Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 405/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin (Ast.) begehrt von der Antragsgegnerin (Ag.) im Wege des vorläufigen Rechtschutzes die Versorgung mit dem Arzneimittel Avastin®.
Die am 00.00.0000 geborene Ast. leidet an einem Ovarialkarzinom. Sie wurde deshalb im Oktober 1999 operiert; dabei erfolgte die Entfernung u.a. der Eierstöcke (Ovarektomie), der Gebärmutter (Hysterektomie), des großen (Fett-)Netzes im Bereich des Bauchfells (Omentektomie) und von Lymphknoten (Lymphonodektomie). Daran schlossen sich über einen Zeitraum von fünf Monaten sechs Zyklen einer Chemotherapie mit Carboplatin und Paclitacxel an. Im Juni 2006 wurde ein Rezidiv des Ovarialkarzinoms mit Metastasen in der Milz festgestellt; daraufhin wurde im Juli 2006 die Milz entfernt; in den folgenden Monaten erhielt die Ast. eine zweite Chemotherapie, wiederum mit Carboplatin und Paclitaxel. Im September 2011 wurde ein zweites Rezidiv des Ovarialkarzinoms festgestellt. Im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthalts vom 28.11. bis 10.12.2011 wurde ein inoperablerer Befund erhoben. In einer interdisziplinären Tumorkonferenz bestätigten die Krankenhausärzte am 05.12.2011 die von den behandelnden Gynäkologen der Ast. vorgeschlagene Chemotherapie mit Carboplatin, Gemcitabine und Avastin®.
Carboplatin und Gemcitabine sind als Zytostatika (Krebsmittel) zur Behandlung des Ovarialkarzinoms zugelassen. Avastin® ist ebenfalls ein Zytostatikum, das jedoch allein zur Behandlung von Patienten mit metastasiertem Colon- und Rektumkarzinom, Mammakarzinom oder inoperablem fortgeschrittenem metastasiertem oder rezidivierendem nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom zugelassen ist; Avastin® hat keine Zulassung zur Behandlung des Ovarialkarzinoms.
Mit Schreiben vom 22.11.2011 stellte die Ast. bei der Ag. einen "Antrag auf Kostenübernahme für die Behandlung mit Avastin®". Sie begründete diesen damit, es seien weitere Behandlungen notwendig, da die Vortherapien nicht zu einer Heilung geführt hätten. Mit der bisher nur für die Brust- und Darmkrebserkrankung zugelassene Substanz Bevacizumab (Avastin®) seien auch positive Ergebnisse beim Eierstockkrebs berichtet worden, weshalb dieses Wirkprinzip für sie eine weitere Therapieoption darstelle. In einer
Phase-II-Studie habe für die Primärtherapie gezeigt werden können, dass durch Bevacizumab in Kombination mit Carboplatin und Paclitaxel eine Teil- oder Komplettremission bei 75 % der Patienten habe erreicht werden können. Im Rahmen der sog. OCEANS-Studie seien Patienten mit Rezidiv eines Ovarialkarzinoms mit Carboplatin/Gemcitabine/Placebo versus Carboplatin/Gemcitabine/Bevacizumab behandelt worden. Im Hinblick auf die Ergebnisse zugunsten der zusätzlichen Gabe von Bevacizumab sei nun bei ihr eine Chemotherapie in der Kombination Carboplatin/Gemcitabine/Bevacizumab geplant; die zusätzliche Gabe von Bevacizumab (Avastin®) lasse einen deutlich verbesserten Behandlungserfolg erwarten. Die Ast. vertrat die Auffassung, dass die vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Kriterien zum Einsatz eines Arzneimittels außerhalb des Zulassungsbereichs zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erfüllt seien. In einer Stellungnahme vom 15.12.2011 unterstützte der behandelnde Gynäkologe Dr. B. den Kostenübernahmeantrag der Ast. mit dem Hinweis, der ergänzende Einsatz von Avastin® in der OCEANS-Studie habe zu einem deutlichen Lebenszeitgewinn geführt; aufgrund dieser Ergebnisse sei eine Zulassung beantragt worden und werde in Kürze erwartet. Die Empfehlung zu dieser Therapie sei auch von Prof. Dr. N. im Rahmen einer postoperativen interdisziplinären Tumorkonferenz bestätigt worden.
Die Ag. holte vom Kompetenz Centrum "Onkologie" des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Nordrhein ein "Gutachten über die Möglichkeit der Leistungsgewährung der GKV für eine zulassungsüberschreitende Bevacizumab-(Avastin®) Behandlung mit einem Ovarialkarzinom" ein. Dr. A. und Prof. Dr. I. setzten sich in dem Gutachten vom 21.12.2011 mit der medizinisch-wissenschaftlichen Datenlage auseinander und kamen in der sozialrechtlichen Bewertung zum Ergebnis, dass sich den Studiendaten im Rahmen der bei der Ast. geplanten Drittlinientherapie ein Zusatznutzen von Bevacizumab anstelle einer alleinigen Kombinationschemotherapie nicht ableiten lasse; es sei nicht belegt, dass die angestrebte Bevacizumab-Anwendung die Lebensqualität und/oder das Überleben der Ast. bei vertretbaren therapiebedingten Risiken erwartbar verbessere. Auch wenn die Lebenssituation der Patientin lebensbedrohlich sei, stünden evidenzbasierte Standtherapieoptionen zur Verfügung.
Daraufhin lehnte die Ag. den Kostenübernahmeantrag durch Bescheid vom 27.12.2011 ab. Sie verwies auf die eng umgrenzten Ausnahmen, unter denen ein zugelassenes Arzneimittel in einem nicht zugelassenen Anwendungsgebiet verordnet werden kann, und meinte, die Entscheidung über eine entsprechende Verordnung eines Arzneimittels unter Berücksichtigung dieser Kriterien liege allein in der Verantwortung des Vertragsarztes. Eine Genehmigung von Arzneimittel-Verordnungen (auch im off-label-use) durch die Krankenkasse sei auch nach dem Bundesmantelvertrag Ärzte/Ersatzkassen unzulässig.
Am 28.12.2011 hat die Ast. um vorläufigen Rechtschutz nachgesucht. Zur Begründung bezieht sie sich auf ihren Antrag vom 22.11.2011 und ihre sich aus diversen vorgelegten Arzt- und Krankenhausberichten ergebende Krankheitsgeschichte.
Die Antragstellerin beantragt dem Sinne ihres schriftsätzlichen Vorbringens nach,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, sie zur Behandlung des Ovarialkarzinoms mit dem Arzneimittel Avastin® (Bevacizumab) zu versorgen oder eine entsprechende Kostenübernahmeerklärung zu erteilen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Sie ist der Auffassung, es fehle bereits an einem Anordnungsanspruch. Avastin® sei zwar ein zugelassenes Arzneimittel, jedoch bestehe keine Zulassung zur Behandlung des Ovarialkarzinoms. Die Ausnahmekriterien für eine Behandlung mit Avastin® außerhalb der Zulassung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung lägen nicht vor. Hierzu verweist die Ast. auf das Gutachten des Kompetenz Centrum "Onkologie" des MDK.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nicht begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Ast. muss glaubhaft machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO), dass ihm ein Anspruch auf die geltend gemachte Leistung zusteht (Anordnungsanspruch) und dass das Abwarten einer gerichtlichen Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren für ihn mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (Anordnungsgrund). Einstweilige Anordnungen kommen grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Beseitigung einer gegenwärtigen Notlage dringend geboten ist.
Unter Beachtung dieser Grundsätze fehlt es sowohl am Anordnungsanspruch als auch am Anordnungsgrund.
Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V umfasst die Krankenbehandlung auch die Versorgung mit Arzneimitteln. Der Anspruch zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ist allgemein auf apotheken- und verschreibungspflichtige Arzneimittel begrenzt (vgl. § 31 SGB V). Die Krankenkassen erbringen ihre Leistungen grundsätzlich als Sach- und Dienstleistung (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V); Kostenerstattung ist nur in den gesetzlichen Ausnahmefällen vorgesehen (§ 13 Abs. 1 SGB V). Die Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln erfolgt derart, dass ein Vertragsarzt ein arzneimittelrechtlich zugelassenes Arzneimittel auf einem dafür vorgesehen vertragsärztlichen Rezept verordnet und der Versicherte aufgrund dieser vertragsärztlichen Verordnung in der Apotheke das Arzneimittel erhält. Voraussetzung des Versorgungsanspruchs gegenüber der Krankenkasse ist also zunächst eine vertragsärztliche Verordnung.
Es ist nicht zu verkennen, dass die Verordnung von Avastin® zur Behandlung des bei der Ast. bestehenden Ovarialkarzinoms einer besonderen Begründung bedarf. Denn das Arzneimittel ist zur Behandlung dieses Krankheitsbildes nicht zugelassen. Eine zulassungsüberschreitende Anwendung (sog. Off-Label-Use) zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ist zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, muss jedoch wegen des Vorrangs des Arzneimittelrechts auf Fälle beschränkt werden, in denen einerseits ein unabweisbarer und anders nicht zu befriedigender Bedarf an der Arzneitherapie besteht und andererseits die therapeutische Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Behandlung hinreichend belegt sind. Die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet kommt deshalb nur in Betracht, wenn 1. es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, 2. keine andere Therapie verfügbar ist und 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Diese drei Ausnahmekriterien müssen kumulativ erfüllt sein (vgl. dazu BSG, Urteil vom 19.03.2002 – B 1 KR 37/00 R).
Aus der Stellungnahme des behandelnden Gynäkologen Dr. B. vom 15.12.2011 ergibt sich, dass seiner Auffassung nach die Kriterien zur Off-Label-Therapie im Fall der Ast. erfüllt sind. Er sieht sich darin auch durch das Ergebnis der interdisziplinären Tumorkonferenz vom 05.12.2011 im Evangelischen Krankenhaus Düsseldorf bestätigt. Insofern ist nicht nachvollziehbar, warum der behandelnde Arzt Avastin® nicht vertragsärztlich verordnet. Denn wenn die Voraussetzungen eines Off-Label-Use erfüllt sind, ist ein Arzneimittel auch zulassungsüberschreitend zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnungsfähig. Für die vertragsärztliche Versorgung bestimmen § 29 Abs. 1 des Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) und § 15 Abs. 1 des Bundesmantelvertrag-Ärzte/Ersatzkassen (EKV-Ä), dass die Verordnung von Arzneimitteln allein in der Verantwortung des Vertragsarztes liegt (Satz 1). Die Genehmigung von Arzneimittelverordnungen durch die Krankenkasse/Ersatzkasse ist unzulässig (Satz 2). Hält also der Vertragsarzt Avastin® – unter Bejahung der Off-Label-Use-Voraussetzungen – für verordnungsfähig und kann er dies medizinisch verantworten, so ist er gegenüber den Krankenkassen vertraglich verpflichtet, den entsprechenden Versorgungsanspruch des Versicherten zu erfüllen, indem er das betreffende Arzneimittel vertragsärztlich verordnet. Ist er allerdings der Auffassung, dass das Medikament nicht verordnungsfähig ist, etwa weil die Off-Label-Use-Voraussetzungen nicht kumulativ erfüllt sind, darf er das Arzneimittel nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung vertragsärztlich verordnen. Dann besteht auch kein Anspruch des Versicherten aus der gesetzlichen Krankenversicherung auf Versorgung mit diesem Arzneimittel. Es ist nicht Aufgabe der Ag. und/oder des Sozialgerichts, die Entscheidung über die Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels nur deshalb zu übernehmen, weil sich ein Vertragsarzt ziert, dieses vertragsärztlich zu verordnen, z.B. weil er einen Regress befürchtet. Wenn der Vertragsarzt zurecht die Voraussetzungen für einen zulässigen Off-Label-Use für gegeben hält und dies verantworten kann, braucht er aus seiner medizinisch verantwortlichen Sicht einen Arzneimittelregress nicht zu befürchten. Die verantwortliche Entscheidung, ob diese Voraussetzungen tatsächlich vorliegen, kann ihm das Gericht nicht abnehmen.
Ein Leistungsanspruch der Ast. auf die Behandlung mit Avastin® ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des Verfassungsrechts. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seiner Entscheidung vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98) entschieden, dass die Leistungsverweigerung einer Krankenkasse, die unter Berufung darauf erfolgt, dass eine bestimmte neue ärztliche Behandlungsmethode der GKV ausgeschlossen ist, weil der zuständige G-BA diese noch nicht anerkannt oder diese sich zumindest in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion noch nicht durchgesetzt hat, gegen das Grundgesetz verstößt, wenn kumulativ folgende Voraussetzungen erfolgt sind:
1. es liegt eine lebensbedrohliche regelmäßig tödliche Erkrankung vor, 2. bezüglich dieser Erkrankung steht eine allgemein anerkannte medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung, 3. bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode besteht eine "auf Indizien gestützte" nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens spürbare positive Entwicklung auf den Krankheitsverlauf.
In Ausführung dieser Entscheidung hat der Gesetzgeber durch Art. 1 Nr. 1 des GKV-Versorgungsstrukturgesetz vom 22.12.2011 (BGBl. I S. 2983) in § 2 SGB V mit Wirkung ab 01.01.2012 einen neuen Absatz 1a eingefügt. Dieser lautet: Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Abs. 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt.
Nach Auffassung des BSG sind die vom BVerfG zur Anwendung von neuen Behandlungsmethoden entwickelten Grundsätze, wie sie nun in § 2 Abs. 1a SGB V ihren Niederschlag gefunden haben, auch auf die Versorgung von Arzneimitteln anzuwenden, weil sachliche Gründe dafür, danach zu unterscheiden, ob der krankenversicherungsrechtliche Anspruch des Versicherten auf eine bestimmte Art der ärztlichen Behandlung oder auf die Versorgung mit einem Arzneimittel gerichtet ist, nicht ersichtlich sind (BSG, Urteil vom 04.04.2006 – B 1 KR 7/05 R).
Im vorliegenden Fall der Ast. ist jedoch das zweite Kriterium für eine Ausnahmebehandlung nicht erfüllt. Denn es besteht bezüglich ihrer Erkrankung eine allgemein anerkannte medizinischem Standard entsprechende Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung. Zurecht hat der MDK im Gutachten vom 21.12.2011 darauf hingewiesen, dass die Lebenssituation der Ast. sicherlich lebensbedrohlich ist. Allerdings stehen evidenzbasierte Standardtherapieoptionen zur Verfügung, z.B. "bei weiterer Platin-Sensitivität der erneute Einsatz eines Platin-haltigen Protokolls (nach Platin-Versagen sind weitere zugelassene Chemotherapieoptionen möglich, z.B. eine Topotecan-Therapie)". Soweit die Ast. und ihr behandelnder Gynäkologe im Antrag auf Kostenübernahme bzw. der dazu eingereichten Stellungnahme auf Studien hingewiesen haben, die einen Behandlungserfolg einer Therapie mit Avastin® erwarten lassen, weshalb aufgrund dieser Ergebnisse eine Zulassung beantragt worden sei und in Kürze erwartet werde, verkennen sie, dass kurzfristig zwar eine Zulassung von Avastin® zur Behandlung des Ovarialkarzinoms möglich erscheint, jedoch nur für eine Erstlinientherapie, nicht aber für Folgechemotherapien bzw. Rezidivbehandlungen. Erst am 22.09.2011 hat die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) eine Mitteilung zur Bewertung des Antrags auf Zulassungserweiterung für Bevacizumab für die Indikation Ovarialkarzinom durch das wissenschaftliche Expertenkomitee CHMP veröffentlicht. Das CHMP empfiehlt folgende Zulassungserweiterung: Bevacizumab in Kombination mit Carboplatin und Paclitaxel ist angezeigt für die Erstlinientherapie des fortgeschrittenen (FIGO-Stadium IIIb, IIIc und IV) epithelialen Ovarialkarzinoms, Tubenkarzinoms oder primärem Peritonealkarzinoms". Bei der Ast. wurde Avastin® nicht zur erstmaligen Chemotherapie nach Feststellung des Ovarialkarzinoms eingesetzt, sondern im Rahmen einer dritten Chemotherapie nach Feststellung des zweiten Rezidivs. Über die Wirksamkeit von Avastin® in diesem Krankheitsstadium gibt es keine aussagekräftigen medizinisch-wissenschaftlichen Daten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin (Ast.) begehrt von der Antragsgegnerin (Ag.) im Wege des vorläufigen Rechtschutzes die Versorgung mit dem Arzneimittel Avastin®.
Die am 00.00.0000 geborene Ast. leidet an einem Ovarialkarzinom. Sie wurde deshalb im Oktober 1999 operiert; dabei erfolgte die Entfernung u.a. der Eierstöcke (Ovarektomie), der Gebärmutter (Hysterektomie), des großen (Fett-)Netzes im Bereich des Bauchfells (Omentektomie) und von Lymphknoten (Lymphonodektomie). Daran schlossen sich über einen Zeitraum von fünf Monaten sechs Zyklen einer Chemotherapie mit Carboplatin und Paclitacxel an. Im Juni 2006 wurde ein Rezidiv des Ovarialkarzinoms mit Metastasen in der Milz festgestellt; daraufhin wurde im Juli 2006 die Milz entfernt; in den folgenden Monaten erhielt die Ast. eine zweite Chemotherapie, wiederum mit Carboplatin und Paclitaxel. Im September 2011 wurde ein zweites Rezidiv des Ovarialkarzinoms festgestellt. Im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthalts vom 28.11. bis 10.12.2011 wurde ein inoperablerer Befund erhoben. In einer interdisziplinären Tumorkonferenz bestätigten die Krankenhausärzte am 05.12.2011 die von den behandelnden Gynäkologen der Ast. vorgeschlagene Chemotherapie mit Carboplatin, Gemcitabine und Avastin®.
Carboplatin und Gemcitabine sind als Zytostatika (Krebsmittel) zur Behandlung des Ovarialkarzinoms zugelassen. Avastin® ist ebenfalls ein Zytostatikum, das jedoch allein zur Behandlung von Patienten mit metastasiertem Colon- und Rektumkarzinom, Mammakarzinom oder inoperablem fortgeschrittenem metastasiertem oder rezidivierendem nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom zugelassen ist; Avastin® hat keine Zulassung zur Behandlung des Ovarialkarzinoms.
Mit Schreiben vom 22.11.2011 stellte die Ast. bei der Ag. einen "Antrag auf Kostenübernahme für die Behandlung mit Avastin®". Sie begründete diesen damit, es seien weitere Behandlungen notwendig, da die Vortherapien nicht zu einer Heilung geführt hätten. Mit der bisher nur für die Brust- und Darmkrebserkrankung zugelassene Substanz Bevacizumab (Avastin®) seien auch positive Ergebnisse beim Eierstockkrebs berichtet worden, weshalb dieses Wirkprinzip für sie eine weitere Therapieoption darstelle. In einer
Phase-II-Studie habe für die Primärtherapie gezeigt werden können, dass durch Bevacizumab in Kombination mit Carboplatin und Paclitaxel eine Teil- oder Komplettremission bei 75 % der Patienten habe erreicht werden können. Im Rahmen der sog. OCEANS-Studie seien Patienten mit Rezidiv eines Ovarialkarzinoms mit Carboplatin/Gemcitabine/Placebo versus Carboplatin/Gemcitabine/Bevacizumab behandelt worden. Im Hinblick auf die Ergebnisse zugunsten der zusätzlichen Gabe von Bevacizumab sei nun bei ihr eine Chemotherapie in der Kombination Carboplatin/Gemcitabine/Bevacizumab geplant; die zusätzliche Gabe von Bevacizumab (Avastin®) lasse einen deutlich verbesserten Behandlungserfolg erwarten. Die Ast. vertrat die Auffassung, dass die vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Kriterien zum Einsatz eines Arzneimittels außerhalb des Zulassungsbereichs zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erfüllt seien. In einer Stellungnahme vom 15.12.2011 unterstützte der behandelnde Gynäkologe Dr. B. den Kostenübernahmeantrag der Ast. mit dem Hinweis, der ergänzende Einsatz von Avastin® in der OCEANS-Studie habe zu einem deutlichen Lebenszeitgewinn geführt; aufgrund dieser Ergebnisse sei eine Zulassung beantragt worden und werde in Kürze erwartet. Die Empfehlung zu dieser Therapie sei auch von Prof. Dr. N. im Rahmen einer postoperativen interdisziplinären Tumorkonferenz bestätigt worden.
Die Ag. holte vom Kompetenz Centrum "Onkologie" des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Nordrhein ein "Gutachten über die Möglichkeit der Leistungsgewährung der GKV für eine zulassungsüberschreitende Bevacizumab-(Avastin®) Behandlung mit einem Ovarialkarzinom" ein. Dr. A. und Prof. Dr. I. setzten sich in dem Gutachten vom 21.12.2011 mit der medizinisch-wissenschaftlichen Datenlage auseinander und kamen in der sozialrechtlichen Bewertung zum Ergebnis, dass sich den Studiendaten im Rahmen der bei der Ast. geplanten Drittlinientherapie ein Zusatznutzen von Bevacizumab anstelle einer alleinigen Kombinationschemotherapie nicht ableiten lasse; es sei nicht belegt, dass die angestrebte Bevacizumab-Anwendung die Lebensqualität und/oder das Überleben der Ast. bei vertretbaren therapiebedingten Risiken erwartbar verbessere. Auch wenn die Lebenssituation der Patientin lebensbedrohlich sei, stünden evidenzbasierte Standtherapieoptionen zur Verfügung.
Daraufhin lehnte die Ag. den Kostenübernahmeantrag durch Bescheid vom 27.12.2011 ab. Sie verwies auf die eng umgrenzten Ausnahmen, unter denen ein zugelassenes Arzneimittel in einem nicht zugelassenen Anwendungsgebiet verordnet werden kann, und meinte, die Entscheidung über eine entsprechende Verordnung eines Arzneimittels unter Berücksichtigung dieser Kriterien liege allein in der Verantwortung des Vertragsarztes. Eine Genehmigung von Arzneimittel-Verordnungen (auch im off-label-use) durch die Krankenkasse sei auch nach dem Bundesmantelvertrag Ärzte/Ersatzkassen unzulässig.
Am 28.12.2011 hat die Ast. um vorläufigen Rechtschutz nachgesucht. Zur Begründung bezieht sie sich auf ihren Antrag vom 22.11.2011 und ihre sich aus diversen vorgelegten Arzt- und Krankenhausberichten ergebende Krankheitsgeschichte.
Die Antragstellerin beantragt dem Sinne ihres schriftsätzlichen Vorbringens nach,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, sie zur Behandlung des Ovarialkarzinoms mit dem Arzneimittel Avastin® (Bevacizumab) zu versorgen oder eine entsprechende Kostenübernahmeerklärung zu erteilen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Sie ist der Auffassung, es fehle bereits an einem Anordnungsanspruch. Avastin® sei zwar ein zugelassenes Arzneimittel, jedoch bestehe keine Zulassung zur Behandlung des Ovarialkarzinoms. Die Ausnahmekriterien für eine Behandlung mit Avastin® außerhalb der Zulassung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung lägen nicht vor. Hierzu verweist die Ast. auf das Gutachten des Kompetenz Centrum "Onkologie" des MDK.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nicht begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Ast. muss glaubhaft machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO), dass ihm ein Anspruch auf die geltend gemachte Leistung zusteht (Anordnungsanspruch) und dass das Abwarten einer gerichtlichen Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren für ihn mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (Anordnungsgrund). Einstweilige Anordnungen kommen grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Beseitigung einer gegenwärtigen Notlage dringend geboten ist.
Unter Beachtung dieser Grundsätze fehlt es sowohl am Anordnungsanspruch als auch am Anordnungsgrund.
Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V umfasst die Krankenbehandlung auch die Versorgung mit Arzneimitteln. Der Anspruch zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ist allgemein auf apotheken- und verschreibungspflichtige Arzneimittel begrenzt (vgl. § 31 SGB V). Die Krankenkassen erbringen ihre Leistungen grundsätzlich als Sach- und Dienstleistung (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V); Kostenerstattung ist nur in den gesetzlichen Ausnahmefällen vorgesehen (§ 13 Abs. 1 SGB V). Die Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln erfolgt derart, dass ein Vertragsarzt ein arzneimittelrechtlich zugelassenes Arzneimittel auf einem dafür vorgesehen vertragsärztlichen Rezept verordnet und der Versicherte aufgrund dieser vertragsärztlichen Verordnung in der Apotheke das Arzneimittel erhält. Voraussetzung des Versorgungsanspruchs gegenüber der Krankenkasse ist also zunächst eine vertragsärztliche Verordnung.
Es ist nicht zu verkennen, dass die Verordnung von Avastin® zur Behandlung des bei der Ast. bestehenden Ovarialkarzinoms einer besonderen Begründung bedarf. Denn das Arzneimittel ist zur Behandlung dieses Krankheitsbildes nicht zugelassen. Eine zulassungsüberschreitende Anwendung (sog. Off-Label-Use) zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ist zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, muss jedoch wegen des Vorrangs des Arzneimittelrechts auf Fälle beschränkt werden, in denen einerseits ein unabweisbarer und anders nicht zu befriedigender Bedarf an der Arzneitherapie besteht und andererseits die therapeutische Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Behandlung hinreichend belegt sind. Die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet kommt deshalb nur in Betracht, wenn 1. es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, 2. keine andere Therapie verfügbar ist und 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Diese drei Ausnahmekriterien müssen kumulativ erfüllt sein (vgl. dazu BSG, Urteil vom 19.03.2002 – B 1 KR 37/00 R).
Aus der Stellungnahme des behandelnden Gynäkologen Dr. B. vom 15.12.2011 ergibt sich, dass seiner Auffassung nach die Kriterien zur Off-Label-Therapie im Fall der Ast. erfüllt sind. Er sieht sich darin auch durch das Ergebnis der interdisziplinären Tumorkonferenz vom 05.12.2011 im Evangelischen Krankenhaus Düsseldorf bestätigt. Insofern ist nicht nachvollziehbar, warum der behandelnde Arzt Avastin® nicht vertragsärztlich verordnet. Denn wenn die Voraussetzungen eines Off-Label-Use erfüllt sind, ist ein Arzneimittel auch zulassungsüberschreitend zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnungsfähig. Für die vertragsärztliche Versorgung bestimmen § 29 Abs. 1 des Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) und § 15 Abs. 1 des Bundesmantelvertrag-Ärzte/Ersatzkassen (EKV-Ä), dass die Verordnung von Arzneimitteln allein in der Verantwortung des Vertragsarztes liegt (Satz 1). Die Genehmigung von Arzneimittelverordnungen durch die Krankenkasse/Ersatzkasse ist unzulässig (Satz 2). Hält also der Vertragsarzt Avastin® – unter Bejahung der Off-Label-Use-Voraussetzungen – für verordnungsfähig und kann er dies medizinisch verantworten, so ist er gegenüber den Krankenkassen vertraglich verpflichtet, den entsprechenden Versorgungsanspruch des Versicherten zu erfüllen, indem er das betreffende Arzneimittel vertragsärztlich verordnet. Ist er allerdings der Auffassung, dass das Medikament nicht verordnungsfähig ist, etwa weil die Off-Label-Use-Voraussetzungen nicht kumulativ erfüllt sind, darf er das Arzneimittel nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung vertragsärztlich verordnen. Dann besteht auch kein Anspruch des Versicherten aus der gesetzlichen Krankenversicherung auf Versorgung mit diesem Arzneimittel. Es ist nicht Aufgabe der Ag. und/oder des Sozialgerichts, die Entscheidung über die Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels nur deshalb zu übernehmen, weil sich ein Vertragsarzt ziert, dieses vertragsärztlich zu verordnen, z.B. weil er einen Regress befürchtet. Wenn der Vertragsarzt zurecht die Voraussetzungen für einen zulässigen Off-Label-Use für gegeben hält und dies verantworten kann, braucht er aus seiner medizinisch verantwortlichen Sicht einen Arzneimittelregress nicht zu befürchten. Die verantwortliche Entscheidung, ob diese Voraussetzungen tatsächlich vorliegen, kann ihm das Gericht nicht abnehmen.
Ein Leistungsanspruch der Ast. auf die Behandlung mit Avastin® ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des Verfassungsrechts. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seiner Entscheidung vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98) entschieden, dass die Leistungsverweigerung einer Krankenkasse, die unter Berufung darauf erfolgt, dass eine bestimmte neue ärztliche Behandlungsmethode der GKV ausgeschlossen ist, weil der zuständige G-BA diese noch nicht anerkannt oder diese sich zumindest in der Praxis und in der medizinischen Fachdiskussion noch nicht durchgesetzt hat, gegen das Grundgesetz verstößt, wenn kumulativ folgende Voraussetzungen erfolgt sind:
1. es liegt eine lebensbedrohliche regelmäßig tödliche Erkrankung vor, 2. bezüglich dieser Erkrankung steht eine allgemein anerkannte medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung, 3. bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode besteht eine "auf Indizien gestützte" nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens spürbare positive Entwicklung auf den Krankheitsverlauf.
In Ausführung dieser Entscheidung hat der Gesetzgeber durch Art. 1 Nr. 1 des GKV-Versorgungsstrukturgesetz vom 22.12.2011 (BGBl. I S. 2983) in § 2 SGB V mit Wirkung ab 01.01.2012 einen neuen Absatz 1a eingefügt. Dieser lautet: Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Abs. 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt.
Nach Auffassung des BSG sind die vom BVerfG zur Anwendung von neuen Behandlungsmethoden entwickelten Grundsätze, wie sie nun in § 2 Abs. 1a SGB V ihren Niederschlag gefunden haben, auch auf die Versorgung von Arzneimitteln anzuwenden, weil sachliche Gründe dafür, danach zu unterscheiden, ob der krankenversicherungsrechtliche Anspruch des Versicherten auf eine bestimmte Art der ärztlichen Behandlung oder auf die Versorgung mit einem Arzneimittel gerichtet ist, nicht ersichtlich sind (BSG, Urteil vom 04.04.2006 – B 1 KR 7/05 R).
Im vorliegenden Fall der Ast. ist jedoch das zweite Kriterium für eine Ausnahmebehandlung nicht erfüllt. Denn es besteht bezüglich ihrer Erkrankung eine allgemein anerkannte medizinischem Standard entsprechende Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung. Zurecht hat der MDK im Gutachten vom 21.12.2011 darauf hingewiesen, dass die Lebenssituation der Ast. sicherlich lebensbedrohlich ist. Allerdings stehen evidenzbasierte Standardtherapieoptionen zur Verfügung, z.B. "bei weiterer Platin-Sensitivität der erneute Einsatz eines Platin-haltigen Protokolls (nach Platin-Versagen sind weitere zugelassene Chemotherapieoptionen möglich, z.B. eine Topotecan-Therapie)". Soweit die Ast. und ihr behandelnder Gynäkologe im Antrag auf Kostenübernahme bzw. der dazu eingereichten Stellungnahme auf Studien hingewiesen haben, die einen Behandlungserfolg einer Therapie mit Avastin® erwarten lassen, weshalb aufgrund dieser Ergebnisse eine Zulassung beantragt worden sei und in Kürze erwartet werde, verkennen sie, dass kurzfristig zwar eine Zulassung von Avastin® zur Behandlung des Ovarialkarzinoms möglich erscheint, jedoch nur für eine Erstlinientherapie, nicht aber für Folgechemotherapien bzw. Rezidivbehandlungen. Erst am 22.09.2011 hat die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) eine Mitteilung zur Bewertung des Antrags auf Zulassungserweiterung für Bevacizumab für die Indikation Ovarialkarzinom durch das wissenschaftliche Expertenkomitee CHMP veröffentlicht. Das CHMP empfiehlt folgende Zulassungserweiterung: Bevacizumab in Kombination mit Carboplatin und Paclitaxel ist angezeigt für die Erstlinientherapie des fortgeschrittenen (FIGO-Stadium IIIb, IIIc und IV) epithelialen Ovarialkarzinoms, Tubenkarzinoms oder primärem Peritonealkarzinoms". Bei der Ast. wurde Avastin® nicht zur erstmaligen Chemotherapie nach Feststellung des Ovarialkarzinoms eingesetzt, sondern im Rahmen einer dritten Chemotherapie nach Feststellung des zweiten Rezidivs. Über die Wirksamkeit von Avastin® in diesem Krankheitsstadium gibt es keine aussagekräftigen medizinisch-wissenschaftlichen Daten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved