S 13 KR 316/11

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 316/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 KR 158/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger 77,64 EUR von im Jahre 2010 geleisteten Zuzahlungen zu erstatten hat.

Der 0000 geborene Kläger ist bei der Beklagten und war 2010 bei deren Rechtsvorgängerin, der BKK Gesundheit, gesetzlich krankenversichert. Er leidet an einer schwerwiegenden chronischen Krankheit und ist – und war es auch 2010 – deshalb in ärztlicher Dauerbehandlung. Er hatte 2010 folgende Bruttoeinnahmen aus - Erwerbsminderungsrente (monatlich 896,15 EUR) 10.753,80 EUR - 2 Altersvorsorgeverträgen 4.246,01 EUR insgesamt 14.999,81 EUR

Der eingetragene Lebenspartner des Klägers ist nach beamtenrechtlichen Grundsätzen beihilfeberechtigt (70 %) und zusätzlich (30 %) privat krankenversichert. Im Jahre 2010 betrugen seine Bruttoeinkünfte (aus Versorgungsbezügen) 25.685,01 EUR.

Am 28.03.2011 beantragte der Kläger die Erstattung von für das Jahr 2010 geleisteten Zuzahlungen. Er überreichte hierzu Nachweise über das eigene Bruttoeinkommen und das des Lebenspartners im Jahre 2010, eine ärztliche Bescheinigung über eine dauerhafte schwere chronische Krankheit sowie Belege über Zuzahlungen, die er 2010 nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) geleistet hatte; dies waren vier Praxisgebühren à 10,00 EUR und Zuzahlungen zu Arzneimitteln von 145,00 EUR, insgesamt 185,00 EUR. Desweiteren legte er eine Bescheinigung über nach Beihilferecht einbehaltene Eigenanteile seines Lebenspartners im Rahmen der von diesem erhaltenen Beihilfe für 2010 in Höhe von 253,50 EUR vor.

Durch Bescheid vom 05.04.2011 lehnte die Beklagte den Zuzahlungserstattungsantrag ab mit der Begründung, im Jahre 2010 sei die Belastungsgrenze von 360,86 EUR nicht erreicht worden; es seien nur Zuzahlungen von 185,00 EUR geleistet worden. Die Berechnung der Belastungsgrenze gemäß § 62 SGB V nahm die Beklage wie folgt vor: Bruttoeinnahmen des Klägers 14.999,81 EUR Bruttoeinnahmen des Lebenspartners 25.685,01 EUR 40.684,82 EUR

abzüglich Angehörigen-Freibetrag - 4.599,00 EUR 36.085,82 EUR

Hiervon 1 % (Chroniker-)Belastungsgrenze 360,86 EUR abzüglich Zuzahlungen des Klägers - 185,00 EUR Rest unterhalb Belastungsgrenze 175,86 EUR.

Dagegen erhob der Kläger am 06.04.2011 Widerspruch. Er rügte, dass die nachgewiesenen Beihilfe-Eigenanteile seines Lebenspartners in Höhe von 253,50 EUR nicht berücksichtigt worden seien. Er meinte, bei diesen handele es sich um berücksichtigungsfähige Zuzahlungen. Zum 01.01.2007 seien die Regelungen zur Beihilfefähigkeit von Medikamenten geändert und den Arzneimittelrichtlinien der Gesetzlichen Krankenversicherung angeglichen worden; hierdurch habe sich die Rechtslage geändert. Die Nichtanerkennung geleisteter Eigenanteile eines Beihilfeempfängers stelle einen Gesetzesverstoß dar.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 02.11.2011 zurück. Zur Begründung führte sie aus, bei der Ermittlung der Belastungsgrenze nach § 62 Abs. 1 SGB V würden zwar die Zuzahlungen und die Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt des Versicherten und seines Lebenspartners jeweils zusammengerechnet und um 15 % der jährlichen Bezugsgröße (2010: 4.599,00 EUR) vermindert. Bei dem Betrag, um den 2010 die beihilfefähigen Aufwendungen des Lebenspartners nach beihilferechtlichen Regelungen gemindert worden seien, handele es sich jedoch nicht um eine gesetzliche Zuzahlung nach § 61 SGB V, die nach § 62 SGB V hätte berücksichtigt werden können. Deshalb seien nur die geleisteten gesetzlichen Zuzahlungen nach § 61 SGB V in Höhe von 185,00 EUR berücksichtigt worden.

Dagegen hat der Kläger am 08.11.2011 Klage erhoben. Er ist der Auffassung, entweder hätten sowohl die Einnahmen als auch die Eigenanteile seines Lebenspartners in die Berechnung einbezogen oder beides außer Acht gelassen werden müssen; die Einbeziehung nur einer der beiden Werte verfälsche das Ergebnis und verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes. Der Kläger ist der Auffassung, beihilferechtliche Eigenbehalte nach § 49 der Bundesbeihilfeverordnung (BBhV) seien Zuzahlungen im Sinne von § 62 SGB V. Das von der Beklagten für deren Auffassung bemühte Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19.02.2002 (B 1 KR 20/02 R) sei vorliegend nicht anwendbar, da es sich mit der alten Beihilfeverordnung und deren Ausgestaltung befasse; die neue Beihilfeverordnung nehme explizit Bezug auf das SGB V. Bei Einbeziehung der Eigenbehalte seines Lebenspartners für das Jahr 2010 in Höhe von 253,50 EUR als berücksichtigungsfähige Zuzahlungen ergebe sich statt des von der Beklagten errechneten Betrages von 175,86 EUR unterhalb der Belastungsgrenze ein die Belastungsgrenze übersteigender – zu erstattender – Betrag von 77,64 EUR.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05.04.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.11.2011 zu verurteilen, ihm 77,64 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verbleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Rechtsauffassung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung von Zuzahlungen, die er für das Jahr 2010 geleistet hat, da diese Zuzahlungen die für ihn maßgebliche Belastungsgrenze nicht übersteigt. Zurecht hat die Beklagte die beihilferechtlichen Eigenbehalte des Lebenspartners des Klägers in Höhe von 253,50 EUR unberücksichtigt gelassen.

Nach § 62 Abs. 1 Satz 1, erster Halbsatz SGB V haben Versicherte während jedes Kalenderjahres nur Zuzahlungen bis zur Belastungsgrenze zu leisten. Wird diese Belastungsgrenze überschritten, hat der Versicherte einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch auf Rückerstattung zu viel geleisteter Zuzahlungen. Welche Zuzahlungen bis zur Belastungsgrenze zu leisten und, soweit diese überschritten wird, erstattungsfähig sind, ergibt sich aus § 61 SGB V. Es handelt sich um "Zuzahlungen, die Versicherte zu leisten haben". Versicherte im Sinne des § 61 SGB V sind Personen, die in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versichert sind. Zuzahlungen, die Versicherte zu leisten haben, sind z. B. die so genannte "Praxisgebühr" gemäß § 28 Abs. 4 i. V. m. § 61 Satz 2 SGB V und die Zuzahlungen für Arzneimittel (§ 31 Abs. 3 SGB V), für Heilmittel (§ 32 Abs. 2 SGB V) und für Hilfsmittel (§ 33 Abs. 8 SGB V), um nur einige zu nennen. Keine Zuzahlungen im Sinne von § 61 SGB V, die bei Überschreiten der Belastungsgrenze nach § 62 SGB V erstattungsfähig wären, sind deshalb alle Eigenleistungen, die außerhalb des Systems der GKV zu leisten sind, z.B. Zuzahlungen gemäß § 32 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) bei stationären Leistungen der medizinischen Rehabilitation zu Lasten eines Rentenversicherungsträgers, Zuzahlungen nach § 40 Abs. 3 Satz 4 bis 6 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) für Hilfsmittel aus der Pflegeversicherung oder Eigenbehalte, um die beihilfefähige Aufwendungen nach beihilferechtlichen Regelungen (z.B. §§ 49, 50 BBhV) gemindert werden. So ist es auch in den vom GKV-Spitzenverband herausgegebenen "Verfahrensgrundsätze zu § 62 SGB V" vom 04./05.10.2010 unter Ziffer 4.3 Abs. 5 Satz 1, letzter Spiegelstrich bestimmt; bei den Verfahrensgrundsätzen handelt es sich in dieser Hinsicht allerdings nicht um eine für das Gericht verbindliche Norm, sondern um eine Auslegungshilfe; sie wird aber dem Gesetzeswortlaut und der Intention der §§ 61, 62 SGB V gerecht.

Das BSG hat bereits durch Urteil vom 19.02.2002 (B 1 KR 20/00 R) entschieden, dass bei der Ermittlung der Belastungsgrenze zwar die Einkünfte aller mit dem Versicherten im gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen – die hier maßgebliche Fassung des § 62 Abs. 2 SGB V bezieht inzwischen auch einen Lebenspartner mit ein – zusammenzurechnen sind, unabhängig davon, ob sie gesetzlich krankenversichert sind oder nicht; jedoch seien als Belastung nur die von der GKV erhobenen Eigenanteile zu berücksichtigen; eine Zusammenrechnung mit beihilferechtlichen Selbstbehalten anderer Haushaltsangehöriger finde nicht statt. Dem Kläger ist zuzugeben, dass diese Grundsatzentscheidung noch unter Geltung der im Jahre 1998 geltenden Fassung des § 62 SGB V und dem damals geltenden Beihilferecht ergangen ist und sich diese Rechtsvorschriften seitdem erheblich verändert haben. Dies begründet jedoch keine andere Beurteilung der Sach- und Rechtslage in Bezug auf die (Nicht-)Einbeziehung beihilferechtlicher Eigenbehalte im Rahmen eines Zuzahlungserstattungsanspruchs eines GKV-Versicherten. Der Gesetzgeber hat zwar § 62 SGB V und die Bundesbeihilfeverordnung geändert, ohne jedoch – in Kenntnis des Grundsatzurteils vom 19.02.2002 – die Entscheidung des BSG korrigiert zu haben, dass als Belastung nur die von der gesetzlichen Krankenversicherung erhobenen Eigenanteile maßgeblich sind und dass eine Zusammenrechnung mit beihilferechtlichen Selbstbehalten bei anderen Haushaltsangehörigen nicht stattfindet. Das BSG hat dementsprechend seine Rechtsprechung aus dem Jahre 2002 auch unter der Geltung des neuen Beihilferecht und des geänderten § 62 SGB V beibehalten (vgl. BSG, Beschluss vom 10.08.2010 – B 1 KR 58/10 B).

Entgegen der Auffassung des Klägers liegt in der Nichteinbeziehung beihilferechtlicher Eigenbehalte im Rahmen der Prüfung geleisteter Zuzahlungen nach §§ 61, 62 SGB V kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG verbietet es, wesentlich Gleiches ohne zureichende sachliche Gründe ungleich, wesentlich Ungleiches ohne solche Gründe gleich zu behandeln. Damit enthält Art. 3 Abs. 1 GG über ein Willkürverbot hinaus die an Gesetzgeber und Rechtsprechung gerichtete Verpflichtung, eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten nicht anders zu behandeln, falls zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen (BVerfGE 55, 72, 88; st. Rspr.). Der Gesetzgeber hat die Zuzahlungen in den jeweiligen Rechtsgebieten unterschiedlich geregelt, im Recht der Krankenversicherung nach den §§ 61, 62 SGB V, im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 32 SGB VI, im Recht der sozialen Pflegeversicherung nach § 40 Abs. 3 SGB XI und im Beihilferecht nach den §§ 49, 50 BBhV. Da es sich um unterschiedliche Rechtsbereiche, unterschiedliche Personengruppen und unterschiedliche Systeme handelt, ist der Gesetzgeber nicht gehindert, dieser Unterschiedlichkeit auch durch unterschiedliche Regelungen Rechnung zu tragen. Er hat den eingeräumten weiten Gestaltungsspielraum ersichtlich nicht in verfassungswidriger Weise überschritten.

Nach alledem hat die Beklagte zutreffend bei der Berechnung der Belastungsgrenze des Klägers im Sinne von § 62 SGB V die Bruttojahreseinkommen 2010 des Klägers (14.999,81 EUR) und seines Lebenspartners (25.685,01 EUR) auf 40.684,82 EUR addiert, hiervon den Freibetrag nach § 62 Abs. 2 Satz 2 SGB V in Höhe von 15 % der jährlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV für das Jahr 2010 in Höhe von 4.599,00 EUR abgezogen, woraus sich ein maßgebliches Gesamtbruttoeinkommen von 36.085,82 EUR ergibt. Für den Kläger als chronisch Krankem, der wegen derselben schwerwiegenden Krankheit in Dauerbehandlung war, betrug die Belastungsgrenze 1 % der jährlichen Bruttoeinnahmen (§ 62 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz SGB V). Die Belastungsgrenze betrug im Jahre 2010 für den Kläger also 360,86 EUR. Da der Kläger im Jahre 2010 nur 185,00 EUR "Zuzahlungen, die Versicherte zu leisten haben", geleistet hat, war die Belastungsgrenze für das Jahr 2010 noch um 175,86 EUR unterschritten. Ein Anspruch auf Erstattung von oberhalb der Belastungsgrenze geleisteter Zuzahlungen bestand somit nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Kammer hat die im Hinblick auf den Streitgegenstand und die Vorschrift des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG nicht statthafte Berufung zugelassen, weil sie der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimisst (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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