Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 EG 36/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 EG 51/08
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter entsprechender Abänderung des Bescheides des Versorgungsamtes B. vom 17.10.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung N. vom 22.11.2007 verurteilt, der Klägerin weiteres Elterngeld in Höhe von 808,05 EUR zu zahlen. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt der Beklagte.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt weiteres Elterngeld in Höhe von 808,05 EUR unter Berücksichtigung eines im Bemessungszeitraum vorgenommenen Steuerklassenwechsels.
Die 1978 geborene Klägerin ist verheiratet. Sie gebar am 31.08.2007 das Kind U. Vom 12.07. bis 26.10.2007 bezog sie Mutterschaftsgeld und dazu einen Zuschuss des Arbeitgebers. Sie war bis dahin als Bankkauffrau, ihr Ehemann als Haustechniker beschäftigt. Das regelmäßige monatliche Bruttoentgelt der Klägerin betrug ca. 2.200,00 EUR, dass des Ehemannes ca. 2.400,00 EUR. Bis Januar 2007 hatten die Eheleute die Steuerklassenkombination IV/IV. Ab Februar wählten sie für die Klägerin die Steuerklasse III, für den Ehemann die Steuerklasse V. Der Grund für den Steuerklassenwechsel war, ein höheres Elterngeld zu erzielen. Die Eheleuten zahlten nunmehr monatlich ca. 100,00 EUR Lohnsteuer mehr als zuvor.
Auf den Antrag des Ehemannes der Klägerin bewilligte das Versorgungsamt Aachen diesem durch bestandskräftigen Bescheid vom 31.10.2007 Elterngeld für den ersten und zweiten Lebensmonat des Kindes in Höhe von monatlich 954,00 EUR. Die Leistung war nach seinem Einkommen der Monate August 2006 bis Juli 2007 unter Zugrundelegung der Steuerklasse IV - fiktiv auch für die Monate Februar bis Juli 2007 - berechnet worden.
Am 25.09.2007 beantragte die Klägerin Elterngeld für den ersten bis zwölften Lebensmonat des Kindes.
Das Versorgungsamt B. bewilligte ihr durch Bescheid vom 17.10.2007 Elterngeld für den beantragten Zeitraum; unter Anrechnung des Mutterschaftsgeldes und des dazu gezahlten Arbeitgeberzuschusses ergaben sich für den ersten Lebensmonat 0 EUR, für den zweiten Lebensmonat 112,75 EUR und für den dritten bis zwölften Lebensmonat jeweils 875,62 EUR. Insgesamt erhielt die Klägerin ein Elterngeld von 8.568,95 EUR. Die Leistung war nach ihrem Einkommen der Monate Juli 2006 bis Juni 2007 unter Zugrundelegung der Steuerklasse IV - fiktiv auch für die Monate Februar bis Juli 2007 - berechnet worden. Das Versorgungsamt begründete dies damit, der Steuerklassenwechsel ab Februar 2007 habe nicht berücksichtigt werden können, da er zur Erzielung eines höheren Elterngeldes vorgenommen worden sei.
Den dagegen am 31.10.2007 eingelegten Widerspruch wies die Bezirksregierung N. durch Widerspruchsbescheid vom 22.11.2007 zurück. Zur Begründung verwies sie auf Ziffer 2.7.3.3. der Richtlinien zum Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG). Ein Steuerklassenwechsel, der erkennbar allein die Funktion habe, den Anspruch auf Elterngeld zu erhöhen, verfolge kein schutzwürdiges Interesse desjenigen, der von dieser steuerrechtlichen Gestaltungsoption Gebrauch mache, und sei deshalb grundsätzlich für das Elterngeld unbeachtlich.
Dagegen hat die Klägerin am 04.12.2007 Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, Anspruch auf Elterngeld unter Berücksichtigung des Wechsel in die Steuerklasse III zu haben; für die Berechnung des Elterngeldes sei die Steuerklasse III für sie günstiger als die Steuerklasse IV. In den Medien sei zu einem Steuerklassenwechsel geraten worden.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter entsprechender Abänderung des Bescheides des Versorgungsamtes B. vom 17.10.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung N. vom 22.11.2007 zu verurteilen, ihr weiteres Elterngeld in Höhe von 808,05 EUR zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verbleibt bei der in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Rechtsauffassung.
Auf Anfrage des Gerichts hat der Beklagte fiktiv die Höhe des Elterngeldes unter Berücksichtigung des Steuerklassenwechsels ab Februar 2007 errechnet; danach ergäbe sich eine um 808,05 EUR höhere Elterngeldleistung als die bewilligte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Obwohl den Bescheid vom 12.10.2007 das seinerzeit zuständige Versorgungsamt B. und den Widerspruchsbescheid vom 22.11.2007 die Bezirksregierung N. erlassen haben, ist der Beklagte der Kreis E., in dem die Klägerin wohnt. Denn durch das "Zweite Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen" vom 30.10.2007 (GVBl. NRW 2007, S. 482) sind die Versorgungsämter mit Ablauf des 31.12.2007 aufgelöst worden. Ab 01.01.2008 sind u.a. für Aufgaben nach dem BEEG die Kreise und kreisfreien Städte zuständig. Dadurch ist es zu einem Beteiligtenwechsel kraft Gesetz gekommen, der keine Klageänderung zur Folge hat (vgl. hierzu: Mayer-Ladewig, SGG, 9. Auflage, § 99 Rn. 6a).
Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide insoweit beschwert, als darin die Höhe des ihr zustehenden Elterngeldes falsch berechnet und insgesamt 808,05 EUR zu wenig bewilligt worden sind.
Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 BEEG wird Elterngeld in Höhe von 67 % des in den zwölf Kalendermonaten vor der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem Höchstbetrag von 1.800,00 EUR monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Erwerbseinkommen erzielt. Da die Klägerin als berechtigte Person ab 12.07.2007 Mutterschaftsgeld bezogen hat, bleiben gem. § 2 Abs. 7 Satz 5 und 6 BEEG die Monate Juli und August 2007 bei der Bestimmung der zwölf zugrunde zu legenden Kalendermonate vor der Geburt unberücksichtigt. Maßgeblich für die Berechnung des Elterngeldes der Klägerin sind also die zwölf Einkommenskalendermonate von Juli 2006 bis Juni 2007.
Das nach § 2 Abs. 1 BEEG maßgebliche "Einkommen", von dem im Regelfall 67 % den Elterngeldbetrag ergeben, ist ein Nettoeinkommen. Dies ergibt sich aus der hier anzuwendenden Vorschrift des § 2 Abs. 7 BEEG. Danach ist nämlich als Einkommen aus nichtselbstständiger Arbeit der Überschuss der Einnahmen über die pauschal anzusetzenden Werbungskosten, die um auf dieses Einkommen entfallenden Steuern und die aufgrund dieser Erwerbstätigkeit geleisteten Pflichtbeiträge in Höhe des gesetzlichen Anteils der beschäftigten Person einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung zu vermindern sind, zu berücksichtigen (Satz 1). Sonstige Bezüge im Sinne von § 38a Abs. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes werden nicht als Einnahmen berücksichtigt (Satz 2); dies sind so genannte Einmalzahlungen. Als auf die Einnahmen entfallende Steuern gelten die abgeführte Lohnsteuer einschließlich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer (Satz 3). Grundlage der Einkommensermittlung sind die entsprechenden monatlichen Lohn- und Gehaltsbescheinigungen des Arbeitgebers (Satz 4).
Insbesondere aus dem Satz 3 des § 2 Abs. 7 BEEG ergibt sich, dass es für die Berechnung des Elterngeldes die tatsächlich gezahlte ("abgeführte") Lohnsteuer nicht - wie z.B. bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes (vgl. § 133 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III) - auf die Lohnsteuer nach der Lohnsteuertabelle ankommt. Anders als im SGB III bei der Bestimmung des dem Arbeitslosengeld zugrunde zu legenden Leistungsentgelts (vgl. § 133 Abs. 2 und 3 SGB II) hat der Gesetzgeber des BEEG für die Bemessung des Elterngeldes keinerlei Regelungen und Einschränkungen in Bezug auf einen Steuerklassenwechsel getroffen. § 2 Abs. 7 Satz 3 BEEG stellt allein auf die "abgeführte", nicht die steuerrechtlich zweckmäßige Lohnsteuer ab. Dies bedeutet, dass auch ein im Bemessungszeitraum vorgenommener Steuerklassenwechsel bei der Berechnung des Elterngeldes zu berücksichtigen ist.
Soweit der Beklagte die Auffassung vertritt, ein Steuerklassenwechsel, der - wie im vorliegenden Fall - erkennbar allein die Funktion hat, den Anspruch auf Elterngeld zu erhöhen, verfolge kein schutzwürdiges Interesse desjenigen, der von dieser steuerrechtlichen Gestaltungsoption Gebrauch macht, und sei deshalb grundsätzlich für das Elterngeld unbeachtlich, findet dies im BEEG keine Stütze. Der Beklagte beruft sich für seine Auffassung auf die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend herausgegebenen "Richtlinien zum BEEG". Darin wird unter Ziffer 2.7.3.3 ein Wechsel der Steuerklasse, der steuerrechtlich ungünstig, aber für die Höhe des Elterngeldes günstig ist, als rechtsmissbräuchlich und deshalb unbeachtlich bewertet; es gehöre "zu den allgemeinen bei der Rechtsanwendung zu beachtenden Grundsätzen des Rechts, dass eine rechtsmissbräuchliche Rechtsausübung unbeachtlich sein" könne. Die Richtlinien verweisen insoweit auf die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 13.08.1996 - 12 RK 76/94 - und des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 16.12.1987 - 5 AZR 367/86. Während sich im zitierten Urteil des BSG lediglich allgemeine Ausführungen zu einer rechtsmissbräuchlichen Rechtsausübung finden, hat das BAG im zitierten Urteil konkret einen Steuerklassenwechsel als rechtsmissbräuchlich und unbeachtlich angesehen, wenn dieser vorgenommen wurde, um den Zuschuss des Arbeitgebers zum Mutterschaftsgeld für den Berechtigten günstig zu beeinflussen. Der Richtliniengeber hat aber offensichtlich übersehen, dass das BAG seine Rechtsprechung aus dem Jahre 1987 zwischenzeitlich aufgegeben hat. So hat es im Urteil vom 13.06.2006 (9 AZR 423/05) entschieden, dass ein Lohnsteuerklassenwechsel, der zielgerichtet vorgenommen worden ist, um eine spätere Altersteilzeitvergütung zu erhöhen, nicht missbräuchlich ist und deshalb der Berechnung der Leistung - soweit keine besonderen Bemessungsbestimmungen getroffen sind - die auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Merkmale zugrunde zu legen sind.
Gerade in Bezug auf das Elterngeld ist ein zielgerichtet zur Erhöhung der Leistung vorgenommener Steuerklassenwechsel auch deshalb nicht rechtsmissbräuchlich, weil der Gesetzgeber die Problematik gesehen hat, gleichwohl aber keine Regelung wie z.B. in § 133 Abs. 3 SGB III getroffen hat. Bei der zweiten und dritten Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten BEEG-Entwurfs ist über die Auswirkungen der Steuerklasse auf die Höhe des Elterngeldes ausführlich debattiert worden. Auf den Vortrag der FDP-Abgeordneten Lenke: "Berufstätige Ehefrauen, die auf Steuerklasse V arbeiten, sind die Verliererinnen. Ich werde den Bürgern das begründen. Sie wissen das, tun aber nichts richtig. Noch einmal: Berufstätige Ehefrauen, die auf Steuerklasse V arbeiten, sind bei diesem Gesetz die Verliererinnen. Bei einem Bruttolohn von beispielsweise 2.000,00 EUR pro Monat erhalten sie mit Lohnsteuerklasse V ein geringeres Elterngeld als mit Lohnsteuerklasse III. Dadurch haben sie monatlich 390,00 EUR weniger im Portemonnaie." erwiderten die SPD-Abgeordnete Kressl: "Sie müssen ja nicht auf Steuerklasse V arbeiten!" die CDU/CSU-Abgeordnete Fischbach: "Sollen sie doch die Steuerklasse III nehmen, Frau Lenke! Wer zwingt sie denn?" und die SPD-Abgeordnete Hendricks: "Frau Kollegin, darf ich Sie darauf hinweisen, dass die Wahl der Steuerklassen von Ehepartnern jederzeit auf unterjährig - so heißt das - geändert werden kann? Wenn eine Frau schwanger wird, dann kann sie also zum Finanzamt gehen und eine andere Steuerklasse wählen, sodass der Berechnung des Elterngeldes dann natürlich ein anderes Einkommen zugrunde liegt." (BT-Plenarprotokoll 16/55 vom 29.09.2006, S. 5356).
Der Gesetzgeber des BEEG hat also nicht nur davon abgesehen, die Auswirkungen eines Steuerklassenwechsels für die Berechnung des Elterngeldes im Gesetz zu regeln, sondern sogar den Tipp gegeben, ggf. die Steuerklasse zu wechseln, um die Höhe des Elterngeldes zu beeinflussen. Ein ähnlicher Tipp ist auch der Verfügung der Oberfinanzdirektion Rheinland vom 03.11.2006 (Az.: S 2361-0005-St 215) zu entnehmen. Die Oberfinanzdirektion hat in dieser Verfügung darauf hingewiesen, dass Eltern, die im Jahr 2007 Nachwuchs erwarten, auch eine unlogische Steuerklassenwahl in Erwägung ziehen sollten; dabei nehme der Ehepartner, der nach der Geburt zu arbeiten aufhöre, die günstigere Steuerklasse III; dadurch falle das monatliche Elterngeld höher aus. Bei dieser Sachlage hält die Kammer einen Wechsel der Lohnsteuerklasse zwecks Beeinflussung der Höhe des Elterngeldes für ein grundsätzlich zulässiges, nicht rechtsmissbräuchliches Verhalten (ebenso: SG Augsburg, Urteil vom 08.07.2008 - S 10 EG 15/08; SG Dortmund, Urteile vom 28.07.2008 - S 11 EG 8/07 und S 11 EG 40/07).
Der Beklagte hat in seiner vom Gericht angeforderten fiktiven Berechnung unter Einbeziehung des ab Februar 2007 erfolgten Lohnsteuerklassenwechsels zutreffend und nachvollziehbar (vgl. Bl. 25, 29, 30 der Gerichtsakte) dargelegt, dass der Klägerin unter Berücksichtigung der Steuerklasse III weiteres Elterngeld in Höhe von 808,05 EUR zusteht. Dementsprechend war er zur Zahlung dieses Betrages zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt weiteres Elterngeld in Höhe von 808,05 EUR unter Berücksichtigung eines im Bemessungszeitraum vorgenommenen Steuerklassenwechsels.
Die 1978 geborene Klägerin ist verheiratet. Sie gebar am 31.08.2007 das Kind U. Vom 12.07. bis 26.10.2007 bezog sie Mutterschaftsgeld und dazu einen Zuschuss des Arbeitgebers. Sie war bis dahin als Bankkauffrau, ihr Ehemann als Haustechniker beschäftigt. Das regelmäßige monatliche Bruttoentgelt der Klägerin betrug ca. 2.200,00 EUR, dass des Ehemannes ca. 2.400,00 EUR. Bis Januar 2007 hatten die Eheleute die Steuerklassenkombination IV/IV. Ab Februar wählten sie für die Klägerin die Steuerklasse III, für den Ehemann die Steuerklasse V. Der Grund für den Steuerklassenwechsel war, ein höheres Elterngeld zu erzielen. Die Eheleuten zahlten nunmehr monatlich ca. 100,00 EUR Lohnsteuer mehr als zuvor.
Auf den Antrag des Ehemannes der Klägerin bewilligte das Versorgungsamt Aachen diesem durch bestandskräftigen Bescheid vom 31.10.2007 Elterngeld für den ersten und zweiten Lebensmonat des Kindes in Höhe von monatlich 954,00 EUR. Die Leistung war nach seinem Einkommen der Monate August 2006 bis Juli 2007 unter Zugrundelegung der Steuerklasse IV - fiktiv auch für die Monate Februar bis Juli 2007 - berechnet worden.
Am 25.09.2007 beantragte die Klägerin Elterngeld für den ersten bis zwölften Lebensmonat des Kindes.
Das Versorgungsamt B. bewilligte ihr durch Bescheid vom 17.10.2007 Elterngeld für den beantragten Zeitraum; unter Anrechnung des Mutterschaftsgeldes und des dazu gezahlten Arbeitgeberzuschusses ergaben sich für den ersten Lebensmonat 0 EUR, für den zweiten Lebensmonat 112,75 EUR und für den dritten bis zwölften Lebensmonat jeweils 875,62 EUR. Insgesamt erhielt die Klägerin ein Elterngeld von 8.568,95 EUR. Die Leistung war nach ihrem Einkommen der Monate Juli 2006 bis Juni 2007 unter Zugrundelegung der Steuerklasse IV - fiktiv auch für die Monate Februar bis Juli 2007 - berechnet worden. Das Versorgungsamt begründete dies damit, der Steuerklassenwechsel ab Februar 2007 habe nicht berücksichtigt werden können, da er zur Erzielung eines höheren Elterngeldes vorgenommen worden sei.
Den dagegen am 31.10.2007 eingelegten Widerspruch wies die Bezirksregierung N. durch Widerspruchsbescheid vom 22.11.2007 zurück. Zur Begründung verwies sie auf Ziffer 2.7.3.3. der Richtlinien zum Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG). Ein Steuerklassenwechsel, der erkennbar allein die Funktion habe, den Anspruch auf Elterngeld zu erhöhen, verfolge kein schutzwürdiges Interesse desjenigen, der von dieser steuerrechtlichen Gestaltungsoption Gebrauch mache, und sei deshalb grundsätzlich für das Elterngeld unbeachtlich.
Dagegen hat die Klägerin am 04.12.2007 Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, Anspruch auf Elterngeld unter Berücksichtigung des Wechsel in die Steuerklasse III zu haben; für die Berechnung des Elterngeldes sei die Steuerklasse III für sie günstiger als die Steuerklasse IV. In den Medien sei zu einem Steuerklassenwechsel geraten worden.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter entsprechender Abänderung des Bescheides des Versorgungsamtes B. vom 17.10.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung N. vom 22.11.2007 zu verurteilen, ihr weiteres Elterngeld in Höhe von 808,05 EUR zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verbleibt bei der in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Rechtsauffassung.
Auf Anfrage des Gerichts hat der Beklagte fiktiv die Höhe des Elterngeldes unter Berücksichtigung des Steuerklassenwechsels ab Februar 2007 errechnet; danach ergäbe sich eine um 808,05 EUR höhere Elterngeldleistung als die bewilligte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Obwohl den Bescheid vom 12.10.2007 das seinerzeit zuständige Versorgungsamt B. und den Widerspruchsbescheid vom 22.11.2007 die Bezirksregierung N. erlassen haben, ist der Beklagte der Kreis E., in dem die Klägerin wohnt. Denn durch das "Zweite Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen" vom 30.10.2007 (GVBl. NRW 2007, S. 482) sind die Versorgungsämter mit Ablauf des 31.12.2007 aufgelöst worden. Ab 01.01.2008 sind u.a. für Aufgaben nach dem BEEG die Kreise und kreisfreien Städte zuständig. Dadurch ist es zu einem Beteiligtenwechsel kraft Gesetz gekommen, der keine Klageänderung zur Folge hat (vgl. hierzu: Mayer-Ladewig, SGG, 9. Auflage, § 99 Rn. 6a).
Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide insoweit beschwert, als darin die Höhe des ihr zustehenden Elterngeldes falsch berechnet und insgesamt 808,05 EUR zu wenig bewilligt worden sind.
Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 BEEG wird Elterngeld in Höhe von 67 % des in den zwölf Kalendermonaten vor der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem Höchstbetrag von 1.800,00 EUR monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Erwerbseinkommen erzielt. Da die Klägerin als berechtigte Person ab 12.07.2007 Mutterschaftsgeld bezogen hat, bleiben gem. § 2 Abs. 7 Satz 5 und 6 BEEG die Monate Juli und August 2007 bei der Bestimmung der zwölf zugrunde zu legenden Kalendermonate vor der Geburt unberücksichtigt. Maßgeblich für die Berechnung des Elterngeldes der Klägerin sind also die zwölf Einkommenskalendermonate von Juli 2006 bis Juni 2007.
Das nach § 2 Abs. 1 BEEG maßgebliche "Einkommen", von dem im Regelfall 67 % den Elterngeldbetrag ergeben, ist ein Nettoeinkommen. Dies ergibt sich aus der hier anzuwendenden Vorschrift des § 2 Abs. 7 BEEG. Danach ist nämlich als Einkommen aus nichtselbstständiger Arbeit der Überschuss der Einnahmen über die pauschal anzusetzenden Werbungskosten, die um auf dieses Einkommen entfallenden Steuern und die aufgrund dieser Erwerbstätigkeit geleisteten Pflichtbeiträge in Höhe des gesetzlichen Anteils der beschäftigten Person einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung zu vermindern sind, zu berücksichtigen (Satz 1). Sonstige Bezüge im Sinne von § 38a Abs. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes werden nicht als Einnahmen berücksichtigt (Satz 2); dies sind so genannte Einmalzahlungen. Als auf die Einnahmen entfallende Steuern gelten die abgeführte Lohnsteuer einschließlich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer (Satz 3). Grundlage der Einkommensermittlung sind die entsprechenden monatlichen Lohn- und Gehaltsbescheinigungen des Arbeitgebers (Satz 4).
Insbesondere aus dem Satz 3 des § 2 Abs. 7 BEEG ergibt sich, dass es für die Berechnung des Elterngeldes die tatsächlich gezahlte ("abgeführte") Lohnsteuer nicht - wie z.B. bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes (vgl. § 133 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III) - auf die Lohnsteuer nach der Lohnsteuertabelle ankommt. Anders als im SGB III bei der Bestimmung des dem Arbeitslosengeld zugrunde zu legenden Leistungsentgelts (vgl. § 133 Abs. 2 und 3 SGB II) hat der Gesetzgeber des BEEG für die Bemessung des Elterngeldes keinerlei Regelungen und Einschränkungen in Bezug auf einen Steuerklassenwechsel getroffen. § 2 Abs. 7 Satz 3 BEEG stellt allein auf die "abgeführte", nicht die steuerrechtlich zweckmäßige Lohnsteuer ab. Dies bedeutet, dass auch ein im Bemessungszeitraum vorgenommener Steuerklassenwechsel bei der Berechnung des Elterngeldes zu berücksichtigen ist.
Soweit der Beklagte die Auffassung vertritt, ein Steuerklassenwechsel, der - wie im vorliegenden Fall - erkennbar allein die Funktion hat, den Anspruch auf Elterngeld zu erhöhen, verfolge kein schutzwürdiges Interesse desjenigen, der von dieser steuerrechtlichen Gestaltungsoption Gebrauch macht, und sei deshalb grundsätzlich für das Elterngeld unbeachtlich, findet dies im BEEG keine Stütze. Der Beklagte beruft sich für seine Auffassung auf die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend herausgegebenen "Richtlinien zum BEEG". Darin wird unter Ziffer 2.7.3.3 ein Wechsel der Steuerklasse, der steuerrechtlich ungünstig, aber für die Höhe des Elterngeldes günstig ist, als rechtsmissbräuchlich und deshalb unbeachtlich bewertet; es gehöre "zu den allgemeinen bei der Rechtsanwendung zu beachtenden Grundsätzen des Rechts, dass eine rechtsmissbräuchliche Rechtsausübung unbeachtlich sein" könne. Die Richtlinien verweisen insoweit auf die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 13.08.1996 - 12 RK 76/94 - und des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 16.12.1987 - 5 AZR 367/86. Während sich im zitierten Urteil des BSG lediglich allgemeine Ausführungen zu einer rechtsmissbräuchlichen Rechtsausübung finden, hat das BAG im zitierten Urteil konkret einen Steuerklassenwechsel als rechtsmissbräuchlich und unbeachtlich angesehen, wenn dieser vorgenommen wurde, um den Zuschuss des Arbeitgebers zum Mutterschaftsgeld für den Berechtigten günstig zu beeinflussen. Der Richtliniengeber hat aber offensichtlich übersehen, dass das BAG seine Rechtsprechung aus dem Jahre 1987 zwischenzeitlich aufgegeben hat. So hat es im Urteil vom 13.06.2006 (9 AZR 423/05) entschieden, dass ein Lohnsteuerklassenwechsel, der zielgerichtet vorgenommen worden ist, um eine spätere Altersteilzeitvergütung zu erhöhen, nicht missbräuchlich ist und deshalb der Berechnung der Leistung - soweit keine besonderen Bemessungsbestimmungen getroffen sind - die auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Merkmale zugrunde zu legen sind.
Gerade in Bezug auf das Elterngeld ist ein zielgerichtet zur Erhöhung der Leistung vorgenommener Steuerklassenwechsel auch deshalb nicht rechtsmissbräuchlich, weil der Gesetzgeber die Problematik gesehen hat, gleichwohl aber keine Regelung wie z.B. in § 133 Abs. 3 SGB III getroffen hat. Bei der zweiten und dritten Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten BEEG-Entwurfs ist über die Auswirkungen der Steuerklasse auf die Höhe des Elterngeldes ausführlich debattiert worden. Auf den Vortrag der FDP-Abgeordneten Lenke: "Berufstätige Ehefrauen, die auf Steuerklasse V arbeiten, sind die Verliererinnen. Ich werde den Bürgern das begründen. Sie wissen das, tun aber nichts richtig. Noch einmal: Berufstätige Ehefrauen, die auf Steuerklasse V arbeiten, sind bei diesem Gesetz die Verliererinnen. Bei einem Bruttolohn von beispielsweise 2.000,00 EUR pro Monat erhalten sie mit Lohnsteuerklasse V ein geringeres Elterngeld als mit Lohnsteuerklasse III. Dadurch haben sie monatlich 390,00 EUR weniger im Portemonnaie." erwiderten die SPD-Abgeordnete Kressl: "Sie müssen ja nicht auf Steuerklasse V arbeiten!" die CDU/CSU-Abgeordnete Fischbach: "Sollen sie doch die Steuerklasse III nehmen, Frau Lenke! Wer zwingt sie denn?" und die SPD-Abgeordnete Hendricks: "Frau Kollegin, darf ich Sie darauf hinweisen, dass die Wahl der Steuerklassen von Ehepartnern jederzeit auf unterjährig - so heißt das - geändert werden kann? Wenn eine Frau schwanger wird, dann kann sie also zum Finanzamt gehen und eine andere Steuerklasse wählen, sodass der Berechnung des Elterngeldes dann natürlich ein anderes Einkommen zugrunde liegt." (BT-Plenarprotokoll 16/55 vom 29.09.2006, S. 5356).
Der Gesetzgeber des BEEG hat also nicht nur davon abgesehen, die Auswirkungen eines Steuerklassenwechsels für die Berechnung des Elterngeldes im Gesetz zu regeln, sondern sogar den Tipp gegeben, ggf. die Steuerklasse zu wechseln, um die Höhe des Elterngeldes zu beeinflussen. Ein ähnlicher Tipp ist auch der Verfügung der Oberfinanzdirektion Rheinland vom 03.11.2006 (Az.: S 2361-0005-St 215) zu entnehmen. Die Oberfinanzdirektion hat in dieser Verfügung darauf hingewiesen, dass Eltern, die im Jahr 2007 Nachwuchs erwarten, auch eine unlogische Steuerklassenwahl in Erwägung ziehen sollten; dabei nehme der Ehepartner, der nach der Geburt zu arbeiten aufhöre, die günstigere Steuerklasse III; dadurch falle das monatliche Elterngeld höher aus. Bei dieser Sachlage hält die Kammer einen Wechsel der Lohnsteuerklasse zwecks Beeinflussung der Höhe des Elterngeldes für ein grundsätzlich zulässiges, nicht rechtsmissbräuchliches Verhalten (ebenso: SG Augsburg, Urteil vom 08.07.2008 - S 10 EG 15/08; SG Dortmund, Urteile vom 28.07.2008 - S 11 EG 8/07 und S 11 EG 40/07).
Der Beklagte hat in seiner vom Gericht angeforderten fiktiven Berechnung unter Einbeziehung des ab Februar 2007 erfolgten Lohnsteuerklassenwechsels zutreffend und nachvollziehbar (vgl. Bl. 25, 29, 30 der Gerichtsakte) dargelegt, dass der Klägerin unter Berücksichtigung der Steuerklasse III weiteres Elterngeld in Höhe von 808,05 EUR zusteht. Dementsprechend war er zur Zahlung dieses Betrages zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved