Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 R 115/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 R 55/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 05.11.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.12.2006 wird aufgehoben. Die Beklagte hat die Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung und Rückforderung von Witwenrente wegen anzurechnenden Einkommens in Höhe von 11.807,67 EUR für die Zeit vom 01.11.1994 bis zum 30.09.2006.
Die am 00.00.1961 geborene Klägerin war mit dem am 00.00.1994 verstorbenen H (Versicherter) verheiratet. Die Klägerin beantragte am 02.09.1994 Witwenrente beim Versicherungsamt der Stadt T. In der "Anlage zum Antrag auf Hinterbliebenenrente" verneinte die Klägerin die Frage nach dem Bezug von Arbeitsentgelt. Sie verneinte ebenfalls die Frage nach Einkommen im letzten Kalenderjahr vor Beginn der Rente. Die Klägerin hatte wegen der Betreuung und Erziehung eines Pflegekindes bis zum 31.10.1994 Erziehungsurlaub. Vom 01.05.1994 bis zum 31.08.1994 übte sie eine Aushilfstätigkeit (Urlaubsvertretung) beim Arbeitgeber aus. Ab 01.11.1994 stand die Klägerin nach Ende des Erziehungsurlaubs wieder in einem Beschäftigungsverhältnis.
Mit Bescheid vom 03.11.1994 bewilligte die Beklagte Große Witwenrente ab 30.08.1994. Ab 01.12.1994 bewilligte sie laufend 1.236,86 DM ohne Anrechnung von Einkommen. Der Bescheid enthielt Ausführungen zu den Mitteilungspflichten, auf deren den Beteiligten bekannten Inhalt verwiesen wird (Seite 4 f. des Bescheides).
Im August 2006 überprüfte die Beklagte von Amts wegen die Witwenrentenberechtigung. Sie stellte fest, dass die Klägerin ab 01.11.1994 laufend Arbeitseinkommen erzielte.
Nach Anhörung hob die Beklagte mit Bescheid vom 05.11.2006 den Bewilligungsbescheid vom 03.11.1994 für die Zeit ab dem 01.11.1994 in Höhe von 11.807, 67 EUR auf und forderte diesen Betrag zurück. Sie kündigte an, ab dem 01.01.2007 mit dieser Forderung gegen den laufenden Rentenanspruch in Höhe von 308,66 EUR monatlich gemäß § 51 Abs. 2 SGB I aufzurechnen. Die Beklagte stützte die Entscheidung auf § 45 SGB X. Die Klägerin könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen, weil sie unvollständige Angaben gemacht habe und die Rechtswidrigkeit des Bescheides kennen musste.
Im Widerspruchsverfahren berief die Klägerin sich auf ihr Vorbringen im Anhörungsverfahren. Hier trug sie insbesondere vor, der vom Versicherungsamt der Stadt T aufgenommene Antrag sei unsorgfältig aufgenommen worden. Das Versicherungsamt sei verpflichtet gewesen, präziser nachzufragen. Außerdem berief die Klägerin sich auf folgenden Text im Rentenbescheid vom 03.11.1994: "Die Meldung von Veränderungen erübrigt sich bei Einkommen aus einer in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübten rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit oder bei Renten aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung." Hieraus habe die Klägerin geschlossen, dass sie die Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit nach Ende des Erziehungsurlaubes nicht mitteilen muss.
Mit Bescheid vom 07.12.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin habe die Aufnahme des Beschäftigungsverhältnisses verschwiegen. Der Hinweis im Rentenbescheid beziehe sich nur auf die Meldung von Veränderungen bei gemeldetem Einkommen. Schließlich sei auch nicht von Bedeutung, dass der Arbeitgeber die ausgeübte Beschäftigung ordnungsgemäß gemeldet hat, denn die Meldung erfolge in das eigene Versicherungskonto der Klägerin, während die Witwenrente aus dem Versicherungskonto des verstorbenen Ehemannes geleistet werde.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 13.12.2006 erhobene Klage. Die Beteiligten wiederholen und vertiefen ihr bisheriges Vorbringen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 05.11.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.12.2006 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig i. S. d. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.
Die Beklagte kann die Entscheidung nicht auf § 45 SGB X stützen. Allerdings ist der Rentenbescheid vom 03.11.1994 von Beginn an rechtswidrig i. S. d. § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB X, denn die laufende Rentenzahlung ab 01.12.1994 hätte gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI nur unter Anrechnung von Einkommen bewilligt werden dürfen. Lediglich im "Sterbevierteljahr" (§ 67 Nr. 6 SGB VI) wurde die Rente gemäß § 97 Abs. 1 Satz 2 SGB VI zutreffend ohne Einkommensanrechnung bewilligt. Da der Bescheid vom 03.11.1994 jedoch auch die laufende Rente ab 01.12.1994 regelt, ist dieser als von Beginn an rechtswidrig i. S. d. § 45 SGB X anzusehen.
Die Rücknahme des Bescheides vom 03.11.1994 scheitert an § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X. Hiernach darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Da die Witwenrente zur Sicherstellung des laufenden Lebensunterhalts der Klägerin dient, ist ohne weiteres davon auszugehen, dass die erbrachten Leistungen verbraucht sind. Auch liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin auf den Bestand des Verwaltungsaktes nicht tatsächlich vertraut hätte. Die Klägerin kann sich auf dieses Vertrauen auch berufen. Die Berufung auf Vertrauen ist nicht gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X ausgeschlossen. Die Klägerin hat bei Antragstellung keine falsche Angaben i. S. d. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X gemacht, denn am 02.09.1994 stand sie nicht in einem Beschäftigungsverhältnis. Allerdings wäre die Klägerin grundsätzlich verpflichtet gewesen, die Beschäftigungsaufnahme ab 01.11.1994 mitzuteilen. Diese Pflicht ergibt sich aus § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I. Hiernach sind Änderungen in den Verhältnissen, über die in Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen. Nachdem die Klägerin zutreffend im Rentenantrag verneint hat, dass sie aktuell in einem Beschäftigungsverhältnis steht, hätte sie hiernach der Beklagten unverzüglich die Aufnahme der Beschäftigung am 01.11.1994 mitteilen müssen. Diese Mitteilungspflicht hat die Klägerin zwar objektiv verletzt, jedoch geschah dies nicht grob fahrlässig i. S. d. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X. Dem steht der genannte Hinweis im Bewilligungsbescheid vom 03.11.1994 entgegen. Hieraus durfte die Klägerin ohne den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit - der eine besonders schwere, schlechthin nicht nachvollziehbare Sorgfaltspflichtverletzung voraussetzt - annehmen, dass sie die am 01.11.1994 eingetretene Veränderung nicht mitteilen musste, denn es handelte sich um die Erzielung von Einkommen aus einer in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübten rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung. Es mag sein, dass die Beklagte diese Formulierung nicht so gemeint hat, und dass bei Anwendung juristischer Auslegungsmethoden dies auch deutlich wurde, indes ist der Klägerin als rentenrechtlichem Laien nicht vorzuwerfen, diese Vorschrift so verstanden zu haben, dass sie die Beschäftigungsaufnahme ab 01.11.1994 nicht mitteilen muss, wenn - wie hier - die Beschäftigung ordnungsgemäß angemeldet war. Aus diesem Grund trifft die Klägerin auch nicht der Vorwurf, gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt zu haben.
Die Beklagte kann ihre Entscheidung auch nicht auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X stützen. Zwar ermöglicht diese Vorschrift auch bei ursprünglich rechtswidrigen Verwaltungsakten bei Eintritt von wesentlichen Veränderungen eine Aufhebung. Wenn die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 vorliegen, soll der Verwaltungsakt mit Wirkung von Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden. Die Anrechnung von Einkommen unterfällt grundsätzlich der Regelung des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X, so dass der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden soll. Indes kann die Beklagte sich auf diese vertrauensschutzlose Anrechnungsvorschrift mit Wirkung für die Vergangenheit nicht berufen, wenn sich in Anwendung von § 45 SGB X der Vertrauensschutz gerade darauf bezieht, dass eine Leistung ohne Anrechnung von Einkommen bewilligt wird.
Da bereits die Voraussetzungen für eine Rücknahme nach §§ 45 und 48 SGB X mithin nicht vorliegen, brauchte die Kammer nicht näher zu prüfen, ob die Beklagte ihr Rückforderungsrecht nach § 50 Abs. 1 SGB X verwirkt hat (hierzu BSG, Urteil vom 22.04.1987 – 10 RKg 16/85). Denn es kann durchaus als Verstoß gegen das auch ein öffentlich-rechtliches Sozialversicherungsverhältnis prägende Prinzip von Treu und Glauben angesehen werden, eine Überprüfung trotz ordnungsgemäßer Meldung der Beschäftigung erst nach knapp 12 Jahren nach Rentenbeginn vorzunehmen. Es ist gerichtsbekannt, dass die Beklagte bereits im Jahre 1994 über eine EDV-Ausstattung verfügte, die es ihr ermöglichte, auch verschiedene Versicherungskonten miteinander abzugleichen. Die Möglichkeit hierzu wird im vorliegenden Fall dadurch belegt, dass es der Beklagten im Jahre 2006 ohne weiteres gelungen ist, festzustellen, dass die Klägerin anrechnungsfrei Witwenrente und Arbeitseinkommen bezieht. Es ist nicht ersichtlich, was die Beklagte davon abgehalten hat, die entsprechende Überprüfung bereits früher einzuleiten und den Rückforderungsbetrag damit erheblich niedriger zu halten. Das für eine Verwirkung neben dem Zeitmoment erforderliche Umstandsmoment (hierzu ausführlich Heinrichs, in: Palandt, BGB, 65 Aufl. § 242 Rnr. 93 f.) kann im vorliegenden Fall in dem erwähnten Hinweis hinsichtlich der Nichtmeldung von Einkommensveränderungen im Rentenbescheid gesehen werden (zum Rechtsgedanken der Verwirkung bei der Rückforderung von überzahlten Renten, vgl. auch Urteil der Kammer vom 15.04.2005 - S 8 R 24/05 -).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung und Rückforderung von Witwenrente wegen anzurechnenden Einkommens in Höhe von 11.807,67 EUR für die Zeit vom 01.11.1994 bis zum 30.09.2006.
Die am 00.00.1961 geborene Klägerin war mit dem am 00.00.1994 verstorbenen H (Versicherter) verheiratet. Die Klägerin beantragte am 02.09.1994 Witwenrente beim Versicherungsamt der Stadt T. In der "Anlage zum Antrag auf Hinterbliebenenrente" verneinte die Klägerin die Frage nach dem Bezug von Arbeitsentgelt. Sie verneinte ebenfalls die Frage nach Einkommen im letzten Kalenderjahr vor Beginn der Rente. Die Klägerin hatte wegen der Betreuung und Erziehung eines Pflegekindes bis zum 31.10.1994 Erziehungsurlaub. Vom 01.05.1994 bis zum 31.08.1994 übte sie eine Aushilfstätigkeit (Urlaubsvertretung) beim Arbeitgeber aus. Ab 01.11.1994 stand die Klägerin nach Ende des Erziehungsurlaubs wieder in einem Beschäftigungsverhältnis.
Mit Bescheid vom 03.11.1994 bewilligte die Beklagte Große Witwenrente ab 30.08.1994. Ab 01.12.1994 bewilligte sie laufend 1.236,86 DM ohne Anrechnung von Einkommen. Der Bescheid enthielt Ausführungen zu den Mitteilungspflichten, auf deren den Beteiligten bekannten Inhalt verwiesen wird (Seite 4 f. des Bescheides).
Im August 2006 überprüfte die Beklagte von Amts wegen die Witwenrentenberechtigung. Sie stellte fest, dass die Klägerin ab 01.11.1994 laufend Arbeitseinkommen erzielte.
Nach Anhörung hob die Beklagte mit Bescheid vom 05.11.2006 den Bewilligungsbescheid vom 03.11.1994 für die Zeit ab dem 01.11.1994 in Höhe von 11.807, 67 EUR auf und forderte diesen Betrag zurück. Sie kündigte an, ab dem 01.01.2007 mit dieser Forderung gegen den laufenden Rentenanspruch in Höhe von 308,66 EUR monatlich gemäß § 51 Abs. 2 SGB I aufzurechnen. Die Beklagte stützte die Entscheidung auf § 45 SGB X. Die Klägerin könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen, weil sie unvollständige Angaben gemacht habe und die Rechtswidrigkeit des Bescheides kennen musste.
Im Widerspruchsverfahren berief die Klägerin sich auf ihr Vorbringen im Anhörungsverfahren. Hier trug sie insbesondere vor, der vom Versicherungsamt der Stadt T aufgenommene Antrag sei unsorgfältig aufgenommen worden. Das Versicherungsamt sei verpflichtet gewesen, präziser nachzufragen. Außerdem berief die Klägerin sich auf folgenden Text im Rentenbescheid vom 03.11.1994: "Die Meldung von Veränderungen erübrigt sich bei Einkommen aus einer in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübten rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit oder bei Renten aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung." Hieraus habe die Klägerin geschlossen, dass sie die Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit nach Ende des Erziehungsurlaubes nicht mitteilen muss.
Mit Bescheid vom 07.12.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin habe die Aufnahme des Beschäftigungsverhältnisses verschwiegen. Der Hinweis im Rentenbescheid beziehe sich nur auf die Meldung von Veränderungen bei gemeldetem Einkommen. Schließlich sei auch nicht von Bedeutung, dass der Arbeitgeber die ausgeübte Beschäftigung ordnungsgemäß gemeldet hat, denn die Meldung erfolge in das eigene Versicherungskonto der Klägerin, während die Witwenrente aus dem Versicherungskonto des verstorbenen Ehemannes geleistet werde.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 13.12.2006 erhobene Klage. Die Beteiligten wiederholen und vertiefen ihr bisheriges Vorbringen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 05.11.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.12.2006 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig i. S. d. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.
Die Beklagte kann die Entscheidung nicht auf § 45 SGB X stützen. Allerdings ist der Rentenbescheid vom 03.11.1994 von Beginn an rechtswidrig i. S. d. § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB X, denn die laufende Rentenzahlung ab 01.12.1994 hätte gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI nur unter Anrechnung von Einkommen bewilligt werden dürfen. Lediglich im "Sterbevierteljahr" (§ 67 Nr. 6 SGB VI) wurde die Rente gemäß § 97 Abs. 1 Satz 2 SGB VI zutreffend ohne Einkommensanrechnung bewilligt. Da der Bescheid vom 03.11.1994 jedoch auch die laufende Rente ab 01.12.1994 regelt, ist dieser als von Beginn an rechtswidrig i. S. d. § 45 SGB X anzusehen.
Die Rücknahme des Bescheides vom 03.11.1994 scheitert an § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X. Hiernach darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Da die Witwenrente zur Sicherstellung des laufenden Lebensunterhalts der Klägerin dient, ist ohne weiteres davon auszugehen, dass die erbrachten Leistungen verbraucht sind. Auch liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin auf den Bestand des Verwaltungsaktes nicht tatsächlich vertraut hätte. Die Klägerin kann sich auf dieses Vertrauen auch berufen. Die Berufung auf Vertrauen ist nicht gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X ausgeschlossen. Die Klägerin hat bei Antragstellung keine falsche Angaben i. S. d. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X gemacht, denn am 02.09.1994 stand sie nicht in einem Beschäftigungsverhältnis. Allerdings wäre die Klägerin grundsätzlich verpflichtet gewesen, die Beschäftigungsaufnahme ab 01.11.1994 mitzuteilen. Diese Pflicht ergibt sich aus § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I. Hiernach sind Änderungen in den Verhältnissen, über die in Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen. Nachdem die Klägerin zutreffend im Rentenantrag verneint hat, dass sie aktuell in einem Beschäftigungsverhältnis steht, hätte sie hiernach der Beklagten unverzüglich die Aufnahme der Beschäftigung am 01.11.1994 mitteilen müssen. Diese Mitteilungspflicht hat die Klägerin zwar objektiv verletzt, jedoch geschah dies nicht grob fahrlässig i. S. d. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X. Dem steht der genannte Hinweis im Bewilligungsbescheid vom 03.11.1994 entgegen. Hieraus durfte die Klägerin ohne den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit - der eine besonders schwere, schlechthin nicht nachvollziehbare Sorgfaltspflichtverletzung voraussetzt - annehmen, dass sie die am 01.11.1994 eingetretene Veränderung nicht mitteilen musste, denn es handelte sich um die Erzielung von Einkommen aus einer in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübten rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung. Es mag sein, dass die Beklagte diese Formulierung nicht so gemeint hat, und dass bei Anwendung juristischer Auslegungsmethoden dies auch deutlich wurde, indes ist der Klägerin als rentenrechtlichem Laien nicht vorzuwerfen, diese Vorschrift so verstanden zu haben, dass sie die Beschäftigungsaufnahme ab 01.11.1994 nicht mitteilen muss, wenn - wie hier - die Beschäftigung ordnungsgemäß angemeldet war. Aus diesem Grund trifft die Klägerin auch nicht der Vorwurf, gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt zu haben.
Die Beklagte kann ihre Entscheidung auch nicht auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X stützen. Zwar ermöglicht diese Vorschrift auch bei ursprünglich rechtswidrigen Verwaltungsakten bei Eintritt von wesentlichen Veränderungen eine Aufhebung. Wenn die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 vorliegen, soll der Verwaltungsakt mit Wirkung von Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden. Die Anrechnung von Einkommen unterfällt grundsätzlich der Regelung des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X, so dass der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden soll. Indes kann die Beklagte sich auf diese vertrauensschutzlose Anrechnungsvorschrift mit Wirkung für die Vergangenheit nicht berufen, wenn sich in Anwendung von § 45 SGB X der Vertrauensschutz gerade darauf bezieht, dass eine Leistung ohne Anrechnung von Einkommen bewilligt wird.
Da bereits die Voraussetzungen für eine Rücknahme nach §§ 45 und 48 SGB X mithin nicht vorliegen, brauchte die Kammer nicht näher zu prüfen, ob die Beklagte ihr Rückforderungsrecht nach § 50 Abs. 1 SGB X verwirkt hat (hierzu BSG, Urteil vom 22.04.1987 – 10 RKg 16/85). Denn es kann durchaus als Verstoß gegen das auch ein öffentlich-rechtliches Sozialversicherungsverhältnis prägende Prinzip von Treu und Glauben angesehen werden, eine Überprüfung trotz ordnungsgemäßer Meldung der Beschäftigung erst nach knapp 12 Jahren nach Rentenbeginn vorzunehmen. Es ist gerichtsbekannt, dass die Beklagte bereits im Jahre 1994 über eine EDV-Ausstattung verfügte, die es ihr ermöglichte, auch verschiedene Versicherungskonten miteinander abzugleichen. Die Möglichkeit hierzu wird im vorliegenden Fall dadurch belegt, dass es der Beklagten im Jahre 2006 ohne weiteres gelungen ist, festzustellen, dass die Klägerin anrechnungsfrei Witwenrente und Arbeitseinkommen bezieht. Es ist nicht ersichtlich, was die Beklagte davon abgehalten hat, die entsprechende Überprüfung bereits früher einzuleiten und den Rückforderungsbetrag damit erheblich niedriger zu halten. Das für eine Verwirkung neben dem Zeitmoment erforderliche Umstandsmoment (hierzu ausführlich Heinrichs, in: Palandt, BGB, 65 Aufl. § 242 Rnr. 93 f.) kann im vorliegenden Fall in dem erwähnten Hinweis hinsichtlich der Nichtmeldung von Einkommensveränderungen im Rentenbescheid gesehen werden (zum Rechtsgedanken der Verwirkung bei der Rückforderung von überzahlten Renten, vgl. auch Urteil der Kammer vom 15.04.2005 - S 8 R 24/05 -).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved