Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 20 SO 176/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 SO 246/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Eingliederungshilfe in Form von heilpädagogischem Reiten.
Die am 00.00.0000 geborene Klägerin leidet an einem Zustand nach einer Zytomegalie-(CMV-)Infektion und in deren Folge an einer spastischen armbetonten Halbseitenlähmung rechts, Klumpfußhaltung rechts, Koordinationsstörungen und Sprachstörung, Entwicklungsverzögerung. Sie besucht seit 2009 eine Kindertagesstätte. Sie erhält je einmal wöchentlich logopädische Behandlung und Ergotherapie. Sie wird im August 2012 in eine Regelschule eingeschult werden.
Am 05.08.2011 beantragte die Klägerin bei der Beklagten (u.a.) Eingliederungshilfe in Form von heilpädagogischem Reiten bis zur Einschulung. Sie legte ärztliche Bescheinigungen von Prof Dr. V. und dem Orthopäden Dr. C. vor.
Durch Bescheid vom 05.08.2011 lehnte die Beklagte den Antrag ab mit der Begründung, heilpädagogisches Reiten sei kein verordnungsfähiges Heilmittel nach § 32 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), obwohl es sich um medizinische Rehabilitationsleistungen im Sinne des § 26 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) handele. Im Rahmen der Eingliederungshilfe sei heilpädagogisches Reiten nicht übernahmefähig, da sie nicht den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) entspräche; die Beklagte verwies hierzu auf das Urteil des LSG NRW vom 27.08.2009 (L 9 SO 5/08).
Dagegen erhob die Klägerin am 12.08.2011 Widerspruch. Sie verwies darauf, Leistungen der Eingliederungshilfe seien auch die Leistungen zur Teilhabe am Leben der Gemeinschaft. Hierzu gehörten nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX heilpädagogische Leistungen für Kinder, die noch nicht eingeschult sind. Die Erwägungen im zitierten LSG-Urteil träfen in ihrem Fall nicht zu.
Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 20.09.2011 zurück. Sie vertrat unter anderem die Auffassung, eine Leistung zur Eingliederungshilfe zu § 55 Abs. 2 SGB IX komme deshalb nicht in Betracht, weil das Reiten schwerpunktmäßig an der Behinderung ansetze und versuche, die Behinderungsfolgen im Sinne medizinischer Rehabilitation zu mindern oder gar zu beheben.
Dagegen hat die Klägerin am 18.10.2011 Klage erhoben. Sie ist der Meinung, die gesetzlichen Therapieziele für Eingliederungshilfe im Sinne von Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft würden durch heilpädagogisches Reiten voll erfüllt. Entscheidend sei der Leistungszweck der Therapie, und dieser läge im heilpädagogischen Bereich. Für ein noch nicht eingeschultes Kind werde ein Anspruch auf heilpädagogisches Reiten in der Fachliteratur und der Rechtsprechung bejaht. Die Klägerin hat eine fachliche Stellungnahme der Diplomsozialarbeiterin und Diplomreitpädagogin T. vom 27.10.2011 vorgelegt; in dieser werden die Zielvorstellungen der Klägerin, die über das heilpädagogische Reiten erreicht werden sollen, sowie die Umsetzung dieser Ziele dargestellt. Bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin nicht am heilpädagogischen Reiten teilgenommen. Sie meint unter Bezugnahme auf das Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 15.06.2011 (7 A 10420/11), heilpädagogische Leistungen könnten als Leistung zur Teilhabe zum Leben in der Gemeinschaft auch einem bereits eingeschulten Kind oder Jugendlichen gewährt werden, wenn sich die heilpädagogische Leistung nicht als Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung darstelle.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05.08.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2011 zu verurteilen, ihr Eingliederungshilfe in Form von heilpädagogischem Reiten im Umfang von wöchentlich einer Therapieeinheit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meint, es sei nicht erkennbar, dass durch heilpädagogisches Reiten das Eingliederungshilfeziel, den Zugang zur Gesellschaft zu ermöglichen oder zu sichern, erreicht werden könne. Alleine schon der Besuch der Kindertagesstätte wie auch die logopädische und ergotherapeutische Behandlung der Klägerin ließen sie auf andere Weise am Leben in der Gemeinschaft teilhaben. Damit sei es für sie nicht möglich, den Zugang zur Gesellschaft erst und nur durch das heilpädagogische Reiten zu erlangen oder zu sichern und damit einen Leistungsanspruch zu verwirklichen. Darüber hinaus meint die Beklagte, es sei aus der von der Klägerin benannten Rechtsprechung nicht nachvollziehbar, dass ausschließlich die Hippotherapie, nicht aber das heilpädagogische Reiten der medizinischen Rehabilitation im Sinne von § 26 SGB IX zuzuordnen sei. Bei der Klägerin lägen zumindest schwerpunktmäßig Erkrankungen vor, welche nicht zu Verzögerungen im Bereich des Lernens, zu schweren Kommunikationsstörungen, fehlendem Sprachvermögen, einem erheblichen Entwicklungsrückstand oder zu erheblichen Verhaltungsstörungen führten. Auch aus den beigezogenen Berichten ergebe sich nicht, dass der heilpädagogische Bedarf eindeutig im Vordergrund stehe und die medizinische Rehabilitation nur untergeordneter Nebeneffekt sei.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts und des Hilfebedarfs der Klägerin hat das Gericht Befundberichte von dem Kinderarzt und Neuropädiater Dr. M. vom 09.01.2012, von dem Orthopäden Dr. C. vom 18.01.2012, von der Kinder- und Jugendärztin Dr. E. vom 12.01.2012 und von dem Kinderarzt Q. vom 13.03.2012 eingeholt. Wegen des Ergebnisses wird auf die genannten Berichte und die von Ärzten beigefügten Unterlagen Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Sie hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Eingliederungshilfe in Form heilpädagogischen Reitens. Die Beklagte war als erstangegangener Rehabilitations-(Reha-)träger, der den Antrag nicht innerhalb von zwei Wochen weitergeleitet hat, zuständig, über den geltend gemachten Anspruch umfassend nach allen Rechtsgrundlagen, die in dieser Bedarfssituation für Reha-Träger vorgesehen sind, zu entscheiden (vgl. BSG, Urteil vom 21.08.2008 – B 13 R 33/07 R; Urteil vom 25.06.2009 – B 3 KR 4/08 R; Urteil vom 20.04.2010 – B 1/3 KR 6/09 R). In Betracht kommen Reha-Leistungen der GKV und der Sozialhilfe. Ein Anspruch nach dem Recht der Kinder- und Jugendhilfe (§ 35a Abs. 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch – SGB VIII) scheidet von vornherein aus, da die Klägerin im Wesentlichen körperlich behindert ist und diese Behinderung ihren überwiegenden Reha-Bedarf bedingen. Für einen derartigen Fall bestimmt die Vorrang-Nachrang-Regelung des § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII, dass Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, Leistungen nach dem SGB VIII vorgehen. Die Beklagte hat zurecht den Anspruch auf die Übernahme der Kosten für heilpädagogisches Reiten verneint, da dieser nach keinen der in Betracht kommenden Reha-Rechtsvorschriften begründet ist.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für heilpädagogisches Reiten nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Zwar leidet sie an verschiedenen Krankheitsbildern, die u.a. durch Krankengymnastik, Logopädie und Ergotherapie behandelt werden. Heilpädagogisches Reiten, das die Klägerin beansprucht, ist jedoch keine Leistung der GKV. Das beanspruchte therapeutische Reiten wäre als Leistung der GKV allenfalls denkbar, wenn es sich um Hippotherapie handelt. Hippotherapie ist als physiotherapeutische Behandlung auf neurophysiologischer Grundlage mit und auf dem Pferd definiert; sie wird bei Bewegungsstörungen infolge neurologischer Erkrankungen eingesetzt (so: "Zusammenfassende Dokumentation über die Bewertung der Hippotherapie als Heilmittel" des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 13.11.2006, Abschnitt 6.1). Im Rahmen des Leistungsrechts der GKV wäre die Hippotherapie als Heilmittel im Sinne des § 32 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) einzustufen. Neue Heilmittel dürfen nur verordnet werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) zuvor ihren therapeutischen Nutzen anerkannt und in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V Empfehlungen für die Sicherung der Qualität bei der Leistungserbringung abgegeben hat. Neue Heilmittel können damit grundsätzlich nicht beansprucht werden, solange die geforderte Entscheidung des G-BA nicht ergangen ist. Bei der Hippotherapie fehlt es nicht etwa nur an einer entsprechenden Entscheidung des G-BA; vielmehr ist sie in der Anlage zu den Heilmittel-Richtlinien des G-BA ausdrücklich als nichtverordnungsfähiges Heilmittel eingestuft worden (vgl. Anlage "Nicht verordnungsfähige Heilmittel", a) Ziffer 1). Diese bereits 1981 vom Rechtsvorgänger des G-BA getroffene Entscheidung ist im Jahre 2001 und zuletzt durch Beschluss des G-BA vom 20.06.2006 (BAnz Nr. 182, S. 6499) bestätigt worden. Damit gehört die Hippotherapie nicht zu Leistungen der GKV (so auch: Urteil der Kammer vom 19.07.2011 – S 20 SO 128/10).
Ein Anspruch auf heilpädagogisches Reiten besteht auch nicht nach dem Recht der Sozialhilfe als Leistung der Eingliederungshilfe gegenüber der Beklagten als Träger der Sozialhilfe auf der Grundlage der §§ 53 Abs. 1, 54 Abs. 1 SGB XII. Zwar gehört die Klägerin zum Kreis der Personen im Sinne von § 53 Abs. 1 SGB XII, die grundsätzlich Leistungen der Eingliederungshilfe beanspruchen können. Jedoch erfüllt sie nicht die konkreten Leistungsvoraussetzungen für Eingliederungshilfe. Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sind Leistungen der Eingliederungshilfe neben den Leistungen nach §§ 26, 33, 41 und 55 SGB IX insbesondere die in den Nrn. 1 bis 5 aufgeführten Leistungen. § 54 Abs. 1 Satz 2 konkretisiert, dass Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben den jeweiligen Reha-Leistungen der GKV oder der Bundesagentur für Arbeit entsprechen. Dass keiner der durch § 54 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 5 SGB XII hervorgehobenen Leistungsfälle vorliegt, ist offensichtlich und bedarf keiner näheren Erläuterung.
Ein Anspruch auf heilpädagogisches Reiten als Eingliederungshilfe ergibt sich aber auch aus keiner der durch § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in Bezug genommenen Normen des SGB IX. Dies ist für die §§ 33 und 41 SGB IX offensichtlich, da diese sich auf Werkstätten für behinderte Menschen sowie auf Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben beziehen und damit für den Kläger nicht einschlägig sind.
Der Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i. V. m. § 26 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX. Nach dieser Vorschrift werden zur medizinischen Rehabilitation behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen die erforderlichen Leistungen erbracht, um Behinderungen einschließlich chronischer Krankheiten abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen oder eine Verschlimmerung zu verhüten. Nach § 26 Abs. 2 SGB IX umfassen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation insbesondere neben der Behandlung durch Ärzte auch Heilmittel. Bestandteil der Leistungen der medizinischen Rehabilitation sind insbesondere auch Hilfen zur Unterstützung bei der Krankheits- und Behinderungsverarbeitung, die Aktivierung von Selbsthilfepotentialen, Hilfen zur seelischen Stabilisierung und zur Förderung der sozialen Kompetenz, u.a. durch Training sozialer und kommunikativer Fähigkeiten und im Umgang mit Krisensituationen sowie das Training lebenspraktischer Fähigkeiten (vgl. § 26 Abs. 3 Nrn. 1, 2, 5 und 6 SGB IX). Sofern es sich bei dem therapeutischen Reiten, das die Klägerin in Form von heilpädagogischem Reiten in Anspruch nehmen will, auch – zumindest teilweise – um medizinische Rehabilitation handelt, scheitert ein Anspruch auf Eingliederungshilfe an § 54 Abs. 1 Satz 2 SGB XII, wonach Leistungen zur medizinischen Rehabilitation den Reha-Leistungen der GKV entsprechen. Im Rahmen der Eingliederungshilfe sind also keine geringeren, aber auch keine weitergehenden Leistungen zur medizinischen Reha zu erbringen als in der GKV (LSG NRW, Urteil vom 27.08.2009 – L 9 SO 5/08). Wie bereits dargelegt, entspricht die Hippotherapie nicht dem Leistungsumfang der GKV. Als Heilmittel ist sie durch die vom G-BA beschlossenen Heilmittel-Richtlinien und der dazu gehörenden Anlage ausdrücklich als verordnungsfähige Leistung der GKV ausgeschlossen. Dies bedingt gem. § 54 Abs. 1 Satz 2 SGB XII auch den Ausschluss als Eingliederungshilfe nach dem SGB XII.
Der geltend gemachte Eingliederungshilfeanspruch kann auch nicht auf § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 55 Abs. 1 und 2 SGB IX gestützt werden. Zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft werden die Leistungen erbracht, die den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen oder sichern oder sie soweit wie möglich unabhängig von Pflege machen (§ 55 Abs. 1 SGB IX). In Abs. 2 Ziffern 1 bis 7 werden die Leistungen näher benannt, die nach Abs. 1 insbesondere Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sind. Von diesen ist ersichtlich nur die Ziffer 2 des § 55 Abs. 2 SGB IX einschlägig (zur Nichtanwendbarkeit von § 55 Abs. 2 Ziffer 3 SGB IX in Bezug auf heilpädagogisches Reiten ausführlich: Urteil der Kammer vom 19.07.2011 – S 20 SO 128/10).
§ 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB V nennt als spezielle Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft im Sinne von Abs. 1 "heilpädagogische Leistungen für Kinder". Unter dem Oberbegriff "therapeutisches Reiten" (auch "Reittherapie"), werden die Bereiche heilpädagogisches Reiten, heilpädagogisches Voltieren und Hippotherapie erfasst (vgl. Wikipedia, Stichwort "Therapeutisches Reiten"). Therapeutisches Reiten beinhaltet pädagogische, psychologische, psychotherapeutische, rehabilitative und sozial-integrative Maßnahmen, die über das Medium Pferd umgesetzt werden. Die Diplomsozialarbeiterin und Diplomreitpädagogin T. hat in ihrer Stellungnahme vom 27.10.2011 ausführlich dargelegt, welche Ziele mit dem von ihr angedachten heilpädagogischen Reiten für die Klägerin verfolgt werden. Neben der Entwicklung einer vertrauensvollen tragfähigen Beziehung zum Pferd als auch zur Reitpädagogin soll die Klägerin im emotional-kognitiven Bereich, im sozialen Bereich und im Wahrnehmungsbereich gefördert werden. Dies lässt den Schluss zu, dass bei der von der Klägerin begehrten Reittherapie die Elemente des heilpädagogischen Reitens gegenüber denjenigen der Hippotherapie im Vordergrund stehen. Die Abgrenzung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation von Leistungen zur sozialen Rehabilitation erfolgt nicht nach den in Betracht kommenden Leistungsgegenständen (und erst recht nicht nach der Bezeichnung der Maßnahme), sondern nach dem Leistungszweck (vgl. BSG, Urteil vom 29.09.2009 – B 8 SO 19/08 R). Allein ausschlaggebend ist, worauf der Schwerpunkt der Zielsetzung der in Rede stehenden Maßnahmen im konkreten Einzelfall liegt (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 04.11.2010 – 7 A 10796/10). Selbst wenn der Schwerpunkt des künftig von der Klägerin begehrten therapeutischen Reitens eher im Bereich des heilpädagogischen Reitens liegt, hätte sie keinen Anspruch darauf, dass diese Leistung als Eingliederungshilfe aus Mitteln der Sozialhilfe finanziert würde.
Nach § 56 Abs. 1 SGB IX werden heilpädagogische Leistungen nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 erbracht, wenn nach fachlicher Erkenntnis zu erwarten ist, dass hierdurch eine drohende Behinderung abgewendet oder der fortschreitende Verlauf einer Behinderung verlangsamt oder die Folgen einer Behinderung beseitigt oder gemildert werden können. Dass diese Zielsetzung durch das begehrte heilpädagogische Reiten erfüllt werden können, lässt sich aus den eingeholten Befundberichten und weiteren Arztunterlagen nicht mit der zur Begründung eines Anspruchs notwendigen Sicherheit herleiten. Der Kinderarzt und Neuropädiater Dr. M. hat in seinem Bericht vom 09.01.2012 sogar ausgeführt, dass er die Reittherapie aus medizinischer Indikation nicht als notwendig ansieht; die Einzelziele könnten auch durch andere ergotherapeutische oder heilpädagogische Methoden erreicht werden; soweit durch ein therapeutisches Reiten Erfolge bei der Bewegungsförderung, der Körperwahrnehmung und der Steigerung von Selbstvertrauen möglich wären, seien diese Erfolge sehr unspezifisch und sicherlich bei allen Kindern zu erreichen. Auf den Spracherwerb habe das therapeutische Reiten auch im Sinne eines heilpädagogischen Reitens sicher keinen Einfluss. Dr. M. hat seinem Befundbericht einen weiteren Arztbericht vom 06.10.2011 beigefügt, in dem er zu der geplanten Einschulung der Klägerin in eine Regelschule Stellung genommen hat. Er hat darin dargelegt, dass sich die Klägerin sehr gut entwickelt habe und keine Probleme in der Regelschule haben werde. Eine logopädische Förderung sei weiter sinnvoll, ergotherapeutische Behandlung nur, wenn sie auch zuhause weiter geführt werde; auch die Förderung im Kinderturnen sei sicher sehr gut. Weitere Therapieempfehlungen hat Dr. M. in diesem Bericht nicht gemacht. Der Orthopäde Dr. C. hat in seinem Befundbericht vom 18.01.2012 ausgeführt, dass die Klägerin zwar sowohl im medizinischen als auch im pädagogischen Bereich vom therapeutischen Reiten profitieren werden und diese Leistung wünschenswert sei; sie sei aber aufgrund der Fähigkeiten der Klägerin nicht unbedingt notwendig; unter Zugrundelegung der Kriterien "wirtschaftlich, ausreichend, notwendig, zweckmäßig" sei eine Ablehnung des therapeutischen Reitens nachvollziehbar. Dr. C. hat seinem Befundbericht den Entlassungsbericht über eine von der Klägerin in der Zeit vom 30.11.2011 bis 05.01.2012 absolvierte stationäre Reha-Behandlung beigefügt. Danach nahm die Klägerin während der Maßnahmen an einem intensiven Behandlungsprogramm mit den Schwerpunkten in der logopädischen und neuropsychologischen Therapie, in der physiotherapeutischen und ergotherapeutischen Behandlung sowie in der logopädischen Behandlung teil. Als Reha-Ergebnis verzeichnet der Entlassungsbericht deutliche Fortschritte aufgrund der logopädischen und physiotherapeutischen Behandlung. Die Weiterführung dieser Behandlungen im ambulanten Bereich wurde dringend angeraten. Eine Empfehlung der Reha-Einrichtung in Bezug auf eine Reittherapie findet sich in dem Entlassungsbericht aber nicht. Die Leiterin des sozialpädiatrischen Zentrum der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Aachen, Dr. E., hat in ihrem Befundbericht vom 12.01.2012 zwar ausgeführt, dass heilpädagogisches Reiten zur ganzheitlichen Unterstützung der Klägerin mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgversprechend sei; sie hat jedoch deutlich gemacht, dass sie die Frage nach den Erfolgsaussichten durch therapeutisches Reiten nur für die Zeit bis Sommer 2009 beantworten könne, da sie die Klägerin danach nicht mehr gesehen habe. Die Stellungnahme von Dr. E. bezieht sich also auf einen Zeitpunkt, der zwei Jahre vor der Antragstellung und fast drei Jahre vor der mündlichen Verhandlung liegt, deshalb also für die Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch keine oder nur wenig Aussagekraft hat. Allein der Kinderarzt Q. hat in seinem Befundbericht vom 13.03.2012 dargelegt, die Klägerin sei ein sehr schüchternes Mädchen mit geringem Selbstvertrauen, weshalb er bei ihr heilpädagogisches Reiten für angezeigt halte; mit hoher Wahrscheinlichkeit könne eine Förderung im emotional-kognitiven Bereich, im Sozialberich und im Wahrnehmungsbereich sowie eine Besserung der Spastik erreicht werden. Abgehen davon, dass die Besserung der Spastik der medizinischen Rehabilitation (im Sinne von Hippotherapie) zuzuordnen ist, hat der Kinderarzt nicht näher begründet, wie und warum die weiteren genannten Ziele mit hoher Wahrscheinlichkeit durch heilpädagogisches Reiten erreicht werden können. Zusammenfassend ergibt sich für die Kammer aus den Berichten der Ärzte, dass sich die Klägerin in den vergangenen zwei bis drei Jahren aufgrund der intensiven verschiedenartigen Behandlungen sehr gut entwickelt hat, ohne dass heilpädagogisches Reiten hierzu einen zusätzlichen Effekt hätte bringen können und notwendig (gewesen) wäre. Allein der Umstand, dass die, wie der Kinderarzt Q. ausgeführt hat, ein sehr schüchternes Mädchen mit geringem Selbstvertrauen ist, begründet keinen Anspruch auf Eingliederungshilfe in Form von heilpädagogischem Reiten zu Lasten der Sozialhilfe.
Zuletzt steht dem Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m.§ 55 Abs.1 und 2 Nr. 2 SGB IX entgegen, dass die dort genannten heilpädagogischen Leistungen nur für Kinder erbracht werden, die noch nicht eingeschult sind. Soweit das OVG Rheinland-Pfalz im Urteil vom 15.06.2011 (7 A 10420/11) die Auffassung vertreten hat, heilpädagogisches Reiten könne als Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft auch bereits eingeschulten Kindern oder Jugendlichen bewilligt werden, vermag sich die Kammer dieser Rechtsprechung nicht anzuschließen. Der Versuch des OVG Rheinland-Pfalz, seine Auffassung mit der Gesetzeshistorie und dem Gesetzeszusammenhang zu begründen, überzeugt angesichts des klaren Wortlauts nicht. Wenn der Gesetzgeber heilpädagogische Leistungen auch bereits eingeschulten Kindern hätte zukommen lassen wollen, hätte er in § 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX den Relativsatz "die noch nicht eingeschult sind" weglassen können. Auch wenn die Aufzählung in § 55 Abs. 2 SGB IX, wie das einleitende Wort "insbesondere" nahelegt, nicht abschließend ist, kann eine Leistung, die der Gesetzgeber in dieser – wenn auch nicht abschließenden – Aufzählung genannt, dort aber auf einen bestimmten Personenkreis beschränkt hatte, nicht mehr über die allgemeine Norm wieder auf den ausgeschlossenen Personenkreis erstreckt werden. Der Gesetzgeber hat ersichtlich heilpädagogische Leistungen, zu denen das heilpädagogische Reiten gezählt werden kann, auf noch nicht eingeschulte Kindern beschränken wollen, wohl in der Annahme, dass behinderte Kinder, die eine ihrer Behinderung entsprechende Schule besuchen, dort im erforderlichen Maße auch heilpädagogisch betreut werden (VG Trier, Urteil vom 17.02.2011 – 2 K 902/10. TR).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Eingliederungshilfe in Form von heilpädagogischem Reiten.
Die am 00.00.0000 geborene Klägerin leidet an einem Zustand nach einer Zytomegalie-(CMV-)Infektion und in deren Folge an einer spastischen armbetonten Halbseitenlähmung rechts, Klumpfußhaltung rechts, Koordinationsstörungen und Sprachstörung, Entwicklungsverzögerung. Sie besucht seit 2009 eine Kindertagesstätte. Sie erhält je einmal wöchentlich logopädische Behandlung und Ergotherapie. Sie wird im August 2012 in eine Regelschule eingeschult werden.
Am 05.08.2011 beantragte die Klägerin bei der Beklagten (u.a.) Eingliederungshilfe in Form von heilpädagogischem Reiten bis zur Einschulung. Sie legte ärztliche Bescheinigungen von Prof Dr. V. und dem Orthopäden Dr. C. vor.
Durch Bescheid vom 05.08.2011 lehnte die Beklagte den Antrag ab mit der Begründung, heilpädagogisches Reiten sei kein verordnungsfähiges Heilmittel nach § 32 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), obwohl es sich um medizinische Rehabilitationsleistungen im Sinne des § 26 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) handele. Im Rahmen der Eingliederungshilfe sei heilpädagogisches Reiten nicht übernahmefähig, da sie nicht den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) entspräche; die Beklagte verwies hierzu auf das Urteil des LSG NRW vom 27.08.2009 (L 9 SO 5/08).
Dagegen erhob die Klägerin am 12.08.2011 Widerspruch. Sie verwies darauf, Leistungen der Eingliederungshilfe seien auch die Leistungen zur Teilhabe am Leben der Gemeinschaft. Hierzu gehörten nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX heilpädagogische Leistungen für Kinder, die noch nicht eingeschult sind. Die Erwägungen im zitierten LSG-Urteil träfen in ihrem Fall nicht zu.
Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 20.09.2011 zurück. Sie vertrat unter anderem die Auffassung, eine Leistung zur Eingliederungshilfe zu § 55 Abs. 2 SGB IX komme deshalb nicht in Betracht, weil das Reiten schwerpunktmäßig an der Behinderung ansetze und versuche, die Behinderungsfolgen im Sinne medizinischer Rehabilitation zu mindern oder gar zu beheben.
Dagegen hat die Klägerin am 18.10.2011 Klage erhoben. Sie ist der Meinung, die gesetzlichen Therapieziele für Eingliederungshilfe im Sinne von Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft würden durch heilpädagogisches Reiten voll erfüllt. Entscheidend sei der Leistungszweck der Therapie, und dieser läge im heilpädagogischen Bereich. Für ein noch nicht eingeschultes Kind werde ein Anspruch auf heilpädagogisches Reiten in der Fachliteratur und der Rechtsprechung bejaht. Die Klägerin hat eine fachliche Stellungnahme der Diplomsozialarbeiterin und Diplomreitpädagogin T. vom 27.10.2011 vorgelegt; in dieser werden die Zielvorstellungen der Klägerin, die über das heilpädagogische Reiten erreicht werden sollen, sowie die Umsetzung dieser Ziele dargestellt. Bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin nicht am heilpädagogischen Reiten teilgenommen. Sie meint unter Bezugnahme auf das Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 15.06.2011 (7 A 10420/11), heilpädagogische Leistungen könnten als Leistung zur Teilhabe zum Leben in der Gemeinschaft auch einem bereits eingeschulten Kind oder Jugendlichen gewährt werden, wenn sich die heilpädagogische Leistung nicht als Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung darstelle.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05.08.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2011 zu verurteilen, ihr Eingliederungshilfe in Form von heilpädagogischem Reiten im Umfang von wöchentlich einer Therapieeinheit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meint, es sei nicht erkennbar, dass durch heilpädagogisches Reiten das Eingliederungshilfeziel, den Zugang zur Gesellschaft zu ermöglichen oder zu sichern, erreicht werden könne. Alleine schon der Besuch der Kindertagesstätte wie auch die logopädische und ergotherapeutische Behandlung der Klägerin ließen sie auf andere Weise am Leben in der Gemeinschaft teilhaben. Damit sei es für sie nicht möglich, den Zugang zur Gesellschaft erst und nur durch das heilpädagogische Reiten zu erlangen oder zu sichern und damit einen Leistungsanspruch zu verwirklichen. Darüber hinaus meint die Beklagte, es sei aus der von der Klägerin benannten Rechtsprechung nicht nachvollziehbar, dass ausschließlich die Hippotherapie, nicht aber das heilpädagogische Reiten der medizinischen Rehabilitation im Sinne von § 26 SGB IX zuzuordnen sei. Bei der Klägerin lägen zumindest schwerpunktmäßig Erkrankungen vor, welche nicht zu Verzögerungen im Bereich des Lernens, zu schweren Kommunikationsstörungen, fehlendem Sprachvermögen, einem erheblichen Entwicklungsrückstand oder zu erheblichen Verhaltungsstörungen führten. Auch aus den beigezogenen Berichten ergebe sich nicht, dass der heilpädagogische Bedarf eindeutig im Vordergrund stehe und die medizinische Rehabilitation nur untergeordneter Nebeneffekt sei.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts und des Hilfebedarfs der Klägerin hat das Gericht Befundberichte von dem Kinderarzt und Neuropädiater Dr. M. vom 09.01.2012, von dem Orthopäden Dr. C. vom 18.01.2012, von der Kinder- und Jugendärztin Dr. E. vom 12.01.2012 und von dem Kinderarzt Q. vom 13.03.2012 eingeholt. Wegen des Ergebnisses wird auf die genannten Berichte und die von Ärzten beigefügten Unterlagen Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Sie hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Eingliederungshilfe in Form heilpädagogischen Reitens. Die Beklagte war als erstangegangener Rehabilitations-(Reha-)träger, der den Antrag nicht innerhalb von zwei Wochen weitergeleitet hat, zuständig, über den geltend gemachten Anspruch umfassend nach allen Rechtsgrundlagen, die in dieser Bedarfssituation für Reha-Träger vorgesehen sind, zu entscheiden (vgl. BSG, Urteil vom 21.08.2008 – B 13 R 33/07 R; Urteil vom 25.06.2009 – B 3 KR 4/08 R; Urteil vom 20.04.2010 – B 1/3 KR 6/09 R). In Betracht kommen Reha-Leistungen der GKV und der Sozialhilfe. Ein Anspruch nach dem Recht der Kinder- und Jugendhilfe (§ 35a Abs. 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch – SGB VIII) scheidet von vornherein aus, da die Klägerin im Wesentlichen körperlich behindert ist und diese Behinderung ihren überwiegenden Reha-Bedarf bedingen. Für einen derartigen Fall bestimmt die Vorrang-Nachrang-Regelung des § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII, dass Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, Leistungen nach dem SGB VIII vorgehen. Die Beklagte hat zurecht den Anspruch auf die Übernahme der Kosten für heilpädagogisches Reiten verneint, da dieser nach keinen der in Betracht kommenden Reha-Rechtsvorschriften begründet ist.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für heilpädagogisches Reiten nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Zwar leidet sie an verschiedenen Krankheitsbildern, die u.a. durch Krankengymnastik, Logopädie und Ergotherapie behandelt werden. Heilpädagogisches Reiten, das die Klägerin beansprucht, ist jedoch keine Leistung der GKV. Das beanspruchte therapeutische Reiten wäre als Leistung der GKV allenfalls denkbar, wenn es sich um Hippotherapie handelt. Hippotherapie ist als physiotherapeutische Behandlung auf neurophysiologischer Grundlage mit und auf dem Pferd definiert; sie wird bei Bewegungsstörungen infolge neurologischer Erkrankungen eingesetzt (so: "Zusammenfassende Dokumentation über die Bewertung der Hippotherapie als Heilmittel" des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 13.11.2006, Abschnitt 6.1). Im Rahmen des Leistungsrechts der GKV wäre die Hippotherapie als Heilmittel im Sinne des § 32 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) einzustufen. Neue Heilmittel dürfen nur verordnet werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) zuvor ihren therapeutischen Nutzen anerkannt und in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V Empfehlungen für die Sicherung der Qualität bei der Leistungserbringung abgegeben hat. Neue Heilmittel können damit grundsätzlich nicht beansprucht werden, solange die geforderte Entscheidung des G-BA nicht ergangen ist. Bei der Hippotherapie fehlt es nicht etwa nur an einer entsprechenden Entscheidung des G-BA; vielmehr ist sie in der Anlage zu den Heilmittel-Richtlinien des G-BA ausdrücklich als nichtverordnungsfähiges Heilmittel eingestuft worden (vgl. Anlage "Nicht verordnungsfähige Heilmittel", a) Ziffer 1). Diese bereits 1981 vom Rechtsvorgänger des G-BA getroffene Entscheidung ist im Jahre 2001 und zuletzt durch Beschluss des G-BA vom 20.06.2006 (BAnz Nr. 182, S. 6499) bestätigt worden. Damit gehört die Hippotherapie nicht zu Leistungen der GKV (so auch: Urteil der Kammer vom 19.07.2011 – S 20 SO 128/10).
Ein Anspruch auf heilpädagogisches Reiten besteht auch nicht nach dem Recht der Sozialhilfe als Leistung der Eingliederungshilfe gegenüber der Beklagten als Träger der Sozialhilfe auf der Grundlage der §§ 53 Abs. 1, 54 Abs. 1 SGB XII. Zwar gehört die Klägerin zum Kreis der Personen im Sinne von § 53 Abs. 1 SGB XII, die grundsätzlich Leistungen der Eingliederungshilfe beanspruchen können. Jedoch erfüllt sie nicht die konkreten Leistungsvoraussetzungen für Eingliederungshilfe. Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sind Leistungen der Eingliederungshilfe neben den Leistungen nach §§ 26, 33, 41 und 55 SGB IX insbesondere die in den Nrn. 1 bis 5 aufgeführten Leistungen. § 54 Abs. 1 Satz 2 konkretisiert, dass Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben den jeweiligen Reha-Leistungen der GKV oder der Bundesagentur für Arbeit entsprechen. Dass keiner der durch § 54 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 5 SGB XII hervorgehobenen Leistungsfälle vorliegt, ist offensichtlich und bedarf keiner näheren Erläuterung.
Ein Anspruch auf heilpädagogisches Reiten als Eingliederungshilfe ergibt sich aber auch aus keiner der durch § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in Bezug genommenen Normen des SGB IX. Dies ist für die §§ 33 und 41 SGB IX offensichtlich, da diese sich auf Werkstätten für behinderte Menschen sowie auf Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben beziehen und damit für den Kläger nicht einschlägig sind.
Der Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i. V. m. § 26 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX. Nach dieser Vorschrift werden zur medizinischen Rehabilitation behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen die erforderlichen Leistungen erbracht, um Behinderungen einschließlich chronischer Krankheiten abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen oder eine Verschlimmerung zu verhüten. Nach § 26 Abs. 2 SGB IX umfassen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation insbesondere neben der Behandlung durch Ärzte auch Heilmittel. Bestandteil der Leistungen der medizinischen Rehabilitation sind insbesondere auch Hilfen zur Unterstützung bei der Krankheits- und Behinderungsverarbeitung, die Aktivierung von Selbsthilfepotentialen, Hilfen zur seelischen Stabilisierung und zur Förderung der sozialen Kompetenz, u.a. durch Training sozialer und kommunikativer Fähigkeiten und im Umgang mit Krisensituationen sowie das Training lebenspraktischer Fähigkeiten (vgl. § 26 Abs. 3 Nrn. 1, 2, 5 und 6 SGB IX). Sofern es sich bei dem therapeutischen Reiten, das die Klägerin in Form von heilpädagogischem Reiten in Anspruch nehmen will, auch – zumindest teilweise – um medizinische Rehabilitation handelt, scheitert ein Anspruch auf Eingliederungshilfe an § 54 Abs. 1 Satz 2 SGB XII, wonach Leistungen zur medizinischen Rehabilitation den Reha-Leistungen der GKV entsprechen. Im Rahmen der Eingliederungshilfe sind also keine geringeren, aber auch keine weitergehenden Leistungen zur medizinischen Reha zu erbringen als in der GKV (LSG NRW, Urteil vom 27.08.2009 – L 9 SO 5/08). Wie bereits dargelegt, entspricht die Hippotherapie nicht dem Leistungsumfang der GKV. Als Heilmittel ist sie durch die vom G-BA beschlossenen Heilmittel-Richtlinien und der dazu gehörenden Anlage ausdrücklich als verordnungsfähige Leistung der GKV ausgeschlossen. Dies bedingt gem. § 54 Abs. 1 Satz 2 SGB XII auch den Ausschluss als Eingliederungshilfe nach dem SGB XII.
Der geltend gemachte Eingliederungshilfeanspruch kann auch nicht auf § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 55 Abs. 1 und 2 SGB IX gestützt werden. Zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft werden die Leistungen erbracht, die den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen oder sichern oder sie soweit wie möglich unabhängig von Pflege machen (§ 55 Abs. 1 SGB IX). In Abs. 2 Ziffern 1 bis 7 werden die Leistungen näher benannt, die nach Abs. 1 insbesondere Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sind. Von diesen ist ersichtlich nur die Ziffer 2 des § 55 Abs. 2 SGB IX einschlägig (zur Nichtanwendbarkeit von § 55 Abs. 2 Ziffer 3 SGB IX in Bezug auf heilpädagogisches Reiten ausführlich: Urteil der Kammer vom 19.07.2011 – S 20 SO 128/10).
§ 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB V nennt als spezielle Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft im Sinne von Abs. 1 "heilpädagogische Leistungen für Kinder". Unter dem Oberbegriff "therapeutisches Reiten" (auch "Reittherapie"), werden die Bereiche heilpädagogisches Reiten, heilpädagogisches Voltieren und Hippotherapie erfasst (vgl. Wikipedia, Stichwort "Therapeutisches Reiten"). Therapeutisches Reiten beinhaltet pädagogische, psychologische, psychotherapeutische, rehabilitative und sozial-integrative Maßnahmen, die über das Medium Pferd umgesetzt werden. Die Diplomsozialarbeiterin und Diplomreitpädagogin T. hat in ihrer Stellungnahme vom 27.10.2011 ausführlich dargelegt, welche Ziele mit dem von ihr angedachten heilpädagogischen Reiten für die Klägerin verfolgt werden. Neben der Entwicklung einer vertrauensvollen tragfähigen Beziehung zum Pferd als auch zur Reitpädagogin soll die Klägerin im emotional-kognitiven Bereich, im sozialen Bereich und im Wahrnehmungsbereich gefördert werden. Dies lässt den Schluss zu, dass bei der von der Klägerin begehrten Reittherapie die Elemente des heilpädagogischen Reitens gegenüber denjenigen der Hippotherapie im Vordergrund stehen. Die Abgrenzung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation von Leistungen zur sozialen Rehabilitation erfolgt nicht nach den in Betracht kommenden Leistungsgegenständen (und erst recht nicht nach der Bezeichnung der Maßnahme), sondern nach dem Leistungszweck (vgl. BSG, Urteil vom 29.09.2009 – B 8 SO 19/08 R). Allein ausschlaggebend ist, worauf der Schwerpunkt der Zielsetzung der in Rede stehenden Maßnahmen im konkreten Einzelfall liegt (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 04.11.2010 – 7 A 10796/10). Selbst wenn der Schwerpunkt des künftig von der Klägerin begehrten therapeutischen Reitens eher im Bereich des heilpädagogischen Reitens liegt, hätte sie keinen Anspruch darauf, dass diese Leistung als Eingliederungshilfe aus Mitteln der Sozialhilfe finanziert würde.
Nach § 56 Abs. 1 SGB IX werden heilpädagogische Leistungen nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 erbracht, wenn nach fachlicher Erkenntnis zu erwarten ist, dass hierdurch eine drohende Behinderung abgewendet oder der fortschreitende Verlauf einer Behinderung verlangsamt oder die Folgen einer Behinderung beseitigt oder gemildert werden können. Dass diese Zielsetzung durch das begehrte heilpädagogische Reiten erfüllt werden können, lässt sich aus den eingeholten Befundberichten und weiteren Arztunterlagen nicht mit der zur Begründung eines Anspruchs notwendigen Sicherheit herleiten. Der Kinderarzt und Neuropädiater Dr. M. hat in seinem Bericht vom 09.01.2012 sogar ausgeführt, dass er die Reittherapie aus medizinischer Indikation nicht als notwendig ansieht; die Einzelziele könnten auch durch andere ergotherapeutische oder heilpädagogische Methoden erreicht werden; soweit durch ein therapeutisches Reiten Erfolge bei der Bewegungsförderung, der Körperwahrnehmung und der Steigerung von Selbstvertrauen möglich wären, seien diese Erfolge sehr unspezifisch und sicherlich bei allen Kindern zu erreichen. Auf den Spracherwerb habe das therapeutische Reiten auch im Sinne eines heilpädagogischen Reitens sicher keinen Einfluss. Dr. M. hat seinem Befundbericht einen weiteren Arztbericht vom 06.10.2011 beigefügt, in dem er zu der geplanten Einschulung der Klägerin in eine Regelschule Stellung genommen hat. Er hat darin dargelegt, dass sich die Klägerin sehr gut entwickelt habe und keine Probleme in der Regelschule haben werde. Eine logopädische Förderung sei weiter sinnvoll, ergotherapeutische Behandlung nur, wenn sie auch zuhause weiter geführt werde; auch die Förderung im Kinderturnen sei sicher sehr gut. Weitere Therapieempfehlungen hat Dr. M. in diesem Bericht nicht gemacht. Der Orthopäde Dr. C. hat in seinem Befundbericht vom 18.01.2012 ausgeführt, dass die Klägerin zwar sowohl im medizinischen als auch im pädagogischen Bereich vom therapeutischen Reiten profitieren werden und diese Leistung wünschenswert sei; sie sei aber aufgrund der Fähigkeiten der Klägerin nicht unbedingt notwendig; unter Zugrundelegung der Kriterien "wirtschaftlich, ausreichend, notwendig, zweckmäßig" sei eine Ablehnung des therapeutischen Reitens nachvollziehbar. Dr. C. hat seinem Befundbericht den Entlassungsbericht über eine von der Klägerin in der Zeit vom 30.11.2011 bis 05.01.2012 absolvierte stationäre Reha-Behandlung beigefügt. Danach nahm die Klägerin während der Maßnahmen an einem intensiven Behandlungsprogramm mit den Schwerpunkten in der logopädischen und neuropsychologischen Therapie, in der physiotherapeutischen und ergotherapeutischen Behandlung sowie in der logopädischen Behandlung teil. Als Reha-Ergebnis verzeichnet der Entlassungsbericht deutliche Fortschritte aufgrund der logopädischen und physiotherapeutischen Behandlung. Die Weiterführung dieser Behandlungen im ambulanten Bereich wurde dringend angeraten. Eine Empfehlung der Reha-Einrichtung in Bezug auf eine Reittherapie findet sich in dem Entlassungsbericht aber nicht. Die Leiterin des sozialpädiatrischen Zentrum der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Aachen, Dr. E., hat in ihrem Befundbericht vom 12.01.2012 zwar ausgeführt, dass heilpädagogisches Reiten zur ganzheitlichen Unterstützung der Klägerin mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgversprechend sei; sie hat jedoch deutlich gemacht, dass sie die Frage nach den Erfolgsaussichten durch therapeutisches Reiten nur für die Zeit bis Sommer 2009 beantworten könne, da sie die Klägerin danach nicht mehr gesehen habe. Die Stellungnahme von Dr. E. bezieht sich also auf einen Zeitpunkt, der zwei Jahre vor der Antragstellung und fast drei Jahre vor der mündlichen Verhandlung liegt, deshalb also für die Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch keine oder nur wenig Aussagekraft hat. Allein der Kinderarzt Q. hat in seinem Befundbericht vom 13.03.2012 dargelegt, die Klägerin sei ein sehr schüchternes Mädchen mit geringem Selbstvertrauen, weshalb er bei ihr heilpädagogisches Reiten für angezeigt halte; mit hoher Wahrscheinlichkeit könne eine Förderung im emotional-kognitiven Bereich, im Sozialberich und im Wahrnehmungsbereich sowie eine Besserung der Spastik erreicht werden. Abgehen davon, dass die Besserung der Spastik der medizinischen Rehabilitation (im Sinne von Hippotherapie) zuzuordnen ist, hat der Kinderarzt nicht näher begründet, wie und warum die weiteren genannten Ziele mit hoher Wahrscheinlichkeit durch heilpädagogisches Reiten erreicht werden können. Zusammenfassend ergibt sich für die Kammer aus den Berichten der Ärzte, dass sich die Klägerin in den vergangenen zwei bis drei Jahren aufgrund der intensiven verschiedenartigen Behandlungen sehr gut entwickelt hat, ohne dass heilpädagogisches Reiten hierzu einen zusätzlichen Effekt hätte bringen können und notwendig (gewesen) wäre. Allein der Umstand, dass die, wie der Kinderarzt Q. ausgeführt hat, ein sehr schüchternes Mädchen mit geringem Selbstvertrauen ist, begründet keinen Anspruch auf Eingliederungshilfe in Form von heilpädagogischem Reiten zu Lasten der Sozialhilfe.
Zuletzt steht dem Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m.§ 55 Abs.1 und 2 Nr. 2 SGB IX entgegen, dass die dort genannten heilpädagogischen Leistungen nur für Kinder erbracht werden, die noch nicht eingeschult sind. Soweit das OVG Rheinland-Pfalz im Urteil vom 15.06.2011 (7 A 10420/11) die Auffassung vertreten hat, heilpädagogisches Reiten könne als Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft auch bereits eingeschulten Kindern oder Jugendlichen bewilligt werden, vermag sich die Kammer dieser Rechtsprechung nicht anzuschließen. Der Versuch des OVG Rheinland-Pfalz, seine Auffassung mit der Gesetzeshistorie und dem Gesetzeszusammenhang zu begründen, überzeugt angesichts des klaren Wortlauts nicht. Wenn der Gesetzgeber heilpädagogische Leistungen auch bereits eingeschulten Kindern hätte zukommen lassen wollen, hätte er in § 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX den Relativsatz "die noch nicht eingeschult sind" weglassen können. Auch wenn die Aufzählung in § 55 Abs. 2 SGB IX, wie das einleitende Wort "insbesondere" nahelegt, nicht abschließend ist, kann eine Leistung, die der Gesetzgeber in dieser – wenn auch nicht abschließenden – Aufzählung genannt, dort aber auf einen bestimmten Personenkreis beschränkt hatte, nicht mehr über die allgemeine Norm wieder auf den ausgeschlossenen Personenkreis erstreckt werden. Der Gesetzgeber hat ersichtlich heilpädagogische Leistungen, zu denen das heilpädagogische Reiten gezählt werden kann, auf noch nicht eingeschulte Kindern beschränken wollen, wohl in der Annahme, dass behinderte Kinder, die eine ihrer Behinderung entsprechende Schule besuchen, dort im erforderlichen Maße auch heilpädagogisch betreut werden (VG Trier, Urteil vom 17.02.2011 – 2 K 902/10. TR).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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