S 13 KR 157/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 157/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Implantation einer Intraokularlinse zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

Bei der am 00.00.0000 geborenen Klägerin besteht eine Anisometropie (ungleiche Refraktion/Brechkraft der Augen). Am linken Auge wurde im September 2005 wegen fortgeschrittenen Hornhautverschleißes und -trübung eine Hornhauttransplantation durchgeführt; dadurch bedingt besteht auf dem linken Auge eine Weitsichtigkeit von 5 Dioptrien. Auf dem rechten Auge besteht fast überhaupt keine Fehlsichtigkeit (Bericht des AugenCentrum F. vom 02.03.2010).

Am 08.12.2009 beantragte die Klägerin über das AugenCentrum F. die Übernahme der Kosten der Implantation eines so genannten torischen Moduls (Intraokolarlinse) auf das linke Auge. Der Antrag wurde damit begründet, die hohe Anisometropie sei nur durch Kontaktlinsen auszugleichen, was bei dem Alter der Klägerin und der Steifheit ihrer Finger und der Schultergelenke nicht machbar sei. Die Einpflanzung einer Intraokularlinse habe sich seit zehn Jahren in der Augenheilkunde weltweit bewährt. Die Kosten für die Operation veranschlagte das AugenCentrum auf 1.457,05 EUR.

In zwei von der Beklagten veranlassten Gutachten des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) vom 06.01. und 25.03.2010 kam Dr. N. zum Ergebnis, es handele sich um einen refraktiv-chirurgischen Eingriff, der nach der Anlage II der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) ausgeschlossen sei. Möglich sei die Versorgung mit einer länger tragbaren - speziell angefertigten - therapeutischen Kontaktlinse; damit bestehe eine ausreichende Sehhilfenversorgung; die Schulterbeeinträchtigung stehe einer solchen Versorgung nicht entgegen.

Gestützt hierauf lehnte die Beklagte durch Bescheide vom 30.03. und 15.04.2010 die beantragte Behandlung ab. Die dagegen am 12. und 23.04.2010 eingelegten Widersprüche wies sie durch Widerspruchsbescheid vom 02.06.2010 zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 15.06.2010 Klage erhoben. Sie verweist auf eine Entscheidung des Sozialgericht Düsseldorf vom 28.09.2006 (S 9 KR 14/06), durch die eine Krankenkasse zur Erstattung der Kosten einer Intraokularlinsen-Implantation verurteilt worden ist. Unaufgefordert hat das AugenCentrum F. für die Klägerin am 31.08.2010 eine Stellungnahme abgegeben, in der sie die Implantation der Intraokularlinse befürwortet.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 30.03. und 15.04.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.06.2010 zu verurteilen, ihr die Implantation eines torischen Moduls (Intraokularlinse) auf dem linken Auge zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verbleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Rechtsauffassung und sieht sich darin durch die vom Gericht eingeholte Auskunft des G-BA bestätigt.

Das Gericht hat vom G-BA eine Auskunft (vom 06.08.2010) zu der Leistung "Implantation einer Intraokularlinse" eingeholt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Implantation einer Intraokularlinse zu Lasten der GKV.

Der Anspruch eines Versicherten auf Behandlung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) unterliegt den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Dies ist - wie hier - bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung gem. § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur dann der Fall, wenn der G-BA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 i.V.m. § 135 Abs. 1 SGB V wird nämlich nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkasse erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinie auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt. "Neu" ist eine Methode, wenn sie - wie hier die Implantation einer Intraokularlinse - zum Zeitpunkt der Leistungserbringung nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) enthalten ist (BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 1 KR 11/08 R m.w.N.).

Die Implantation von Intraokularlinsen bei Anisometropie zählt nicht zu den vertragsärztlichen Leistungen. Die Einpflanzung einer Intraokularlinse hat nur zur Behandlung des so genannten Grünen oder Grauen Star Eingang in den EBM-Ä gefunden. Im Übrigen ist die Intraokularlinsenimplantation als neue Behandlungsmethode im Sinne des § 135 Abs. 1 SGB V anzusehen. Sie zählt zu den Verfahren der refraktiven Augenchirurgie. Diese hat der Rechtsvorgänger des G-BA bereits durch Beschluss vom 11.05.1993 von der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossen und in die Anlage II der Richtlinien über neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden als Behandlungsmethode aufgeführt, deren therapeutischer Nutzen nicht festgestellt werden kann. Der G-BA hat auf die ausdrückliche Nachfrage des Gerichts am 06.08.2010 die Auskunft erteilt, dass sich an der Gültigkeit der durch den Beschluss vom 11.05.1993 vorgenommenen Bewertung für den vertragsärztlichen Bereich nichts geändert hat. Demzufolge ist die von der Klägerin beantragte Implantation einer Intraokularlinse zur Behandlung ihrer Anisometropie kein Leistungsgegenstand der GKV.

Ein Ausnahmefall, in dem es keiner Empfehlung des G-BA bedarf, liegt im Fall der Klägerin nicht vor. Es liegt weder ein so genannter Seltenheitsfall, bei dem eine Ausnahme von diesem Erfordernis erwogen werden könnte, noch ein so genanntes Systemversagen vor. Auch Anhaltspunkte für eine hier gebotene grundrechtsorientierte Auslegung sind nicht ersichtlich. Die verfassungskonforme Auslegung setzt u.a. voraus, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt. Einen solchen Schwergrad erreicht die Anisometropie der Klägerin nach dem gesamten Vorbringen nicht (vgl. hierzu auch BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 1 KR 11/08 R m.w.N.). Dies gilt auch im Hinblick auf die von der Klägerin zitierte Entscheidung des SG Düsseldorf vom 28.09.2006 (S 9 KR 14/06). Während die Klägerin in dem vom SG Düsseldorf entschiedenen Fall ohne den streitigen Eingriff blind würde, ist dies bei der hiesigen Klägerin nicht der Fall. Ihr rechtes Auge ist praktisch gesund.

Unabhängig davon, dass die Implantation einer Intraokularlinse als Leistungsgegenstand der GKV ausgeschlossen ist, lässt sich auch nicht feststellen, dass diese Behandlung notwendig im Sinne der §§ 12 Abs. 1 Satz 1, 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V wäre. Nach den Stellungnahmen sowohl des MDK als auch der Ärzte des AugenCentrum F. kann die Klägerin grundsätzlich auch mit - ggf. speziell angefertigten - Kontaktlinsen versorgt werden. Soweit dagegen eingewandt wird, die Klägerin könne wegen der Steifheit ihrer Finger und Schultergelenke die Kontaktlinsen nicht einsetzen, begründet dies keinen Anspruch auf die Implantation einer Intraokularlinse, sondern allenfalls auf häusliche Krankenpflege gem. § 37 SGB V oder auf Hilfe nach dem Recht der sozialen Pflegeversicherung. Derartige Ansprüche sind jedoch nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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