiger Grund im Sinne des § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II anzunehmen sein (Link, a.a.O., Rdnr. 29). Dies wäre nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II insbesondere dann der Fall, wenn die Ausübung der Arbeit die Erziehung eines Kindes des Betreffenden gefährden würde.
Einen solchen - sog. kindbezogenen - Grund - vermag die Kammer vorliegend bei gebotener objektiver Betrachtung (Link, a.a.O., Rdnr. 30 m.w.N.) nicht zu erkennen. Aus den Befunden der Kinderärztin D. ergibt sich eine altersgerechte Entwicklung des Sohnes der Klägerin. Anlässlich der Vorsorgeuntersuchungen U7 und U7a (am 29.06.2012 bzw. am 28.06.2013) schätzte die Kinderärztin den Status und die - insbesondere sprachliche - Entwicklung des Kindes als "sehr gut" bzw. "altersgerecht" ein, die Abwehr imponierte als "stark". Auch im Zusammenhang mit der von der Klägerin in Bezug genommenen am 18.10.2012 (also mehr als 15 Monate vor dem hier streitgegenständlichen Zeitraum!) erfolgten Leistenbruch-Operation hat die Kinderärztin D. am 23.10.2012 und am 06.11.2012 unauffällige Befunde erhoben.
Nichts anderes ergibt sich aus den knappen Ausführungen des Internisten C ... Er beschreibt in seinen Attesten lediglich eine intensive Mutter-Kind-Beziehung. Eine solche ist weder außergewöhnlich noch pathologisch. Sie steht auch einer temporären Fremdbetreuung des Kindes nicht entgegen.
Hinzu kommt, dass eine Fremdbetreuung vorliegend nicht einmal ausprobiert worden ist. Unter Berücksichtigung der Regelvermutung des § 10 Abs. 1 Nr. 3, 2. Halbs. SGB II, wonach bei einem Kind über drei Jahren bei Ausübung einer Erwerbstätigkeit keine Gefährdung der Erziehung anzunehmen ist, vermag das Gericht im Ergebnis nicht objektiv festzustellen, dass eine Fremdbetreuung im streitgegenständlichen Zeitraum nicht möglich gewesen ist und die Erziehung des Sohnes der Klägerin gefährdet hätte.
d) Der Klägerin ist hinsichtlich der Sozialwidrigkeit ihres Verhaltens jedenfalls der Vorwurf grober Fahrlässigkeit, wenn nicht gar der Vorwurf bedingten Vorsatzes, zu machen.
Die Ersatzpflicht tritt nach § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II nur ein, wenn der Ersatzpflichtige die Voraussetzungen für die Gewährung von SGB-II-Leistungen vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Vorsätzlich handelt, wer wissentlich und willentlich die Voraussetzungen der Gewährung von SGB-II-Leistungen herbeiführt (direkter Vorsatz) oder diesen Erfolg als möglich erkennt und billigend in Kauf nimmt (bedingter Vorsatz). Grob fahrlässig handelt, wer die verkehrserforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, mithin dasjenige nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen.
Der Beklagte hat die Klägerin seit dem ersten Termin in der Arbeitsvermittlung nach dem Ende der Elternzeit am 01.07.2013 aktenkundig mehrfach mündlich und schriftlich darauf hingewiesen, dass von ihr die Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit beim S. erwartet wird. Folglich musste der Klägerin bei Stellung des Weitergewährungsantrags für den hier streitgegenständlichen Zeitraum am 07.01.2014 jedenfalls klar sein, dass ihr Verhalten missbilligt wird. Gründe dafür, dass gerade der Klägerin als Verwaltungsangestellte im öffentlichen Dienst in subjektiver Hinsicht kein Verschuldensvorwurf gemacht werden kann, sind weder von ihr vorgetragen worden noch von Amts wegen ersichtlich.
e) Schließlich besteht zwischen dem sozialwidrigen Verhalten der Klägerin und dem Erhalt von SGB-II-Leistungen ein Kausalzusammenhang.
Hätte die Klägerin das Arbeitsverhältnis beim S. fortgesetzt, wäre sie im streitgegenständlichen Zeitraum nicht hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II gewesen.
3. Folglich hat die Klägerin dem Beklagten alle kausal auf ihr schuldhaftes Verhalten zurückzuführenden Leistungen zu erstatten, mithin insgesamt 5.021,22 Euro.
Hierunter fallen sämtliche für den streitgegenständlichen Zeitraum gewährten Geldleistungen, vorliegend die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 20 SGB II einschließlich der gezahlten Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung (vgl. § 34 Abs. 1 S. 2 SGB II), der Mehrbedarf bei Alleinerziehung gemäß § 21 Abs. 3 SGB II und die Unterkunftskosten gemäß § 22 SGB II.
Etwaige Fehler bei der Berechnung der Höhe der zu erstattenden Leistungen durch den Beklagten sind nicht ersichtlich.
4. Es liegt auch kein Grund vor, von der Geltendmachung des Ersatzanspruchs abzusehen.
Dies wäre gemäß § 34 Abs. 1 S. 3 SGB II dann der Fall, soweit die Geltendmachung für die Klägerin als Ersatzpflichtige eine Härte bedeuten würde.
Insoweit liegt in der finanziellen Belastung durch die Ersatzpflicht für sich genommen noch keine Härte vor. Anders läge der Fall - in Anlehnung an die bis zum 31.03.2011 geltende Fassung des § 34 Abs. 1 S. 2 SGB II (a.F.) - nur dann, wenn die Ersatzpflicht die Klägerin zukünftig wieder von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II abhängig machen würde. Dies ist aber derzeit angesichts des Einkommens ihres Ehemannes auszuschließen.
5. Schließlich ist der Ersatzanspruch auch nicht gemäß § 34 Abs. 3 S. 1 SGB II erloschen.
Nach dieser Vorschrift erlischt der Ersatzanspruch drei Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Leistung erbracht worden ist.
Vorliegend wurden die streitgegenständlichen Leistungen im Jahr 2014 erbracht; der Erstattungsanspruch wurde im selben Jahr geltend gemacht.
Nach alledem ist die Klage mit der sich aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ergebenden Kostenfolge abzuweisen.
Rechtskraft
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