Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 122/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache mit dem Medikament Xarelto® nach ärztlicher Verordnung zu versorgen. Die außergerichtlichen Kosten der Antragsstellerin trägt die Antragsgegnerin.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin (Ast.) begehrt von der Antragsgegnerin (Ag.) die vorläufige Übernahme/Erstattung der Kosten für das Medikament Xarelto®.
Die 0000 geborene Ast. leidet an zahlreichen – nach Auflistung ihrer behandelnden Ärzte an 45 – Gesundheitsstörungen, u.a. einer Thrombosenanfälligkeit nach wiederholten Thrombosen und Lungenembolien. Zuletzt im Oktober 2010 erlitt sie eine so genannte Drei-Etagen-Thrombose und eine Lungenembolie; sie wurde deshalb stationär im Krankenhaus behandelt.
Am 15.10.2010 beantragten die behandelnden Ärzte bei der Ag. die Versorgung der Ast. mit dem (neuen) Arzneimittel Xarelto® (Wirkstoff Rivaroxaban). Sie wiesen daraufhin, dass dieses Medikament zur Vorbeugung von Thromboembolien nach Hüft- und Kniegelenksersatz zugelassen sei und ein Einsatz bei der Ast. ein "off-label-use" sei. Da die Ast. an einem massiven Lendenwirbelsäulensyndrom leide und deswegen häufiger Injektionen erhalte, entfalle – so die Ärzte – die Durchführung einer Antikoagulation mit Marcumar®; andererseits bestehe die Notwendigkeit einer lebenslangen Antikoagulation, eine lebenslange Injektion von Heparin® sei jedoch nicht vorstellbar. Deshalb habe auch das Krankenhaus Heinsberg eine Therapie mit Xarelto® empfohlen.
Vom 17.10. bis 22.10.2010 befand sich die Ast. erneut zur stationären Behandlung im Krankenhaus I ... Im Arztbericht vom 22.10.2010 heißt es: "Da Frau L. die Einnahme von Marcumar bei regelmäßig erfolgenden tiefen, paravertebralen Injektionen aufgrund eines chronischen Lendenwirbelsäulensyndroms strikt ablehnt, wurde eine Antikoagulation mit einem niedermolekularen Heparin durchgeführt. Frau L.bemüht sich um einen Termin zur stationären Facettendenervierung im St. Willibrord Spital Emmerich-Rees. Die Clexane-Injektionen sollten einen Tag vor dem Eingriff abgesetzt und am Folgetag des Eingriffs wieder aufgenommen werden. Danach kann auf Patientenwunsch eine dauerhafte Antikoagulation mit Xarelto erfolgen, welches eine kürzere Halbwertszeit als das Marcumar aufweist und daher in kürzeren Abständen an- und abgesetzt werden kann."
In einer von der Ag. eingeholten Stellungnahme des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) kam Dr. T. am 02.11.2010 u.a. zum Ergebnis, Xarelto® sei zur Prophylaxe venöser Thromboembolien bei erwachsenen Patienten nach elektiven Hüft- oder Kniegelenksersatzoperationen zugelassen, nicht jedoch zur Behandlung des bei der Ast. vorliegenden Krankheitsbildes einer Thrombophilie. Als vertragliche Therapiemaßnahmen stünden die Antikoagulation mit Marcumar® und Heparin® zur Verfügung.
Gestützt hierauf lehnte die Ag. den Antrag auf Übernahme der Kosten für das Medikament Xarelto® ab.
Dagegen erhob die Ast. am 22.11.2010 Widerspruch. Sie trug vor, Marcumar® sei für sie unverträglich. Das Medikament Xarelto® sei mit sehr guten Erfahrungen bereits seit geraumer Zeit in der Praxis im Einsatz; die Erprobungsphase III sei abgeschlossen; zur Zeit stehe nur noch die offizielle Zulassung offen, die in Kürze erwartet werde. Sie vertrage auch die Arzneimittel Clexane® und Arixtra® nicht. Im Übrigen liege auch bei Einsatz dieser Medikamente ein off-label-use vor.
In einem Arztbericht vom 01.02.2011 teilte der Chefarzt der Abteilung Innere Medizin des Krankenhaus I., Dr. N., mit, die Ast. habe unter Behandlung mit Clexane® zwischenzeitlich eine ausgeprägte Allergie entwickelt, sodass die Antikoagulation auf Arixtra® habe umgestellt werden müssen. Auch dieses Arzneimittel sei jedoch für eine dauerhafte Behandlung zur Vorbeugung einer thrombembolischen Erkrankung nicht zugelassen. Dr. L. empfahl daher die Behandlung mit Xarelto® (Rivaroxaban), auch wenn es sich hierbei im strengeren Sinne um einen Heilversuch (off-label-use) handele.
Auf eine daraufhin am 03.02.2011 erfolgte vertragsärztliche Verordnung von Xarelto® erteilte die Ag. die Genehmigung zur einmaligen Abgabe dieses Arzneimittels im Rahmen einer Einzelfallentscheidung ohne präjudizierende Wirkung zur Sicherstellung der zeitnahen Versorgung und veranlasste zugleich eine erneute Stellungnahme des MDK. Dieser teilte am 16.02.2011 mit, die Meldung von Nebenwirkungen von Arzneimitteln sei verpflichtend; er bat deshalb um Vorlage der entsprechenden Dokumentation über die Meldung der Nebenwirkungen. Er wies darauf hin, dass nach dem Krankenhausbericht die Ast. eine Marcumar®-Behandlung ablehne; Nebenwirkungen lägen nicht vor; die Ast. wünsche vielmehr eine dauerhafte Behandlung mit Xarelto®. Unter diesen Umständen sei eine Versorgung mit Xarelto® mangels Zulassung für das bei der Ast. vorliegende Krankheitsbild nicht zu befürworten.
Am 30.04.2011 hat die Ast. beim Sozialgericht um einstweiligen Rechtschutz nachgesucht. Sie trägt vor, die Thrombosen stellten stets lebensgefährliche Situationen für sie dar. Deshalb sei sie laufend auf eine medikamentöse Behandlung angewiesen, entweder durch Injektionen oder in Tablettenform. Bei der Behandlung mit Marcumar® sei eine Tablettenunverträglichkeit in Form von Haarausfall eingetreten. Unter der Behandlung mit Clexane® sei es zu allergischen Reaktionen in Form von Pusteln und Juckreiz am ganzen Körper gekommen. Als daraufhin das Medikament Arixtra® verabreicht worden sei, habe sie ebenfalls mit Unverträglichkeit reagiert, und zwar in Form von Darmbluten. Daraufhin sei das Arzneimittel Xarelto® verschrieben worden. Die Erforderlichkeit und Dringlichkeit der Behandlung seien von den behandelnden Ärzten nachgewiesen worden. Sie sei finanziell nicht mehr in der Lage, die Kosten für das Arzneimittel Xarelto® selbst zu tragen. Die Behandlung mit Xarelto® sei erfolgreich gewesen, es seien keine Unverträglichkeiten aufgetreten. Es handele sich dabei um eine für sie unverzichtbare und erwiesenermaßen wirksame Therapie. Eine andere Therapie sei nicht verfügbar. Das Arzneimittel Xarelto® sei praktisch erforscht, drei Prüfungsphasen seien wirksam und abschließend durchgeführt, und zwar auch in Bezug auf die Wirksamkeit hinsichtlich der bei ihr vorliegenden Erkrankung. Es sei nicht nur die Erweiterung der Zulassung beantragt; vielmehr lägen auch die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III vor. Im Herbst stehe die Zulassung des Medikamentes an.
Die Antragstellerin beantragt,
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzuerlegen, die Kosten für das Medikament Xarelto® bis zur Entscheidung in der Hauptsache nach ärztlicher Verschreibung zu übernehmen, erforderlichenfalls zu erstatten.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Sie verweist darauf, dass die Verordnung von Arzneimitteln außerhalb der zugelassenen Indikation im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung grundsätzlich nicht möglich sei. Diese gelte auch bei regelmäßiger Verordnung als Therapieversuch außerhalb klinischer Studien. Außerhalb der zugelassenen Anwendungsgebiete könnten die Kosten einer Arzneitherapie von den Krankenkassen nur übernommen werden, wenn drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt seien. Im Fall der Ast. lägen diese Voraussetzungen nicht vor. Die Ag. stützt sich hierbei auf die Stellungnahmen des MDK vom 02.11.2010, 16.02. 27.04. und 09.05.2011.
Das Gericht hat zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts einen Befundbericht von dem Krankenhausarzt Dr. L. eingeholt. Wegen des Ergebnisses wird auf den Bericht vom 19.05.2011 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Ast. betreffende Verwaltungsakte der Ag., die bei der Entscheidung vorgelegen haben, Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweilgien Anordnung ist zulässig und begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Ast. muss glaubhaft machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO), dass ihm ein Anspruch auf die geltend gemachte Leistung zusteht (Anordnungsanspruch) und dass das Abwarten einer gerichtlichen Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren für ihn mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (Anordnungsgrund). Einstweilige Anordnungen kommen grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Beseitigung einer gegenwärtigen Notlage dringend geboten ist.
Unter Berücksichtigung dieser Kriterien besteht sowohl eine Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Die Ag. ist nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 3 i. V. m. § 31 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zur ärztlichen Behandlung der bei ihr versicherten Ast. einschließlich der Versorgung mit dem für eine Krankenbehandlung notwendigen Arzneimitteln verpflichtet. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch eines Versicherten unterliegt allerdings den sich aus § 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Allein ein im Einzelfall positiver Behandlungserfolg oder die Befürwortung einer Therapie durch einzelne Ärzte begründet noch keine Leistungspflicht der Krankenkasse (BSG, Urteil vom 19.10.2004 – B 1 KR 27/02 R – m.w.N.). Pharmakotherapien erfüllen grundsätzlich die Anforderungen der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit nicht, wenn das verabreichte Medikament nach den Vorschriften des Arzneimittelrechts der Zulassung bedarf, aber nicht zugelassen ist. Aber auch dann, wenn ein Arzneimittel zum Verkehr zugelassen ist, kann es grundsätzlich nicht zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in einem Anwendungsgebiet verordnet werden, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt (BSG, Urteil vom 19.03.2002 – B 1 KR 37/00 R). Ein solche zulassungsüberschreitende Anwendung (sog. Off-Label-Use) liegt vor, wenn Xarelto® zur Behandlung des bei der Ast. bestehenden Krankheitsbildes einer Thrombopholie bei Faktor II-Mangel eingesetzt wird. Denn Xarelto® besitzt derzeit eine Zulassung ausschließlich zur Prophylaxe venöser Thromboembolien (VTE) bei erwachsenen Patienten nach elektiven Hüft- oder Kniegelenksersatzoperationen.
Der Ausschluss eines Off-Label-Gebrauchs von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung gilt allerdings nicht ausnahmslos. In der medizinischen Diskussion besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass in bestimmten Versorgungsbereichen und bei einzelnen Krankheitsbildern auf einen die Zulassungsgrenzen überschreitenden Einsatz von Medikamenten nicht völlig verzichtet werden kann, wenn den Patienten eine dem Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung nicht vorenthalten werden soll. Wegen des Vorrangs des Arzneimittelrechts muss ein off-label-use zu Lasten der Krankenversicherung jedoch auf Fälle beschränkt werden, in denen einerseits ein unabweisbarer und anders nicht zu befriedigender Bedarf an der Arzneitherapie besteht und andererseits die therapeutische Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Behandlung hinreichend belegt sind. Die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet kommt deshalb nur in Betracht, wenn 1. es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, 2. keine andere Therapie verfügbar ist und 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Damit Letzteres angenommen werden kann, müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlich sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungserfahrens gewonnene Erkenntnis veröffentlich sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftliche nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund deren in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht.
Diese drei Ausnahmekriterien, die kumulativ erfüllt sein müssen, liegen im Fall der Ast. vor. Die Ast. leidet an einer Thrombosenneigung (Thrombophilie) und hat bereits zahlreiche Thrombosen und auch Lungenembolien erlitten. Eine Thrombose stellt für sie stets eine lebensgefährliche Situation dar. Dies hat sowohl der behandelnde Krankenhausarzt Dr. L. als auch der MDK in seiner Stellungnahme vom 02.11.2011 bestätigt. Damit ist das erste Ausnahmekriterium einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung erfüllt.
Entgegen der Auffassung der Ag. und ihres beratenden MDK erfüllt die Ast. aber auch das zweite Ausnahmekriterium für einen off-label-use von Xarelto®. Denn es ist zur Behandlung ihrer Krankheit keine andere Therapie verfügbar, auf die sie nicht mit erheblichen Unverträglichkeiten oder Nebenwirkungen reagiert. Dr. L. hat in seinem Befundbericht dargelegt, dass zwar zur Behandlung einer Thrombosenneigung verschiedene zugelassene Arzneimittel auf dem Markt sind, diese jedoch bei der Ast. zu erheblichen Nebenwirkungen geführt haben. Unter dem Einsatz von Marcumar® kam es zu Haarausfall, auf Clexane® reagierte die Ast. allergisch mit Pusteln und Juckreiz am ganzen Körper; im Übrigen kam es auch unter diesem Medikament mit niedermolekularem Heparin zu einer erneuten Thrombose; auch die anderen eingesetzten zugelassenen Arzneimittel sind von der Ast. nicht vertragen worden. Soweit Dr. L. Arixtra® (Wirkstoff Fondaparinux) als für die Behandlung des Krankheitsbildes der Ast. zugelassenes Arzneimittel aufgeführt hat, steht diese Auffassung nicht mit den Arzneimittelinformationen zu diesem Medikament in Einklang. Denn Arixtra® ist – wie Xarelto® und auch Pradaxa® (Wirkstoff Daligatran) – nur zur Prophylaxe venöser thromboembolischer Ereignisse (VTE) bei Patienten, die sich größeren orthopädischen Eingriffen an den unteren Extremitäten unterziehen müssen, wie beispielsweise Hüftfrakturen, größere Knie- oder Hüftersatzoperationen, zugelassen. Soweit der MDK wiederholt auf den Arztbericht von Dr. L. vom 22.10.2010 hingewiesen hat, wonach die Ast. die Einnahme von Marcumar® strikt abgelehnt und eine dauerhafte Antikoagulation mit Xarelto® gewünscht hat, und daraus schlussfolgert, dass eine Marcumartherpaie für die Ast. eine zumutbare Behandlungsalternative darstellt, verkennt er, dass die Ast. die Marcumarbehandlung aus nachvollziehbaren Gründen ablehnt, nämlich weil sie damit nur schlechte Erfahrungen gemacht hat und sich bei ihr massive Nebenwirkungen eingestellt haben. Nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen, die auf den Mitteilungen der behandelnden Ärzte der Ast. beruhen, ist Xarelto® bisher das erste und einzige Arzneimittel zur Behandlung ihrer Thrombopholie, auf das die Ast. verträglich und ohne Nebenwirkungen reagiert.
Schließlich erfüllt die Ast. auch das dritte Ausnahmekriterium für einen off-label-use. Ausweislich der Presseinformation der Bayer Schering Pharma AG vom 05.01.2011 hat das Pharmaunternehmen für den oralen Gerinnungshemmer Rivaroxaban (Xarelto®) bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA (European Medicines Agency) die Zulassung zur Behandlung der (wiederkehrenden) tiefen Venenthrombose und Lungenembolie beantragt. Der diesbezügliche Zulassungsantrag basiert auf Daten aus der Phase-III-Studie EINSTEIN-DTV sowie auf Daten der Phase III-Studie EINSTEIN-Extension. In allen bisher abgeschlossenen Phasen-III-Studien konnte danach ein positiver Nutzen von Rivaroxaban (Xarelto) belegt werden. Aufgrund des umfangreichen klinischen Studienprogramms ist Rivaroxaban der zurzeit am intensivsten erforschte orale, direkte Faktor-Xa-Inhibitor weltweit. Bei dieser Datenlage besteht die begründete Aussicht, dass mit Xarelto® ein Behandlungserfolg im Hinblick auf das bei der Ast. bestehende Krankheitsbild erzielt werden kann. Somit ist das dritte Ausnahmekriterium nach den Vorgaben des BSG dadurch erfüllt, dass die Erweiterung der Zulassung von Xarelto® für die Indikation des bei der Ast. bestehenden Krankheitsbildes bereits beantragt ist und die Ergebnisse kontrollierter klinischer Prüfungen der Phase III veröffentlich sind, in denen eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive ein klinisch relevanter Nutzen bei vertretbaren Risiken belegt ist.
Es besteht auch ein Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Die Ast. ist auf eine dauerhafte Antikoagulationsbehandlung angewiesen. Im Hinblick auf ihre eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten als Bezieherin einer Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von monatlich ca. 630,00 EUR ist es ihr nicht zumutbar, in Vorleistung für die Kosten des Medikaments Xarelto® (monatlich über 600,00 EUR) bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu gehen.
Nach alledem war es zutreffend und rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Ag. bereits im Februar 2011 einmal die Verordnung und Versorgung der Ast. mit Xarelto® genehmigt hat. Aus den dargelegten Gründen ist sie verpflichtet, die Ast. – zumindest vorläufig – auch weiterhin mit Xarelto® zu versorgen.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin (Ast.) begehrt von der Antragsgegnerin (Ag.) die vorläufige Übernahme/Erstattung der Kosten für das Medikament Xarelto®.
Die 0000 geborene Ast. leidet an zahlreichen – nach Auflistung ihrer behandelnden Ärzte an 45 – Gesundheitsstörungen, u.a. einer Thrombosenanfälligkeit nach wiederholten Thrombosen und Lungenembolien. Zuletzt im Oktober 2010 erlitt sie eine so genannte Drei-Etagen-Thrombose und eine Lungenembolie; sie wurde deshalb stationär im Krankenhaus behandelt.
Am 15.10.2010 beantragten die behandelnden Ärzte bei der Ag. die Versorgung der Ast. mit dem (neuen) Arzneimittel Xarelto® (Wirkstoff Rivaroxaban). Sie wiesen daraufhin, dass dieses Medikament zur Vorbeugung von Thromboembolien nach Hüft- und Kniegelenksersatz zugelassen sei und ein Einsatz bei der Ast. ein "off-label-use" sei. Da die Ast. an einem massiven Lendenwirbelsäulensyndrom leide und deswegen häufiger Injektionen erhalte, entfalle – so die Ärzte – die Durchführung einer Antikoagulation mit Marcumar®; andererseits bestehe die Notwendigkeit einer lebenslangen Antikoagulation, eine lebenslange Injektion von Heparin® sei jedoch nicht vorstellbar. Deshalb habe auch das Krankenhaus Heinsberg eine Therapie mit Xarelto® empfohlen.
Vom 17.10. bis 22.10.2010 befand sich die Ast. erneut zur stationären Behandlung im Krankenhaus I ... Im Arztbericht vom 22.10.2010 heißt es: "Da Frau L. die Einnahme von Marcumar bei regelmäßig erfolgenden tiefen, paravertebralen Injektionen aufgrund eines chronischen Lendenwirbelsäulensyndroms strikt ablehnt, wurde eine Antikoagulation mit einem niedermolekularen Heparin durchgeführt. Frau L.bemüht sich um einen Termin zur stationären Facettendenervierung im St. Willibrord Spital Emmerich-Rees. Die Clexane-Injektionen sollten einen Tag vor dem Eingriff abgesetzt und am Folgetag des Eingriffs wieder aufgenommen werden. Danach kann auf Patientenwunsch eine dauerhafte Antikoagulation mit Xarelto erfolgen, welches eine kürzere Halbwertszeit als das Marcumar aufweist und daher in kürzeren Abständen an- und abgesetzt werden kann."
In einer von der Ag. eingeholten Stellungnahme des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) kam Dr. T. am 02.11.2010 u.a. zum Ergebnis, Xarelto® sei zur Prophylaxe venöser Thromboembolien bei erwachsenen Patienten nach elektiven Hüft- oder Kniegelenksersatzoperationen zugelassen, nicht jedoch zur Behandlung des bei der Ast. vorliegenden Krankheitsbildes einer Thrombophilie. Als vertragliche Therapiemaßnahmen stünden die Antikoagulation mit Marcumar® und Heparin® zur Verfügung.
Gestützt hierauf lehnte die Ag. den Antrag auf Übernahme der Kosten für das Medikament Xarelto® ab.
Dagegen erhob die Ast. am 22.11.2010 Widerspruch. Sie trug vor, Marcumar® sei für sie unverträglich. Das Medikament Xarelto® sei mit sehr guten Erfahrungen bereits seit geraumer Zeit in der Praxis im Einsatz; die Erprobungsphase III sei abgeschlossen; zur Zeit stehe nur noch die offizielle Zulassung offen, die in Kürze erwartet werde. Sie vertrage auch die Arzneimittel Clexane® und Arixtra® nicht. Im Übrigen liege auch bei Einsatz dieser Medikamente ein off-label-use vor.
In einem Arztbericht vom 01.02.2011 teilte der Chefarzt der Abteilung Innere Medizin des Krankenhaus I., Dr. N., mit, die Ast. habe unter Behandlung mit Clexane® zwischenzeitlich eine ausgeprägte Allergie entwickelt, sodass die Antikoagulation auf Arixtra® habe umgestellt werden müssen. Auch dieses Arzneimittel sei jedoch für eine dauerhafte Behandlung zur Vorbeugung einer thrombembolischen Erkrankung nicht zugelassen. Dr. L. empfahl daher die Behandlung mit Xarelto® (Rivaroxaban), auch wenn es sich hierbei im strengeren Sinne um einen Heilversuch (off-label-use) handele.
Auf eine daraufhin am 03.02.2011 erfolgte vertragsärztliche Verordnung von Xarelto® erteilte die Ag. die Genehmigung zur einmaligen Abgabe dieses Arzneimittels im Rahmen einer Einzelfallentscheidung ohne präjudizierende Wirkung zur Sicherstellung der zeitnahen Versorgung und veranlasste zugleich eine erneute Stellungnahme des MDK. Dieser teilte am 16.02.2011 mit, die Meldung von Nebenwirkungen von Arzneimitteln sei verpflichtend; er bat deshalb um Vorlage der entsprechenden Dokumentation über die Meldung der Nebenwirkungen. Er wies darauf hin, dass nach dem Krankenhausbericht die Ast. eine Marcumar®-Behandlung ablehne; Nebenwirkungen lägen nicht vor; die Ast. wünsche vielmehr eine dauerhafte Behandlung mit Xarelto®. Unter diesen Umständen sei eine Versorgung mit Xarelto® mangels Zulassung für das bei der Ast. vorliegende Krankheitsbild nicht zu befürworten.
Am 30.04.2011 hat die Ast. beim Sozialgericht um einstweiligen Rechtschutz nachgesucht. Sie trägt vor, die Thrombosen stellten stets lebensgefährliche Situationen für sie dar. Deshalb sei sie laufend auf eine medikamentöse Behandlung angewiesen, entweder durch Injektionen oder in Tablettenform. Bei der Behandlung mit Marcumar® sei eine Tablettenunverträglichkeit in Form von Haarausfall eingetreten. Unter der Behandlung mit Clexane® sei es zu allergischen Reaktionen in Form von Pusteln und Juckreiz am ganzen Körper gekommen. Als daraufhin das Medikament Arixtra® verabreicht worden sei, habe sie ebenfalls mit Unverträglichkeit reagiert, und zwar in Form von Darmbluten. Daraufhin sei das Arzneimittel Xarelto® verschrieben worden. Die Erforderlichkeit und Dringlichkeit der Behandlung seien von den behandelnden Ärzten nachgewiesen worden. Sie sei finanziell nicht mehr in der Lage, die Kosten für das Arzneimittel Xarelto® selbst zu tragen. Die Behandlung mit Xarelto® sei erfolgreich gewesen, es seien keine Unverträglichkeiten aufgetreten. Es handele sich dabei um eine für sie unverzichtbare und erwiesenermaßen wirksame Therapie. Eine andere Therapie sei nicht verfügbar. Das Arzneimittel Xarelto® sei praktisch erforscht, drei Prüfungsphasen seien wirksam und abschließend durchgeführt, und zwar auch in Bezug auf die Wirksamkeit hinsichtlich der bei ihr vorliegenden Erkrankung. Es sei nicht nur die Erweiterung der Zulassung beantragt; vielmehr lägen auch die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III vor. Im Herbst stehe die Zulassung des Medikamentes an.
Die Antragstellerin beantragt,
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzuerlegen, die Kosten für das Medikament Xarelto® bis zur Entscheidung in der Hauptsache nach ärztlicher Verschreibung zu übernehmen, erforderlichenfalls zu erstatten.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Sie verweist darauf, dass die Verordnung von Arzneimitteln außerhalb der zugelassenen Indikation im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung grundsätzlich nicht möglich sei. Diese gelte auch bei regelmäßiger Verordnung als Therapieversuch außerhalb klinischer Studien. Außerhalb der zugelassenen Anwendungsgebiete könnten die Kosten einer Arzneitherapie von den Krankenkassen nur übernommen werden, wenn drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt seien. Im Fall der Ast. lägen diese Voraussetzungen nicht vor. Die Ag. stützt sich hierbei auf die Stellungnahmen des MDK vom 02.11.2010, 16.02. 27.04. und 09.05.2011.
Das Gericht hat zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts einen Befundbericht von dem Krankenhausarzt Dr. L. eingeholt. Wegen des Ergebnisses wird auf den Bericht vom 19.05.2011 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Ast. betreffende Verwaltungsakte der Ag., die bei der Entscheidung vorgelegen haben, Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweilgien Anordnung ist zulässig und begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Ast. muss glaubhaft machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO), dass ihm ein Anspruch auf die geltend gemachte Leistung zusteht (Anordnungsanspruch) und dass das Abwarten einer gerichtlichen Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren für ihn mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (Anordnungsgrund). Einstweilige Anordnungen kommen grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Beseitigung einer gegenwärtigen Notlage dringend geboten ist.
Unter Berücksichtigung dieser Kriterien besteht sowohl eine Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Die Ag. ist nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 3 i. V. m. § 31 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zur ärztlichen Behandlung der bei ihr versicherten Ast. einschließlich der Versorgung mit dem für eine Krankenbehandlung notwendigen Arzneimitteln verpflichtet. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch eines Versicherten unterliegt allerdings den sich aus § 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Allein ein im Einzelfall positiver Behandlungserfolg oder die Befürwortung einer Therapie durch einzelne Ärzte begründet noch keine Leistungspflicht der Krankenkasse (BSG, Urteil vom 19.10.2004 – B 1 KR 27/02 R – m.w.N.). Pharmakotherapien erfüllen grundsätzlich die Anforderungen der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit nicht, wenn das verabreichte Medikament nach den Vorschriften des Arzneimittelrechts der Zulassung bedarf, aber nicht zugelassen ist. Aber auch dann, wenn ein Arzneimittel zum Verkehr zugelassen ist, kann es grundsätzlich nicht zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in einem Anwendungsgebiet verordnet werden, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt (BSG, Urteil vom 19.03.2002 – B 1 KR 37/00 R). Ein solche zulassungsüberschreitende Anwendung (sog. Off-Label-Use) liegt vor, wenn Xarelto® zur Behandlung des bei der Ast. bestehenden Krankheitsbildes einer Thrombopholie bei Faktor II-Mangel eingesetzt wird. Denn Xarelto® besitzt derzeit eine Zulassung ausschließlich zur Prophylaxe venöser Thromboembolien (VTE) bei erwachsenen Patienten nach elektiven Hüft- oder Kniegelenksersatzoperationen.
Der Ausschluss eines Off-Label-Gebrauchs von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung gilt allerdings nicht ausnahmslos. In der medizinischen Diskussion besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass in bestimmten Versorgungsbereichen und bei einzelnen Krankheitsbildern auf einen die Zulassungsgrenzen überschreitenden Einsatz von Medikamenten nicht völlig verzichtet werden kann, wenn den Patienten eine dem Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung nicht vorenthalten werden soll. Wegen des Vorrangs des Arzneimittelrechts muss ein off-label-use zu Lasten der Krankenversicherung jedoch auf Fälle beschränkt werden, in denen einerseits ein unabweisbarer und anders nicht zu befriedigender Bedarf an der Arzneitherapie besteht und andererseits die therapeutische Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Behandlung hinreichend belegt sind. Die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet kommt deshalb nur in Betracht, wenn 1. es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, 2. keine andere Therapie verfügbar ist und 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Damit Letzteres angenommen werden kann, müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Davon kann ausgegangen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlich sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungserfahrens gewonnene Erkenntnis veröffentlich sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftliche nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund deren in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht.
Diese drei Ausnahmekriterien, die kumulativ erfüllt sein müssen, liegen im Fall der Ast. vor. Die Ast. leidet an einer Thrombosenneigung (Thrombophilie) und hat bereits zahlreiche Thrombosen und auch Lungenembolien erlitten. Eine Thrombose stellt für sie stets eine lebensgefährliche Situation dar. Dies hat sowohl der behandelnde Krankenhausarzt Dr. L. als auch der MDK in seiner Stellungnahme vom 02.11.2011 bestätigt. Damit ist das erste Ausnahmekriterium einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung erfüllt.
Entgegen der Auffassung der Ag. und ihres beratenden MDK erfüllt die Ast. aber auch das zweite Ausnahmekriterium für einen off-label-use von Xarelto®. Denn es ist zur Behandlung ihrer Krankheit keine andere Therapie verfügbar, auf die sie nicht mit erheblichen Unverträglichkeiten oder Nebenwirkungen reagiert. Dr. L. hat in seinem Befundbericht dargelegt, dass zwar zur Behandlung einer Thrombosenneigung verschiedene zugelassene Arzneimittel auf dem Markt sind, diese jedoch bei der Ast. zu erheblichen Nebenwirkungen geführt haben. Unter dem Einsatz von Marcumar® kam es zu Haarausfall, auf Clexane® reagierte die Ast. allergisch mit Pusteln und Juckreiz am ganzen Körper; im Übrigen kam es auch unter diesem Medikament mit niedermolekularem Heparin zu einer erneuten Thrombose; auch die anderen eingesetzten zugelassenen Arzneimittel sind von der Ast. nicht vertragen worden. Soweit Dr. L. Arixtra® (Wirkstoff Fondaparinux) als für die Behandlung des Krankheitsbildes der Ast. zugelassenes Arzneimittel aufgeführt hat, steht diese Auffassung nicht mit den Arzneimittelinformationen zu diesem Medikament in Einklang. Denn Arixtra® ist – wie Xarelto® und auch Pradaxa® (Wirkstoff Daligatran) – nur zur Prophylaxe venöser thromboembolischer Ereignisse (VTE) bei Patienten, die sich größeren orthopädischen Eingriffen an den unteren Extremitäten unterziehen müssen, wie beispielsweise Hüftfrakturen, größere Knie- oder Hüftersatzoperationen, zugelassen. Soweit der MDK wiederholt auf den Arztbericht von Dr. L. vom 22.10.2010 hingewiesen hat, wonach die Ast. die Einnahme von Marcumar® strikt abgelehnt und eine dauerhafte Antikoagulation mit Xarelto® gewünscht hat, und daraus schlussfolgert, dass eine Marcumartherpaie für die Ast. eine zumutbare Behandlungsalternative darstellt, verkennt er, dass die Ast. die Marcumarbehandlung aus nachvollziehbaren Gründen ablehnt, nämlich weil sie damit nur schlechte Erfahrungen gemacht hat und sich bei ihr massive Nebenwirkungen eingestellt haben. Nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen, die auf den Mitteilungen der behandelnden Ärzte der Ast. beruhen, ist Xarelto® bisher das erste und einzige Arzneimittel zur Behandlung ihrer Thrombopholie, auf das die Ast. verträglich und ohne Nebenwirkungen reagiert.
Schließlich erfüllt die Ast. auch das dritte Ausnahmekriterium für einen off-label-use. Ausweislich der Presseinformation der Bayer Schering Pharma AG vom 05.01.2011 hat das Pharmaunternehmen für den oralen Gerinnungshemmer Rivaroxaban (Xarelto®) bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA (European Medicines Agency) die Zulassung zur Behandlung der (wiederkehrenden) tiefen Venenthrombose und Lungenembolie beantragt. Der diesbezügliche Zulassungsantrag basiert auf Daten aus der Phase-III-Studie EINSTEIN-DTV sowie auf Daten der Phase III-Studie EINSTEIN-Extension. In allen bisher abgeschlossenen Phasen-III-Studien konnte danach ein positiver Nutzen von Rivaroxaban (Xarelto) belegt werden. Aufgrund des umfangreichen klinischen Studienprogramms ist Rivaroxaban der zurzeit am intensivsten erforschte orale, direkte Faktor-Xa-Inhibitor weltweit. Bei dieser Datenlage besteht die begründete Aussicht, dass mit Xarelto® ein Behandlungserfolg im Hinblick auf das bei der Ast. bestehende Krankheitsbild erzielt werden kann. Somit ist das dritte Ausnahmekriterium nach den Vorgaben des BSG dadurch erfüllt, dass die Erweiterung der Zulassung von Xarelto® für die Indikation des bei der Ast. bestehenden Krankheitsbildes bereits beantragt ist und die Ergebnisse kontrollierter klinischer Prüfungen der Phase III veröffentlich sind, in denen eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive ein klinisch relevanter Nutzen bei vertretbaren Risiken belegt ist.
Es besteht auch ein Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Die Ast. ist auf eine dauerhafte Antikoagulationsbehandlung angewiesen. Im Hinblick auf ihre eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten als Bezieherin einer Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von monatlich ca. 630,00 EUR ist es ihr nicht zumutbar, in Vorleistung für die Kosten des Medikaments Xarelto® (monatlich über 600,00 EUR) bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu gehen.
Nach alledem war es zutreffend und rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Ag. bereits im Februar 2011 einmal die Verordnung und Versorgung der Ast. mit Xarelto® genehmigt hat. Aus den dargelegten Gründen ist sie verpflichtet, die Ast. – zumindest vorläufig – auch weiterhin mit Xarelto® zu versorgen.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.
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