S 9 AL 74/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 9 AL 74/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid vom 20.09.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.10.2007 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen auch für die zeit vom 16.08.2007 bis 22.08.2007 zu bewilligen. 2. Die Beklagte trägt die Kosten. 3. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob im Leistungsbezug des Klägers eine Sperrzeit wegen verspäteter Arbeitsuchendmeldung eingetreten ist.

Das Arbeitsverhältnis des Klägers wurde mit Kündigungsschreiben vom 01.08.2007 zum 15.08.2007 gekündigt. Der Kläger hat den Erhalt der Kündigung - nach eigenen Angaben etwa drei Tage später - auf dem Kündigungsschreiben unterschriftlich bestätigt. Die Kündigung enthielt als "PS" den Hinweis: "Bitte melden Sie sich unverzüglich bei dem für Sie zuständigen Arbeitsamt".

Der Kläger meldete sich bei der Beklagten am 16.08.2007, dem ersten Tag seiner Arbeitslosigkeit, arbeitslos. Gegen die Entscheidung der Beklagten, in seinem Leistungsbezug den Eintritt einer einwöchigen Sperrzeit wegen eines Verstoßes gegen die Pflicht zur frühzeitigen Arbeitsuche (§§ 37 b, 144 Abs. 6 SGB III) festzustellen (Bescheid vom 20.09.2007), wandte sich der Kläger mit dem Widerspruch und gab an, er habe immer Frühschicht gehabt und nicht frei bekommen.

Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Bescheid vom 02.10.2007). Zur Begründung gab sie an, die Arbeitsuchendmeldung habe innerhalb von drei Tagen nach Kenntnis der Kündigung zu erfolgen. Der Kläger habe sich deshalb spätestens am 09.08.2007 melden müssen. Selbst wenn er nicht frei bekommen habe, sei jedenfalls eine Vorsprache am Donnerstag, 09.08.2007 bis 17:30 Uhr möglich gewesen.

Hiergegen richtet sich die Klage, mit der der Kläger vorträgt, er habe sich zum letzten Mal 2003 arbeitslos gemeldet, ebenfalls bei Beginn der Arbeitslosigkeit und das sei seinerzeit richtig gewesen. Er hat - insoweit nicht protokolliert - vorgetragen, er habe den Hinweis des Arbeitgebers gelesen; er verstehe nicht, weshalb man ihm eine Woche vom Arbeitslosengeld wegnehme, denn er habe sich doch gleich bei Beginn der Arbeitslosigkeit gemeldet.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 20.09.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.10.2007 aufzuheben und ihm für die Zeit vom 16.08.2007 bis 22.08.2007 Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Berufung zuzulassen.

Sie trägt vor, dass bei Erschöpfung des vorherigen Arbeitslosengeldanspruches des Klägers am 29.07.2004 kein Aufhebungsbescheid erteilt worden sei, so dass auch kein Hinweis auf § 37 b SGB III in der ab 01.07.2003 oder 01.01.2004 geltenden Fassung gegeben worden sei. Für den Fall, dass die Kammer der Klage stattgebe, sei die Berufung zuzulassen, denn es sei grundsätzlich klärungsbedürftig, ob der Eintritt einer Sperrzeit wegen verspäteter Arbeitssuchendmeldung auch nach der Neufassung des § 37 b SGB III zum 01.05.2007 weiterhin Verschulden auf Seiten des Versicherten voraussetze.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 20.09.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.10.2007 ist rechtswidrig. Dem Kläger steht Arbeitslosengeld auch für die Zeit vom 16.08.2007 bis 22.08.2007 zu.

Hat der Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhalten, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben, ruht der Anspruch für die Dauer einer Sperrzeit. Versicherungswidriges Verhalten liegt vor, wenn der Arbeitslose seiner Meldepflicht nach § 37 b SGB III nicht nachgekommen ist (Sperrzeit bei verspäteter Arbeitsuchendmeldung). In diesem Fall beträgt die Sperrzeit eine Woche (§ 144 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 7, Abs. 6 SGB III). An diesen Voraussetzungen fehlt es hier, denn der Kläger hat sich nicht versicherungswidrig verhalten.

Allerdings sind Personen, deren Arbeitsverhältnis endet, verpflichtet, sich spätestens drei Monate vor dessen Beendigung persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden. Liegen zwischen der Kenntnis des Beendigungszeitpunktes und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses weniger als drei Monate, hat die Meldung innerhalb von drei Tagen nach Kenntnis des Beendigungszeitpunktes zu erfolgen (§ 37 b S. 1 und 2 SGB III). Grundsätzlich traf den Kläger daher eine Meldepflicht. Hätte der Kläger die Kündigung am 3. oder 4. August (Freitag oder Samstag) 2007 erhalten, so hätte er sich spätestens binnen drei Tagen, also am 8. August, bei der Beklagten arbeitssuchend melden müssen. Hierbei spielt es grundsätzlich keine Rolle, dass der Kläger während dieser Zeit noch arbeiten musste, denn der Arbeitgeber hat ihn freizustellen und die Meldung ist fristwahrend grundsätzlich auch telefonisch möglich (§ 37 b S. 3 SGB III, § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III; hinsichtlich der Freistellungspflicht allerdings nur als Sollvorschrift ausgestaltet).

Der Kläger hat demnach objektiv den Tatbestand einer verspäteten Arbeitssuchendmeldung erfüllt. Dennoch führt dies nicht zum Eintritt einer Sperrzeit, da dem Kläger die verspätete Arbeitsuchendmeldung nicht vorgeworfen werden kann. Denn die Pflicht zur frühzeitigen Arbeitsuchendmeldung ist als Obliegenheit des Versicherten ausgestaltet (BSG, u.a. Urteil vom 17.10.2007, B 11 a/7 a AL 72/06 R). Hierin hat sich durch die Neufassung des § 37 b SGB III mit Wirkung ab 01.05.2007 nichts geändert. Als Obliegenheitsverletzung setzt aber die Frühzeitige Meldung nach § 37 SGB III ein dem Leistungsbewerber zurechenbares Fehlverhalten voraus, das zu verneinen ist, wenn der Leistungsbewerber in nicht vorwerfbarer Unkenntnis der Obliegenheit handelt, er also in nicht zurechenbarer Weise gegen die Obliegenheitspflicht verstößt (Brand, in: Niesel, SGB III, 4. Auflage, Rdnr. 10 zu § 37 b unter Hinweis auf BSG, info also 2001, 30). Daran fehlt es hier, denn der Kläger hatte bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung nicht verstanden, und auch aus den Bescheiden der Beklagten nicht entnommen, dass er dazu verpflichtet gewesen wäre, sich unverzüglich nach Erhalt der Kündigung bei der Beklagten arbeitsuchend zu melden. Diese Unkenntnis kann ihm auch nicht vorgeworfen werden. Der Kläger wusste aus einer vorangegangenen Arbeitslosigkeit, dass er seinen Pflichten ausreichend genügt, wenn er sich am ersten Tag seiner Arbeitslosigkeit arbeitssuchend meldet. Er ist von der Beklagten während des vorangegangenen Leistungsbezuges nicht darauf hingewiesen worden, dass insoweit für künftige Fälle eine Änderung gelten werden. Allerdings hat der Arbeitgeber in dem Kündigungsschreiben den Kläger gebeten, sich unverzüglich bei der Beklagten zu melden. Es kann dahin stehen, ob dieser Hinweis den Anforderungen des § 2 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 SGB III genügt, wonach die Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses frühzeitig über die Notwendigkeit eigener Aktivitäten bei der Suche nach einer anderen Beschäftigung so wie über die Verpflichtung zur Meldung nach § 37 b SGB III bei der Agentur für Arbeit informieren sollen. Denn es ist weder von einer Verpflichtung die Rede, noch wird ersichtlich, dass dem Kläger bei einem Verstoß gegen diese Verpflichtung leistungsrechtliche Nachteile drohen. Entscheidend ist aber, dass angesichts der Kürze der Zeit bis zum Eintritt der Arbeitslosigkeit der Hinweis "unverzüglich" durchaus mehrdeutig war, weil er sich sowohl auf den Zeitpunkt der Kündigung als auch auf den Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitslosigkeit beziehen konnte. Der Kläger hat, wie zur Überzeugung der Kammer aufgrund der Einlassung des Klägers in der mündlichen Verhandlung feststeht, den Hinweis der Beklagten so verstanden, dass er sich unverzüglich nach Eintritt der Arbeitslosigkeit zu melden habe. Dies hat er auch getan. Da zwischen dem nach § 37 b SGB III zutreffenden Zeitpunkt der Meldung und der tatsächlichen Meldung nur wenige Tage liegen, kann ihm insoweit auch kein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden. Ob etwas anderes zu gelten hätte, wenn die Kündigung Monate vor dem Eintritt der Arbeitslosigkeit erfolgt wäre, und ob der Kläger sich dann ggf. beim Arbeitgeber oder bei der Bundesagentur zu erkundigen gehabt hätte, kann deshalb dahin stehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

Eine Zulassung der wegen Nichterreichen des Berufungsstreitwertes unstatthaften Berufung war nicht geboten, da die Kammer nicht von obergerichtlicher Rechtsprechung abweicht und die von der Beklagten aufgeworfene Streitfrage auch keine grundsätzliche Bedeutung hat, da das Bundessozialgericht (z.B. in der oben zitierten Entscheidung vom 17.10.2007) auch zu dem von seiner Ausgestaltung als versicherungsrechtliche Obliegenheit her nicht veränderten § 37 b SGB III bereits ausgesprochen hat, dass eine Obliegenheitsverletzung nur beim Vorliegen subjektiver Verschuldensmerkmale angenommen werden kann (vgl. auch BSG, Urteil vom 27.05.2003, B 7 AL 4/02 R und die Darstellung bei Kühl, Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe, S. 188 f.).
Rechtskraft
Aus
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