S 20 SO 7/08 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 20 SO 7/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 SO B 49/08 SO ER
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragsteller (Ast.) begehren vom Antragsgegner (Ag.) die Zustimmung zur Anmietung von Wohnraum sowie die Übernahme der dadurch anfallenden Kosten der Unterkunft.

Die am 00.00.1986 geborene Ast. zu 2) ist ghanaische Staatsangehörige und im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Sie bezieht seit Dezember 2006 Leistungen nach § 3 Asylbewerber-Leistungsgesetz (AsylbLG). Ihr Sohn, der Ast. zu 1) wurde am 00.00.2007 geboren; er ist deutscher Staatsangehöriger. Er bezog bis August 2007 Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII); die Leistungen wurden eingestellt, weil das anzurechnenden Einkommen den Bedarf des Ast. zu 1) überstieg. Seit 01.09.2007 erhält die Ast. zu 2) für den Ast. 1) das Kindergeld in Höhe von 154,- EUR sowie Unterhaltsvorschussleistungen in Höhe von 127,- EUR. Die Ast. wohnen zurzeit (noch) im Übergangswohnheim in B. Der Ast. zu 1) leidet an wiederkehrender obstruktiver Bronchitis und war deswegen wiederholt in stationärer Krankenhausbehandlung.

Am 16.01.2008 beantragte die Ast. zu 2) für den Ast. zu 1) erneut Sozialhilfe. Sie bat um Übernahme anteiliger Mietkosten für die Wohnung in B. Sie legte hierzu ein Mietangebot des Vermieters vom 28.12.2007 vor. Danach beläuft sich die Gesamtmiete einschließlich Nebenkosten (111,- EUR) und Heizkosten (60,- EUR) auf 406,09 EUR für die 73,22 qm große Wohnung, die in einem Wohnhaus des Baujahres 1964 gelegen ist.

Der Ag. lehnte den Antrag durch Bescheid vom 17.01.2008 ab mit der Begründung, die Ast. zu 2) sei Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG; ihr notwendiger Unterkunftsbedarf würde durch Sachleistungen (Unterbringung in einem Übergangswohnheim) erbracht. Für den Ast. zu 1) seien durch die Unterbringung in einem Übergangswohnheim keinerlei Nachteile erkennbar; die Übernahme der Kosten für eine eigene Privatunterkunft und die damit verbundenen Wohnungsbeschaffungskosten seien nicht gerechtfertigt. Hierdurch würde eine nicht vertretbare Besserstellung gegenüber anderen Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG eintreten.

Dagegen legten die Ast. am 23.01.2008 Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden ist.

Ebenfalls am 23.01.2008 haben die Ast. um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Sie sind der Auffassung, Artikel 3 des Grundgesetzes (GG) verbiete es, den Ast. zu 1) auf die als Sachleistung für die Ast. zu 2) bereitgestellte Asylunterkunft zu verweisen. Wenn das OVG NRW (Beschluss vom 28.02.2003 - 16 B 2363/02) entschieden habe, dass die GK-Flüchtlinge, die Ansprüche wie deutsche Staatsangehörige hätten, regelmäßig nicht darauf verwiesen werden könnten, in einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen, wenn keine ausländerrechtliche Verpflichtung dazu bestehe, gelte dies erst recht für deutsche Staatsangehörige wie den Ast. zu 1). Habe aber der Ast. zu 1) einen Anspruch auf eine angemessene Unterkunft, so sei das Ermessen im Fall der Ast. zu 2) als alleinerziehende Mutter auf Null reduziert. Die Eilbedürftigkeit ergebe sich zum Einen daraus, dass das Mietangebot nicht dauerhaft aufrechterhalten bleibe, zum Anderen aus der gesundheitlichen Verfassung des Ast. zu 1). Die Ast. haben hierzu ärztliche Bescheinigungen der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums B. und des behandelnden Kinderarztes vorgelegt. Daraus ergibt sich, dass die bisherigen Wohnverhältnisse zu der erhöhten Infektanfälligkeit des Ast. zu 1) führen können.

Die Antragsteller beantragen schriftsätzlich,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Notwendigkeit für den Auszug aus dem Übergangswohnheim und die Notwendigkeit des Umzuges anzuerkennen sowie die Zustimmung zur An- mietung des Wohnraums zu erteilen und die Kosten für die Wohnung in B. zu übernehmen, hilfsweise, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, angemessene Kosten der Unterkunft zu übernehmen, dass die Wohnung im laufenden Verfahren nicht mehr zur Verfügung steht.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Er hat den Ast. zu 1) amtsärztlich untersuchen lassen. Die Amtsärztin ist zum Ergebnis gekommen, dass die aktuelle Wohnsituation der Ast. im Übergangswohnheim , wo die Duschen sich als Gemeinschaftseinrichtung im Untergeschoss befinden, möglicherweise problematisch seien; die Amtsärztin hat daher den Umzug der Ast. in eine abgeschlossene Wohneinheit, die sowohl den eigentlichen Wohnbereich als auch den Sanitärbereich umfasst, empfohlen. Sie hat darauf hingewiesen, dass eine derartige Unterbringung auch in einem städtischen Übergangswohnheim erfolgen könne. Daraufhin hat der Ag. den Ast. am 12.03.2008 eine renovierte Wohnung im Übergangsheim in B. angeboten; es handelt sich hierbei um eine abgeschlossene Wohneinheit mit eigenem Sanitärbereich.

Die Ast. haben daraufhin am 13.03.2008 erklärt, dass diese Lösung nicht ihrem Antragsbegehren entspreche, da es sich bei der Wohnung in der ebenfalls um ein Übergangswohnheim für Asylbewerber handele.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Antragsteller muss glaubhauft machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO), dass ihm ein Anspruch auf die geltend gemachte Leistung zusteht (Anordnungsanspruch) und dass das Abwarten einer gerichtlichen Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren für ihn mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (Anordnungsgrund). Einstweilige Anordnungen kommen grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Beseitigung einer gegenwärtigen Notlage dringend geboten ist.

Es ist bereits zweifelhaft, ob die Ast. einen Anordnungsanspruch haben. Dagegen spricht, dass die angemietete Wohnung mit 73,22 qm Wohnfläche für zwei Personen, von denen eine ein Säugling ist, möglicherweise unangemessen ist. Zwar ist der Mietpreis relativ gering, so dass u.U. in Anwendung der so genannten Produkttheorie die Angemessenheit doch bejaht werden könnte. Jedoch bedarf es hierzu weiterer Ermittlungen. Ungeklärt ist auch die Frage, ob ein minderjähriges Kind deutscher Staatsangehörigkeit einen Anspruch auf eine privat angemietete Wohnung hat, wenn seine Mutter Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG ist. Die von den Ast. für ihr Begehren in Anspruch genommene Entscheidung des OVG Münster ist anders gelagert, die dortigen Antragsteller gehörten sämtlich nicht (mehr) zum Kreis der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG. Dies trifft auf die Ast. zu 2) jedoch nicht zu.

Nachdem der Ag. den Ast. eine frisch renovierte Wohnung mit abgeschlossenem Sanitärbereich in einem anderen Übergangswohnheim zur Verfügung gestellt hat, fehlt es an einem Anordnungsgrund. Denn den von den Ast. vorgetragenen gesundheitlichen Bedenken wird durch die neue Wohnung ersichtlich Rechnung getragen. Ob die Wohnverhältnisse in der bisherigen Wohnung überhaupt ursächlich für die Infektanfälligkeit des Ast. zu 1) waren, ist nicht gesichert. Sowohl die Ärzte der Kinderklinik als auch der Kinderarzt haben dies lediglich für möglich gehalten. Auch die Amtsärztin hat die Kausalität zwischen der Krankheit und bisherigen Wohnverhältnissen nicht als erwiesen angesehen, sondern auch nur für möglich gehalten. Sie hat aber - offensichtlich vorsichtshalber und zum Schutz des Ast. zu 1) - eine Änderung der Wohnverhältnisse befürwortet. Diese sind nun in der Wohnung im Übergangswohnheim gegeben. Die Wohnung ist frisch renoviert und hat einen eigenen abgeschlossenen Sanitärbereich. Die vom Kinderarzt kritisierten Bedingungen in der bisherigen Wohnung (beengte Wohnsituation, Schimmelbefall) sind damit entfallen.

Bei der gebotenen Güter- und Folgenabwägung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (vgl. dazu: BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05) ist zu berücksichtigten, dass die von den Ast. begehrte gerichtliche Verpflichtung des Ag., die Zustimmung zur Anmietung einer privaten Wohnung zu erteilen und die dadurch anfallenden Kosten der Unterkunft zu übernehmen, die Hauptsache nicht nur vorläufig regeln, sondern vollständig und endgültig vorwegnehmen würde. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes soll die Hauptsache aber grundsätzlich nicht vorweggenommen werden, sondern allenfalls dann, wenn ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung schwere und nicht wieder gutzumachende Nachteile dro-hen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Angesichts der nunmehr bestehenden Möglichkeit, in eine frisch renovierte abgeschlossene Wohneinheit mit abgeschlossenem Sanitär-bereich zu ziehen, wird den gesundheitlichen Verhältnissen des Ast. zu 1) einerseits und den Interessen des Ag. andererseits vorläufig in ausreichendem Maße genügt.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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