S 13 KR 68/11

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 68/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Lipofilling (Eigenfettverpflanzung) zur Behandlung einer Keloidbildung am rechten Schulterdach zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

Die am 00.00.0000 geborene Klägerin leidet an einer wiederkehrenden Keloidbildung (Gewebewucherung) am rechten Schulterdach nach einer Abszessspaltung 2005 im Narbenbereich, dadurch bedingter Schmerzhaftigkeit und psychischen Beschwerden. Am 29.09.2010 beantragte sie über die Klinik für Plastische Chirurgie des Universitätsklinikums Aachen (Prof. Dr. Q) die Übernahme der Kosten eines Lipofillings unterhalb des Keloids. Die Ärzte empfahlen die Behandlung als "weitere Möglichkeit" nach bisher nicht zufriedenstellender Therapie, "um der jungen Patientin eine verbesserte Lebensqualität ermöglichen zu können". In einem von der Beklagten veranlassten Gutachten des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) vom 07.10.2010 stellte Dr. G. fest, es lägen bei der Klägerin durch die Keloidbildung keine funktionellen Einschränkungen vor, ebenso keine Entstellung; für die Behandlung stehe eine ästhetische Motivation im Vordergrund.

Gestützt hierauf lehnte die Beklagte den Antrag durch Bescheid vom 13.10.2010 ab.

Dagegen hat die Klägerin am 03.11.2010 Widerspruch eingelegt. Sie trug vor, es gehe ausschließlich um eine Narbenreduzierung, nicht um eine ästhetische Behandlung; als Ergebnis verspreche sie sich eine annehmbare Narbe, die im Sommer nicht verdeckt werden müsste. Sie leide seit Jahren erheblich unter den Folgen der wiederkehrenden Keloidbildung; sie werde oft von Mitschülern darauf angesprochen und gehänselt; die sich daraus ergebenden sozialpsychologischen Folgen seien erheblich; sie wolle nicht mehr am Sport- und Schwimmunterricht teilnehmen und weigere sich, eine wetterabhängige Kleidung, insbesondere im Sommer, zu tragen; die Narbe sei sehr druckempfindlich und schmerze, weil das Fett unter der Haut sehr dünn sei; trotz mehrjähriger Behandlung habe kein akzeptables Ergebnis erzielt werden können. Die Klägerin hat zur Dokumentation ihres Leidens zahlreiche Fotos vorgelegt.

In einem weiteren MDK-Gutachten vom 23.12.2010 stellte Dr. N. fest, im Hinblick auf die vorgelegten Fotos und die klinische Angaben von Schmerzen und eingeschränkter Belastbarkeit sei davon auszugehen, dass es sich bei dem Narbenkeloid um eine Erkrankung im Sinne der GKV handele und nicht der Wunsch nach einer Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes (ästhetische Motivation) im Vordergrund stehe. Jedoch seien die Voraussetzungen für ein Lipofilling zu Lasten der GKV nicht erfüllt; es stünden weiter konservative Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung.

Gestützt hierauf wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 10.02.2011 zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 08.03.2011 Klage erhoben. Sie trägt vor, bisher seien eine Abszessspaltung, eine Narbenexzision, eine Kompressions- und Silikonpflastertherapie, sowie eine Dermojet-Behandlung erfolglos angewandt worden. Sie hat dazu eine Stellungnahme der Klinik für Plastische Chirurgie vom 16.02.2011 vorgelegt. Darin wird ausgeführt, dass eine fachdermatologische Vorstellung der Klägerin nicht erforderlich sei, weil die Klinik für Plastische Chirurgie über ausgiebige Erfahrung verfüge; eine konservative Therapie sei ohne positives Ergebnis durchgeführt worden; als letzte Alternative zum Lipofilling käme allenfalls noch eine Hautexpansion mit nachfolgender Keloidexzision mit dem Risiko erneuter Keloidbildung in Betracht.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.10.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2011 zu verurteilen, ihr ein Lipofilling zur Behandlung der Keloidbildung am rechten Schulterdach zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verbleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Auffassung. Sie meint, bei dem geplanten Lipofilling handele es sich nicht um ein Behandlungsverfahren, das dem anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft entspreche. Sie verweist hierzu auf eine weitere MDK-Stellungnahme vom 28.02.2011, in der festgehalten wird, dass es sich bei dem Lipofilling zum jetzigen Zeitpunkt um ein experimentelles Therapieverfahren handele.

Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhalts Auskünfte vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) vom 18.04.2011 und von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) vom 02. Mai 2011 eingeholt, auf die verwiesen wird.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf ein Lipofilling zur Behandlung ihrer wiederkehrenden Keloidbildung am rechten Schulterdach, und zwar weder im Rahmen ambulanter vertragsärztlicher Versorgung noch in Form einer Krankenhausbehandlung.

Ein Anspruch auf ein ambulantes ärztliches Lipofilling scheitert daran, dass der G-BA die neue Methode des Lipofillings nicht positiv empfohlen hat und kein Ausnahmefall vorliegt, in welchem dies entbehrlich ist.

Der Anspruch eines Versicherten auf Behandlung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) unterliegt den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Dies ist - wie hier - bei neuen Unter¬suchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung gem. § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur dann der Fall, wenn der G-BA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeuti¬schen Nut¬zen der Methode abgegeben hat. Durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 i. V. m. § 135 Abs. 1 SGB V wird nämlich nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzun¬gen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer neue Untersu¬chungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkasse erbringen und abrech¬nen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinie auch der Umfang der den Versicherten von den Kran¬kenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt. "Neu" ist eine Me¬thode, wenn sie - wie hier das Lipofilling - zum Zeitpunkt der Leistungs¬erbringung nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungs¬maßstab für vertrags-ärztliche Leistungen (EBM-Ä) enthalten ist (BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 1 KR 11/08 R m.w.N.).

Auf ausdrückliches Befragen des Gerichts hat der G-BA am 18.04.2011 mitgeteilt, dass die Methode des Lipofillings bisher weder im G-BA noch im vormals zuständigen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen überprüft worden ist. Weder der G-BA noch seine Rechtsvorgänger hätten zu dieser Therapieform bisher eine Empfehlung abgegeben. Sodann hat die KBV am 02. Mai 2011 mitgeteilt, dass es im EBM keinen entsprechenden Operationscode gibt und eine Abrechnung über den EBM nicht möglich ist. Als nicht vom G-BA empfohlene neue Behandlungsmethode ist das ambulante Lipofilling mithin grundsätzlich kein Leistungsgegenstand der GKV. Dies gilt umso mehr, als es sich hier um eine Behandlungsmethode handelt, die sich noch im Forschungsstadium befindet. Prof. Dr. Q hat in seiner Stellungnahme vom 10.09.2010 selbst das Lipofilling nur als "weitere Möglichkeit" einer Behandlung bezeichnet und in seiner Stellungnahme vom 16.02.2011 erklärt, dass die Therapie mit Eigenfett "einer der Forschungsschwerpunkte" seiner Klinik sei. Es ist aber nicht Aufgabe der GKV, mit den Beiträgen der Versichertengemeinschaft wissenschaftliche Forschung und Therapieversuche zu finanzieren.

Ein Ausnahmefall, in dem es keiner Empfehlung des G-BA bedarf, liegt im Fall der Klägerin nicht vor. Es liegt weder ein so genannter Seltenheitsfall, bei dem eine Ausnahme von die¬sem Erfordernis erwogen werden könnte, noch ein so genanntes Systemversagen vor. Auch Anhaltspunkte für eine hier gebotene grundrechtsorientierte Auslegung sind nicht er¬sichtlich. Die verfassungskonforme Auslegung setzt u.a. voraus, dass eine lebensbedrohli¬che oder regelmäßig tödlich verlaufende oder eine zumindest wertungsmäßig damit ver¬gleichbare Erkrankung vorliegt (vgl. hierzu auch BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 1 KR 11/08 R m.w.N.). Einen solchen Schwergrad erreicht die - wenn auch schmerzhafte - Keloidbildung der Klägerin nach dem gesamten Vorbringen nicht.

Die Klägerin kann auch nicht das Lipofilling in Form einer Krankenhausbehandlung als Naturalleistung beanspruchen. Zwar ist ein Anspruch hierauf nicht schon wegen des Fehlens einer positiven Empfehlung des G-BA zu verneinen. Insofern schließt § 137c SGB V grundsätzlich (auch neue) Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nicht aus, solange der G-BA kein Negativvotum ausgesprochen hat. Ein solches Negativvotum existiert für das Lipofilling nicht. Die Klägerin hat jedoch deshalb keinen Anspruch auf eine Krankenhaus¬behandlung, weil eine solche nicht im Rechtssinne notwendig bzw. erforderlich war (§ 12 Abs. 1, § 27 Abs. 1 Satz 1, § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V).

Ermöglicht es der Gesundheitszustand des Patienten, das Behandlungsziel durch andere Maßnahmen, insbesondere durch ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Kran¬kenpflege zu erreichen, so besteht kein Anspruch auf stationäre Behandlung. Das Gesetz regelt die Voraussetzungen des Anspruchs auf vollstationäre Krankenhausbe¬handlung in § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Danach muss die Aufnahme des Patienten in das Krankenhaus erforderlich sein, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstatio¬näre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Ob einem Versicherten vollstationäre Krankenhausbehandlung zu gewähren ist, richtet sich nach medizinischen Erfordernissen. Reicht nach den Krankheits¬befunden eine ambulante Therapie aus, so hat die Krankenkasse die Kosten eines Krankenhausaufent¬haltes auch dann nicht zu tragen, wenn der Versicherte aus anderen, nicht mit der Be¬handlung zusammenhängenden Gründen im Krankenhaus verbleibt (Großer Senat des BSG, Beschluss vom 25.09.2007 - GS 1/06). Das Lipofilling geht dergestalt vonstatten, dass der Arzt frische körpereigene Fettzellen an einer geeigneten Stelle des Körpers entnimmt und in örtlicher Betäubung an anderer Stelle – hier: am Schulterdach – wieder einspritzt. Diese Eigenfettunterspritzung dauert etwa ein bis zwei Stunden; ein stationärer Aufenthalt ist nicht notwendig (vgl. z.B. den Internetauftritt der Derma-Praxis in München – www.drbresser.de). Auch den Stellungnahmen der Klinik für Plastische Chirurgie des Universitätsklinikums Aachen ist nicht zu entnehmen, dass das Lipofilling bei der Klägerin stationär erfolgen sollte. Wenn aber das Lipofilling ambulant möglich ist, besteht kein Anspruch auf eine entsprechende stationäre Behandlung.

Soweit die Klägerin eine psychische Belastung durch die Keloidbildung im Schulterbereich geltend macht, vermag dies einen chirurgischen Eingriff ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Denn nach ständiger Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteile vom 19.10.2004 – B 1 KR 3/03 R – und vom 28.02.2008 – B 1 KR 19/07 R) ist einer solchen Belastung nicht mit chirurgischen Eingriffen in eine an sich gesunde Körpersubstanz, sondern mit Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie zu begegnen. Eine Leistungspflicht der Beklagten lässt sich auch nicht damit begründen, dass die Klägerin wegen einer äußerlichen Entstellung als behandlungsbedürftig anzusehen und deshalb das begehrte Lipofilling durchzuführen wäre. Um eine Entstellung annehmen zu können, genügt nicht jede körperliche Annormalität. Vielmehr - so das BSG (Urteil vom 28.02.2008, a.a.O.) - "muss es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die naheliegende Reaktion¬en der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit und damit zugleich erwarten lässt, dass der Betroffene ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer Be¬achtung anderer wird und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzuzie¬hen und zu verein¬samen droht, sodass die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefähr¬det ist ... Um eine Auffälligkeit eines solchen Ausmaßes zu erreichen, muss eine beachtliche Erheb¬lichkeitsschwelle überschritten sein: Es genügt nicht allein ein markantes Gesicht oder ge¬nerell die ungewöhnliche Ausgestaltung von Organen, etwa die Ausbildung eines sechs¬ten Fingers an einer Hand. Vielmehr muss die körperliche Auffälligkeit in einer solchen Ausprägung vorhanden sein, dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi "im Vorbeigehen" bemerkbar macht und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf den Betroffenen führt". Nach diesen Maßstäben ist nach Überzeugung der Kammer die Keloidbildung im Bereich des Schulterdaches, von der sich die Kammer aufgrund der von der Klägerin vorgelegten Fotodokumentation ein anschauliches Bild machen konnte, nicht entstellend. Die Narbe kann durch entsprechende Kleidung bedeckt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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