S 13 KR 135/08

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 135/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Krankengeldes ab 01.01.2008. Die Klägerin begehrt die Berücksichtigung eines während des Krankengeldbezuges vorgenommenen Steuerklassenwechsels bei der Berechnung des Krankengeldes und die Nachzahlung des Differenzbetrages zu der ausgezahlten Leistung.

Die am 00.00.1951 geborene Klägerin ist verheiratet. Seit 25.10.2007 ist sie arbeitsunfähig krank. Nach dem Ende der vom Arbeitgeber geleisteten 6-wöchigen Entgeltfortzahlung bewilligte die Beklagte ab 06.12.2007 ein kalendertägliches Netto-Krankengeld von 20,09 EUR (Bescheid vom 03.12.2007). Das Krankengeld bemaß die Beklagte nach dem zuletzt für September 2007 bezogenen Monatsgehalt der Klägerin sowie - anteilig - einer Einmalzahlung. In der Folgezeit veränderte sich der kalendertägliche Krankengeldnettoauszahlbetrag, und zwar vom 01.01. bis 30.06.2008 auf 20,19 EUR, vom 01.07. bis 30.09.2008 auf 20,17 EUR, ab 01.10.2008 auf 20,44 EUR. Die Höchstanspruchsdauer (Aussteuerung) ist am 14.03.2009 erreicht.

Der Ehemann der Klägerin erhielt bis zum 26.11.2007 Arbeitslosengeld; seit 01.12.2007 bezieht er Altersrente. Im Jahre 2007 waren in den jeweiligen Steuerkarten für den Ehemann die Steuerklasse III, für die Klägerin die Steuerklasse V eingetragen. Noch vor Beginn ihrer Arbeitsunfähigkeit beantragte die Klägerin eine Änderung ihrer Steuerklasse für 2008. Dementsprechend ist seit 01.01.2008 in der Steuerkarte der Klägerin die Steuerklasse III eingetragen.

Am 16.05.2008 beantragte die Klägerin bei der Beklagten, "dass mein Krankengeld rückwirkend ab dem 01.01.2008 auf der Basis der Steuerklasse III berechnet wird". Sie verwies auf ein Urteil des Landessozialgerichts (LSG) für das Land Brandenburg vom 12.03.2004 und meinte, hiernach sei das Krankengeld nach der aktuellen Steuerklasse zu berechnen.

Durch Bescheid vom 27.05.2008 lehnte die Beklagte eine Neuberechnung des Krankengeldes ab. Sie verwies darauf, dass der maßgebliche Bemessungszeitraum für die Berechnung des Krankengeldes der Monat September 2007 gewesen sei; Änderungen des Inhalts des Arbeitsverhältnisses bzw. auch die Änderung einer Steuerklasse, die nach Ablauf des Entgeltabrechnungszeitraums wirksam würden, hätten keinen Einfluss auf die Berechnung des Regelentgelts.

Den hiergegen am 11.06.2008 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 01.09.2008 zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 25.09.2008 Klage erhoben. Sie verweist auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24.05.2007 (B 1 KR 3/07 R). Wenn das BSG unter Bezugnahme auf eine voraufgegangene Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) für Wanderarbeitnehmer der Europäischen Gemeinschaft (EG) eine rückwirkende Neuberechnung des Krankengeldes wegen einer nachträglichen Änderung der Steuerklasse anerkannt habe, müsse dies nach Auffassung der Klägerin auch für inländische Arbeitnehmer gelten.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.05.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.09.2008 zu verurteilen, das ihr ab 01.01.2008 zustehende Krankengeld unter Zugrundelegung eines nach der Steuerklasse III be- rechneten Nettoentgeltes neu zu berechnen und die Differenz zum gezahlten Krankengeld nachzuzahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass für die Berechnung des Krankengeldes die tatsächlichen Einkommensverhältnisse im Bemessungszeitraum maßgeblich seien. Änderungen, die nicht schon während des Bemessungszeitraums eingetreten seien, hätten keinen Einfluss auf die Berechnung der Leistung. Da das Krankengeld nur den wirtschaftlichen Status des Versicherten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit sichern solle, könnten spätere Änderungen diesen Status nicht mehr berühren.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Neuberechnung des ihr ab 01.01.2008 zustehenden Krankengeldes und Nachzahlung eines Differenzbetrages. Denn die Beklagte hat sowohl bei der erstmaligen Bewilligung des Krankengeldes ab 06.12.2007 durch den Bescheid vom 03.12.2007 als auch bei den späteren Anpassungen des Krankengeldauszahlbetrages das Recht richtig angewandt (vgl. § 44 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X); auch ist durch die bei der Klägerin eingetretene Steuerklassenänderung ab 01.01.2008 gegenüber den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Erstbewilligungsbescheides vom 03.12.2007 vorgelegen haben, keine wesentliche Änderung eingetreten (vgl. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X).

Nach § 47 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) beträgt das Krankengeld 70 v. H. des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommen, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt). Das aus dem Arbeitsentgelt berechnete Krankengeld darf 90 v. H. des bei entsprechender Anwendung des Abs. 2 berechneten Nettoarbeitsentgelts nicht übersteigen. § 47 Abs. 2 SGB V bestimmt, dass für die Berechnung des Regelentgelts das von dem Versicherten im letzten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgerechneten Entgeltabrechnungszeitraum, mindestens das während der letzten abgerechneten vier Wochen (Bemessungszeitraum) erzielte und um einmalig gezahltes Arbeitsentgelt verminderte Arbeitsentgelt durch die Zahl der Stunden zu teilen ist, für die es gezahlt wurde (Satz 1). Ist das Arbeitsentgelt nach Monaten bemessen, gilt der 30. Teil des im letzten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgerechneten Kalendermonat erzielten und um einmalig gezahlten Arbeitsentgelt verminderten Arbeitsentgelts als Regelentgelt (Satz 3). Einmalzahlungen werden bei der Berechnung des Krankengeldes nach Maßgabe von § 47 Abs. 2 Satz 6 SGB V berücksichtigt.

Nach diesen gesetzlichen Berechnungsvorschriften hat die Beklagte auf der Grundlage des zuletzt für September 2007 abgerechneten Arbeitsentgelts und unter - anteiliger - Berücksichtigung von Einmalzahlungen das der Klägerin ab 06.12.2007 zustehende Krankengeld richtig errechnet, bewilligt und gezahlt. Dies wird für den Leistungszeitraum vom 06. bis 31.12.2007 auch von der Klägerin nicht bestritten. Für eine Neuberechnung des Krankengeldes ab 01.01.2008 im Hinblick auf die ab diesem Datum für die Klägerin maßgebliche Steuerklasse III fehlt es an einer rechtlichen Grundlage. Im Hinblick auf die Lohnersatzfunktion des Krankengeldes ist auf das der Klägerin vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit tatsächlich zugeflossene und abgerechnete Arbeitsentgelt abzustellen. Das Krankengeld soll nur den wirtschaftlichen Status der Versicherten sichern, der zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit tatsächlich bestanden hat. Diesen Status können spätere Änderungen des Arbeitsentgelts oder der Steuerklasse nicht mehr berühren. Der Krankenkasse soll es durch klare und praktikabel handhabbare Kriterien möglich sein, das anstelle des krankheitsbedingt entfallenden Arbeitsentgelts zeitlich begrenzt gewährte Krankengeld ohne eigene Ermittlungen und ohne eine für sie fachfremde steuerrechtliche Prüfung zeitnah und rasch festzustellen (BSG, Urteil vom 24.05.2007 - B 1 KR 3/07 R = SozR 4-2500 § 47 Nr. 8; Urteil vom 16.02.2005 - B 1 KR 19/03 R = SozR 4-2500 § 47 Nr. 2). Von diesem strengen Zuflussprinzip hat das BSG nur wenige Ausnahmen anerkannt. Eine dieser Ausnahmen liegt vor, wenn der Arbeitgeber dem Versicherten Arbeitsentgelt rechtswidrig vorenthält und es im Rahmen nachträglicher Vertragserfüllung später nachzahlt (BSG, Urteil vom 16.02.2005 - B 1 KR 19/03 R = SozR 4-2500 § 47 Nr. 2). Ein weiterer Ausnahmefall liegt vor, wenn der Versicherte vor Ablauf des Bemessungszeitraums in seinem entgeltlichen Beschäftigungsverhältnis arbeitsunfähig wird (BSG, Urteil vom 30.05.2006 - B 1 KR 19/05 R = SozR 4-2500 § 47 Nr. 4 = BSGE 96,246).

Eine weitere Ausnahme vom strengen Zuflussprinzip hat das BSG für eine europarechtliche Fallgestaltung im Urteil vom 24.05.2007 - B 1 KR 3/07 R (SozR 4-2500 § 47 Nr. 8) anerkannt. Das BSG hatte den zu entscheidenden Fall zuvor durch Beschluss vom 05.07.2005 (B 1 KR 7/04 R) dem EuGH zur Vorabentscheidung nach Artikel 234 des EG-Vertrages vorgelegt. Der EuGH hat durch Urteil vom 18.01.2007 (Rs. C-332/05) entschieden, dass eine Krankengeldregelung, wonach ein Wanderarbeitnehmer, dessen Ehegatte in einem anderen Mitgliedsstaat wohnt, von Amts wegen in eine weniger günstigere Steuerklasse eingereiht wird - nämlich in die Steuerklasse der verheirateten, jedoch dauernd von ihrem Ehegatten getrennt lebenden Arbeitnehmer - als ein verheirateter inländischer Arbeitnehmer, dessen Ehegatte im betreffenden Mitgliedstaat wohnt und nicht erwerbstätig ist, und die nicht zulässt, dass für die Höhe des Krankengelds, die vom Nettoarbeitsentgelt abhängt, das sich wiederum nach der Steuerklasse richtet, rückwirkend eine nachträgliche Berichtigung der Steuerklasse berücksichtigt wird, die auf einen ausdrücklichen Antrag des Wanderarbeitnehmers hin erfolgt, der auf seinen tatsächlichen Familienstand gestützt ist, europarechtswidrig ist, weil ihr Artikel 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 entgegensteht.

In Umsetzung dieser EuGH-Entscheidung hat das BSG in dem konkreten Fall, der seinem Vorabentscheidungsersuchen zugrunde lag, durch Urteil vom 24.05.2007 (B 1 KR 3/07 R = SozR 4-2500 § 47 Nr. 8) entschieden, dass bei in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung versicherten EG-Wanderarbeitnehmern dasjenige Nettoarbeitsentgelt im Sinne von § 47 SGB V als "erzielt" und "abgerechnet" anzusehen ist, das einem von den Familienverhältnissen her vergleichbaren, das heißt steuerrechtlich nicht "dauernd getrennt" lebenden Beschäftigten im Inland zuerkannt wird, wenn der Ehegatte des Wanderarbeitnehmers (wie bei diesem Personenkreis nicht unüblich) im Herkunftsstaat verblieben ist und festgestellt wurde, dass nach den Verhältnissen im Herkunftsstaat von einem dauernden Getrenntleben im steuerrechtlichen Sinne nicht auszugehen ist. Im konkret vom BSG zu entscheidenden Fall war der Versicherte italienischer Staatsangehöriger und arbeitete in Deutschland, während seine Ehefrau in Italien wohnte; die Steuerbehörden hatten in seiner Steuerkarte von Amts wegen die Steuerklasse II, die z.B. für einen dauernd von seinem Ehegatten getrennt lebenden Arbeitnehmer mit Kindern vorgesehen ist, eingetragen.

Die Klägerin kann sich zur Durchsetzung ihres Klagebegehrens nicht mit Erfolg auf die Entscheidung des BSG vom 24.05.2007 und die ihr zugrundeliegende Rechtsprechung des EuGH berufen. Anders als bei ihren Steuerklassenverhältnissen im Jahre 2007 erfolgte die Zuteilung der (ungünstigen) Steuerklasse II für den EG-Wanderarbeitnehmer im Fall des BSG von Amts wegen und entsprach nicht der Steuerklasse, die bei vergleichbaren Familienverhältnissen einem inländischen Arbeitnehmer zuerkannt wird. Der EuGH hat in seinem Urteil vom 18.01.2007 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die spezielle Diskriminierung von EG-Wanderarbeitnehmern in diesen Fällen auf der Staatsangehörigkeit des Arbeitnehmers beruht. Es hat (vgl. Rz. 45 des Urteils) festgestellt, dass die Anwendung des § 47 SGB V für den Wanderarbeitnehmer zu einer rechtlichen oder tatsächlichen Lage führen kann, die ungünstiger ist als die Lage, in der sich unter gleichen Bedingungen inländische Arbeitnehmer befinden. Daraus folgt - und dem hat das BSG in der Umsetzungsentscheidung vom 24.05.2007 Rechnung getragen -, dass mit der nunmehr anerkannten weiteren Ausnahme vom strengen Zuflussprinzip versicherte EG-Wanderarbeitnehmer, die sich in der Situation wie der Kläger des vom BSG und vom EuGH entschiedenen Falles befinden, nicht mehr gegenüber inländischen Versicherten in vergleichbaren Familienverhältnissen benachteiligt, sondern vielmehr diesen hinsichtlich der Berechnung des Krankengeldes gleichgestellt werden. Im Fall der Klägerin bedeutet deshalb die Ablehnung einer Neuberechnung des Krankengeldes unter Zugrundelegung der nachträglich geänderten Steuerklasse keine Benachteiligung gegenüber EG-Wanderarbeitnehmern, die sich in einer Situation wie der der Klägerin mit deren Steuerklasseneintrag im Bemessungszeitraum befinden.

Auch das von der Klägerin zitierte Urteil des LSG Brandenburg vom 12.03.2004 (L 4 KR 9/02) stützt ihr Klagebegehren nicht. Das LSG hatte über den Fall einer nach Anspruchsbeginn eingetretenen Änderung der Rechtslage aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgericht zu befinden. Diese Fallgestaltung und die vom LSG Brandenburg dazu angestellten Rechtsüberlegungen sind auf den Fall der Klägerin weder übertragbar noch anwendbar. Für die Höhe des Krankengeldanspruchs der Klägerin ab 26.10.2007 und der hieraus einsetzenden Krankengeldzahlung ab 06.12.2007 war das im Bemessungszeitraum (September 2007) erzielte Arbeitsentgelt und die damals in der Steuerkarte der Klägerin eingetragene Steuerkalsse V, die ihre damaligen Familien- und Wirtschaftsverhältnisse wiederspiegelte, maßgeblich. Da sich die Steuerklassenänderung ab 01.01.2008 auf die Bemessungsgrundlage nicht auswirkt, beinhaltet sie keine wesentliche Änderung und kommt eine Neuberechnung des Krankengeldes für die Zeit ab 01.01.2008 nicht in Betracht (vgl. ebenso: LSG Hamburg, Urteil vom 14.07.2004 - L 1 KR 14/04).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Kammer geht davon aus, dass die Berufung auch ohne besondere Zulassung statthaft ist, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 EUR übersteigt und die Berufung wiederkehrende laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betreffen würde (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 1 SGG). Die Klägerin ist seit dem 25.10.2007 fortlaufend arbeitsunfähig krank. Mit der Klage wird eine Neuberechnung und gegebenenfalls Nachzahlung des Krankengeldes für die Zeit ab 01.01.2008 begehrt. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 30.01.2009 mitgeteilt, dass im Fall des Obsiegens der Klägerin pro Kalendertag ca. 9,00 EUR Krankengeld nachzuzahlen wäre. Für den Zeitraum vom 01.01.2008 bis zur Entscheidung der Kammer ist mehr als ein Jahr vergangen und würde der Nachzahlbetrag im Obsiegensfall einen Berufungsbeschwerdewert von 750,00 EUR weit übersteigen.
Rechtskraft
Aus
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