S 11 AS 78/06 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AS 78/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 B 216/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1.Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende für den Monat Juli 2006 zu zahlen.
2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Antragstellers erstatten.

Gründe:
I.

Der am 00.00.1960 geborene Antragsteller ist marokkanischer Staatsangehöriger und Inhaber einer am 15.11.2005 von der Ausländerbehörde T (Sachsen) ausgestellten Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG), in der es ursprünglich hieß, eine Erwerbstätigkeit sei nicht gestattet. Die Nebenbestimmung wurde sodann durch die Stadt B dahingehend abgeändert, dass eine Erwerbstätigkeit nur mit Zustimmung der Ausländerbehörde gestattet sei.

Am 08.06.2006 beantragte der in B bei seiner Schwester wohnhafte Antragsteller Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Am 05.07.2006 hat er sich an das Gericht gewandt. Er führt aus, er halte sich rechtmäßig in B auf, da sein Aufenthaltstitel mit keiner räumlichen Beschränkung versehen sei. Jedenfalls nach Abänderung der Nebenbestimmung zur Erwerbstätigkeit unterliege er auch keinem Arbeitsverbot mehr und sei somit erwerbsfähig.

Der Antragsteller beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende für den Monat Juli 2006 zu verpflichten.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie hat nach Antragstellung einen auf den 04.07.2006 datierten Ablehnungsbescheid erlassen. Hierin heißt es, dem Antragsteller werde durch ausländeramtlichen Bescheid vom 05.07.2005 die Wohnsitznahme rückwirkend für die Zeit ab dem 14.11.2005 nur im Landkreis T (Sachsen) gestattet. Da der Antragsteller sich demnach nicht in B aufhalten dürfe, habe er dort auch keinen Leistungsanspruch. Diese Anknüpfung des Fürsorgerechts an die Verteilung ausländsicher Leistungsempfänger auf bestimmte Wohnorte sei deswegen erforderlich, weil ein Teil der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende von kommunalen Trägern erbracht werde.

Hinsichtlich der wesentlichen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte verwiesen.

II.

Der zulässige Antrag ist begründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass das geltend gemachte Begehren im Rahmen der beim einstweiligen Rechtsschutz allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung begründet erscheint (Anordnungsanspruch) und erfordert zusätzlich die besondere Eilbedürftigkeit der Durchsetzung des Begehrens (Anordnungsgrund). Zudem darf eine Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache nicht endgültig (d.h. irreversibel) vorweg genommen werden (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 86 b, Rn. 31 m.w.N.).

Der erforderliche Anordnungsanspruch besteht.

Der Antragsteller hat Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Insbesondere scheitert der Anspruch nicht an § 8 Abs. 2 Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Hiernach können Ausländer nur erwerbstätig (i.S.d. § 8 Abs. 1 SGB II) sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist (1. Alt.) oder erlaubt werden könnte (2. Alt.). Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen aus § 8 Abs. 2 2. Alt SGB II gegeben. Bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift kommt es nicht darauf an, ob eine entsprechende Erlaubnis bereits erteilt ist; vielmehr reicht es aus, wenn ein rechtlicher Zugang zum Arbeitsmarkt für den Fall gegeben wäre, dass keine geeigneten inländischen Arbeitskräfte zur Verfügung ständen (Valgolio, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 8, Rn. 20 f. mit dem Hinweis, die Arbeitssuche stünde gerade nicht unter einem Erlaubnisvorbehalt). Abzuweichen ist hiervon nur für den Fall, dass einem Ausländer bei vorausschauender Betrachtungsweise realistischerweise in keinem denkbaren Fall eine Erwerbstätigkeit erlaubt werden könnte (so Spellbrink, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 7, Rn. 12). Letzteres ist insbesondere dann der Fall, wenn die Ausländerbehörde bereits ausdrücklich gegen die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit entschieden hat (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13.12.2005, L 25 B 1281/05 AS ER; Brühl, in: LPK-SGB II, § 8, Rn. 35, wonach Ausländer, denen ausnahmsweise ausländerrechtlich eine Erwerbstätigkeit untersagt worden ist, von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind). Anders liegt es jedoch, wenn - wie hier - die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit von einer Zustimmung der Ausländerbehörde abhängt, die anhand einzelfallbezogener Kriterien zu prüfen ist. Vor diesem Hintergrund ist zu beachten, dass § 8 Abs. 1 SGB II auch von denjenigen Hilfebedürftigen, die nicht dem Ausländerrecht unterfallen, nicht etwa eine vollschichtige Einsatzfähigkeit für jedwede denkbare Erwerbstätigkeit verlangt. Auch hier kann die Arbeitsaufnahme im Einzelfall von behördlichen Genehmigungen (etwa Gaststätten- oder lebensmittelrechtlicher Art) abhängig sein, ohne dass hierdurch die Erwerbsfähigkeit insgesamt in Frage gestellt wäre. Im Übrigen scheinen auch die Antragsgegnerin sowie die Stadt B - Ausländeramt - von der grundsätzlichen Einschlägigkeit des SGB II auszugehen, wenn sie u.a. den Bezug von SGB II-Leistungen zum Anknüpfungspunkt einer aufenthaltsrechtlichen räumlichen Beschränkung machen.

Dem Anspruch steht auch nicht entgegen, dass sich der Antragsteller möglicherweise entgegen ausländerrechtlicher Bestimmungen im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin aufhält.

Die Antragsgegnerin ist örtlich zuständiger Leistungsträger, § 36 SGB II. Maßgeblich für die örtliche Zuständigkeit nach § 36 SGB II sind allein die tatsächlichen Verhältnisse und nicht auch der Aufenthaltsstatus im Sinne eines rechtmäßigen Aufenthalts (vgl. Link, in: Eicher/Spellbrink, a.a.O., § 36, Rn. 19).

Auch berechtigt ein Verstoß gegen eine aufenthaltsrechtliche räumliche Beschränkung im Bereich des SGB II nicht zu Leistungsverweigerung oder -kürzung. Während § 23 Abs. 5 Sozialgesetzbuch - Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) eine (§ 120 Abs. 5 des aufgehobenen Bundessozialhilfegesetzes nachgebildete) Sonderregelungen für den Fall eines Verstoßes gegen ausländerrechtliche räumliche Beschränkungen enthält, findet sich eine entsprechende Vorschrift im SGB II nicht. Eine Inkorporation der entsprechenden ausländerrechtlichen Vorschriften, insbesondere von § 12 Abs. 3 AufenthG (wonach ein Ausländer den Teil des Bundesgebietes, in dem er sich ohne Erlaubnis der Ausländerbehörde einer räumlichen Beschränkung zuwider aufhält, unverzüglich zu verlassen hat), in das SGB II kann auch nicht im Wege von § 7 Abs. 1 Satz 3 SGB II angenommen werden. Zwar nimmt diese Vorschrift über § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II auch auf § 8 Abs. 2 SGB II Bezug, jedoch soll sie im Wesentlichen verhindern, dass Ansprüche nach dem SGB II aufenthaltsbeendenden Maßnahmen entgegen stehen (Spellbrink, a.a.O., § 7, Rn. 16). Darüber hinaus lässt sich dem Gesetz jedenfalls nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, dass eine im eng verwandten Bereich des SGB XII ausdrücklich getroffene Regelung auf dem Umweg über die Generalklausel des § 7 Abs. 1 Satz 3 SGB II auch in der Grundsicherung für Arbeitsuchende Anwendung finden soll. Eher spricht die Tatsache, dass derselbe Lebenssachverhalt im SGB XII detailliert und im SGB II überhaupt nicht geregelt ist, dafür, dass der Gesetzgeber sich der Problematik bewußt gewesen ist und von der Aufnahme einer entsprechenden Bestimmung in das SGB II gerade absehen wollte.

Ebenso wenig lassen § 12 Abs. 3 AufenthG und § 23 Abs. 5 SGB XII den Rückschluss zu, nur derjenige sei erwerbsfähig, der keinen aufenthaltsrechtlichen räumlichen Beschränkungen unterliege. Wer erwerbsfähig ist, ergibt sich aus § 8 SGB II, woraus sich ein derartiges Erfordernis örtlicher Ungebundenheit nicht ableiten lässt. Zwar ist es dem Antragsteller (die Wirksamkeit und Vollziehbarkeit der räumlichen Beschränkung vorausgesetzt) rechtlich nicht möglich, eine i.S.d § 10 Abs. 2 Nr. 5 SGB II zumutbare Arbeit außerhalb des Landkreises T (Sachsen) aufzunehmen, jedoch spricht der Regelungszusammenhang der §§ 9 Abs. 1 Nr. 1, 10 Abs. 2 Nr. 5 SGB II in einem solchen Fall eher für eine (grundsätzlich denkbare: Rixen, in: Eicher/Spellbrink, a.a.O., § 10, Rn. 125) einzelfallbezogene Einschränkung des Zumutbarkeitsbegriffs als für einen Ausschluss der Hilfebedürftigkeit.

Umstände, die an der Mittellosigkeit des Antragstellers (und somit am Anordnungsgrund) zweifeln lassen, sind nicht ersichtlich.

Die zeitliche Beschränkung auf den Monat Juli 2006 ergibt sich aus analoger Anwendung von § 123 SGG. Das Gericht darf nicht mehr zusprechen als beantragt. Es weist jedoch darauf hin, dass unter ansonsten gleichbleibenden Umständen eine Leistungspflicht auch über Juli 2006 hinaus besteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf analoger Anwendung von § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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