S 20 SO 84/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 20 SO 84/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Übernahme der Mehrkosten für eine Fachkraft anstelle einer Nicht-Fachkraft im Rahmen der Integrationshilfe für den Kläger im Schuljahr 2009/2010.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger hat das Down-Syndrom (Trisomie 21). Er besucht seit August 2008 eine Gemeinschaftsgrundschule. Dort wird er integrativ beschult und erhält sonderpädagogische Förderung mit dem Schwerpunkt geistiger Entwicklung. Die sonderpädagogische Förderung fällt in die Zuständigkeit des Schulträgers; sie wird durch eine Sonderpädagogin (Frau L.) im Umfang von vier Stunden und durch die Lehrkräfte der Schule erbracht. Darüber hinaus benötigt der Kläger Hilfe im Sinne unterstützender Tätigkeiten (Orientierungshilfe auf dem Schulgelände, im Schulgebäude und im Klassenraum, Unterstützung der Arbeitshaltung, Ermöglichen von Ruhephasen, Bereitstellung/Verwendung der Arbeitsmittel, motivierende Hilfe, Hausaufgabenbetreuung). Diese Integrationshilfe ist nicht der sonderpädagogischen Förderung zuzurechnen.

Für das Schuljahr 2008/2009 beantragte der Kläger am 03.09.2008 die Übernahme der Kosten für einen Integrationshelfer aus Mitteln der Sozialhilfe (Eingliederungshilfe). Er legte hierzu eine Stellungnahme der Schule vor. Zu dem Antrag nahmen das Schulamt am 18.09.2008, das Gesundheitsamt am 04.11.2008 Stellung. Aus Sicht des Gesundheitsamtes war für die Integrationshilfe keine Fachkraft erforderlich.

Ab 21.10.2008 erhielt der Kläger Integrationshilfe über die Lebenshilfe e.V. durch Frau A.; diese ist ausgebildete Erzieherin mit zusätzlicher Qualifikation im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit (=Fachkraft). Ab 11.11.2008 erhielt der Kläger zusätzliche Integrationshilfe in Form von Hausaufgabenbetreuung durch Frau D. (=Nichtfachkraft) ebenfalls über die Lebenshilfe e.V.

Durch Bescheid vom 10.11.2008 bewilligte der Beklagte für das Schuljahr 2008/2009 Integrationshilfe im Umfang von 11,25 Zeitstunden wöchentlich bis zu einer Kostenobergrenze von 605,00 EUR monatlich. Dementsprechend rechnete die Lebenshilfe e.V. mit Stundenauflistungen der Helferinnen A. und D. für Oktober/November 2008 Kosten in Höhe von 656,16 EUR und für den Dezember 2008 bis Juli 2009 monatlich 604,48 EUR (bzw. 604,47 EUR) ab. Am 28.04.2009 beantragte der Kläger für das Folgeschuljahr 2009/2010 Integrationshilfe für 13 Schulstunden (=9,75 Zeitstunden) durch eine pädagogische Fachkraft; er legte hierzu eine befürwortende Stellungnahme der Schule vor; desweiteren beantragte er Integrationshilfe in Form von Hausaufgabenbetreuung für weitere drei Stunden. Zu dem Antrag überreichte der Kläger Stellungnahmen der Integrationshelferinnen A. und D. sowie der Lebenshilfe e.V. Darin heißt es u.a., auch im kommenden Schuljahr werde der Kläger einen Schulbegleiter benötigen, der ihm Struktur und Orientierung im Schulalltag vermittle; durch eine individuelle Schulbegleitung sei es für ihn möglich, aktiv und integrativ an schulischer Bildung teilzunehmen; nur so könne seine Freude am Lernen unterstützt und gefördert werden; sein individueller Förderbedarf könne nicht allein durch seine Klassenlehrerin und den Gemeinsamen Unterricht (GU) gedeckt werden. Durch ihre Ausbildung als Erzieherin könne Frau A. durchaus auch als Fachkraft eingesetzt werden; dies würde den von ihr übernommenen Aufgaben entsprechen.

Auf Anfrage des Beklagten teilte das Schulamt mit, die Aufstockung der Integrationshilfe werde befürwortet; zwar sei es aus pädagogischer Sicht äußerst sinnvoll, dass Frau A. den Kläger auch im kommenden Schuljahr begleite, jedoch sei grundsätzlich nicht die Qualifikation einer Fachkraft erforderlich.

Daraufhin bewilligte der Beklagte durch Bescheid vom 06.07.2009 für das Schuljahr 2009/2010 Integrationshilfe im Umfang von wöchentlich 12,75 Zeitstunden (einschließlich drei Stunden Hausaufgabenbetreuung) mit einem Kostenrahmen von 685,00 EUR monatlich. Er wies daraufhin, eine Fachkraft sei dafür nicht erforderlich.

Dagegen legte der Kläger am 05.08.2009 Widerspruch ein: Es sei nicht in Ordnung, dass keine Fachkraft als Integrationshelferin finanziert werde. Aufgrund ihrer Qualifikation sei Frau A. auch nach Ansicht des Schulamtes die beste Wahl.

Auf weitere Anfragen des Sozialamtes teilten sowohl das Gesundheitsamt als auch das Schulamt mit, dass aus medizinischer bzw. pädagogischer Sicht eine Fachkraft als Integrationshelferin nicht erforderlich sei.

Der Beklagte wies daraufhin den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 02.11.2009 zurück. Er wies daraufhin, dass die Kosten für eine Nichtfachkraft monatlich 685,00 EUR, die für eine Fachkraft monatlich 837,30 EUR betragen würden; die Mehrkosten von 152,30 EUR seien unverhältnismäßig. Die Vertiefung von Unterrichtsinhalten und sonderpädagogische Förderung falle in die Zuständigkeit des Schulamtes und könne nicht aus Sozialhilfemitteln (Eingliederungshilfe) sichergestellt werden; für die Integrationshilfe sei nach Auskunft der Fachbereiche keine pädagogische oder medizinische Fachkraft erforderlich.

Dagegen hat der Kläger am 01.12.2009 Klage erhoben. Bei seiner Einschulung sei man allseits davon ausgegangen, dass er während des Schulbesuches lediglich Unterstützung bei den Grundbedürfnisses durch eine Integrationshelferin benötige; hinsichtlich des Unterrichtsinhaltes sei man nicht von einer notwendigen Unterstützung ausgegangen, da man angenommen habe, dass er dem Unterrichtsinhalt ohnehin nicht ausreichend würde folgen können und keine adäquaten Lernerfolge erzielen würde. Entgegen dieser Erwartungen habe er von Anfang jedoch ein unerwartetes ehrgeiziges und wissbegieriges Lernverhalten an den Tag gelegt. Zur Vertiefung der Unterrichtsinhalte bedürfe er allerdings aufgrund seiner behinderungsbedingten Defizite der individuellen Unterstützung, welche über den allgemeinen Unterricht hinausgehe. Eine solche Unterstützung könne jedoch nur durch eine sonderpädagogische Fachkraft gewährleistet werden. Bei Frau A. handele es sich um eine sonderpädagogisch ausgebildete Fachkraft. Der überraschende Lernerfolg des Klägers sei u.a. auf deren Begleitung und Unterstützung zurückzuführen. Frau A. leiste Integrationshilfe sowohl durch nichtpädagogische als auch pädagogische Tätigkeiten. An vier Unterrichtsstunden in der Woche erhalte er sonderpädagogische Einzelförderung durch die an der Gemeinschaftsgrundschule tätige Sonderschullehrerin L ... Seine Lernerfolge seien aber besonders darauf zurückzuführen, dass er mit direkter Bezugnahme auf den Unterrichtsinhalt von Frau A. individuell gefördert werde.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 06.07.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.11.2009 zu verurteilen, die Mehrkosten einer Integrationshelfer-Fachkraft während des Schulunterrichts im Schuljahr 2009/2010 im zeitlichen Umfang von 9,75 Stunden pro Woche zu übernehmen. Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er weist daraufhin, dass die zwei Integrationshelferinnen A. und D. über die Lebenshilfe e.V. bereitgestellt würden; von dort sei mitgeteilt worden, dass seinerzeit keine Nichtfachkraft habe gefunden werden können und Frau A. sich bereit erklärt habe, die Tätigkeit als Integrationshelferin auch mit der Vergütung einer Nichtfachkraft zu übernehmen. Selbst wenn der unerwartete und beachtliche Lernerfolg des Klägers vor allem auf die individuelle pädagogische Förderung durch Frau Zimmermann zurückzuführen sei, begründe dies keinen Anspruch auf entsprechend höhere Kosten aus Mitteln der Eingliederungshilfe. Es sei nicht Aufgabe einer Integrationshelferin, Unterrichtsinhalte zu vermitteln oder zu vertiefen. Wenn der Kläger ein sehr ehrgeiziges und wissbegieriges Verhalten zeige, deshalb auch nach Mitteilung der Schule zusätzlich eine individuelle Unterstützung zur Vertiefung von Unterrichtsinhalten benötige und dies nur durch eine sonderpädagogische Fachkraft gewährleistet werden könne, falle dies nicht in den Aufgabenbereich einer Integrationshelferin, sondern sei Aufgabe eines Sonderpädagogen. Die sonderpädagogische Förderung aber falle in den Zuständigkeitsbereich des Schulamtes.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Er hat keinen Anspruch auf Übernahme der Mehrkosten, die dadurch entstehen, dass die Integrationshilfe im zeitlichem Umfang von 9,75 Stunden pro Woche im Schuljahr 2009/2010 durch eine Integrationshelferin mit (sonder)pädagogischer Qualifikation erbracht wird. Gem. §§ 53 Abs. 1 Satz 1, 54 Abs. 1 Nr. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) erhalten Personen, die - wie der Kläger - durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es dabei, eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern (§ 53 Abs. 3 SGB XII). Nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII sind Leistungen der Eingliederungshilfe insbesondere Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht; dabei bleiben die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht unberührt. § 12 Nr. 1 der Verordnung nach § 60 SGB XII (Eingliederungshilfe-Verordnung) ergänzt die genannten Vorschriften. Danach umfasst die Hilfe zur einer angemessenen Schulbildung auch heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich und geistig behinderten Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, den behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern. Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung können auch die Kosten für die Übernahme eines Integrationshelfers als sonstige Maßnahme des § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfe-Verordnung sein (vgl. Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Auflage 2008, § 54 Rn. 22).

Die vom Beklagten mit den angefochtenen Bescheiden für das Schuljahr 2009/2010 bewilligte Hilfe für den Schulbesuch in Form der Übernahme der Kosten einer Integrationshelferin für 12,75 Stunden pro Woche und begrenzt auf Kosten in Höhe von 685,00 EUR pro Monat ist als Maßnahme zu einer angemessenen Schulbildung in Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfe-Verordnung erforderlich und geeignet, aber auch ausreichend. Insbesondere kann vom Kläger nicht beansprucht werden, dass die Integrationshilfe im Umfang von 9,75 Stunden durch eine Fachkraft mit (sonder)pädagogischer Qualifikation erbracht wird und der Beklagte dafür entsprechend höhere Kosten übernimmt. Das Schulamt des Beklagten hat mitgeteilt, dass im Einvernehmen mit den Erziehungsberechtigten für den Kläger die Beschulung im gemeinsamen Unterricht mit sonderpädagogischem Förderbedarf (Förderschwerpunkt geistige Entwicklung) festgelegt worden sei. Im gemeinsamen Unterricht der Gemeinschaftsgrundschule erhalte der Kläger schulische Förderung durch eine Sonderpädagogin im Umfang von vier Stunden und durch die übrigen Lehrkräfte der Grundschule. Der Unterricht und die sonderpädagogische Förderung erfolge aus- schließlich durch die Lehrkräfte. Demgegenüber sei es Aufgabe der Integrationshilfe, die über das Sozialamt gewährt werde, über die konsequente Begleitung des Schülers die Arbeitshaltung zu unterstützen, zu ermutigen und ggf. Ruhephasen zu ermöglichen, um so eine Teilhabe am Unterricht zu ermöglichen. Für diese - nicht (sonder) pädagogischen - Tätigkeiten eines Integrationshelfers sind sowohl aus medizinischer Sicht als auch aus pädagogischer Sicht, wie das Gesundheitsamt und das Schulamt mitgeteilt haben, keine Fachkräfte erforderlich, die über eine besondere (sonder)pädagogische Qualifikation verfügen. Wenn die Integrationshelferin A. aufgrund ihrer Zusatzqualifikation über das normale Aufgabenfeld einer Integrationshelferin hinaus im ersten Schuljahr (sonder)pädagogische Leistungen erbracht und dadurch den Kläger besonders gefördert hat, begründet dies keinen Anspruch auf Übernahme der für die Tätigkeit einer Fachkraft anfallenden Mehrkosten aus Mitteln der Eingliederungshilfe. Denn der pädagogische Bedarf ist von der Schule zu decken und fällt in die Zuständigkeit des Schulträgers. Wenn der Kläger mehr als vier Stunden sonderpädagogischen Förderungsbedarf pro Woche hat, ist es gegebenenfalls Aufgabe des Schulträgers, dem Rechnung zu tragen. Der Umstand, dass die Lebenshilfe e.V. im ersten Schuljahr des Klägers eine überqualifizierte Fachkraft als Integrationshelferin eingesetzt hat, obwohl für die Aufgaben der Integrationshilfe eine solche Qualifikation nicht erforderlich war, und wenn diese überqualifizierte Integrationshelferin für das Arbeitsentgelt einer Nichtfachkraft höherqualifizierte, aber sozialhilferechtlich nicht notwendige Arbeit leistet, kann der dadurch eingetretene Erfolg/Vorteil für den Kläger nicht im zweiten Schuljahr die Notwendigkeit einer Integrationshilfe durch eine pädagogische Fachkraft begründen. Der Individualität des Klägers und den besonderen Umständen seines Falles wird durch den individuell bewilligten Umfang der sonderpädagogischen Förderung einerseits und der Integrationshilfe andererseits Rechnung getragen. Dementsprechend hat der Beklagte auch den Umfang der Integrationshilfe im zweiten Schuljahr des Klägers angehoben. Da diese Integrationshilfe nicht durch eine Fachkraft mit (sonder)pädagogischer Zusatzqualifikation erbracht werden muss, sind auch die Mehrkosten, die bei Einsatz einer solchen Fachkraft anfallen, nicht von Beklagten aus Mitteln der Eingliederungshilfe zu tragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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