Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
19
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 19 SO 224/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab 28.12.2011 vorläufig und bis auf Weiteres, längstens jedoch bis zum rechtskräftigen Abschluss des unter dem Az. S 19 SO 223/11 geführten Klageverfahrens, Eingliederungshilfe in Form des ambulant betreuten Wohnens im Umfang von 3,5 Fachleistungswochenstunden zu gewähren. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers dem Grunde nach.
Gründe:
I. Der am 00.00.0000 geborene Antragsteller hat eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann abgeschlossen und zuletzt verschiedene Helfertätigkeiten ausgeführt. Seit mehreren Jahren ist er arbeitssuchend, seit dem 01.01.2006 bezieht er Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Ursprünglich wohnte er allein in einem Mietshaus. Seit Juni 2010 lebt er im Rahmen des betreuten Wohnens in einer Wohngemeinschaft. Träger dieser Maßnahme ist die WAF (Wohnen Arbeit Freizeit) GmbH & Co KG, E ... Seit 02.09.2010 ist zudem eine gesetzliche Betreuung eingerichtet. Unter dem 09.06.2010 stellte er bei dem Antragsgegner unter Hinweis auf eine Stel-lungnahme der Fachärztin für Psychiatrie X. (Institutsambulanz der rhein. Landeskliniken E.) vom 28.05.2010 sowie auf einen von der WAF GmbH & Co KG ausgearbeiteten Hilfeplan einen Antrag auf Übernahme der Kosten des ambulant betreuten Wohnens. Mit Bescheid vom 08.03.2011 lehnte der Antragsgegner den Antrag ab. Zur Begrün-dung führte er aus, es sei nicht ersichtlich, ob die Einschränkungen des Antragstel-lers im täglichen Leben aus einer Behinderung resultierten oder ob es sich um bloße Charaktereigenschaften handele. Auch seien wesentliche Einschränkungen der Teilhabefähigkeit nicht dargetan. Der Antragsteller legte am 06.04.2011 Widerspruch ein und verwies auf eine Stel-lungnahme des Trägers des betreuten Wohnens vom 12.04.2011 sowie auf eine Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie Dr. H. (Institutsambulanz der rhein. Landeskliniken E.) vom 12.04.2011 und auf einen Bericht der Klinik N. (Klinik für Psychiatrie – Suchtkrankheiten) vom 05.07.2006, wo sich der Antragsteller 2006 einer Entzugsbehandlung unterzogen hatte. Nach Erstellung eines neuen Hilfeplanes und Stellungnahme des med. psychosozialen Dienstes des Antragsgegners vom 22.08.2011 sowie Auswertung des ersten Betreuungsgutachtens vom 28.05.2010 wies der Antragsgegner den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14.12.2011 zurück. Zur Begründung führte er aus, eine wesentliche Einschränkung der Teilhabefähigkeit des Antragstellers sei nicht gegeben. Auch die Schwere und Dauerhaftigkeit der gegebenen Behinderung seien zweifelhaft, so dass Maßnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung und der bereits eingerichteten gesetzlichen Betreuung ausreichend seien. Überdies seien die vorliegenden Defizite im alltäglichen Bereich durch die zwischenzeitlich von der WAF GmbH & Co KG erbrachten Maßnahmen des betreuten Wohnens kompensiert worden.
Hiergegen hat der Antragsteller am 28.12.2011 Klage erhoben und gleichzeitig bei Gericht um Eilrechtsschutz nachgesucht. Er führt aus, er sei auch weiterhin auf Maßnahmen des betreuten Wohnens in der bisherigen Form angewiesen. Würden diese nicht erbracht, drohe eine Verwahrlosung sowie eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes, so dass ihm ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens nicht zumutbar sei. Er sieht sich durch eine Bescheinigung des Facharztes für Psychiatrie Dr. H. (Insti-tutsambulanz der rhein. Landeskliniken E.) vom 01.12.2011 in seinem Begehren bestätigt.
Der Antragsteller beantragt seinem Vorbringen nach sinngemäß, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Leistungen des ambulant betreuten Wohnens im Umfang von 3,5 Fachleistungswochenstunden zu bewilligen.
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.
Er hält an seiner bisherigen Auffassung fest.
Das Gericht hat zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts eine Begutachtung des Antragstellers durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. C. veranlasst. Dr. C. hat in seinem unter dem 24.02.2012 erstellten Gutachten ausgeführt, der Antragsteller leide mittlerweile an einer chronifizierten hirnorganischen Erkrankung mit Wesensänderung und intellektuellem Abbausyndrom, die zu einem psychiatrischen Syndrom mit Zeichen einer chronischen organischen Persönlichkeitsänderung führe. Es handele sich um eine schwere und wahrscheinlich dauerhafte Erkrankung. Durch Maßnahmen des betreuten Wohnens könne die Einschränkung der Teilhabefähigkeit deutlich verbessert werden. Der Antragsgegner ist dem Gutachten entgegen getreten und hat unter Hinweis auf eine Stellungnahme seines med. psychosozialen Dienstes vom 28.03.2012 ausge-führt, die Lebensbereiche, in denen der Antragsteller wesentlich eingeschränkt sei, würden nicht konkret bezeichnet. Der Antragsteller bedürfe Leistungen nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch. Das Gericht hat weiter eine Auskunft der WAF GmbH & Co KG vom 03.04.2012 ein-geholt. Darin hat diese mitgeteilt, die derzeit an den Antragsteller erbrachten Leis-tungen würden sofort eingestellt, wenn der Antragsgegner nicht im Rahmen des Eilverfahrens zur Bewilligung dieser Leistungen verpflichtet werde.
Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Gutachtens von Dr. C. verwiesen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte des Antragsgegners verwiesen.
II.
Der zulässige Eilantrag ist begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einst¬weilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nach¬teile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechts¬schutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbar¬keit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsa¬che abzuwarten. Der geltend gemachte Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) und die be¬sonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (An-ordnungsgrund), die Eilbedürftigkeit, sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO).
Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller Anordnungsanspruch und Anordnungs-grund glaubhaft gemacht.
Ein Anordnungsanspruch folgt aus §§ 53 Abs. 1 Satz 1, 54 Abs. 1 Satz 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe (SGB XII) i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 6 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch – Rehabilitation und Teilhabe Behinderter Menschen (SGB IX).
Die Voraussetzungen dieser Vorschriften liegen vor. Der Antragsteller ist durch eine Behinderung wesentlich in seiner Teilhabefähigkeit eingeschränkt. Es liegt eine schwere und dauerhafte Erkrankung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX vor. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. C. leidet der Antragsteller u.a. an einen Zustand nach apoplektischem Insult, Alkoholkrankheit bei Alkoholkarenz seit 2010, einer organischen Persönlichkeitsstörung, einem chronifizierten depressiven Syndrom, einem Verschluss der Arteria carotis bds. sowie einer peripheren arteriellen Verschlusserkrankung bds. Dr. C. hat weiter nachvollziehbar ausgeführt, dass es mittlerweile zu einer chronifizierten hirnorganischen Erkrankung des Antragstellers mit Wesensänderung und intellektuellem Abbausyndrom gekommen ist, die zu einem psychiatrischen Syndrom mit Zeichen einer chronischen organischen Persönlichkeitsänderung führt. Es bestehen damit für die Kammer keine Zweifel, dass es sich hierbei um Erkrankungen des Antragstellers im Sinne von § 3 Nr. 2 und Nr. 4 der Eingliederungshilfe-Verordnung handelt, die eine wesentliche Einschränkung der Teilhabefähigkeit zur Folge haben können. Auch der Antragsgegner geht mittlerweile hiervon aus, wie die Stellungnahme seines psychosozialen Dienstes vom 28.03.2012 zeigt. Es bestehen weiter keine Zweifel, dass bei dem Antragsteller eine wesentliche Ein-schränkung der Teilhabefähigkeit vorliegt. Denn es handelt sich mittlerweile um eine chronifizierte hirnorganische Symptomatik, welche zu einer Wesens- und Persönlichkeitsveränderung mit intellektuellem Abbausyndrom und einem psychiatrischen Syndrom mit kognitiven und mnestischen Störungen, Antriebsarmut sowie Verlangsamung der Denkabläufe geführt hat. Dr. C. hat weiter ausgeführt, dass der Antragsteller ohne eine Fortsetzung des betreuten Wohnens verwahrlosen würde. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners besteht die wesentliche Einschränkung der Teilhabefähigkeit damit nach wie vor darin, dass der Antragsteller seine Hausarbeit nicht selbst erledigen kann und seine Wohnung nicht in Ordnung halten kann und sich auch im Übrigen nicht selbst versorgen kann. So schafft er es beispielsweise nicht, Arzttermine oder Termine mit seiner gesetzlichen Betreuerin zu planen und einzuhalten. Welche konkreten Probleme im täglichen Leben hieraus resultieren, hat der Maßnahmeträger ausführlich im Rahmen der Begründung des Widerspruchs des Antragstellers geschildert (Stellungnahme vom 06.04.2011, Bl. 50 ff. der Verwaltungsvorgänge). Nach dem ausführlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. C. hegt die Kammer keine Zweifel, dass diese Probleme nach wie vor bestehen und dass sie im Übrigen auch auf die seelische Behinderung des Antragstellers zurückzuführen sind und es sich nicht – wie vom Antragsgegner zunächst vermutet – um eine Charaktereigenschaft handelt. Die Einschränkung der Teilhabefähigkeit des Antragstellers besteht weiter darin, dass er mit den einzigen ihm verbliebenen Bezugspersonen – seiner Schwester und seiner mittlerweile 11-jährigen Tochter – keinen (dauerhaften) Kontakt aufzubauen vermag und so ohne Hilfe des betreuten Wohnens zu vereinsamen droht, was ihm zusätzliche Angst bereitet. Dem steht nicht der zweite Hilfeplan vom 01.06.2011 (Bl. 61 ff. der Verwaltungsvor-gänge des Antragsgegners) entgegen. Denn die dort beschriebenen Fortschritte sind allein auf eine dauerhafte Anleitung und Überwachung im Rahmen des betreuten Wohnens zurückzuführen. Angesichts der mittlerweile eingetretenen Chronifizierung des Krankheitsbildes bestehen für die Kammer keine Zweifel, dass der Antragsteller bei Fortfall des betreuten Wohnens nicht im Stande sein wird, seine Wohnung eigenständig sauber zu halten und sich zu versorgen sowie Arzttermine o.ä. wahrzunehmen und soziale Kontakte zu den ihm verbliebenen Bezugspersonen aufzubauen. Vielmehr bedarf er auch weiterhin umfassender Hilfe, Unterstützung und Anleitung. Soweit der Antragsgegner meint, die bestehende Einschränkung der Teilhabefähig-keit des Antragstellers könnte durch Leistungen nach dem Fünften Buch Sozialge-setzbuch bzw. durch die eingerichtete Betreuung behoben werden, so vermag sich das Gericht dem nicht anzuschließen. Die von ihm beispielhaft genannte neuropsychologische Therapie könnte allenfalls flankierend eingesetzt werden, um die bestehenden psychischen Grunderkrankungen des Antragstellers zu therapieren. Die Klärung der Frage, ob dies medizinisch indiziert und erfolgversprechend ist, muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Keinesfalls ist ersichtlich, dass derartige Maßnahmen das vom Antragsteller begehrte ambulant betreute Wohnen ersetzen könnten, zumal auch Dr. C. als Alternative lediglich die Eingliederung in ein Wohnheim genannt hat. Soweit der Antragsgegner weiter eine Entwöhnungsbehandlung für vorrangig hält, ist darauf hinzuweisen, dass die bestehende Alkohol- und Cannabisabhängigkeit nach den Ausführungen von Dr. C. offenbar zur Verschlimmerung der hirnorganischen Erkrankung geführt hat. Es ist daher nicht ersichtlich, dass die hirnorganische Erkrankung mit den beschriebenen gravierenden Defiziten im kognitiven und mnestischen Bereich allein durch eine Entwöhnungsbehandlung gebessert werden könnte. Auch eine solche Maßnahme würde folglich die Fortführung des betreuten Wohnens nicht entbehrlich machen. Weiter ist nicht ersichtlich, dass durch die eingerichtete gesetzliche Betreuung Maß-nahmen des betreuten Wohnens überflüssig werden. Denn es handelt sich um wesentliche Defizite des Antragstellers im alltäglichen Bereich, welche durch die Bestellung der gesetzlichen Vertreterin des Antragstellers nicht behoben werden können und durch sie schon rein zeitlich nicht geleistet werden können. Geradezu zynisch mutet es an, dass sich der Antragsgegner (auch) auf den Stand-punkt zurückzuziehen scheint, die bislang vom Maßnahmeträger erbrachten Leistungen des betreuten Wohnens hätten zu einer Kompensation der Defizite des Antragstellers geführt (so die Ausführungen des Antragsgegners Bl. 98 der Verwaltungsvorgänge sowie im Widerspruchsbescheid vom 14.12.2011, Seite 3 unten). Abgesehen davon, dass es zu einer Fortführung dieser Maßnahmen nur deshalb gekommen ist, weil der Maßnahmeträger trotz mangelnder Bewilligung entsprechender Maßnahmen seitens des Antragsgegners bereit war, "in Vorleistung zu treten", übersieht der Antragsgegner, dass der Antragsteller durch die Maßnahmen des betreuten Wohnens nicht selbst befähigt werden konnte, seinen Haushalt aus eigener Kraft zu bewältigen bzw. Termine zu planen und wahrzunehmen und Sozialkontakte zu den einzigen ihm noch verbliebenen Personen aufzubauen. Hierzu bedurfte es vielmehr im Rahmen des betreuten Wohnens der stetigen Unterstützung durch Mitarbeiter der WAF GmbH & Co KG.
Die Kammer verkennt nicht, dass den zuständigen Sozialhilfeträgern im Rahmen des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ein Auswahlermessen eingeräumt ist, welche konkreten Leistungen zur Verbesserung der Teilhabefähigkeit erbracht werden. Angesichts des bisherigen Verlaufs (Ablehnung der begehrten konkreten Leistungen auf Fortführung des ambulanten Wohnens und des unzweifelhaft gegebenen Erfolgs dieser bisherigen Maßnahmen) indessen sieht sie das Ermessen des Antragsgegners auf die Erbringung der begehrten Maßnahmen des betreuten Wohnens reduziert.
Der Antragsteller hat weiter auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Nach den überzeugenden Ausführungen des im gerichtlichen Verfahren gehörten Sachverständigen Dr. C. drohen eine weitere Verwahrlosung und auch eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes, wenn die Maßnahmen des betreuten Wohnens nicht weiter fortgeführt werden. Ihm ist ein Abwarten des gleichfalls bei Gericht anhängigen Hauptsacheverfahrens daher nicht zuzumuten. Auch steht der Verpflichtung des Antragsgegners im Wege des Eilrechtsschutzes nicht etwa das Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsache entgegen. Denn das verfassungsrechtlich verbürgte Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) gebietet eine Durchbrechung dieses Grundsatzes dann, wenn der Hauptsacherechtsschutz zu spät käme und dies für den Bürger zu schlechthin unzumutbaren Nachteilen führen würde, die sich auch bei einem späteren Erfolg im Hauptsacheverfahren nicht mehr abwenden oder ausgleichen ließen und zudem ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg im Hauptsacheverfahren spricht (vgl. etwa LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.08.2007 – L 23 B 167/07 SO ER = juris; Thüringer LSG, Beschluss vom 14.02.2011 – L 6 KR 133/10 ER = juris). Diese Voraussetzungen liegen vor. Würde dem Begehren des Antragstellers erst im Hauptsacheverfahren entsprochen, drohten eine weitere Verwahrlosung sowie eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes und damit gravierende Nachteile, die sich im Hauptsacheverfahren nicht mehr ausgleichen ließen. Dies folgt aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. C. sowie aus der aktuellen Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie Dr. H. vom 01.12.2011. Von einer hohen Erfolgswahrscheinlichkeit ist bereits deshalb auszugehen, weil das Gericht sich bereits im Eilverfahren eines medizinischen Sachverständigengutachtens bedient hat und damit praktisch die Ermittlungstiefe eines Hauptsacheverfahrens erreicht hat. Auch entfällt ein Anordnungsgrund nicht etwa deshalb, weil dem Antragsteller von der WAF GmbH & Co KG bislang Leistungen des betreuten Wohnens erbracht wor-den sind und derzeit weiter erbracht werden. Denn wie der Antragsteller ausgeführt hat und wie die WAF GmbH & Co KG am 03.04.2012 auf Nachfrage bestätigt hat, wird die Fortführung dieser Maßnahmen versagt werden, wenn keine Verpflichtung des Antragsgegners zur Bewilligung dieser Maßnahmen erfolgt.
Die vom Antragsteller begehrten Leistungen in Form des ambulant betreuten Woh-nens sind ab dem 28.12.2011 (Zeitpunkt des Eingangs des Eilantrags bei Gericht) zu übernehmen. Der Umfang der ausgesprochenen Verpflichtung des Antragsgegners entspricht den bisherigen Leistungen des Maßnahmeträgers und auch dem Antrag (§ 123 SGG) des Antragstellers. Angesichts des bereits anhängigen Hauptsachverfahrens hält die Kammer die ausgesprochene Verpflichtung des Antragsgegners bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens für notwendig, aber auch für ausreichend.
Die Kostenentscheidung beruht auf analoger Anwendung von § 193 SGG.
Gründe:
I. Der am 00.00.0000 geborene Antragsteller hat eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann abgeschlossen und zuletzt verschiedene Helfertätigkeiten ausgeführt. Seit mehreren Jahren ist er arbeitssuchend, seit dem 01.01.2006 bezieht er Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Ursprünglich wohnte er allein in einem Mietshaus. Seit Juni 2010 lebt er im Rahmen des betreuten Wohnens in einer Wohngemeinschaft. Träger dieser Maßnahme ist die WAF (Wohnen Arbeit Freizeit) GmbH & Co KG, E ... Seit 02.09.2010 ist zudem eine gesetzliche Betreuung eingerichtet. Unter dem 09.06.2010 stellte er bei dem Antragsgegner unter Hinweis auf eine Stel-lungnahme der Fachärztin für Psychiatrie X. (Institutsambulanz der rhein. Landeskliniken E.) vom 28.05.2010 sowie auf einen von der WAF GmbH & Co KG ausgearbeiteten Hilfeplan einen Antrag auf Übernahme der Kosten des ambulant betreuten Wohnens. Mit Bescheid vom 08.03.2011 lehnte der Antragsgegner den Antrag ab. Zur Begrün-dung führte er aus, es sei nicht ersichtlich, ob die Einschränkungen des Antragstel-lers im täglichen Leben aus einer Behinderung resultierten oder ob es sich um bloße Charaktereigenschaften handele. Auch seien wesentliche Einschränkungen der Teilhabefähigkeit nicht dargetan. Der Antragsteller legte am 06.04.2011 Widerspruch ein und verwies auf eine Stel-lungnahme des Trägers des betreuten Wohnens vom 12.04.2011 sowie auf eine Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie Dr. H. (Institutsambulanz der rhein. Landeskliniken E.) vom 12.04.2011 und auf einen Bericht der Klinik N. (Klinik für Psychiatrie – Suchtkrankheiten) vom 05.07.2006, wo sich der Antragsteller 2006 einer Entzugsbehandlung unterzogen hatte. Nach Erstellung eines neuen Hilfeplanes und Stellungnahme des med. psychosozialen Dienstes des Antragsgegners vom 22.08.2011 sowie Auswertung des ersten Betreuungsgutachtens vom 28.05.2010 wies der Antragsgegner den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14.12.2011 zurück. Zur Begründung führte er aus, eine wesentliche Einschränkung der Teilhabefähigkeit des Antragstellers sei nicht gegeben. Auch die Schwere und Dauerhaftigkeit der gegebenen Behinderung seien zweifelhaft, so dass Maßnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung und der bereits eingerichteten gesetzlichen Betreuung ausreichend seien. Überdies seien die vorliegenden Defizite im alltäglichen Bereich durch die zwischenzeitlich von der WAF GmbH & Co KG erbrachten Maßnahmen des betreuten Wohnens kompensiert worden.
Hiergegen hat der Antragsteller am 28.12.2011 Klage erhoben und gleichzeitig bei Gericht um Eilrechtsschutz nachgesucht. Er führt aus, er sei auch weiterhin auf Maßnahmen des betreuten Wohnens in der bisherigen Form angewiesen. Würden diese nicht erbracht, drohe eine Verwahrlosung sowie eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes, so dass ihm ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens nicht zumutbar sei. Er sieht sich durch eine Bescheinigung des Facharztes für Psychiatrie Dr. H. (Insti-tutsambulanz der rhein. Landeskliniken E.) vom 01.12.2011 in seinem Begehren bestätigt.
Der Antragsteller beantragt seinem Vorbringen nach sinngemäß, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Leistungen des ambulant betreuten Wohnens im Umfang von 3,5 Fachleistungswochenstunden zu bewilligen.
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.
Er hält an seiner bisherigen Auffassung fest.
Das Gericht hat zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts eine Begutachtung des Antragstellers durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. C. veranlasst. Dr. C. hat in seinem unter dem 24.02.2012 erstellten Gutachten ausgeführt, der Antragsteller leide mittlerweile an einer chronifizierten hirnorganischen Erkrankung mit Wesensänderung und intellektuellem Abbausyndrom, die zu einem psychiatrischen Syndrom mit Zeichen einer chronischen organischen Persönlichkeitsänderung führe. Es handele sich um eine schwere und wahrscheinlich dauerhafte Erkrankung. Durch Maßnahmen des betreuten Wohnens könne die Einschränkung der Teilhabefähigkeit deutlich verbessert werden. Der Antragsgegner ist dem Gutachten entgegen getreten und hat unter Hinweis auf eine Stellungnahme seines med. psychosozialen Dienstes vom 28.03.2012 ausge-führt, die Lebensbereiche, in denen der Antragsteller wesentlich eingeschränkt sei, würden nicht konkret bezeichnet. Der Antragsteller bedürfe Leistungen nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch. Das Gericht hat weiter eine Auskunft der WAF GmbH & Co KG vom 03.04.2012 ein-geholt. Darin hat diese mitgeteilt, die derzeit an den Antragsteller erbrachten Leis-tungen würden sofort eingestellt, wenn der Antragsgegner nicht im Rahmen des Eilverfahrens zur Bewilligung dieser Leistungen verpflichtet werde.
Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Gutachtens von Dr. C. verwiesen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte des Antragsgegners verwiesen.
II.
Der zulässige Eilantrag ist begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einst¬weilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nach¬teile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechts¬schutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbar¬keit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsa¬che abzuwarten. Der geltend gemachte Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) und die be¬sonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (An-ordnungsgrund), die Eilbedürftigkeit, sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO).
Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller Anordnungsanspruch und Anordnungs-grund glaubhaft gemacht.
Ein Anordnungsanspruch folgt aus §§ 53 Abs. 1 Satz 1, 54 Abs. 1 Satz 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe (SGB XII) i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 6 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch – Rehabilitation und Teilhabe Behinderter Menschen (SGB IX).
Die Voraussetzungen dieser Vorschriften liegen vor. Der Antragsteller ist durch eine Behinderung wesentlich in seiner Teilhabefähigkeit eingeschränkt. Es liegt eine schwere und dauerhafte Erkrankung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX vor. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. C. leidet der Antragsteller u.a. an einen Zustand nach apoplektischem Insult, Alkoholkrankheit bei Alkoholkarenz seit 2010, einer organischen Persönlichkeitsstörung, einem chronifizierten depressiven Syndrom, einem Verschluss der Arteria carotis bds. sowie einer peripheren arteriellen Verschlusserkrankung bds. Dr. C. hat weiter nachvollziehbar ausgeführt, dass es mittlerweile zu einer chronifizierten hirnorganischen Erkrankung des Antragstellers mit Wesensänderung und intellektuellem Abbausyndrom gekommen ist, die zu einem psychiatrischen Syndrom mit Zeichen einer chronischen organischen Persönlichkeitsänderung führt. Es bestehen damit für die Kammer keine Zweifel, dass es sich hierbei um Erkrankungen des Antragstellers im Sinne von § 3 Nr. 2 und Nr. 4 der Eingliederungshilfe-Verordnung handelt, die eine wesentliche Einschränkung der Teilhabefähigkeit zur Folge haben können. Auch der Antragsgegner geht mittlerweile hiervon aus, wie die Stellungnahme seines psychosozialen Dienstes vom 28.03.2012 zeigt. Es bestehen weiter keine Zweifel, dass bei dem Antragsteller eine wesentliche Ein-schränkung der Teilhabefähigkeit vorliegt. Denn es handelt sich mittlerweile um eine chronifizierte hirnorganische Symptomatik, welche zu einer Wesens- und Persönlichkeitsveränderung mit intellektuellem Abbausyndrom und einem psychiatrischen Syndrom mit kognitiven und mnestischen Störungen, Antriebsarmut sowie Verlangsamung der Denkabläufe geführt hat. Dr. C. hat weiter ausgeführt, dass der Antragsteller ohne eine Fortsetzung des betreuten Wohnens verwahrlosen würde. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners besteht die wesentliche Einschränkung der Teilhabefähigkeit damit nach wie vor darin, dass der Antragsteller seine Hausarbeit nicht selbst erledigen kann und seine Wohnung nicht in Ordnung halten kann und sich auch im Übrigen nicht selbst versorgen kann. So schafft er es beispielsweise nicht, Arzttermine oder Termine mit seiner gesetzlichen Betreuerin zu planen und einzuhalten. Welche konkreten Probleme im täglichen Leben hieraus resultieren, hat der Maßnahmeträger ausführlich im Rahmen der Begründung des Widerspruchs des Antragstellers geschildert (Stellungnahme vom 06.04.2011, Bl. 50 ff. der Verwaltungsvorgänge). Nach dem ausführlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. C. hegt die Kammer keine Zweifel, dass diese Probleme nach wie vor bestehen und dass sie im Übrigen auch auf die seelische Behinderung des Antragstellers zurückzuführen sind und es sich nicht – wie vom Antragsgegner zunächst vermutet – um eine Charaktereigenschaft handelt. Die Einschränkung der Teilhabefähigkeit des Antragstellers besteht weiter darin, dass er mit den einzigen ihm verbliebenen Bezugspersonen – seiner Schwester und seiner mittlerweile 11-jährigen Tochter – keinen (dauerhaften) Kontakt aufzubauen vermag und so ohne Hilfe des betreuten Wohnens zu vereinsamen droht, was ihm zusätzliche Angst bereitet. Dem steht nicht der zweite Hilfeplan vom 01.06.2011 (Bl. 61 ff. der Verwaltungsvor-gänge des Antragsgegners) entgegen. Denn die dort beschriebenen Fortschritte sind allein auf eine dauerhafte Anleitung und Überwachung im Rahmen des betreuten Wohnens zurückzuführen. Angesichts der mittlerweile eingetretenen Chronifizierung des Krankheitsbildes bestehen für die Kammer keine Zweifel, dass der Antragsteller bei Fortfall des betreuten Wohnens nicht im Stande sein wird, seine Wohnung eigenständig sauber zu halten und sich zu versorgen sowie Arzttermine o.ä. wahrzunehmen und soziale Kontakte zu den ihm verbliebenen Bezugspersonen aufzubauen. Vielmehr bedarf er auch weiterhin umfassender Hilfe, Unterstützung und Anleitung. Soweit der Antragsgegner meint, die bestehende Einschränkung der Teilhabefähig-keit des Antragstellers könnte durch Leistungen nach dem Fünften Buch Sozialge-setzbuch bzw. durch die eingerichtete Betreuung behoben werden, so vermag sich das Gericht dem nicht anzuschließen. Die von ihm beispielhaft genannte neuropsychologische Therapie könnte allenfalls flankierend eingesetzt werden, um die bestehenden psychischen Grunderkrankungen des Antragstellers zu therapieren. Die Klärung der Frage, ob dies medizinisch indiziert und erfolgversprechend ist, muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Keinesfalls ist ersichtlich, dass derartige Maßnahmen das vom Antragsteller begehrte ambulant betreute Wohnen ersetzen könnten, zumal auch Dr. C. als Alternative lediglich die Eingliederung in ein Wohnheim genannt hat. Soweit der Antragsgegner weiter eine Entwöhnungsbehandlung für vorrangig hält, ist darauf hinzuweisen, dass die bestehende Alkohol- und Cannabisabhängigkeit nach den Ausführungen von Dr. C. offenbar zur Verschlimmerung der hirnorganischen Erkrankung geführt hat. Es ist daher nicht ersichtlich, dass die hirnorganische Erkrankung mit den beschriebenen gravierenden Defiziten im kognitiven und mnestischen Bereich allein durch eine Entwöhnungsbehandlung gebessert werden könnte. Auch eine solche Maßnahme würde folglich die Fortführung des betreuten Wohnens nicht entbehrlich machen. Weiter ist nicht ersichtlich, dass durch die eingerichtete gesetzliche Betreuung Maß-nahmen des betreuten Wohnens überflüssig werden. Denn es handelt sich um wesentliche Defizite des Antragstellers im alltäglichen Bereich, welche durch die Bestellung der gesetzlichen Vertreterin des Antragstellers nicht behoben werden können und durch sie schon rein zeitlich nicht geleistet werden können. Geradezu zynisch mutet es an, dass sich der Antragsgegner (auch) auf den Stand-punkt zurückzuziehen scheint, die bislang vom Maßnahmeträger erbrachten Leistungen des betreuten Wohnens hätten zu einer Kompensation der Defizite des Antragstellers geführt (so die Ausführungen des Antragsgegners Bl. 98 der Verwaltungsvorgänge sowie im Widerspruchsbescheid vom 14.12.2011, Seite 3 unten). Abgesehen davon, dass es zu einer Fortführung dieser Maßnahmen nur deshalb gekommen ist, weil der Maßnahmeträger trotz mangelnder Bewilligung entsprechender Maßnahmen seitens des Antragsgegners bereit war, "in Vorleistung zu treten", übersieht der Antragsgegner, dass der Antragsteller durch die Maßnahmen des betreuten Wohnens nicht selbst befähigt werden konnte, seinen Haushalt aus eigener Kraft zu bewältigen bzw. Termine zu planen und wahrzunehmen und Sozialkontakte zu den einzigen ihm noch verbliebenen Personen aufzubauen. Hierzu bedurfte es vielmehr im Rahmen des betreuten Wohnens der stetigen Unterstützung durch Mitarbeiter der WAF GmbH & Co KG.
Die Kammer verkennt nicht, dass den zuständigen Sozialhilfeträgern im Rahmen des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ein Auswahlermessen eingeräumt ist, welche konkreten Leistungen zur Verbesserung der Teilhabefähigkeit erbracht werden. Angesichts des bisherigen Verlaufs (Ablehnung der begehrten konkreten Leistungen auf Fortführung des ambulanten Wohnens und des unzweifelhaft gegebenen Erfolgs dieser bisherigen Maßnahmen) indessen sieht sie das Ermessen des Antragsgegners auf die Erbringung der begehrten Maßnahmen des betreuten Wohnens reduziert.
Der Antragsteller hat weiter auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Nach den überzeugenden Ausführungen des im gerichtlichen Verfahren gehörten Sachverständigen Dr. C. drohen eine weitere Verwahrlosung und auch eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes, wenn die Maßnahmen des betreuten Wohnens nicht weiter fortgeführt werden. Ihm ist ein Abwarten des gleichfalls bei Gericht anhängigen Hauptsacheverfahrens daher nicht zuzumuten. Auch steht der Verpflichtung des Antragsgegners im Wege des Eilrechtsschutzes nicht etwa das Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsache entgegen. Denn das verfassungsrechtlich verbürgte Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) gebietet eine Durchbrechung dieses Grundsatzes dann, wenn der Hauptsacherechtsschutz zu spät käme und dies für den Bürger zu schlechthin unzumutbaren Nachteilen führen würde, die sich auch bei einem späteren Erfolg im Hauptsacheverfahren nicht mehr abwenden oder ausgleichen ließen und zudem ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg im Hauptsacheverfahren spricht (vgl. etwa LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.08.2007 – L 23 B 167/07 SO ER = juris; Thüringer LSG, Beschluss vom 14.02.2011 – L 6 KR 133/10 ER = juris). Diese Voraussetzungen liegen vor. Würde dem Begehren des Antragstellers erst im Hauptsacheverfahren entsprochen, drohten eine weitere Verwahrlosung sowie eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes und damit gravierende Nachteile, die sich im Hauptsacheverfahren nicht mehr ausgleichen ließen. Dies folgt aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. C. sowie aus der aktuellen Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie Dr. H. vom 01.12.2011. Von einer hohen Erfolgswahrscheinlichkeit ist bereits deshalb auszugehen, weil das Gericht sich bereits im Eilverfahren eines medizinischen Sachverständigengutachtens bedient hat und damit praktisch die Ermittlungstiefe eines Hauptsacheverfahrens erreicht hat. Auch entfällt ein Anordnungsgrund nicht etwa deshalb, weil dem Antragsteller von der WAF GmbH & Co KG bislang Leistungen des betreuten Wohnens erbracht wor-den sind und derzeit weiter erbracht werden. Denn wie der Antragsteller ausgeführt hat und wie die WAF GmbH & Co KG am 03.04.2012 auf Nachfrage bestätigt hat, wird die Fortführung dieser Maßnahmen versagt werden, wenn keine Verpflichtung des Antragsgegners zur Bewilligung dieser Maßnahmen erfolgt.
Die vom Antragsteller begehrten Leistungen in Form des ambulant betreuten Woh-nens sind ab dem 28.12.2011 (Zeitpunkt des Eingangs des Eilantrags bei Gericht) zu übernehmen. Der Umfang der ausgesprochenen Verpflichtung des Antragsgegners entspricht den bisherigen Leistungen des Maßnahmeträgers und auch dem Antrag (§ 123 SGG) des Antragstellers. Angesichts des bereits anhängigen Hauptsachverfahrens hält die Kammer die ausgesprochene Verpflichtung des Antragsgegners bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens für notwendig, aber auch für ausreichend.
Die Kostenentscheidung beruht auf analoger Anwendung von § 193 SGG.
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