S 6 R 233/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 6 R 233/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 18 R 1090/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Kosten eines isolierten Vorverfahrens.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger erhält von der Beklagten eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit (Bescheid vom 21.02.0000). Mit Schreiben vom 25.05.2009 beantragte er im Wege des Überprüfungsverfahrens, die Rente unter Anerkennung verschiedener rentenrechtlicher Zeiten neu zu berechnen sowie den seinerzeitigen Rentenantrag in Kopie zu übersenden. Überdies bat er um Probeberechnung für eine Regelaltersrente mit Rentenbeginn zum 65. Lebensjahr und beantragte in diesem Schreiben formlos Regelaltersrente. Mit Bescheid vom 28.07.2009 stellte die Beklagte die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit unter Anrechnung der begehrten Zeiten neu fest. Es errechnete sich ein monatlicher Renten-Zahlbetrag in Höhe von 1.352,32 Euro. Mit Schreiben vom 01.10.2009 erinnerte der Kläger an die Probeberechnung. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 09.10.2009 den Antrag auf Regelaltersrente ab und führte zur Begründung aus, nach § 34 Abs. 4 Nr. 3 SGB VI sei nach bindender Feststellung einer Altersrente der Wechsel in eine andere Rente wegen Alters ausgeschlossen. Der Kläger legte am 21.10.2009 Widerspruch ein und führte aus, er habe vorab um eine Berechnung der Regelaltersrente gebeten. Ob der Widerspruch aufrechterhalten bleibe, werde nach Erhalt der Probeberechnung entschieden. Unter dem 05.11.2009 erstellte die Beklagte eine entsprechende Probeberechnung für eine Regelaltersrente. Es errechnete sich ein monatlicher Renten-Zahlbetrag in Höhe von 1.350,75 Euro. Am 16.12.2009 nahm der Kläger den Widerspruch gegen den Bescheid vom 09.10.2009 zurück und stellte unter Hinweis auf eine Kostennote seines Verfahrensbevollmächtigten in Höhe von 178,50 Euro Kostenantrag. Zur Begründung führte er aus, die Beklagte habe die Kosten zu tragen, da sie das Widerspruchsverfahren "unnötigerweise provoziert" habe. Mit Bescheid vom 15.01.2010 lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten des Vorverfahrens ab. Zur Begründung verwies sie auf § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X und führte aus, der Widerspruch habe keinen Erfolg gehabt, sondern sei zurückgenommen worden. Der Kläger legte unter dem 21.01.2010 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25.03.2010 unter Vertiefung ihrer bisherigen Ausführungen zurückwies.

Hiergegen richtet sich die am 14.04.2010 erhobene Klage.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15.01.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2010 zu verurteilen, ihm unter Feststellung der Notwendigkeit der Zuziehung des Bevollmächtigten die notwendigen Aufwendungen im Widerspruchsverfahren zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Er hat keinen Anspruch auf Erstattung seiner notwendigen Aufwendungen unter Einbeziehung der Gebühren und Auslagen seines Verfahrensbevollmächtigten.

Grundlage für den Anspruch des Klägers ist § 63 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X).

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen jedoch nicht vor, weil der Widerspruch des Klägers nicht erfolgreich gewesen ist. "Erfolgreich" im Sinne von § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist der Widerspruch allein dann, wenn die Behörde ihm stattgibt, (BSG, Urteil vom 21.07.1992, 4 RA 20/91 = juris Rdnr. 18; für die entsprechende Regelung des § 80 Abs. 1 Satz 1 VwVfG bereits BVerwG, Urteil vom 14.01.1983, 8 C 80/80 = juris, Rdnr. 12). Hier jedoch hat der Kläger, nachdem er erkannt hatte, dass eine Regelaltersrente nicht höher ausfallen würde, als die bewilligte Altersente wegen Arbeitslosigkeit, seinen Widerspruch zurückgenommen.

Auch eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift scheidet aus. Denn die Voraussetzungen für eine Gesetzesanalogie, nämlich planwidrige Regelungslücke und Vergleichbarkeit des geregelten mit dem ungeregelten Sachverhalt (vgl. insoweit nur BSG, Urteil vom 27.06.2007, B 6 KA 24/06 R = juris, Rdnr. 18 m.w.N.; Urteil vom 31.05.2006, B 6 KA 62/04 R = juris, Rdnr. 14 m.w.N.), liegen nicht vor. Es fehlt bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Denn abgesehen von dem klaren Wortlaut des § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X, der allein auf das Erfolgsprinzip abstellt, spricht insbesondere auch § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X gegen eine planwidrige Regelungslücke. Nach dieser Vorschrift nämlich sind die Kosten des Vorverfahrens in eng begrenzen Ausnahmefällen in Abweichung vom strikten Erfolgsprinzip des Satzes 1 und unter Berücksichtigung des Veranlassungsprinzips erstattungsfähig, obwohl der Widerspruch keinen Erfolg hat. Hat der Gesetzgeber aber das Veranlassungsprinzip bei Schaffung von § 63 Abs. 1 SGB X durchaus vor Augen gehabt und dies in Satz 2 normiert, so kann nicht davon ausgegangen werden, dass er es im Rahmen der Vorschrift des Satzes 1 übersehen hat. Es liegt damit im Hinblick auf das Veranlassungsprinzip keine planwidrige Regelungslücke vor, sondern ein "beredtes" Schweigen des Gesetzgebers.

Soweit demgegenüber in der Rechtsprechung neuerdings vertreten wird, es sei eine erweiternde Auslegung des § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X geboten und das Veranlassungsprinzip müsse in (engen) Grenzen Anwendung finden (so etwa LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.02.2010, L 4 R 803/09 = juris, Rdnr. 28 ff.), so folgt die Kammer dem nicht. Auch in diesen Fällen nämlich besteht ein praktisches Bedürfnis für eine Gesetzesanalogie zu § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht. Konstellationen etwa, in denen unter Hinweis auf einen vermeintlichen Bescheid eines bestimmten Datums von einer Behörde eine Zahlungspflicht o.ä. angekündigt oder hieran erinnert wird, können durch eine extensive Interpretation des § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X gelöst werden. Wird nämlich in derartigen Fällen Widerspruch eingelegt, erkennt die Behörde daraufhin ihren Irrtum und erklärt etwa, es existiere entgegen der ursprünglichen Ankündigung kein solcher Bescheid, so lässt sich dies als "Erfolg" des Widerspruchs im Sinne von § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X deuten. Auch die Fälle einer unzutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung erfordern keine Analogie. Legt etwa ein Betroffener Widerspruch gegen einen Bescheid ein, der nach § 86 SGG in ein laufendes Verfahren einbezogen ist, aber in seiner Rechtsbehelfsbelehrung fehlerhaft auf den Widerspruch verweist, so können zusätzliche Aufwendungen des Widerspruchsführers in dem Verfahren über den zulässigen Widerspruch berücksichtigt werden (Thüringer LSG, Urteil vom 13.01.2010, L 7 AS 1042/07 = juris).

Selbst wenn man aber in derartigen Ausnahmefällen vom reinen Erfolgsprinzip des § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X abrücken wollte, so ist die vorliegende Konstellation hiermit nicht vergleichbar. Im vorliegenden Fall hätte der Kläger seinen Widerspruch gegen den Bescheid vom 09.10.2009 aufrechterhalten können. Spätestens im Klageverfahren hätte über die Kosten des Vorverfahrens mitentschieden werden müssen und nach § 193 Abs. 1 Satz 1 (bzw. - bei unstreitiger Beendigung - Satz 3) SGG spielen Veranlassungsgesichts- punkte hier durchaus eine Rolle (dazu allgemein nur Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 193 Rdnr. 12b).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Das Gericht hat die Berufung zugelassen, weil es der Sache grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG beimisst. Angesichts der mittlerweile vorliegenden Entscheidungen, die eine Berücksichtigung des Veranlassungsprinzips in § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X befürworten, ist eine Rechtsfrage aufgeworfen, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt.
Rechtskraft
Aus
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