S 13 KN 70/11 KR

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KN 70/11 KR
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid der Beklagten vom 04.11.2010 in der Fassung des Widerspruchs- bescheides am 15.02.2011 und der Bescheid vom 13.01.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.04.2011 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 1000,44 EUR zu erstatten. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt die Beklagte.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten häuslicher Krankenpflege (HKP) in Form des Anziehens eines Stützkorsetts für die Zeit vom 01.11.2010 bis 27.01.2011 in Höhe von 1.000,44 EUR.

Die 0000 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Bis Mitte März 2011 lebte sie allein in einer Wohnung auf der ersten Etage eines Zwei-Familienhauses. Sie ist erheblich pflegebedürftig und erhält Leistungen nach Pflegestufe I. Ihre Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung erfolgte durch einen ambulanten Pflegedienst (morgens) und ihre in der Nähe, aber nicht mit ihr im gemeinsamen Haushalt lebenden drei Kinder. Die Klägerin leidet u.a. an Osteoporose, hat bereits mehrere Wirbelkörperspontanfrakturen erlitten und ist mit einem orthopädischen Wirbelsäulenstützkorsett versorgt. Dieses kann sie nicht selbst, sondern nur mit fremder Hilfe anziehen.

Am 29.10.2010 verordnete der Hausarzt der Klägerin HKP in Form von "Anlegen eines Stützkorsetts" einmal täglich/siebenmal wöchentlich für die Zeit vom 01.11.bis 31.12.2010.

Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 04.11.2010 ab mit dem Hinweis, es handele sich beim Anlegen des Stützkorsetts um Grundpflege, die keinen Anspruch auf HKP begründe.

Dagegen legte die Klägerin am 17.11.2010 Widerspruch ein. Sie trug vor, sie müsse wegen hochgradiger Osteoporose und Wirbeleinbrüchen ein ärztlich verordnetes Stützkorsett tragen, um weitere Wirbeleinbrüche und gegebenenfalls Lähmungen zu verhindern. Wegen rheumatoider Arthrosen, Sehnenriss am rechten Oberarm, Zustand nach Radiusfraktur am linken Handgelenk und beginnender Demenz könne sie das Korsett nicht selbst anlegen.

Die Beklage wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 15.02.2011 zurück. Sie nahm Bezug auf die HKP-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA); nach Nr. 4 des Verzeichnisses zu diesen Richtlinien sei das Anziehen eines Stützkorsetts der Grundpflege zugeordnet; dies sei für sie verbindlich. Die alleinige Erforderlichkeit von Grundpflege und/oder hauswirtschaftlicher Versorgung begründe keinen Anspruch auf HKP.

Dagegen hat die Klägerin am 09.03.2011 Klage erhoben.

Am 21.12.2010 verordnete der Hausarzt weitere HKP "Anziehen eines Stützkorsetts" einmal täglich für die Zeit vom 01.01. bis 31.03.2011. Die Beklage lehnte den Antrag durch Bescheid vom 13.01.2011 ab und wies den dagegen eingelegten Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 13.04.2011 zurück. Dagegen hat die Klägerin am 16.05.2011 Klage erhoben (S 13 KN 144/11 KR).

Nach Anhörung der Beteiligten hat das Gericht die beiden Verfahren durch Beschluss vom 15.07.2011 verbunden.

Seit dem 16.03.2011 lebt die Klägerin in einem Seniorenheim. Bis dahin hat der ambulante Pflegedienst das Stützkorsett der Klägerin angelegt. Aus Gründen der Kulanz hat dieser die Leistung nur bis 27.01.2011 berechnet. Er hat der Klägerin - für November 2010 durch Rechnung vom 31.12.2010 339,34 EUR - für Dezember 2010 durch Rechnung vom 31.12.2010 372,62 EUR - für Januar 2011 durch Rechnung vom 05.05.2011 288,48 EUR insgesamt 1.000,44 EUR in Rechnung gestellt, die die Klägerin am 08.02. und 12.05.2011 bezahlt hat.

Die Klägerin meint, bei dem Anziehen des Stützkorsetts handele es sich in ihrem Fall um Behandlungspflege. Sie verweist auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), wonach zur Behandlungspflege alle Pflegenahmen zählten, die durch eine bestimmte Krankheit verursacht würden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet seien und dazu beitrügen, eines der Behandlungsziele des § 27 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zu erreichen. Dies treffe auf das Stützkorsett, das ihr angelegt werden müsse, zu. Die Klägerin hat Lichtbilder von ihrem Stützkorsett vorgelegt.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04.11.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.02.2011 und des Bescheides vom 13.01.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.04.2011 zu verurteilen, ihr 1.000,44 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verbleibt – unter Verweis auf die HKP-Richtlinien des G-BA – dabei, dass das Anlegen des Stützkorsetts Grundpflege sei und kein Bestandteil der verordneten Behandlungspflege. Die Hilfeleistung "Anziehen eines Stützkorsetts" sei auch bei der Ermittlung des Hilfebedarfs zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) im Bereich der Grundpflege zeitlich berücksichtigt worden. Dies ergebe sich aus dem Pflegegutachten über die Klägerin vom 22.02.2011.

Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhalts Auskünfte von der Orthopädin Dr. L. (vom 21.04.2011), des Allgemeinmediziners Dr. T. (vom 10.05.2011) und des Internisten G. (vom 24.05.2011) eingeholt. Die Ärzte haben übereinstimmend mitgeteilt, dass das Stützkorsett aus medizinischen Gründen notwendig sei und die Klägerin sich dieses nicht selbst anlegen könne. Desweiteren hat das Gericht eine Auskunft des G-BA vom 20.04.2011 zu den HKP-Richtlinien eingeholt, auf die verwiesen wird.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie rechtswidrig sind. Sie hat Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Inanspruchnahme eines Pflegedienstes zum Anziehen ihres Stützkorsetts für die Zeit vom 01.11.2010 bis 27.01.2011 in Höhe von 1.000,44 EUR.

Grundlage des Kostenerstattungsanspruchs ist § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V. Danach hat die Krankenkasse, wenn sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Der Kostenerstattungsanspruch tritt an die Stelle der an sich zu gewährenden Sach- oder Dienstleistung (§ 13 Abs. 1 SGB V). Die Klägerin hatte im streitbefangenen Zeitraum einen Anspruch gem. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V auf häusliche Krankenpflege (Behandlungssicherungspflege) in Form des Anziehens des ihr verordneten orthopädischen Stützkorsetts. Ein Anspruchsausschluss nach § 37 Abs. 3 SGB V bestand nicht, da im streitbefangenen Zeitraum keine Person, die die Klägerin hätte pflegen können, in deren Haushalt lebte. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V bestimmt, dass Versicherte in ihrem Haushalt als HKP Behandlungspflege erhalten, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist; der Anspruch umfasst verrichtungsbezogene krankenheitsspezifische Maßnahmen auch in den Fällen, in denen dieser Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach den §§ 14 und 15 SGB XI zu berücksichtigen ist. In § 37 Abs. 6 Satz 2 SGB V wird der G-BA ermächtigt, in Richtlinien das Nähere über Art und Inhalt der verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen nach Abs. 2 Satz 1 zu bestimmen.

Aufgrund dieser Ermächtigung hat der G-BA die HKP-Richtlinie erlassen. In einem der Richtlinie angehängten Leistungsverzeichnis werden unter den laufenden Nrn. 1 bis 4 die Leistungen der Grundpflege, unter der laufenden Nr. 5 Leistungen der hauswirtschaftlichen Versorgung und unter den laufenden Nrn. 6 bis 31 Leistungen der Behandlungspflege aufgelistet. Als Leistung der Grundpflege beschreibt das Leistungsverzeichnis unter Nr. 4 u.a.: "Körperpflege beinhaltet - - - - An- und/oder Auskleiden (Vorbereiten individueller Kleidung, Hilfe beim An- und Aus- ziehen der Kleidung, von Stützstrümpfen, von Antithrombosestrümpfen, von konfektionierten/teilkonfektionierten/maßgefertigten Bandagen, von Kompressions- strümpfen der Kompressionsklasse I, das An- und Ablegen von Prothesen, von Orthesen, von Stützkorsetts, von Bruchbändern etc.), " Als Leistung der Behandlungspflege beschreibt das Leistungsverhältnis unter Nr. 31 u.a. "Verbände - - Anlegen eines Kompressionsverbandes ( )/auch An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen/-strumpfhosen der Kompressionsklassen II bis IV "

Folgt man allein der Gliederung und dem Wortlaut der Nrn. 4 und 31 des Leistungsverzeichnisses zu den HKP-Richtlinien, so liegt es nahe, das Anziehen eines Stützkorsetts allein der Grundpflege zuzuordnen und damit als Leistung der HKP (Behandlungspflege) auszuschließen. Dies wird jedoch nicht dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Vorgaben in § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V gerecht.

Die behandelnden Ärzte haben in ihren Auskünften übereinstimmend mitgeteilt, dass die Klägerin das Stützkorsett aus medizinischen Gründen tragen muss. Dr. Schmidt hat in ihrem Befundbericht vom 12.05.2011 ausgeführt, dass es aufgrund einer schweren Osteoporose zwingend erforderlich ist, dass die Klägerin das vom Orthopäden verordnete Stützkorsett täglich trägt, um weitere Wirbelkörperfrakturen zu verhindern. Es ist in der Vergangenheit bereits zu mehreren oesteoporotischen Sinterungsfrakturen im Bereich der Wirbelsäule gekommen. Das Stützkorsett dient dazu, die Verschlimmerung des orthopädischen Krankheitsbildes der Klägerin zu verhüten und ihre dadurch bedingten Krankheitsbeschwerden (Schmerzen) zu lindern. Es ist also zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung im Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbsatz i.V.m. § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V erforderlich. Und da sich die Klägerin das Stützkorsett gesundheitsbedingt

nicht selbst anziehen kann, was die Ärzte bescheinigt haben und von der Beklagten nicht bestritten wird, war sie im streitbefangenen Zeitraum, als sie noch alleine in einer Wohnung lebte, auf die Hilfe eines Pflegedienstes angewiesen.

Allein der sich aus dem Pflegegutachten vom 22.02.2011 ergebende Umstand, dass der Hilfebedarf beim Anziehen des Stützkorsetts bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach §§ 14, 15 SGB XI zu berücksichtigen ist und auch berücksichtigt worden ist, steht einem Anspruch auf HKP für diese Verrichtung nicht entgegen. Dies folgt aus § 37 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz SGB V. Diese Regelung "vollzieht die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nach (Entscheidung vom 17. März 2005, Az.: B 3 KR 9/04 R, BSGE 94, 192); eine materielle Rechtsänderung ist damit nicht verbunden. Sie macht deutlich, dass verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen zur häuslichen Krankenpflege gehören" (BT-Drucks. 16/3100, S. 104). Bereits zum 01.01.2007 war – ebenfalls als Reaktion auf die Rechtsprechung – § 37 Abs. 1 Satz 1 um einen zweiten Halbsatz ergänzt worden, der damals lautete: "Der Anspruch umfasst das Anziehen und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen ab Kompressionsklasse II auch in Fällen, in denen dieser Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach den §§ 14 und 15 SGB XII zu berücksichtigen ist." Da dies zu speziell war und andere vergleichbare krankenspezifische Pflegemaßnahmen außen vorließ, hat das BSG Urteil vom 17.03.2005 (B 3 KR 9/04 R) die damalige Regelung in verfassungskonformer Auslegung erweitert, woraufhin der Gesetzgeber die Bestimmung allgemeiner in der aktuell geltenden Fassung formuliert hat. Soweit das LSG Niedersachsen durch das Urteil vom 21.06.2004 (L 4 KN 3/98 R), auf das sich die Beklagte bezieht, entschieden hat, dass das An- und Ablegen eines Stützkorsetts keine Leistung der Behandlungspflege sei, kann diese Auffassung nach der Entscheidung des BSG vom 17.03.2005 und der Neuregelung in § 37 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz SGB V keinen Bestand mehr haben.

Soweit der G-BA in Nr. 4 des Verzeichnisses der HKP-Richtlinien das Anziehen eines Stützkorsetts den Leistungen der Grundpflege (Körperpflege) zugeordnet hat, vermag dies den Anspruch auf HKP nicht auszuschließen. In Bezug auf diese Verrichtungszuordnung sind die HKP-Richtlinien nach Auffassung der Kammer von der gesetzlichen Ermächtigung in § 37 Abs. 6 SGB V nicht gedeckt.

Wie bereits dargelegt, stellt das Anziehen des Stützkorsetts eine krankheitsspezifische Pflegemaßnahme in Form der Behandlungspflege dar. Aus den vorgelegten Lichtbildern wird deutlich, dass das Anziehen des Stützkorsetts pflegespezifische Kenntnisse erfordert und, damit es seinen medizinischen Zweck erfüllen kann, in besonderer Weise dem Körper des Versicherten entsprechend angelegt werden muss. Diese Behandlungspflegemaßnahme steht in unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Katalogverrichtung "An- und Auskleiden" des § 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI. Von Art und Umfang und vom pflegerischen Aufwand her ist sie dem An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen ab Klasse II vergleichbar. Wenn aber das An-/Ausziehen von Kompressionsstrümpfen ab Klasse II – zurecht – der Behandlungspflege zugeordnet wird, erscheint es unter dem Aspekt des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes des Artikel 3 Grundgesetz bedenklich, das An-/Ausziehen eines orthopädischen Stützkorsetts, wie es die Klägerin tragen muss, nicht als Leistung der Behandlungspflege, sondern allein der Grundpflege anzusehen. Für die Sicherung des Erfolgs der ärztlichen Behandlung einer schweren Osteoporose und zur Vorbeugung (weiterer) Sinterungsbrüche ist ein orthopädisches Stützkorsett von ebenso großer Bedeutung wie das Tragen von Kompressionsstrümpfen der Klasse II zum Zweck der Thromboseprophylaxe; pflegerischer Aufwand und pflegerische Fachkompetenz für ein ordnungsgemäßes therapiesicherndes Anlegen des Stützkorsetts sind dem beim Anziehen von Kompressionsstrümpfen der Klasse II vergleichbar. Es verwundert deshalb nicht, dass der G-BA auf die Anfrage des Gerichts, welche Erwägungen dazu geführt haben, das Anziehen eines Stützkorsetts der Grundpflege, nicht aber der Behandlungspflege zuzuordnen, und wo der sachliche Unterschied in der Zuordnung zwischen einem Stützkorsett und einem Kompressionsverband/Stützstrumpf der Klasse II liegt, eine Antwort schuldig geblieben ist. Der G-BA hat in seiner Auskunft vom 20.04.2011 ausgeführt: "Die Grundverrichtungen des täglichen Lebens umfassen im Rahmen der Körperpflege das An- und Auskleiden, weshalb der von Ihnen nachgefragte Vorgang des Anziehens eines Stützkorsetts dementsprechend im Leistungsverzeichnis der HKP-Richtlinie unter Nr. 4 Körperpflege – An- und Auskleiden der Leistungen der Grundpflege geregelt ist. Leistungen der Behandlungspflege hingegen – wie beispielsweise das von Ihnen unter Nr. 31 des Leistungsverzeichnisses angeführte An- oder Ausziehen von Kompressionsstrümpfen/-strumpfhosen der Kompressionsklasse II bis IV – umfassen nach § 1 Abs. 3 a der HKP-Richtlinie alle Maßnahmen der ärztlichen Behandlung die dazu dienen, Krankheiten zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern und die üblicherweise an Pflegefachkräfte/Pflegekräfte delegiert werden können." Der G-BA hat lediglich dargelegt, dass er die eine Leistung dem einen Bereich und die andere Leistung dem anderen Bereich zugeordnet hat, nicht aber, welcher sachliche Grund für diese Differenzierung ausschlaggebend ist. Solche sachlichen Gründe sind für die Kammer auch nicht erkennbar; offensichtlich hat sich der G-BA bei der Zuordnung des An-/Ausziehens eines orthopädischen Stützkorsetts zur Grundpflege keine besonderen Gedanken gemacht.

Nach Auffassung der Kammer ist im Lichte der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 17.03.2005) und der vom Willen des Gesetzgebers getragenen Bestimmung des § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB V das Anlegen eines orthopädischen Stützkorsetts in einem Fall wie dem Vorliegenden in erster Linie eine Maßnahme der Behandlungspflege. Dies begründet einen Anspruch auf HKP gemäß § 37 Abs. 2 SGB V.

Hat somit die Beklagte die vertragsärztlich verordnete HKP zu Unrecht abgelehnt, so hat sie der Klägerin die – unter Einhaltung des Beschaffungsweges – entstandenen Kosten für die selbstbeschaffte Leistung in Höhe von 1.000,44 EUR zu erstatten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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