S 6 U 110/11

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 6 U 110/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger war vom 01.08.1992 bis 30.06.1995 und von 05.08.1996 bis 22.08.1997 bei der Firma A. in B. zunächst als auszubildender Maler und Lackierer und später als Malergeselle tätig. Vom 31.07.1995 bis 03.10.1995 war als Malergeselle für die Firma Q. T., B., tätig. Ab 1997 übte er eine Tätigkeit im Sicherheitsgewerbe aus. Nachdem er 2009 an akuter myeloischer Leukämie erkrankt war, leitete die Beklagte über die Krankenkasse des Klägers ein Verfahren zur Feststellung und Entschädi-gung einer Berufskrankheit nach Nr. 1318 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und des lymphatischen Systems durch Benzol) ein. Hierbei wertete sie Berichte des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. F. vom 08.10.2009 sowie des Universitätsklinikums B. – Med. Klinik IV – vom 16.02. und 21.08.2009 aus. Am 23.11.2009 führte sie eine ausführliche Befragung des Klägers durch, um eine mögliche Exposition gegenüber Benzol zu ergründen. Nach Auswertung von Berichten des Universitätsklinikums B. – Institut für Pa-thologie vom 29.01, 30.01 und 24.02.2009 sowie des Universitätsklinikums B. – Med. Klinik IV – vom 27.02., 21.04. und des Arztes für Innere Medizin PD Dr. H. vom 21.12.2008 erstellte ihr Präventionsbereich unter dem 18.05.2010 eine Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition des Klägers und wies auf das Fehlen einer Exposition gegenüber Benzol hin. Daraufhin lehnte die Beklagte eine Anerkennung und Entschädigung der Berufs-krankheit Nr. 1318 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (im Folgenden: BKV) mit Bescheid vom 22.11.2010 ab. Zur Begründung führte sie aus, eine messbare Exposition gegenüber Benzol habe während der gefährdenden Tätigkeiten nicht vorgelegen. Der Kläger legte am 17.12.2010 Widerspruch ein und führte aus, die Arbeitsplatzex-position sei nicht vollständig. So habe er in S. während des Ausbaus eines Saunabereichs einen Steinboden verlegen müssen. Hierbei hätten die Kieselsteine mit einem Klebstoff auf Epoxidharzbasis verklebt werden müssen. Das verwendete Werkzeug habe ständig gereinigt werden müssen, was mit Nitro-Verdünnung ge-schehen sei. In dieser Zeit habe er sehr viel Benzol eingeatmet. Die Beklagte wies mit Schreiben vom 28.03.2011 darauf hin, dass Benzin seit den 1970er Jahren in Malerbetrieben nicht mehr als Lösemittelersatz benutzt werde. Erst Recht müsse dies für die Zeit ab 1992 gelten. Mit Widerspruchsbescheid vom 19.04.2011 wies sie den Widerspruch unter Vertie-fung ihrer bisherigen Ausführungen zurück.

Hiergegen richtet sich die am 20.05.2011 erhobene Klage.

Der Kläger sieht sich in seinem Begehren durch das Sicherheitsdatenblatt für Nitro-Verdünnung sowie durch Sicherheitsdatenblätter für Benzol, Toluol, n-Hexan, Naphta und Kunstharzlack bestätigt.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.11.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.04.2011 zu verurteilen, bei ihm eine Berufskrankheit nach Nr. 1318 der BKV anzuerkennen und wegen der hieraus resultierenden Folgen Entschädigung zu leisten.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hält an ihrer bisherigen Auffassung fest.

Das Gericht hat zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts Befundberichte des Universitätsklinikums F. – Klinik für Knochenmarktransplantation – vom 29.07.2011 sowie des Universitätsklinikums B. – Abteilung Onkologie – vom 05.08.2011 sowie des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. F. vom 15.09.2011 eingeholt.

Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der genannten Unterlagen verwiesen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) be-schwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Er hat keinen Anspruch auf Anerkennung und Entschädigung der BK nach Nr. 1318 der Anlage zur BKV.

Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) solche Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet hat und die Versicherte infolge einer Tätigkeit erleiden, die Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründet. Nur solche Krankheiten, die in Anlage 1 zur BKV (sogenannte Berufskrankheitenliste) im Einzelnen aufgeführt sind, können als Berufskrankheiten anerkannt werden.

Die Feststellung einer Berufskrankheit setzt voraus, dass der Versicherte im Rahmen der versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen ausgesetzt gewesen ist, die geeignet sind, einen entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich ihrer Art und ihres Ausmaßes (sog. arbeitstechnische Voraussetzungen) im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, bewiesen sein (BSG, Urteil vom 20.01.1987 – 2 RU 27/86 = SozR 2200 § 548 Nr. 84; BSG, Urteil vom 22.08.2000 – B 2 U 34/99 R = SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2; Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 9 SGB VII, Rdnr. 3; Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheiten-Verordnung, E § 9 SGB VII Rdnr. 14).

Im vorliegenden Fall kann nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass der Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit als auszu-bildender Maler- und Lackierer bzw. später als Malergeselle gegenüber Benzol ex-poniert war.

Die Beklagte hat im Rahmen ihrer ausführlichen Befragung des Klägers zunächst die Durchführung von Abbeizarbeiten ausschließen können. Auch im Industrieanstrich war der Kläger nach eigenen Angaben nicht tätig gewesen. Soweit der Kläger auf die Verwendung von Benzol als Lösemittel verweist, so hat die Beklagte zutreffend darauf verwiesen, dass bereits seit Mitte der 1970er Jahre Benzol kaum mehr Verwendung als Lösemittel findet. Deshalb sind entsprechende Erkrankungen bei Malern wegen der strengen gesetzlichen Benzol-Restriktion seit 1975 fast völlig auszuschließen (vgl. Mehrtens/Perlebach, M 1303 Anm. 2 zur BK 1303). Erst Recht muss dies dann für die Zeit ab 1992 – dem frühesten denkbaren Beginn einer entsprechenden Exposition des Klägers – gelten.

Auch aus dem Umstand, dass der Kläger während seiner Tätigkeit als Maler mit dem Verkleben eines Steinbodens betraut war, und zum Reinigen des hierbei benutzten Werkzeugs stets Nitro-Verdünnung eingesetzt worden war, belegt nicht eine Exposition gegenüber Benzol. Weder durch die Verwendung des Klebers selbst noch durch die anschließende Reinigung des Werkzeugs ist eine Exposition gegenüber Benzol gesichert. Abgesehen davon, dass es sich um einen Kleber auf Epoxidharzbasis gehandelt hat, so reicht die Einwirkung selbst nicht aus, um die bei dem Kläger vorliegenden Erkrankungen auszulösen, wenn man eine (geringfügige) Exposition gegenüber Benzol unterstellt, etwa in Form von Verunreinigung der verwendeten Lösemittel bzw. des verwendeten Klebers. Hierbei verkennt die Kammer nicht, dass wissenschaftliche Studien auf die Verursachung von Erkrankungen durch Benzol sowohl durch kürzere hohe wie auch länger andauernde Belastungen hindeuten und die Ableitung eines präzisen Dosisgrenzwertes nicht möglich ist (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 23.02.2011 – L 2 U 233/08 = juris Rdnr. 23). Sie hält es indessen für zulässig, auf die wissenschaftliche Begründung zur Berufskrankheit nach Nr. 1318 der Anlage zur BKV zurückzugreifen, welche Personengruppen mit extremer Belastungsintensität, hoher Belastungsintensität, mittlerer und geringer Belastungsintensität un-terscheidet (wissenschaftliche Begründung zur BK 1318, S. 62 ff.) und, gestaffelt nach diesen unterschiedlichen Graden von Belastungsintensität, auch Angaben zur Expositionszeit enthält (so auch Bayerisches LSG, Urteil vom 23.02.2011 – L 2 U 233/08 = juris Rdnr. 27 ff.). Die Tätigkeit des Klägers indessen lässt sich keiner der dort genannten Tätigkeiten subsumieren und sie ist auch nicht ansatzweise mit Tätigkeiten vergleichbar, die eine extreme Belastungsintensität (etwa offener Umschlag von Ottokraftstoffen), eine hohe Belastungsintensität (z.B. Arbeiten im KFZ-Handwerk), eine mittlere Belastungsintensität (etwa Abfüllen von Ottokraftstoffen in Kesselwagen und Tankschiffe) oder geringe Belastungsintensität (Reinigung von Heizöl-, Kerosin- oder Dieseltanks) aufweisen. Selbst im Falle mittlerer Belastungsintensität indessen wird von einer Expositionszeit von in der Regel sechs bis zehn Jahren ausgegangen (a.a.O., S. 63). Die Verlegung des Steinbodens unter Verwendung des Klebers aber hat nach den eigenen Angaben des Klägers lediglich einen Zeitraum von 10 bis 12 Monaten in Anspruch genommen. Dieser Expositionszeitraum ist folglich angesichts der allenfalls geringen Belastungsintensität nicht geeignet, entsprechende Erkrankungen auszulösen.

Entsprechendes gilt für die vom Kläger geltend gemachte Benzolexposition durch das Reinigen der bei Verlegung des Steinbodens benutzten Werkzeuge. So stuft die wissenschaftliche Begründung zur BK 1318 die Verwendung von Lösemitteln mit Benzol als Verunreinigung ab 1980 als geringe Belastungsintensität ein (a.a.O., S. 63). Hinzu kommt, dass Benzol – wie das vom Kläger selbst übersandte Sicherheitsdatenblatt belegt – in der für die Reinigung benutzten Nitroverdünnung nicht enthalten ist.

Auch die übrigen vom Kläger übersandten Sicherheitsdatenblätter belegen nicht eine Exposition gegenüber Benzol oder die Verwendung von Benzol in den Stoffen, mit denen der Kläger während seiner Tätigkeit als Maler in Berührung gekommen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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