S 20 SO 25/08 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 20 SO 25/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller bis zur bestands- bzw. rechts- kräftigen Entscheidung über das (Nicht-)Bestehen einer Krankenversicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V Krankenhilfe nach § 48 SGB XII zu gewähren. Die Kosten des Antragstellers trägt der Antragsgegner.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Antragsteller (Ast.) gegen den Antragsgegner (Ag.) einen Anspruch auf Krankenhilfe nach § 48 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) oder gegen die Beigeladene einen Anspruch auf Krankenversicherungsschutz nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) hat.

Der am 00.00.1933 geborene Ast. war bis 11.07.1995 bei der Beigeladenen gesetzlich krankenversichert. Vom 09.06.1995 bis 28.02.2008 war er inhaftiert. Aufgrund dessen hatte er bis 28.02.2008 Anspruch auf Krankenbehandlung gem. § 58 Strafvollzugsgesetz (StVollzG). Seit 01.03.2008 erhält der Ast. laufende Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem Vierten Kapitel des SGB XII. Einen Anspruch für Februar (29.02.) 2008 lehnte der Ag. mangels Bedürftigkeit im Hinblick auf das Haftentlassungsgeld des Ast. ab.

Durch Bescheid vom 14.03.2008 stellte die Beigeladene fest, dass ein Anspruch auf eine Pflichtversicherung gem. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V nicht bestehe.

Durch Bescheid vom 19.03.2008 stellte der Ag. fest, dass der Ast. keinen Anspruch auf Krankenhilfe nach dem SGB XII habe. Er vertrat die Auffassung, der Ast. unterliege seit dem 29.02.2008 der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V.

Am 19.03.2008 hat der Ast. beim Sozialgericht um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er trägt vor, er sei dringend auf ärztliche Behandlung angewiesen. Aufgrund eines erlittenen Steckschusses in der Hüfte und großer Schmerzen im linken Knie nach drei Operationen benötige er ärztliche Hilfe.

Der Antragsteller beantragt,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm ab 01.03.2008 Krankenhilfe zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag auf Erlasse einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Er ist der Auffassung, der Ast. habe keinen Anspruch auf Krankenhilfe nach dem SGB XII. Denn er sei seit dem 29.02.2008 Pflichtmitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung. Diese ergebe sich aus § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V. Am 29.02.2008 habe der Ast. keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall gehabt, also die Voraussetzungen des genannten Pflichtmitgliedschaftstatbestandes erfüllt.

Die Beigeladene ist der Auffassung, der Ast. erfülle nicht die Voraussetzungen für die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V. Denn diese Vorschrift setze neben der fehlenden anderweitigen Absicherung im Krankheitsfall voraus, dass die betreffende Person "zuletzt gesetzlich krankenversichert" gewesen sei (§ 5 Abs. 1 Nr. 13 a) SGB V). Diese Voraussetzung erfülle der Ast. nicht, da er zuletzt aufgrund seiner Inhaftierung Anspruch auf Gesundheitsfürsorge nach dem StVollzG gehabt habe also nicht zuletzt gesetzlich krankenversichert gewesen sei.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Ag. ist zulässig und begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Ast. muss glaubhaft machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO), dass ihm ein Anspruch auf die geltend gemachte Leistung zusteht (Anordnungsanspruch) und dass das Abwarten einer gerichtlichen Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren für ihn mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (Anordnungsgrund). Einstweilige Anordnungen kommen grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Beseitigung einer gegenwärtigen Notlage dringend geboten ist.

Der Ast. hat die Voraussetzungen für einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Er leidet an den Folgen erheblicher Verletzungen, die jederzeit ärztliche Behandlung notwendig machen können. Im Hinblick darauf, dass er Regelleistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII erhält, kann er eine notwendig werdende Krankenbehandlung nicht aus eigenen Mitteln bis zur Klärung des zuständigen Leistungsträgers vorfinanzieren.

Es besteht auch ein Anordnungsanspruch. Die summarische Prüfung des derzeit bekannten Sachverhalts ergibt, dass keine Krankenversicherungspflicht des Ast. nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V (oder nach einer anderen Vorschrift dieses Gesetzbuches) besteht und er deshalb im Bedarfsfall Anspruch auf Krankenhilfe nach § 48 SGB XII hat. Zwar bestand am 29.02.2008 (dem Tag nach der Entlassung aus der Haft) kein anderweitiger Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V. Denn an diesem Tag hatte der Kläger einerseits keinen Anspruch auf Krankenbehandlung nach § 58 StVollzG mehr, anderseits aber auch noch keinen Anspruch auf laufende Leistungen nach dem Dritten, Vierten, Sechsten und Siebten Kapitel des SGB XII, die nach § 5 Abs. 8a Satz 2 SGB V die Versicherungspflicht nach Abs. 1 Nr. 13 ausgeschlossen hätten. Der Pflichtmitgliedschaft des Ast. in der gesetzlichen Krankenversicherung ab 29.02.2008 steht jedoch entgegen, dass er nicht "zuletzt gesetzlich krankenversichert" war, wie es § 5 Abs. 1 Nr. 13 a) SGB V verlangt.

Das Tatbestandsmerkmal "zuletzt gesetzlich krankenversichert" liegt nur dann vor, wenn der Zeit ohne Absicherung im Krankheitsfall eine Versicherung bei einer gesetzlichen Krankenkasse unmittelbar vorausging. Es ist ohne Bedeutung, wie lange diese gesetzlichen Krankenversicherung zurückliegt, wie lange sie bestand und aus welchem Grund sie beendet wurde. Auch soweit das zwischenzeitliche Fehlen einer Absicherung im Krankheitsfall von der betreffenden Person zu vertreten ist, steht dies einer Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V nicht entgegen (Krauskopf/Baier, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, § 5 SGB V Rn. 80). Den Krankenversicherungspflichttatbestand nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 a) SGB V erfüllen also nur Personen, die nach dem Ausscheiden aus der gesetzlichen Krankenversicherung gänzlich ohne anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall geblieben sind. Lag zwischen dem Ausscheiden aus der gesetzlichen Krankenversicherung und der begehrten Krankenversicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 a) SGB V eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall vor, ist die Voraussetzung "zuletzt gesetzlich krankenversichert" nicht erfüllt. Da der Ast. zuletzt aufgrund seiner Inhaftierung Anspruch auf Krankenbehandlung nach § 58 StVollzG hatte, war er nicht "zuletzt gesetzlich krankenversichert" im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 13 a) SGB V.

Der Ast. erfüllte am 29.02.2008 auch nicht die Voraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 b) SGB V. Soweit hiernach die Krankenversicherungspflicht für Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben, auf solche erstreckt wird, die "bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren", betrifft dies Personen, die "bisher", also nicht nur "zuletzt", noch nie gesetzlich oder privat krankenversichert waren. Dies trifft aber auf den Ast. nicht zu, da er bis 11.07.1995 bei der Beigeladenen gesetzlich krankenversichert war.

Ab 01.03.2008 steht der Krankenversicherungspflicht des Ast. nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V (zusätzlich) entgegen, dass er seit diesem Zeitpunkt Empfänger laufender Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII ist. Solche Personen sind nach § 5 Abs. 8a Satz 2 SGB V nicht versicherungspflichtig nach Abs. 1 Nr. 13.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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