Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
23
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 23 (13) R 37/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 R 196/07
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die rückwirkende Neuberechnung der Erwerbsminderungsrente unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0.
Die Beklagte bewilligte der am 00.00.1951 geborenen Klägerin auf Grund eines im Verfahren S 11(4) RA 6/04 (Sozialgericht Aachen) angenommenen Anerkenntnisses mit Bescheid vom 14.12.2004 Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Zugrundelegung eines Leistungsfalles vom 10.01.2002 ab 01.08.2002 zunächst befristet zum 31.12.2005. Mit Bescheid vom 02.03.2005 erfolgte eine Neuberechnung der Rente. Ab dem 01.01.2006 erhielt die Klägerin Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit auf Grund des Bescheides vom 13.12.2005. Die Höhe dieser Rente bestimmt die Beklagte nach einem verminderten Zugangsfaktor von 0,940.
Am 28.12.2006 beantragte die Klägerin die Überprüfung der Rentenbescheide und die rückwirkende Neuberechnung der Rente unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0. Zur Begründung verwies sie auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16.05.2006 - B 4 RA 22/05 R. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 02.02.2007 ab. Zur Begründung führte sie aus, die Voraussetzungen einer Rücknahme nach § 44 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch (SGB X) lägen nicht vor, da weder das Recht unrichtig angewandt, noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen und die Rente in richtiger Höhe festgestellt worden sei. Die Regelung des § 77 Abs. 2 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch (SGB VI) werde so verstanden, dass Erwerbsminderungsrenten, die vor Vollendung des 60. Lebensjahres geleistet würden, auf die Abschlagshöhe begrenzt seien, die für den Zeitpunkt der Vollendung des 60. Lebensjahres gelte. Durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 (EM-Reformgesetz) solle insbesondere eine Ausweichreaktion der Versicherten auf eine abschlagsfreie Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit verhindert werden. Gleichzeitig sei die Zurechnungszeit nach § 59 SGB VI verlängert worden. Dies führe insbesondere bei einem frühzeitigen Eintritt der Erwerbsminderung zu einer Rentenerhöhung und damit zu einer Kompensation der über die gesamte Bezugsdauer hinzunehmenden Rentenkürzungen auf Grund des geringeren Zugangsfaktors. Dies werde insbesondere in dem maßgeblichen Übergangszeitraum deutlich.
Den hiergegen am 12.02.2007 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 29.03.2007 unter Wiederholung ihrer Ausführungen im Ausgangsbescheid zurück.
Am 25.04.2007 hat die Klägerin unter Bezugnahme auf ihr Vorbringen im Verwaltungsverfahren Klage erhoben.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 02.02.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.03.2007 zu verurteilen, ihr unter entsprechender Abänderung des Rentenbescheides vom 14.12.2004 in Gestalt des Bescheides vom 02.03.2005 sowie des Rentenbescheides vom 13.12.2005 ab 01.08.2002 höhere Rente wegen Erwerbsminderung unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, die bei der Entscheidung vorgelegen haben, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten hiermit übereinstimmend einverstanden erklärt haben, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin wird durch den angefochtenen Bescheid vom 02.02.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.03.2007 nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG beschwert, da dieser nicht rechtswidrig ist.
Gemäß § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem dieser unanfechtbar geworden ist, nach der hier einzig in Betracht kommenden Variante mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass dieses Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Dies ist nicht der Fall. Die Beklagte hat zu Recht den Antrag auf Neuberechnung der Erwerbsminderungsrente unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0 abgelehnt.
Die Berechnung des Zugangsfaktors bestimmt sich nach dem durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 (BGBl. I S. 1827) mit Wirkung zum 01.01.2001 neu gefassten § 77 SGB VI. Auf der Grundlage des § 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 2 S. 2 SGB VI in Verbindung mit § 264c SGB VI und der Anlage 23 zum SGB VI hat die Beklagte zutreffend den für die Erwerbsminderungsrente maßgeblichen Zugangsfaktor mit 0,940 bestimmt, indem sie den Regelzugangsfaktor von 1,0 für 20 Kalendermonate um je 0,003, insgesamt also um 0,060 gemindert hat.
Entgegen der Rechtsauffassung des BSG (Urteil vom 16.05.2006 - B 4 RA 22/05 R -) steht die von der Beklagten vorgenommene Berechnung der Rente unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 0,940 auch mit den gesetzlichen Vorschriften in Einklang. Die Rechtmäßigkeit der Minderung des Zugangsfaktors vor Vollendung des 60. Lebensjahres hat die 8. Kammer des SG Aachen (Urteil vom 09.02.2007 - S 8 R 96/06 -) wie folgt begründet:
"Allerdings entspricht die Entscheidung der Beklagten nicht dem Urteil des BSG vom 16.05.2006 - B 4 RA 22/05 R -. Nach dieser Entscheidung unterliegen Erwerbsminderungsrentner, die - wie der Kläger - bei Rentenbeginn das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, Rentenabschlägen nur, wenn sie Rente über das 60. Lebens-jahr hinaus beziehen. Das BSG interpretiert die für die Berechnung des Zugangsfaktors maßgebende Vorschrift des § 77 SGB VI entsprechend: Gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI ist der Zugangsfaktor für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren, bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalen-dermonats der Vollendung des 63. Lebensjahrs in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0. Beginnt eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres, ist gemäß § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI die Vollen-dung des 60. Lebensjahres für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend. Die Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres des Versicherten gilt gemäß § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme. Nach der Rechtsprechung des 4. Senates des BSG seien Bezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres vom Gesetz gerade nicht als Zeiten eines "vorzeitigen Rentenbezuges" bestimmt. Allein eine derartige Interpretation sei verfassungsgemäß. Die Verminderung des Zugangsfaktors durchbreche das "Prinzip der Vorleistungsbezogenheit der Rente". Dieses Prinzip werde technisch im Gesetz dadurch verwirklicht, dass der Zugangsfaktor grundsätzlich als Faktor 1,0 anzusetzen und damit rechnerisch ohne Bedeutung für Rentenberechnung sei. Jede Durchbrechung des Prinzips der Vorleistungsbezogenheit der Rente bedürfe der ausdrücklichen Bestimmung durch ein verfassungsgemäßes Gesetz. Erst ab dem Zeitpunkt, ab dem die Erwerbsminderungsrente "vorzeitig" in Anspruch genommen wird, könne ohne verfassungswidrige Willkür eine Nichtbeachtung der Vorleistung, die der Versicherte für die Rentenversicherung erbracht hat, in Betracht kommen. Nur eine vorzeitige Inanspruchnahme sei ein Sachgrund für die "Nichtberücksichtigung eines Teils der Vorleistung". Die am 01. Januar 2001 in Kraft getretene Neufassung des § 63 Abs. 5 SGB VI, wonach Vorteile und Nachteile einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer durch einen Zugangsfaktor vermieden werden, beziehe sich nur auf die Zeit ab Vollendung des 60. Lebensjahrs. Erst ab diesem Zeitpunkt seien Ausweichreaktionen aus der nur bei Inkaufnahme von Abschlägen in Anspruch zu nehmenden vorzeitigen Altersrente auf die Erwerbsminderungsrente denkbar. Da prägender Leitgedanke für die Einbeziehung der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit in die Regelungen über den Zugangsfaktor gewesen sei, die Höhe der Erwerbsminderungsrente an die Höhe der vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrente anzupassen, werde auch durch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes zur Reform der Erwerbsminderungsrenten bestätigt, dass eine Reduzierung des Zugangsfaktors erst ab Vollendung des 60. Lebensjahrs in Betracht kommt. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass ebenfalls ab 01.01.2001 die Zurechnungszeiten für die Versicherten, die bereits vor Vollendung des 60. Lebensjahrs erwerbsgemindert sind und Rente beziehen, verlängert wurden.
Die Entscheidung des BSG ist zu Recht in der Literatur auf Kritik gestoßen (Plagemann, in: JurisPR-SozR 20/2006; von Koch/Kolakowski, SGb 2007, 71 f.) und die Rentenversicherungsträger folgen der Entscheidung zu Recht nicht: Die Entscheidung steht im Widerspruch zur - soweit ersichtlich - unbestrittenen Auffassung in der gesamten Rentenliteratur (vgl. nur Polster, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 77 SGB VI Rdnr. 21; Silber in: LPK-SGB VI, § 77 Rdnr. 8; Plagemann a.a.O. mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
Die Kammer entnimmt bereits der gesetzlichen Formulierung, dass die auch im angefochtenen Bescheid angewandte Verwaltungspraxis der Beklagten durch den Gesetzgeber angeordnet ist, so dass bei Annahme einer Verfassungswidrigkeit eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Artikel 100 Abs. 1 GG geboten gewesen wäre: Gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI ist die Verminderung des Zugangsfaktors bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahrs in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0. Diese Vorschrift ist für sich genommen nicht ausreichend, weil sie zur Folge haben könnte - wie auch das BSG in der genannten Entscheidung darlegt -, dass der Zugangsfaktor auf 0 absinkt und deshalb keine Rente bewilligt würde. Deshalb musste das Gesetz eine Regelung dazu vorsehen, welcher Abschlag maximal vom Versicherten in Kauf genommen werden muss. Diese Regelung ist in § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI enthalten: Beginnt eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres, ist die Vollendung des 60. Lebensjahrs für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend. Hieraus ergibt sich, dass die Verminderung des Zugangsfaktors bei Inanspruchnahme einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 63. Lebensjahrs auf 36 x 0,003 = 0,108 begrenzt ist. Nur insoweit - also hinsichtlich der Berechnung der höchstmöglichen Reduzierung des Zugangsfaktors - bestimmt § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI, dass die Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahrs des Versicherten nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme gilt (in diesem Sinne auch: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 13.12.2006 - L 2 R 466/06 ER -; zur Bedeutung von § 77 Abs. 2 S. 3 SGB VI für § 77 Abs. 3 SGB VI näher von Koch/Kolakowski a.a.O.).
Diese sich aus dem Wortlaut des Gesetzes ergebende Interpretation wird durch die Gesetzesmaterialien bestätigt: Durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 (BGBl. I, 1827) sollte die Höhe der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit an die der vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrenten angepasst werden (BT-Drucksache 14/4230 Seite 1, 26). Zwar war Sinn der Neuregelung auch, Ausweichreaktionen von den Altersrenten, die nur bei Inkaufnahme von Abschlägen vorzeitig in Anspruch genommen werden können, in die Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit entgegen zu wirken (BT-Drucksache 14/4230, Seite 26 zu Nr. 22). Insofern ist dem BSG dahingehend Recht zu geben, dass eine solche Ausweichreaktion nur bei Personen stattfinden kann, die das 60. Lebensjahr vollendet haben. Dennoch hat der Gesetzgeber generell zum Ziel gehabt, Vorteile eines längeren Rentenbezuges durch einen verminderten Zugangsfaktor auszugleichen (BT-Drucksache 14/4230, Seite 26 zu Nr. 16). Der Gesetzesbegründung ist an keiner Stelle zu entnehmen, dass ein solcher verminderter Zugangsfaktor lediglich für Versicherte gelten soll, die das 60. Lebensjahr vollendet haben. Im Gegenteil geht die Gesetzesbegründung generell davon aus, dass die Höhe der Erwerbsminderungsrenten an die Höhe der vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrenten in der Weise angeglichen wird, dass die Renten mit einem Abschlag von höchstens 10,8 % versehen werden (BT-Drucksache 14/4230 Seite 24). Aus dieser Formulierung ist zwar nur indirekt aber dennoch zwingend zu entnehmen, dass der Gesetzgeber davon ausging, dass die Verringerung des Zugangsfaktors auch Erwerbsminderungsrenten erfasst, die vor Vollendung des 60. Lebensjahrs in Anspruch genommen werden. Denn eine Begrenzung des "Abschlags" auf höchstens 10,8 % braucht nur dann ausdrücklich erwähnt zu werden, wenn sich ohne eine ausdrückliche entsprechende Formulierung ein höherer Abschlag errechnen könnte. Dies ist bei isolierter Betrachtung von § 77 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI - wie dargestellt - der Fall. Schließlich ist das Ergebnis der Rechtsprechung des BSG nicht mit der ebenfalls durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit eingeführten, ab 01.01.2001 geltenden Verlängerung der Zurechnungszeit - von der auch der Kläger profitiert - zu vereinbaren. Bis zum 31.12.2000 endete gemäß § 59 Abs. 3 SGB VI a. F. die Zurechnungszeit mit dem Zeitpunkt, der sich ergibt, wenn die Zeit bis zum vollendeten 55. Lebensjahr in vollem Umfang, die darüber hinausgehende Zeit bis zum vollendeten 60. Lebensjahr zu einem Drittel hinzugerechnet wird. Seit dem 01.01.2001 endet die Zurechnungszeit gemäß § 59 Abs. 2 Satz 2 SGB VI erst mit Vollendung des 60. Lebensjahrs. Nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers (BT-Drucksache 14/4230 Seite 24, 26) sollten die Auswirkungen der Verminderung des Zugangsfaktors dadurch abgemindert werden, dass die Zeit zwischen dem vollendeten 55. und 60. Lebensjahr künftig voll als Zurechnungszeit angerechnet wird. Die Kammer hält es nicht für angängig, entgegen dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers bei einem Regelungskomplex - hier dem Zusammenspiel der Verlängerung der Zurechnungszeit mit der Verminderung des Zugangsfaktors - einen Teil des Regelungskomplexes für verfassungswidrig zu erklären, den anderen - begünstigenden - Teil hingegen unangetastet zu lassen (ebenso Plagemann a.a.O.). Dann nämlich würde - vollständig entgegen der Intention des Gesetzgebers - anstelle einer Verminderung der vorzeitigen in Anspruch genommenen Erwerbsminderungsrenten deren Erhöhung die Folge sein.
Wegen der Verlängerung der Zurechnungszeit hält die Kammer schließlich den verfassungsrechtlichen Ausgangspunkt der Argumentation des BSG nicht für stichhaltig (ebenso von Koch/Kolakowski a.a.O.): Das BSG hält den Zugangsfaktor von 1,0 wohl aufgrund des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG für verfassungsrechtlich geboten. Voraussetzung für einen Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen nach Art. 14 Abs. 1 GG ist eine vermögenswerte Rechtsposition, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechtes dem Rechtsträger als privatnützig zugeordnet ist. Diese genießt den Schutz der Eigentumsgarantie dann, wenn sie auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des Versicherten beruht (zum Schutz sozialversicherungsrechtliche Ansprüche durch Art. 14 Abs. 1 GG vgl. BVerfG, Urteil vom 16.07.1985 - 1 BvL 5/80 = BVerfGE 69, 272 (300 f.); Lenze, NRW 2003, 1427; Neumann, NZS 1998, 401). Das BVerfG hat hierbei einen abgestuften Eigentumsschutz entwickelt: In dem durch Beitragsäquivalenz geprägten Leistungsbereich ist der Eigentumsschutz intensiver, als im sonstigen Bereich der Bewilligung von Leistungsanteilen ohne oder mit nur geminderter Beitragsleistung, hier verfügt der Gesetzgeber über einen weiteren Gestaltungsspielraum (zu Ausbildungs-Ausfallzeiten: BVerfG, Beschluss vom 01.07.1981 – 1 BvR 874/77 = BVerfGE 58, 81 = SozR 2200 § 1255a Nr. 7). Das Prinzip der Beitragsbezogenheit des Eigentumsschutzes rentenversicherungsrechtlicher Positionen wurde jüngst durch das BVerfG in der Entscheidung vom 13.06.2006 (1 BvL 9/00 ) bestätigt. Nach dieser Entscheidung unterliegen die durch das Fremdrentengesetz begründeten Anwartschaften nicht dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, wenn ihnen ausschließlich Beitrags- und Beschäftigungszeiten zugrunde liegen, die in den Herkunftsgebieten erbracht oder zurückgelegt wurden. Bei der Anerkennung der Zurechnungszeit und insbesondere auch deren Verlängerung handelt es sich um dem Kläger zugute kommende rentenrechtliche Zeiten, die nicht auf Beitrags- und Beschäftigungszeiten beruhen. Wenn auch für einen Versicherungsverlauf, in dem derartige Zeiten enthalten sind, der ungeminderte Zugangsfaktor von 1,0 verfassungsrechtlich geboten wäre, würden auch diese Zeiten dem uneingeschränkten Eigentumsschutz des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG unterworfen. Ein derartiges Ergebnis lässt sich aus der Rechtsprechung des BVerfG zum abgestuften Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen nicht ableiten."
Diesen überzeugenden Erwägungen der 8. Kammer schließt sich die erkennende Kammer in vollem Umfang an.
Die Rechtsauffassung des BSG (Urteil vom 16.05.2006, a.a.O.) ist zwischenzeitlich in Rechtsprechung (z.B. SG Aachen, Urteil vom 20.03.2007 - S 13 R 76/06 -; Urteil vom 29.06.2007 - S 6 R 319/06 -; SG Detmold, Urteil vom 26.06.2007 - S 20 R 68/05 -; SG Saarland, Gerichtsbescheid vom 08.05.2007 - S 14 R 82/07 -; SG Augsburg, Urteil vom 23.04.2007 - S 3 R 26/07 -; SG Köln, Urteil vom 12.04.2007 - S 29 (25) R 337/06 -; SG Altenburg, Urteil vom 22.03.2007 - S 14 KN 64/07 -; kritisch auch LSG NSB, Beschluss vom 13.12.2006 - L 2 R 466/06 ER -; a.A. LSG NRW, Urteil vom 25.04.2007 - L 8 R 185/06; LSG Saarland, Urteil vom 09.02.2007 - L 7 R 40/06 -) sowie Literatur (z.B. Ruland, NJW 2007, 2086 ff.; Bredt, NZS 2007, 192 ff.) auf Kritik gestoßen. Auch die Bundesregierung hat in Beantwortung verschiedener parlamentarischer Anfragen die weiterhin praktizierte Vorgehensweise der Rentenversicherungsträger als der Intention des Gesetzgebers entsprechend begrüßt (vgl. z.B. BT-Drs. 16/3710, S. 5; vgl. auch BT-Drs. 16/2176 sowie BT-Plenarprotokoll 16/72, S. 7183 f.). Schließlich lassen sich auch der Begründung des Gesetzentwurfs zum RV-Altersgrenzenanpassungsgsetz (BGBl. I S. 554) deutliche Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Rechtsauffassung des BSG nicht der ursprünglichen Intention des Gesetzgebers entspricht. Diese enthält den ausdrücklichen Hinweis, dass die Minderung des Zugangsfaktors nach der ursprünglichen Zielsetzung des Gesetzes in allen Fällen vorgenommen werden müsse, in denen die Rente vor Vollendung des 63. Lebensjahres beginne, also auch dann, wenn diese in jungen Jahren in Anspruch genommen werde (BT-Drs. 16/3794, S. 36).
Ergänzend merkt die Kammer an, dass sich der Ausschluss einer Minderung des Zugangsfaktors insbesondere nicht mit dem Wortlaut des § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI begründen lässt. Diese Vorschrift muss vielmehr im Zusammenhang mit § 77 Abs. 3 S. 1 SGB VI verstanden werden, wonach für diejenigen Entgeltpunkte, die bereits Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer früheren Rente waren, der frühere Zugangsfaktor maßgebend bleibt. Anderenfalls hätte die Regelung des § 77 Abs. 3 S. 1 SGB VI zur Folge, dass der verminderte Zugangsfaktor einer vor Vollendung des 60. Lebensjahres bezogenen Erwerbsminderungsrente auch im Rahmen einer später zu gewährenden Rente wegen Alters zu berücksichtigen wäre. Die Regelung des § 77 Abs. 2 S. 3 SGB VI dient damit dazu, diese vom Gesetzgeber unerwünschte Rechtsfolge zu vermeiden (SG Aachen, Urteil vom 15.05.2007 - S 13 (4) R 55/07 - m.w.N.). Nichts anderes ergibt sich auch aus der Übergangsregelung des § 264c SGB VI in Verbindung mit Anlage 23 zum SGB VI. Hierbei handelt es sich ausschließlich um eine Modifizierung der allgemeinen Berechnungsregel des § 77 Abs. 2 S. 2 SGB VI. Zwar sind die Zeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres nicht als "maßgebendes Lebensalter" in die Anlage mit aufgenommen worden. Auch dies steht jedoch der von der Beklagten vertretenen Rechtsauffassung nicht entgegen, da es der Aufnahme dieser Zeiten nicht bedurfte. Die Einbeziehung wäre vielmehr nur dann erforderlich gewesen, wenn auch die Zeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres bei der Berechnung des Zugangsfaktors im Sinne einer weiteren Minderung Berücksichtigung finden müssten (wie hier SG Aachen, Urteil vom 29.06.2007 - S 6 R 319/06 -; SG Detmold, Urteil vom 26.06.2007 - S 20 R 68/05 -).
Soweit danach eine Minderung des Zugangsfaktors vor Vollendung des 60. Lebensjahres nicht zu beanstanden ist, hat die Beklagte den Zugangsfaktor zutreffend mit 0,940 berechnet. Die Klägerin hat die Rente wegen Erwerbsminderung vor Vollendung des 60. Lebensjahres in Anspruch genommen. Soweit die Rente jedoch zum 01.08.2002 und damit vor dem 01.01.2004 begonnen hat, bestimmt sich das für die Ermittlung des Zugangsfaktors maßgebliche Lebensalter nach der Übergangsvorschrift des § 264c SGB VI in Verbindung mit der Anlage 23 zum SGB VI. Unter Zugrundelegung des damit maßgeblichen Lebensalters von 61 Jahren und 4 Monaten hat die Beklagte zutreffend den Regelzugangsfaktor von 1,0 für 20 Kalendermonate um je 0,003, insgesamt also um 0,060, gemindert.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die rückwirkende Neuberechnung der Erwerbsminderungsrente unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0.
Die Beklagte bewilligte der am 00.00.1951 geborenen Klägerin auf Grund eines im Verfahren S 11(4) RA 6/04 (Sozialgericht Aachen) angenommenen Anerkenntnisses mit Bescheid vom 14.12.2004 Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Zugrundelegung eines Leistungsfalles vom 10.01.2002 ab 01.08.2002 zunächst befristet zum 31.12.2005. Mit Bescheid vom 02.03.2005 erfolgte eine Neuberechnung der Rente. Ab dem 01.01.2006 erhielt die Klägerin Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit auf Grund des Bescheides vom 13.12.2005. Die Höhe dieser Rente bestimmt die Beklagte nach einem verminderten Zugangsfaktor von 0,940.
Am 28.12.2006 beantragte die Klägerin die Überprüfung der Rentenbescheide und die rückwirkende Neuberechnung der Rente unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0. Zur Begründung verwies sie auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16.05.2006 - B 4 RA 22/05 R. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 02.02.2007 ab. Zur Begründung führte sie aus, die Voraussetzungen einer Rücknahme nach § 44 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch (SGB X) lägen nicht vor, da weder das Recht unrichtig angewandt, noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen und die Rente in richtiger Höhe festgestellt worden sei. Die Regelung des § 77 Abs. 2 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch (SGB VI) werde so verstanden, dass Erwerbsminderungsrenten, die vor Vollendung des 60. Lebensjahres geleistet würden, auf die Abschlagshöhe begrenzt seien, die für den Zeitpunkt der Vollendung des 60. Lebensjahres gelte. Durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 (EM-Reformgesetz) solle insbesondere eine Ausweichreaktion der Versicherten auf eine abschlagsfreie Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit verhindert werden. Gleichzeitig sei die Zurechnungszeit nach § 59 SGB VI verlängert worden. Dies führe insbesondere bei einem frühzeitigen Eintritt der Erwerbsminderung zu einer Rentenerhöhung und damit zu einer Kompensation der über die gesamte Bezugsdauer hinzunehmenden Rentenkürzungen auf Grund des geringeren Zugangsfaktors. Dies werde insbesondere in dem maßgeblichen Übergangszeitraum deutlich.
Den hiergegen am 12.02.2007 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 29.03.2007 unter Wiederholung ihrer Ausführungen im Ausgangsbescheid zurück.
Am 25.04.2007 hat die Klägerin unter Bezugnahme auf ihr Vorbringen im Verwaltungsverfahren Klage erhoben.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 02.02.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.03.2007 zu verurteilen, ihr unter entsprechender Abänderung des Rentenbescheides vom 14.12.2004 in Gestalt des Bescheides vom 02.03.2005 sowie des Rentenbescheides vom 13.12.2005 ab 01.08.2002 höhere Rente wegen Erwerbsminderung unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, die bei der Entscheidung vorgelegen haben, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten hiermit übereinstimmend einverstanden erklärt haben, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin wird durch den angefochtenen Bescheid vom 02.02.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.03.2007 nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG beschwert, da dieser nicht rechtswidrig ist.
Gemäß § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem dieser unanfechtbar geworden ist, nach der hier einzig in Betracht kommenden Variante mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass dieses Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Dies ist nicht der Fall. Die Beklagte hat zu Recht den Antrag auf Neuberechnung der Erwerbsminderungsrente unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0 abgelehnt.
Die Berechnung des Zugangsfaktors bestimmt sich nach dem durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 (BGBl. I S. 1827) mit Wirkung zum 01.01.2001 neu gefassten § 77 SGB VI. Auf der Grundlage des § 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 2 S. 2 SGB VI in Verbindung mit § 264c SGB VI und der Anlage 23 zum SGB VI hat die Beklagte zutreffend den für die Erwerbsminderungsrente maßgeblichen Zugangsfaktor mit 0,940 bestimmt, indem sie den Regelzugangsfaktor von 1,0 für 20 Kalendermonate um je 0,003, insgesamt also um 0,060 gemindert hat.
Entgegen der Rechtsauffassung des BSG (Urteil vom 16.05.2006 - B 4 RA 22/05 R -) steht die von der Beklagten vorgenommene Berechnung der Rente unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 0,940 auch mit den gesetzlichen Vorschriften in Einklang. Die Rechtmäßigkeit der Minderung des Zugangsfaktors vor Vollendung des 60. Lebensjahres hat die 8. Kammer des SG Aachen (Urteil vom 09.02.2007 - S 8 R 96/06 -) wie folgt begründet:
"Allerdings entspricht die Entscheidung der Beklagten nicht dem Urteil des BSG vom 16.05.2006 - B 4 RA 22/05 R -. Nach dieser Entscheidung unterliegen Erwerbsminderungsrentner, die - wie der Kläger - bei Rentenbeginn das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, Rentenabschlägen nur, wenn sie Rente über das 60. Lebens-jahr hinaus beziehen. Das BSG interpretiert die für die Berechnung des Zugangsfaktors maßgebende Vorschrift des § 77 SGB VI entsprechend: Gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI ist der Zugangsfaktor für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren, bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalen-dermonats der Vollendung des 63. Lebensjahrs in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0. Beginnt eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres, ist gemäß § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI die Vollen-dung des 60. Lebensjahres für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend. Die Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres des Versicherten gilt gemäß § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme. Nach der Rechtsprechung des 4. Senates des BSG seien Bezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres vom Gesetz gerade nicht als Zeiten eines "vorzeitigen Rentenbezuges" bestimmt. Allein eine derartige Interpretation sei verfassungsgemäß. Die Verminderung des Zugangsfaktors durchbreche das "Prinzip der Vorleistungsbezogenheit der Rente". Dieses Prinzip werde technisch im Gesetz dadurch verwirklicht, dass der Zugangsfaktor grundsätzlich als Faktor 1,0 anzusetzen und damit rechnerisch ohne Bedeutung für Rentenberechnung sei. Jede Durchbrechung des Prinzips der Vorleistungsbezogenheit der Rente bedürfe der ausdrücklichen Bestimmung durch ein verfassungsgemäßes Gesetz. Erst ab dem Zeitpunkt, ab dem die Erwerbsminderungsrente "vorzeitig" in Anspruch genommen wird, könne ohne verfassungswidrige Willkür eine Nichtbeachtung der Vorleistung, die der Versicherte für die Rentenversicherung erbracht hat, in Betracht kommen. Nur eine vorzeitige Inanspruchnahme sei ein Sachgrund für die "Nichtberücksichtigung eines Teils der Vorleistung". Die am 01. Januar 2001 in Kraft getretene Neufassung des § 63 Abs. 5 SGB VI, wonach Vorteile und Nachteile einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer durch einen Zugangsfaktor vermieden werden, beziehe sich nur auf die Zeit ab Vollendung des 60. Lebensjahrs. Erst ab diesem Zeitpunkt seien Ausweichreaktionen aus der nur bei Inkaufnahme von Abschlägen in Anspruch zu nehmenden vorzeitigen Altersrente auf die Erwerbsminderungsrente denkbar. Da prägender Leitgedanke für die Einbeziehung der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit in die Regelungen über den Zugangsfaktor gewesen sei, die Höhe der Erwerbsminderungsrente an die Höhe der vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrente anzupassen, werde auch durch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes zur Reform der Erwerbsminderungsrenten bestätigt, dass eine Reduzierung des Zugangsfaktors erst ab Vollendung des 60. Lebensjahrs in Betracht kommt. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass ebenfalls ab 01.01.2001 die Zurechnungszeiten für die Versicherten, die bereits vor Vollendung des 60. Lebensjahrs erwerbsgemindert sind und Rente beziehen, verlängert wurden.
Die Entscheidung des BSG ist zu Recht in der Literatur auf Kritik gestoßen (Plagemann, in: JurisPR-SozR 20/2006; von Koch/Kolakowski, SGb 2007, 71 f.) und die Rentenversicherungsträger folgen der Entscheidung zu Recht nicht: Die Entscheidung steht im Widerspruch zur - soweit ersichtlich - unbestrittenen Auffassung in der gesamten Rentenliteratur (vgl. nur Polster, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 77 SGB VI Rdnr. 21; Silber in: LPK-SGB VI, § 77 Rdnr. 8; Plagemann a.a.O. mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
Die Kammer entnimmt bereits der gesetzlichen Formulierung, dass die auch im angefochtenen Bescheid angewandte Verwaltungspraxis der Beklagten durch den Gesetzgeber angeordnet ist, so dass bei Annahme einer Verfassungswidrigkeit eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Artikel 100 Abs. 1 GG geboten gewesen wäre: Gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI ist die Verminderung des Zugangsfaktors bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahrs in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0. Diese Vorschrift ist für sich genommen nicht ausreichend, weil sie zur Folge haben könnte - wie auch das BSG in der genannten Entscheidung darlegt -, dass der Zugangsfaktor auf 0 absinkt und deshalb keine Rente bewilligt würde. Deshalb musste das Gesetz eine Regelung dazu vorsehen, welcher Abschlag maximal vom Versicherten in Kauf genommen werden muss. Diese Regelung ist in § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI enthalten: Beginnt eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres, ist die Vollendung des 60. Lebensjahrs für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend. Hieraus ergibt sich, dass die Verminderung des Zugangsfaktors bei Inanspruchnahme einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 63. Lebensjahrs auf 36 x 0,003 = 0,108 begrenzt ist. Nur insoweit - also hinsichtlich der Berechnung der höchstmöglichen Reduzierung des Zugangsfaktors - bestimmt § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI, dass die Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahrs des Versicherten nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme gilt (in diesem Sinne auch: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 13.12.2006 - L 2 R 466/06 ER -; zur Bedeutung von § 77 Abs. 2 S. 3 SGB VI für § 77 Abs. 3 SGB VI näher von Koch/Kolakowski a.a.O.).
Diese sich aus dem Wortlaut des Gesetzes ergebende Interpretation wird durch die Gesetzesmaterialien bestätigt: Durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 (BGBl. I, 1827) sollte die Höhe der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit an die der vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrenten angepasst werden (BT-Drucksache 14/4230 Seite 1, 26). Zwar war Sinn der Neuregelung auch, Ausweichreaktionen von den Altersrenten, die nur bei Inkaufnahme von Abschlägen vorzeitig in Anspruch genommen werden können, in die Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit entgegen zu wirken (BT-Drucksache 14/4230, Seite 26 zu Nr. 22). Insofern ist dem BSG dahingehend Recht zu geben, dass eine solche Ausweichreaktion nur bei Personen stattfinden kann, die das 60. Lebensjahr vollendet haben. Dennoch hat der Gesetzgeber generell zum Ziel gehabt, Vorteile eines längeren Rentenbezuges durch einen verminderten Zugangsfaktor auszugleichen (BT-Drucksache 14/4230, Seite 26 zu Nr. 16). Der Gesetzesbegründung ist an keiner Stelle zu entnehmen, dass ein solcher verminderter Zugangsfaktor lediglich für Versicherte gelten soll, die das 60. Lebensjahr vollendet haben. Im Gegenteil geht die Gesetzesbegründung generell davon aus, dass die Höhe der Erwerbsminderungsrenten an die Höhe der vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrenten in der Weise angeglichen wird, dass die Renten mit einem Abschlag von höchstens 10,8 % versehen werden (BT-Drucksache 14/4230 Seite 24). Aus dieser Formulierung ist zwar nur indirekt aber dennoch zwingend zu entnehmen, dass der Gesetzgeber davon ausging, dass die Verringerung des Zugangsfaktors auch Erwerbsminderungsrenten erfasst, die vor Vollendung des 60. Lebensjahrs in Anspruch genommen werden. Denn eine Begrenzung des "Abschlags" auf höchstens 10,8 % braucht nur dann ausdrücklich erwähnt zu werden, wenn sich ohne eine ausdrückliche entsprechende Formulierung ein höherer Abschlag errechnen könnte. Dies ist bei isolierter Betrachtung von § 77 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI - wie dargestellt - der Fall. Schließlich ist das Ergebnis der Rechtsprechung des BSG nicht mit der ebenfalls durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit eingeführten, ab 01.01.2001 geltenden Verlängerung der Zurechnungszeit - von der auch der Kläger profitiert - zu vereinbaren. Bis zum 31.12.2000 endete gemäß § 59 Abs. 3 SGB VI a. F. die Zurechnungszeit mit dem Zeitpunkt, der sich ergibt, wenn die Zeit bis zum vollendeten 55. Lebensjahr in vollem Umfang, die darüber hinausgehende Zeit bis zum vollendeten 60. Lebensjahr zu einem Drittel hinzugerechnet wird. Seit dem 01.01.2001 endet die Zurechnungszeit gemäß § 59 Abs. 2 Satz 2 SGB VI erst mit Vollendung des 60. Lebensjahrs. Nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers (BT-Drucksache 14/4230 Seite 24, 26) sollten die Auswirkungen der Verminderung des Zugangsfaktors dadurch abgemindert werden, dass die Zeit zwischen dem vollendeten 55. und 60. Lebensjahr künftig voll als Zurechnungszeit angerechnet wird. Die Kammer hält es nicht für angängig, entgegen dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers bei einem Regelungskomplex - hier dem Zusammenspiel der Verlängerung der Zurechnungszeit mit der Verminderung des Zugangsfaktors - einen Teil des Regelungskomplexes für verfassungswidrig zu erklären, den anderen - begünstigenden - Teil hingegen unangetastet zu lassen (ebenso Plagemann a.a.O.). Dann nämlich würde - vollständig entgegen der Intention des Gesetzgebers - anstelle einer Verminderung der vorzeitigen in Anspruch genommenen Erwerbsminderungsrenten deren Erhöhung die Folge sein.
Wegen der Verlängerung der Zurechnungszeit hält die Kammer schließlich den verfassungsrechtlichen Ausgangspunkt der Argumentation des BSG nicht für stichhaltig (ebenso von Koch/Kolakowski a.a.O.): Das BSG hält den Zugangsfaktor von 1,0 wohl aufgrund des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG für verfassungsrechtlich geboten. Voraussetzung für einen Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen nach Art. 14 Abs. 1 GG ist eine vermögenswerte Rechtsposition, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechtes dem Rechtsträger als privatnützig zugeordnet ist. Diese genießt den Schutz der Eigentumsgarantie dann, wenn sie auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des Versicherten beruht (zum Schutz sozialversicherungsrechtliche Ansprüche durch Art. 14 Abs. 1 GG vgl. BVerfG, Urteil vom 16.07.1985 - 1 BvL 5/80 = BVerfGE 69, 272 (300 f.); Lenze, NRW 2003, 1427; Neumann, NZS 1998, 401). Das BVerfG hat hierbei einen abgestuften Eigentumsschutz entwickelt: In dem durch Beitragsäquivalenz geprägten Leistungsbereich ist der Eigentumsschutz intensiver, als im sonstigen Bereich der Bewilligung von Leistungsanteilen ohne oder mit nur geminderter Beitragsleistung, hier verfügt der Gesetzgeber über einen weiteren Gestaltungsspielraum (zu Ausbildungs-Ausfallzeiten: BVerfG, Beschluss vom 01.07.1981 – 1 BvR 874/77 = BVerfGE 58, 81 = SozR 2200 § 1255a Nr. 7). Das Prinzip der Beitragsbezogenheit des Eigentumsschutzes rentenversicherungsrechtlicher Positionen wurde jüngst durch das BVerfG in der Entscheidung vom 13.06.2006 (1 BvL 9/00 ) bestätigt. Nach dieser Entscheidung unterliegen die durch das Fremdrentengesetz begründeten Anwartschaften nicht dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, wenn ihnen ausschließlich Beitrags- und Beschäftigungszeiten zugrunde liegen, die in den Herkunftsgebieten erbracht oder zurückgelegt wurden. Bei der Anerkennung der Zurechnungszeit und insbesondere auch deren Verlängerung handelt es sich um dem Kläger zugute kommende rentenrechtliche Zeiten, die nicht auf Beitrags- und Beschäftigungszeiten beruhen. Wenn auch für einen Versicherungsverlauf, in dem derartige Zeiten enthalten sind, der ungeminderte Zugangsfaktor von 1,0 verfassungsrechtlich geboten wäre, würden auch diese Zeiten dem uneingeschränkten Eigentumsschutz des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG unterworfen. Ein derartiges Ergebnis lässt sich aus der Rechtsprechung des BVerfG zum abgestuften Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen nicht ableiten."
Diesen überzeugenden Erwägungen der 8. Kammer schließt sich die erkennende Kammer in vollem Umfang an.
Die Rechtsauffassung des BSG (Urteil vom 16.05.2006, a.a.O.) ist zwischenzeitlich in Rechtsprechung (z.B. SG Aachen, Urteil vom 20.03.2007 - S 13 R 76/06 -; Urteil vom 29.06.2007 - S 6 R 319/06 -; SG Detmold, Urteil vom 26.06.2007 - S 20 R 68/05 -; SG Saarland, Gerichtsbescheid vom 08.05.2007 - S 14 R 82/07 -; SG Augsburg, Urteil vom 23.04.2007 - S 3 R 26/07 -; SG Köln, Urteil vom 12.04.2007 - S 29 (25) R 337/06 -; SG Altenburg, Urteil vom 22.03.2007 - S 14 KN 64/07 -; kritisch auch LSG NSB, Beschluss vom 13.12.2006 - L 2 R 466/06 ER -; a.A. LSG NRW, Urteil vom 25.04.2007 - L 8 R 185/06; LSG Saarland, Urteil vom 09.02.2007 - L 7 R 40/06 -) sowie Literatur (z.B. Ruland, NJW 2007, 2086 ff.; Bredt, NZS 2007, 192 ff.) auf Kritik gestoßen. Auch die Bundesregierung hat in Beantwortung verschiedener parlamentarischer Anfragen die weiterhin praktizierte Vorgehensweise der Rentenversicherungsträger als der Intention des Gesetzgebers entsprechend begrüßt (vgl. z.B. BT-Drs. 16/3710, S. 5; vgl. auch BT-Drs. 16/2176 sowie BT-Plenarprotokoll 16/72, S. 7183 f.). Schließlich lassen sich auch der Begründung des Gesetzentwurfs zum RV-Altersgrenzenanpassungsgsetz (BGBl. I S. 554) deutliche Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Rechtsauffassung des BSG nicht der ursprünglichen Intention des Gesetzgebers entspricht. Diese enthält den ausdrücklichen Hinweis, dass die Minderung des Zugangsfaktors nach der ursprünglichen Zielsetzung des Gesetzes in allen Fällen vorgenommen werden müsse, in denen die Rente vor Vollendung des 63. Lebensjahres beginne, also auch dann, wenn diese in jungen Jahren in Anspruch genommen werde (BT-Drs. 16/3794, S. 36).
Ergänzend merkt die Kammer an, dass sich der Ausschluss einer Minderung des Zugangsfaktors insbesondere nicht mit dem Wortlaut des § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI begründen lässt. Diese Vorschrift muss vielmehr im Zusammenhang mit § 77 Abs. 3 S. 1 SGB VI verstanden werden, wonach für diejenigen Entgeltpunkte, die bereits Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer früheren Rente waren, der frühere Zugangsfaktor maßgebend bleibt. Anderenfalls hätte die Regelung des § 77 Abs. 3 S. 1 SGB VI zur Folge, dass der verminderte Zugangsfaktor einer vor Vollendung des 60. Lebensjahres bezogenen Erwerbsminderungsrente auch im Rahmen einer später zu gewährenden Rente wegen Alters zu berücksichtigen wäre. Die Regelung des § 77 Abs. 2 S. 3 SGB VI dient damit dazu, diese vom Gesetzgeber unerwünschte Rechtsfolge zu vermeiden (SG Aachen, Urteil vom 15.05.2007 - S 13 (4) R 55/07 - m.w.N.). Nichts anderes ergibt sich auch aus der Übergangsregelung des § 264c SGB VI in Verbindung mit Anlage 23 zum SGB VI. Hierbei handelt es sich ausschließlich um eine Modifizierung der allgemeinen Berechnungsregel des § 77 Abs. 2 S. 2 SGB VI. Zwar sind die Zeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres nicht als "maßgebendes Lebensalter" in die Anlage mit aufgenommen worden. Auch dies steht jedoch der von der Beklagten vertretenen Rechtsauffassung nicht entgegen, da es der Aufnahme dieser Zeiten nicht bedurfte. Die Einbeziehung wäre vielmehr nur dann erforderlich gewesen, wenn auch die Zeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres bei der Berechnung des Zugangsfaktors im Sinne einer weiteren Minderung Berücksichtigung finden müssten (wie hier SG Aachen, Urteil vom 29.06.2007 - S 6 R 319/06 -; SG Detmold, Urteil vom 26.06.2007 - S 20 R 68/05 -).
Soweit danach eine Minderung des Zugangsfaktors vor Vollendung des 60. Lebensjahres nicht zu beanstanden ist, hat die Beklagte den Zugangsfaktor zutreffend mit 0,940 berechnet. Die Klägerin hat die Rente wegen Erwerbsminderung vor Vollendung des 60. Lebensjahres in Anspruch genommen. Soweit die Rente jedoch zum 01.08.2002 und damit vor dem 01.01.2004 begonnen hat, bestimmt sich das für die Ermittlung des Zugangsfaktors maßgebliche Lebensalter nach der Übergangsvorschrift des § 264c SGB VI in Verbindung mit der Anlage 23 zum SGB VI. Unter Zugrundelegung des damit maßgeblichen Lebensalters von 61 Jahren und 4 Monaten hat die Beklagte zutreffend den Regelzugangsfaktor von 1,0 für 20 Kalendermonate um je 0,003, insgesamt also um 0,060, gemindert.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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