S 2 KR 138/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KR 138/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 KR 501/11
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand:

Die Klägerin ist eine Große kreisangehörige Stadt nach § 4 Abs. 3 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen. Am 20.03.1989 schloss die Klägerin, vertreten durch den Stadtdirektor, mit der am 00.00.0000 geborenen Beigeladenen zu 1 einen Arbeitsvertrag als Reinigungskraft mit einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 18,5 Stunden. Am 01.07.1997 schlossen der Betriebshof der Klägerin – als sog. "Vertragsgeber" - mit der Beigeladenen zu 1 – als sog. " Vertragsnehmer" – sodann einen weiteren Vertrag folgenden Inhalts: " ( ) Ziffer 1: Der Vertragsgeber überträgt dem Vertragsnehmer die Wartung und Beaufsichtigung der öffentlichen Bedürfnisanstalt am Rathaus, Zehnthofstraße.

Aufsichtspflicht und Wartung umfassen insbesondere auch die Sorge für die pflegliche Behandlung von Gebäude und Inventar durch die Toilettenbenutzer, die Sicherung der Räume am Ende der Öffnungszeit sowie die tägliche Reinigung.

Die Reinigung umfasst auch die Zugangswege und Glasflächen sowie die ordnungsgemäße Durchführung des Winterdienstes.

Der Vertragsgeber unterstützt den Vertragsnehmer von der Stadt einen angemessenen Aufenthaltsraum zu erhalten, der bei Bedarf auch mit Mobiliar ausgestattet werde soll.

Die Hausschlüssel sind sorgfältig aufzubewahren. Der Verlust eines Schlüssels ist dem Vertragsgeber unverzüglich mitzuteilen. Eine eventuelle Ersatzbeschaffung – bei Schlüsselanlagen erforderlichenfalls die Beschaffung einer neuen Anlage bzw. von Teilen der Anlage – erfolgt auf Kosten des Vertragsnehmers.

Ziffer 2: Die öffentliche Bedürfnisanstalt ist zu folgenden Zeiten geöffnet zu halten: Montags, mittwochs und freitags von 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr Dienstags von 7.00 Uhr bis 18.00 Uhr Donnerstags von 7.00 Uhr bis 20.00 Uhr Samstags von 7.00 Uhr bis 14.00 Uhr Langer Samstag von 7.00 Uhr bis 16.00 Uhr

Der Vertragsgeber ist berechtigt, bei Veranstaltungen (Stadtfest, Karnevalssonntag u.a.) weitere Öffnungszeiten festzulegen. Der Vertragsnehmer ist hierüber mindestens 8 Tage vorher zu informieren.

Ziffer 3: Die bauliche Unterhaltung der Bedürfnisanstalt geht zu Lasten der Stadt E. Der Vertragsnehmer ist verpflichtet, Schäden an der Bausubstanz, der Installation und an den Einrichtungen in der ÖBA unverzüglich dem Vertragsgeber zu melden.

Ziffer 4: Der Vertragsnehmer ist verpflichtet, Krankheit, Urlaub etc. dem Vertragsgeber unter Namhaftmachung einer geeigneten Vertretung anzuzeigen. Es bleibt dem Vertragsnehmer überlassen, sich einer weiteren Aufwartekraft zu bedienen. Der Vertragsgeber ist hierüber ebenfalls zu unterrichten.

Ziffer 5: Aufgrund der in Ziffer 2 aufgeführten Öffnungszeiten sind vom Vertragsnehmer monatlich 52 Reinigungsstunden und 202 Wartungsstunden zu erbringen. Das Entgelt beträgt: Je Reinigungsstunde 16,12 DM x 52 = 838,24 DM Je Wartungsstunde 4,03 DM x 202 = 814,06 DM Insgesamt beträgt hiernach das Entgelt monatlich 1.652,30 DM Auf das Entgelt werden die Einnahmen aus Ziffer 7 mit monatlich 200 DM angerechnet. Mehreinnahmen verbleiben beim Vertragsnehmer. Das Entgelt erhöht sich um die jeweils gültige Mehrwertsteuer. Fallen monatlich mehr oder weniger Reinigungsstunden an, hat dies keinen Einfluss auf die Höhe des Entgeltes. Das Entgelt erhöht oder verringert sich um den Vomhundertsatz, um den sich der Lohn eines städtischen Arbeiters der Lohngruppe I, Stufe 1, verändert. Für zusätzlich Öffnungszeiten wird das Entgelt nach den jeweils gültigen Stundensätzen gezahlt.

Ziffer 6: Die Zahlung des Entgeltes erfolgt monatlich nach Rechnungsstellung durch den Vertragsnehmer.

Ziffer 7: Der Vertragsnehmer ist berechtigt, für die Benutzung der Bedürfnisanstalt ein Entgelt in folgender Höhe zu erheben: Für die Benutzung a) der WC-Zellen 0,50 DM b) der Urinale 0,20 DM c) von Handtuch und Seife 0,20 DM

Ziffer 8: Die Kosten für Heizung, Strom, Wasser, Reinigungsmittel,. Streugut und Reinigungsgeräte trägt die Stadt. Das Reinigungsmaterial, die Reinigungsgeräte und das Streugut sind vom Vertragsnehmer rechtzeitig schriftlich anzufordern.

Ziffer 9: Dieser Vertrag tritt am 01.07.1997 in Kraft. Er wird zunächst für ein halbes Jahr zur Probe geschlossen. Die Probezeit endet am 31.12.1997. Innerhalb der Probezeit kann das Vertragsverhältnis mi einer einmonatigen Frist zum Monatsende von beiden Parteien gekündigt werden. Sollte der Vertrag innerhalb der Probezeit nicht gekündigt werden, verlängert er sich automatisch auf unbefristete Zeit. Die Kündigungsfrist nach der Probezeit beträgt für beide Parteien ohne Angaben von Gründen drei Monate vor Quartalsende. Die Kündigungsfrist beginnt mit dem Eingang des Kündigungsschreibens beim Vertragspartner. Die Vertragsparteien sind berechtigt, den Vertrag aus wichtigem Grund fristlos zu kündigen, wenn schwerwiegende Verstöße gegen die Vertragsbestimmungen vorliegen, bei denen den Parteien nicht zuzumuten ist, das Vertragsverhältnis fortzusetzen.

Ziffer 10: Ein Arbeitsverhältnis wird durch diesen Vertrag nicht begründet.

Ziffer 11: Änderungen und Ergänzungen dieses Vertrages bedürfen der Schriftform.

Ziffer 12: Erfüllungsort und Gerichtsstand ist E. ( )"

Durch Ergänzungsvereinbarungen vom 15.10.2002, 21.11.2005 und Nachtrag vom 14.05.2008 zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 1 wurde der Vertrag geändert. Zunächst wurde die Ziffer 5 hinsichtlich der Währung angepasst. Auch hinsichtlich der Anpassung des Entgelts in Abhängigkeit von der Entgeltentwicklung der Lohngruppen städtischer Arbeiter wurde eine Änderung vereinbart. In der zweiten Ergänzungsvereinbarung wurden die Öffnungszeiten und das Entgelt neu geregelt. Mit Nachtrag vom 14.05.2008 wurde die Ausübung der Tätigkeit des Vertragsnehmers näher bestimmt. Auch die Entgeltregelungen sowie die Nutzungsgebühr nach Ziffer 7 wurden neu getroffen.

Für die Zeit ab Juni 1997 liegen Rechnungen vor, die unter dem Namen der Beigeladenen zu 1 an den Betriebshof der Klägerin gerichtet sind und monatliche Entgelte nebst ausgewiesener Umsatzsteuer benennen. Eine Unterschrift der Beigeladenen zu 1 weisen diese Rechnungen nicht auf. Ab Februar 2002 richten sich die Rechnungen an die Stadtverwaltung der Klägerin und sind jeweils mit Namen der Beigeladenen zu 1 unterzeichnet.

Im Jahr 2009 ließ die Beigeladene zu 1 durch ihren Steuerberater ein Statusfeststellungsverfahren durchführen. Die zunächst angegangene Beigeladene zu 2 stellte mit Schreiben vom 06.05.2009 fest, nicht sie, sondern die Beklagte sei im konkreten Fall für die Statusfeststellung nach § 7a des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV) zuständig. Daraufhin wandte sich der Steuerberater der Beigeladenen zu 1 an die Beklagte. Diese hörte die Beigeladene zu 1 mit Schreiben vom 11.08.2009 dahingehend an, dass beabsichtigt sei, die von ihr ausgeübte Tätigkeit in der Bedürfnisanstalt als abhängige Beschäftigung einzustufen. Am 02.09.2009 wandte sich sodann die Klägerin an die Beklagte und führte aus, die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1 sei als selbständige Tätigkeit anzusehen. Die Beigeladene zu 1 habe eigenverantwortlich dafür zu sorgen, dass die Vertragsverpflichtungen betreffend die öffentliche Bedürfnisanstalt eingehalten werden. Hierfür könne sie sich auch Dritter bedienen. Auch enthalte der Vertrag unter Ziffer 10 die Klausel, dass durch den Vertrag ein Arbeitsverhältnis gerade nicht begründet werden solle. Man verwies überdies auf die Gewerbemeldungen der Beigeladenen zu 1. In den Akten des Amtes für Gewerbeangelegenheiten lag eine Gewerbeanmeldung vom 19.02.2008 vor, in der der Beginn der Tätigkeit auf den 19.02.2008 bestimmt war. Am 21.07.2008 meldete die Beigeladene zu 1 das im Februar angemeldete Gewerbe ab und meldete rückwirkend dasselbe Gewerbe zum 01.07.1997 an.

Mit Schreiben vom 23.10.2009 teilte der Steuerberater der Beigeladenen zu 1 der Beklagten mit, die Beigeladene zu 1 habe die Arbeiten in der Toilette weitgehend selbst erledigt. Wegen der Tätigkeit als Reinigungskraft der Klägerin täglich ab 16.45 Uhr habe ihr Ehemann, der Zeuge D., jeweils für kurze Zeit die Aufsicht und die Schließung der Toiletten übernommen. Im Jahr 2008 hätten sich die Beigeladene zu 1 und der Zeuge D. getrennt und die Beigeladene zu 1 sei von Oktober 2008 bis Juni 2009 erkrankt gewesen. Ab September 2008 habe die Beigeladene zu 1 mit ihrem Ehemann einen Arbeitsvertrag abgeschlossen. Die monatliche Vergütung betrug 400,00 EUR. Ab Oktober 2008 habe sie zudem ein Arbeitsverhältnis mit der Zeugin C. vereinbart. Die monatliche Vergütung habe 190,00 EUR betragen und es seien Beiträge an die Minijob-Zentrale abgeführt worden. Im Februar 2008 habe die Klägerin von der Beigeladenen zu 1 eine Steuernummer verlangt. Da diese bis zu diesem Zeitpunkt beim Finanzamt nicht geführt worden sei, habe die Klägerin die Beigeladene zu 1 zum Gewerbeamt geschickt. Dort habe die Beigeladene zu 1 zunächst das Gewerbe ab Anmeldedatum angemeldet. Auf Drängen der Klägerin sei diese am 21.07.2008 durch die Beigeladene zu 1 zurückgenommen worden und das Gewerbe zum 01.07.1997 rückwirkend angemeldet worden. Ebenfalls vorgelegt wurden die Arbeitsverträge mit dem Zeugen D. und der Zeugin C.

Mit Bescheiden vom 18.11.2009 stellte die Beklagte gegenüber der Beigeladenen zu 1 und der Klägerin fest, die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1 im Rahmen des Vertrags vom 01.07.1997 stelle eine abhängige Beschäftigung im Sinne des § 7 SGB IV dar.

Die Klägerin legte gegen diesen Bescheid mit Telefax vom 15.12.2009 Widerspruch ein und erhob überdies die Einrede der Verjährung nach § 25 SGB IV. Ein vorsätzliches Nichtabführen von Beiträgen liege nicht vor. Zur Begründung des Widerspruchs führte sie aus, es sei auch zeitlich vor dem konkreten Fall der Beigeladenen zu 1 mit anderen Personen die Reinigung und Wartung der öffentlichen Bedürfnisanstalt auf die gleiche Weise vertraglich geregelt worden. Beanstandungen seien von keiner Seite erfolgt. Auch hätten beide Vertragsparteien zum Ausdruck gebracht, dass ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis gerade nicht gewollt gewesen sei. Die Beigeladene zu 1 sei auch frei gewesen, wie sie ihren Verpflichtungen habe nachkommen wollen. Eine höchstpersönliche Dienstleistung sei nicht Gegenstand des Vertrages gewesen. Die festen Öffnungszeiten und die genaue Beschreibung des Arbeitsumfangs seien üblich. Hieraus lasse sich nichts hinsichtlich der rechtlichen Natur des Vertragsverhältnisses ableiten. Auch die Regelungen hinsichtlich Krankheit und Urlaub sprächen nicht für eine abhängige Beschäftigung. Hier gehe es nur um Information des Auftraggebers Auch die Entgeltgestaltung spreche gegen eine abhängige Beschäftigung, zumal auch Umsatzsteuer zu berücksichtigen sei. Die Tatsache, dass die Beigeladene zu 1 nicht für Strom, Heizung etc. aufkommen müsse sei den tatsächlichen Gegebenheiten geschuldet und führe nicht zu einer abhängigen Beschäftigung. Die Richtigkeit dieser Feststellung folge nicht zuletzt auch aus den Gewerbeanmeldungen. Für die Beigeladene zu 1 nahm deren Steuerberater mit Schreiben vom 10.03.2010 Stellung. Sie habe – jedenfalls bis 2008 - ausschließlich Vertragsbeziehungen zur Klägerin unterhalten. Ein Unternehmer müsse auch seinen Vertragspartner nicht über Krankheit oder Urlaub informieren. Bei Selbständigkeit wäre auch zu erwarten gewesen, dass bspw. Miete für die Räumlichkeiten vereinbart worden wäre. Die Beigeladene zu 1 habe auch – jedenfalls bis 2008 – keine Mehrwertsteuer in Rechnungen ausgewiesen. Soweit solche vorlägen, stammten diese nicht von der Beigeladenen zu 1. Die rückdatierte Gewerbeanmeldung sei auf Drängen der Klägerin erfolgt. Insgesamt handele sich nicht um eine selbständige Tätigkeit.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.04.2010, der Klägerin zugestellt am 03.05.2010, wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die Klägerin mit der am 26.05.2010 erhobenen Klage. Sie vertritt weiterhin die Auffassung, zwischen ihr und der Beigeladenen zu 1 sei eine selbständige Tätigkeit der Beigeladenen zu 1 vereinbart und gelebt worden.

Sie beantragt,

den Bescheid vom 18.11.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.04.2011 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr Vorbringen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren.

Mit Beschluss vom 23.08.2010 sind Frau V. D., die Deutsche Rentenversicherung Bund sowie die Bundesagentur für Arbeit beigeladen worden. Mit Beschluss vom 04.02.2011 hat das Gericht sodann anstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund die Deutsche Rentenversicherung Rheinland beigeladen. Am 14.04.2011 hat ein Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten stattgefunden. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 11.08.2011 hat das Gericht Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen, D., I., C., U., D., H. und Q.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, die Umsatzsteuerakten und Gewerbeakten betreffend die Beigeladenen zu 1 sowie die Verwaltungsakten der Klägerin betreffend die öffentliche Bedürfnisanstalt am Rathaus, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide nicht gemäß § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da diese rechtmäßig sind.

Die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1 ist als nichtselbständige Arbeit im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV zu bewerten.

Zentrales Merkmal einer nichtselbständigen Tätigkeit ist die persönliche Abhängigkeit von einem Arbeitgeber. Persönlich abhängig ist, wer in einen Betrieb eingegliedert und dem Weisungsrecht des Arbeitgebers untergeordnet ist (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV), insbesondere im Hinblick auf Zeit, Dauer und Ort der Arbeitsausführung (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 7. September 1988, 10 RAr 10/87 – juris, mit umfangreichen Nachweisen zur Rechtsprechung). Kennzeichnend für eine selbständige Tätigkeit ist demgegenüber ein eigenes Unternehmerrisiko bzw. eine Unternehmerchance, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 29.03.2011, L 8 AL 152/08; Bundessozialgericht, a.a.O). Weist eine Tätigkeit Merkmale auf, die sowohl für Abhängigkeit als auch für Unabhängigkeit sprechen, ist entscheidend, welche Merkmale überwiegen. Dies richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, wobei grundsätzlich die vertragliche Ausgestaltung bzw. die tatsächlichen Verhältnisse entscheidend sind, § 7a Abs. 2 SGB IV (vgl. auch Bundessozialgericht, Urteil vom 28.05.2008, B 12 KR 13/07 R; Bundessozialgericht, a.a.O.; Bayerisches Landesozialgericht, a.a.O.; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Unterscheidung, vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 20.05.1996, 1 BvR 21/96 = NJW 1996, 2644).

Ausgangspunkt der Betrachtungen ist die vertragliche Regelung aus dem Jahr 1997 mit den nachfolgend vereinbarten Änderungen. Dieser Vertrag wurde zunächst zwischen dem Betriebshof der Stadt E. und der Beigeladenen zu 1 geschlossen. Unabhängig davon, ob es sich bei dem Betriebshof zum Zeitpunkt der Vertragsschlusses um eine – von der Klägerin zu unterscheidende – eigenständige Rechtspersönlichkeit gehandelt hat, ist die Klägerin spätestens durch die erste Ergänzungsvereinbarung zu diesem Vertrag in die Rechtsposition des Vertragsgebers eingetreten. Dieser Vertrag zeichnet sich, auch wenn der Begriff des Arbeitsvertrages vermieden wird und unter Ziffer 10 gerade ausdrücklich das Zustandekommen eines Arbeitsvertrages ausgeschlossen wird, nach Auffassung der Kammer durch zahlreiche Regelungen aus, die – rechtlich und faktisch – die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1 nicht als Selbständigkeit sondern als abhängige Beschäftigung erscheinen lassen.

So war die Beigeladene zu 1 verpflichtet, Krankheit, Urlaub und ähnliche Verhinderungsgründe unter Namhaftmachung einer geeigneten Vertretung anzuzeigen. Schon dies macht deutlich, dass es den Parteien bei Vertragsschluss grundsätzlich darum ging, die Wartung und Reinigung der öffentlichen Toiletten am Rathaus in die Hände einer ganz bestimmten Person, nämlich der Beigeladenen zu 1, zu geben. Die Regelung ist geprägt von einem gewissen Merkmal des persönlichen Erbringens. Es ging nach dem objektiven Empfängerhorizont darum, konkret zu wissen und zu kontrollieren, wer für die Reinigung und Wartung zuständig ist. Auch das Anknüpfen an persönliche Aspekte wie Urlaub und Krankheit macht deutlich, dass – jedenfalls von der Intention der Vertragspartner – hier eine Leistung gerade der Beigeladenen zu 1 geschuldet war. Dies ist vor dem Hintergrund, dass die Beigeladene zu 1 langjährig als Reinigungskraft bereits tätig war und sich dabei offenbar bewährt hatte, auch verständlich. Die benannten Regelungen wären jedenfalls für einen Vertrag mit einem selbständigen Unternehmer völlig unüblich. In diesem Fällen wäre der Erfolg geschuldet gewesen – auf Krankheit oder Urlaub einer bestimmten Person wäre es hierbei nicht angekommen. Nach Ziffer 4 Satz 2 spricht konnte sich die Beigeladene zu 1 freilich "einer weiteren Aufwartekraft ( ) bedienen". Die Stadt war hierüber zu unterrichten.

Auch dieser Regelung ist nach Auffassung der Kammer – entgegen den Darstellungen der Klägerin - keinesfalls die Aussage zu entnehmen, es wäre der Stadt etwa egal gewesen, wie die Klägerin ihren Verpflichtungen nachkommt. Der Wortlaut "einer weiteren Aufwartekraft" macht deutlich, dass die geschuldete Tätigkeit weiterhin primär bei der Beigeladenen zu 1 verbleiben sollte. Es wäre der Klägerin im Übrigen auch gar nicht möglich gewesen, die ganze Zeit die Toilette selbst zu beaufsichtigen, da sie weiterhin ihre andere Beschäftigung als Reinigungsfrau bei der Stadt hatte. Dies macht nach Auffassung der Kammer die Tätigkeit in der Öffentlichen Bedürfnisanstalt (ÖBA) aber noch keineswegs zu einer selbständigen. Die Vereinbarung der ausdrücklichen Möglichkeit, sich einer weiteren Aufwartefrau zu bedienen, wäre für eine selbständige Tätigkeit auch völlig untypisch. Vielmehr zeigt sich auch hier ein weiterer Aspekt des bestehenden Kontroll- und Weisungsrecht der Stadt, welches eine abhängige Beschäftigung nahgelegt. Auch Ziffer 5, wonach das Entgelt an die Lohnentwicklung eines städtischen Arbeiters gekoppelt ist, spricht nicht für die Regelung einer selbständigen Tätigkeit der Beigeladenen zu 1, sondern eher für eine abhängige Beschäftigung.

Untersucht man den Vertrag überdies auf Anzeichen von unternehmerischem Risiko, so fehlt dieses völlig. Es wird ein fixes Entgelt gezahlt. Dieses setzt sich zusammen aus den vergüteten Wochenstunden (ursprünglich 1.652,30 DM) abzüglich eines Betrages von ursprünglich 200,00 DM. Mithin verblieben der Beigeladenen zu 1 monatlich mindestens 1.452,30 DM zuzüglich des Entgelts, welches die Benutzer der Toiletten entrichteten. Vor diesem Hintergrund berichtete der Zeuge I. im Rahmen der mündlichen Verhandlung auch zutreffend, dass er die Notwendigkeit der Erstellung von Rechnungen nie gesehen habe. Es sei schließlich im Vertrag alles Wesentliche, insbesondere das monatliche Entgelt, geregelt gewesen. Auch im Hinblick auf die Anlage der Öffentlichen Bedürfnisanstalt (ÖBA) selbst, traf die Beigeladene zu 1 keinerlei wirtschaftliches Risiko. Die Unterhaltung (Strom, bauliche Instandhaltung usw.) erfolgte weiterhin durch die Klägerin. Auch wurden die erforderlichen Utensilien (Reinigungsmittel usw.) von der Klägerin gestellt. Dies alles spricht nach Auffassung der Kammer erheblich gegen eine selbständige Tätigkeit und für eine abhängige Beschäftigung der Beigeladenen zu 1.

Hinzu kommt, dass die Beigeladene zu 1 auch im Übrigen bei der Klägerin als Reinigungskraft angestellt war und im Übrigen auch nur für die ÖBA am Rathaus tätig.

Insgesamt regelt der hier in Rede stehende Vertrag somit eine abhängige Beschäftigung der Beigeladenen zu 1 bei der Klägerin. Die Tätigkeit der Beigeladene zu 1 war zu weiten Teilen fremdbestimmt (Umfang, Art und Weise) und auch in die Strukturen der Klägerin eingegliedert. Die ÖBA betrieben hat nämlich die Klägerin, die Beigeladene zu 1 hatte lediglich deren Reinigung und Wartung zu übernehmen (vgl. zur Eingliederung in den Betrieb etwa Baier, in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Stand März 2011, § 7 SGB IV Rn. 10).

Die Regelungen des Vertrags wurden, dies steht zur Überzeugung der Kammer fest, ursprünglich auch von beiden Seiten so gelebt wie vereinbart. Der Zeuge D. hat angegeben, dass Herr D. vom Betriebshof der Stadt E. seine Frau und ihn ursprünglich entsprechend dem Vertrag kontrolliert habe. So habe er beispielsweise immer wissen wollen, wer die Vertretung in Urlaubszeiten übernehme. Hierin zeigt sich erneut das für eine abhängige Beschäftigung typische Zeichen der Unterordnung unter ein Weisungsrecht. Hieran ändert auch die Regelung der Ziffer 10 des Vertrages nichts. Die bloße Bezeichnung ist für die Frage der Beurteilung, ob Selbständigkeit oder Beschäftigung vorliegt, nicht maßgeblich. Es lag eine abhängige Beschäftigung der Beigeladenen zu 1 vor (vgl. zur versicherungspflichtigen Tätigkeit einer Kassiererin und Garderobenverwalterin, die in einem städtischen Freibad von 8-20 Uhr täglich ist und die ebenfalls die Berechtigung hat, ihre Arbeiten durch Dritte ausführen zu lassen, auch Niedersächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 20.12.1967, L 4 Kr 27/67 - juris).

Die Beweggründe der Klägerin, als öffentliche Hand, einen Vertrag wie den vorliegenden, zu schließen und insbesondere die Frage, ob auf diesem Weg vorsätzlich Sozialversicherungsabgaben vermieden werden sollten, brauchte die Kammer derzeit nicht weiter zu erforschen. Dies wird gegebenenfalls im Rahmen eines sich im Hinblick auf Sozialversicherungsbeitragsnachforderungen anschließenden Verfahrens zu klären sein.

Gleichwohl möchte die Kammer auf folgende Aspekte, die im Zusammenhang mit der Beschäftigung der Klägerin auffällig erscheinen, hinweisen. Dies betrifft zum die vorliegenden Rechnungen. Die Rechnungen wurden – aus welchem Grund auch immer – von Mitarbeitern der Klägerin, insbesondere von Herrn D. aber später auch vom Zeugen I., vorgefertigt. Aus welchem Grund dies erfolgte, vermochte die Kammer nicht abschließend zu klären. Die Beigeladene zu 1 und der Zeuge D. haben jedoch glaubhaft angegeben, sie hätten diese Rechnungen nicht benötigt. Auch der Zeuge I., der später für die ÖBA bei der Klägerin zuständig war, sah die Notwendigkeit der Rechnungen nicht, und übernahm die Übung solche zu erstellen von Herrn D. Davon, dass dies auf ausdrücklichen Wunsch der Beigeladenen zu 1 erfolgt sein soll, wie von der Klägerin vorgetragen, vermochte sich die Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht zu überzeugen. Die Beigeladene zu 1, dies steht für die Kammer fest, hat die Rechnungen – jedenfalls bis 2008 - nicht bei der Klägerin "in Auftrag gegeben". Sie hat die Rechnungen zwar ab 2002 unterzeichnet – die Behauptung der Beigeladenen zu 1 im Termin vom 14.04.2011, es sei nicht ihre Unterschrift unter den Rechnungen, sieht die Kammer aufgrund des entsprechenden Schriftbilds auf der Vollmacht ihre Prozessbevollmächtigten als widerlegt an - sie sind ihr allerdings lediglich vorgelegt worden und nicht auf ihr Betreiben von der Klägerin gefertigt. Eine eigene Rechnungsstellung durch die Beigeladene zu 1 lag nicht vor. Die Rechnungen sprechen daher nicht für das Vorliegen einer Selbständigkeit der Beigeladenen zu 1.

Auch im Hinblick auf die Gewerbeanmeldung der Beigeladenen zu 1 finden sich nach Einschätzung der Kammer einige Ungereimtheiten, die sich – trotz entsprechender Bemühungen - einer endgültigen Klärung ebenfalls entzogen haben. Die Beigeladene zu 1 gab an, sie sei im Februar 2008 von der Klägerin um Angabe einer Steuernummer gebeten worden. Nachdem sie mitgeteilt habe, sie habe eine solche nicht, habe man von Seiten der Klägerin angegeben, sie, die Beigeladene zu 1, müsse hierfür ein Gewerbe anmelden. Dies tat die Beigeladene zu 1 dann auch am 19.02.2010 zum 19.02.2010. Ein paar Tage später ging bei der Klägerin, adressiert an die zuständige Verwaltungseinheit und auch unter Nennung der zuständigen Bearbeiter, offenbar ein anonymes Schreiben ein, wonach die Beigeladene zu 1 seit Jahren Steuern hinterziehe. Dieses Schreiben – so die Klägerin – verblieb zunächst ca. fünf Monate beim Rechtsamt, welches es dann im Juli 2008 an das Gewerbeamt der Stadt übermittelte. Aufgrund dieser Mitteilung bestellte der Zeuge H. dann die Beigeladene zu 1 ein, die daraufhin die erste Anmeldung rückgängig machte und sodann rückwirkend zum 01.07.1997 ein Gewerbe anmeldete. Diesen Vorgang hält die Kammer für bemerkenswert. So fragt sich, warum die Klägerin die Beigeladene zu 1, erst nach 11 Jahren um eine Steuernummer bittet. Ebenso bemerkenswert ist, dass unmittelbar nach der dann erfolgten Gewerbeanmeldung ein anonymes Schreiben – adressiert an die zuständigen Personen in der Verwaltung – eingeht, welches dann fünf Monate unbearbeitet beim Rechtsamt verbleibt, um sodann an das Amt für Gewerbeangelegenheiten, welches organisatorisch ebenfalls dem Dezernat Recht, Sicherheit und Ordnung zugeordnet ist, weitergeleitet zu werden. Dort wird dann –dies ist, auch nach Darstellung des Zeugen H., ungewöhnlich – die kürzlich erfolgte Anmeldung rückgängig gemacht und rückwirkend für elf Jahre ein Gewerbe angemeldet. Diese Gewerbeanmeldung wird sodann von der Klägerin als Argument für die Selbständigkeit der Klägerin vorgetragen. Nun wäre schon die bloße Gewerbeanmeldung als solche lediglich ein schwaches Indiz für eine selbständige Tätigkeit und begründete diese nicht zwingend (vgl. dazu etwa Segebrecht, in: jurisPK-SGB IV, 2. Auflage 2011, Stand: 01.02.2011, § 7 Rn. 117). Aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls erscheint die – auf Betreiben der Klägerin erfolgte und 11 Jahre rückwirkende - Anmeldung des Gewerbes nach Auffassung der Kammer jedenfalls nicht geeignet, die oben dargelegten Aspekte, die für die abhängige Beschäftigung sprechen, zu widerlegen.

Nun war es nach Einschätzung der Kammer freilich so, dass die Beigeladene zu 1 im Laufe der Zeit sich von den vertraglich vereinbarten Regelungen immer weiter entfernt hat. So hat sie – neben ihrem Mann – seit Jahren bereits Dritte bei sich arbeiten lassen und dies für einen ausgesprochenen mageren Lohn. Die Zeugin C. gab an, sie habe 9,00 EUR pro Tag zuzüglich der Einnahmen aus dem Benutzungsentgelt für den jeweiligen Tag erhalten. Die Zeugin C., dies steht für die Kammer aufgrund der eigenen Aussage der Zeugin sowie der Zeugin U. fest, war auch nicht die einzige Person, die gegen (geringes) Entgelt für die Beigeladene tätig war. Die Aussage der Beigeladenen zu 1 im Termin vom 14.04.2011, man habe ihr immer mal wieder als Freundschaftsdienst geholfen, sieht die Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme jedenfalls als widerlegt an. Die Kammer ist auch nicht davon überzeugt, dass die Beschäftigungen in diesem Zusammenhang von der Beigeladenen zu 1 allesamt ordnungsgemäß angezeigt worden sind, bzw. dass nur Personen dort gearbeitet haben, die ordnungsgemäß gemeldet worden sind. Dies hat nach Auffassung der Kammer eindeutig die Aussage der Zeugin Blank ergeben. Es steht damit fest, dass sich die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1 im Laufe der Zeit immer mehr verselbständigt hat. Dies lag nach Einschätzung der Kammer nicht unerheblich daran, dass nach Ende der Zuständigkeit des Betriebshofs und des Mitarbeiters D., die Klägerin sich um die ÖBA nicht mehr in dem Maße gekümmert hat, wie dies zuvor der Fall gewesen war. Nun ist es zwar grundsätzlich so, dass bei einem Abweichen der vertraglichen Regelungen von den tatsächlichen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts letzten die ausschlaggebende Bedeutung zukommt (Bundessozialgericht, Urteil vom 22.06.2005, B 12 KR 28/03 R; Landessozialgericht Hessen, Urteil vom 31.07.2008, L 8 KR 37/07). Dies gilt nach Auffassung der Kammer indes nicht für den Fall, dass aufgrund mangelnder Kontrolle des Arbeitgebers, der abhängige Beschäftigte sich immer größere Spielräume schafft innerhalb derer er agiert. Die Tatsache, dass der Arbeitgeber sein Arbeitsverhältnis faktisch nicht kontrolliert, macht aus einer abhängigen Beschäftigung noch keine selbständige.

Die Kammer legt abschließend Wert auf die Feststellung, dass es sich bei der Frage des Status der Beigeladenen zu 1 zweifelsohne um einen atypischen Fall handelt. Aus den oben genannten Gründen geht die Kammer jedoch von einer abhängigen Beschäftigung aus. Zwischenzeitlich wurde der Vertrag mit der Beigeladenen zu 1 durch die Klägerin gekündigt und ein zwischenzeitlich ebenfalls durchgeführtes arbeitsgerichtliches Kündigungsschutzverfahren ist – so wurde der Kammer erstmalig im Rahmen der mündlichen Verhandlung mitgeteilt – offenbar zum Ergebnis gekommen, ein Arbeitsverhältnis habe nicht bestanden. Diese Entscheidung, die nach Mitteilung der Prozessbevollmächtigten im Rahmen der mündlichen Verhandlung, noch nicht rechtskräftig ist, hat für das vorliegende Verfahren keine Bindungswirkung und die Kammer ist – aus obigen Gründen nach umfangreicher Beweiserhebung – zu einem anderen Ergebnis gekommen. Dies mag die Besonderheit des Falles unterstreichen. Im Rahmen einer Ausschreibung für die "Reinigung und Bewirtschaftung" der ÖBA hat die Klägerin nun jedoch an vielen neuralgischen Punkten eine andere Regelung vorgesehen, so dass sich die nunmehr ausgeschriebene Tätigkeit jedenfalls in Zukunft zumindest durch ein gewisses unternehmerisches Risiko auszeichnen wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 3, 162 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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