Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KN 277/11KR
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter entsprechender Abänderung der Bescheide vom 26.04., 09.05. und 11.07.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.08.2011 verurteilt, dem Kläger die Kosten, die ihm für die Selbstbeschaffung der häuslichen Krankenpflege "Anziehen von Kompressionsstrümpfen" in den Zeiträumen vom 05.05. bis 31.05.2011 und vom 30.06. bis 30.09.2011 in Höhe von 557,90 EUR entstanden sind, zu erstatten. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt die Beklagte. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für selbstbeschaffte häusliche Krankenpflege (HKP) in Form von Anziehen von Kompressionsstrümpfen der Klasse II für die Zeiträume von 05.05. bis 31.05. und 30.06. bis 30.09.2011 in Höhe von 557,90 EUR.
Der 0000 geborene Kläger ist nach einem Motorradunfall seit Juli 1996 querschnittsgelähmt. Es bestehen u.a. eine spastische Tetraparese mit Blasen- und Mastdarmlähmung, ein Zustand nach zahlreichen Operationen der Halswirbelsäule und nach Magenteilentfernung und Bandscheibenvorfall. Er ist als Schwerbehinderter anerkannt nach einem Grad der Behinderung von 100 und den Merkzeichen H, G, aG, B, RF. Er ist schwerstpflegebedürftig und erhält Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegestufe III. Die Beklagte erbringt Leistungen der HKP nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) seit 1997 in Form von Katheterwechsel/Katheterisierung der Harnblase und zusätzlich seit 1999 in Form von Ausräumen des Enddarmes nach regelmäßiger ärztlicher Verordnung des Hausarztes.
Der Kläger wohnt im gemeinsamen Haushalt mit seiner Lebensgefährtin; der früher ebenfalls in seinem Haushalt lebende Sohn wohnt und studiert seit Anfang 2011 in Oldenburg. Die Mutter des Klägers wohnt im Nebenhaus; bis 31.07.2011 war sie – neben einem Pflegedienst – rentenversicherungspflichtige Pflegeperson des Klägers; seit 01.08.2011 ist dies die Lebensgefährtin, für die die Beklagte als Pflegekasse Rentenversicherungsbeiträge auf der Grundlage einer Pflegezeit von 40 bis 50 Stunden pro Woche entrichtet. Die Lebensgefährtin des Klägers ist berufstägig; seit dem 22.06.2011 arbeitet sie an fünf Tagen pro Woche 12,5 Stunden (arbeitstäglich 2,5 Stunden) als Betreuungskraft bei dem Pflegedienst, der auch den Kläger pflegt; sie wird allerdings im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses nicht in der Pflege des Klägers eingesetzt. Sie arbeitet von Montag bis Freitag, verlässt an diesen Tagen das Haus um 09.00 Uhr und kehrt gegen 12.30 Uhr zurück. Der Kläger steht morgens gegen 09.30 Uhr auf. Dann kommt der Pflegedienst und erbringt zu Lasten der Beklagten (Pflegekasse und Krankenkasse) Leistungen der Grundpflege und die genannten Leistungen der HKP. Die normale Pflege des Klägers durch den Pflegedienst dauert circa 45 Minuten, an den Verdauungstagen (in der Regel Montag, Mittwoch und Freitag) entsprechend länger.
Erstmals durch Verordnung vom 08.03.2011 und Folgeverordnung vom 29.03.2011 verordnete der Hausarzt des Klägers HKP in Form von "Anziehen von Kompressionsstrümpfen" einmal täglich/siebenmal wöchentlich für die Zeit von 04.03. bis 30.04.2011. Der Pflegedienst des Klägers bescheinigte, dass er diese Leistung auch erbringe; ausweislich der vom Kläger bzw. vom Pflegedienst vorgelegten Leistungsnachweise wurde diese Leistung vom 04.03. bis 29.04.2011 erbracht.
In Stellungnahmen vom 18. und 20.04.2011 kam der Sozialmedizinische Dienst (SMD) der Beklagten zum Ergebnis, dass das Anziehen vom Kompressionsstrümpfen nicht erforderlich sei, weil keine Indikation für eine solche Kompressionstherapie bestehe; im Übrigen könne die Lebensgefährtin die Leistung erbringen.
Gleichwohl bewilligte die Beklagte durch einen Bescheid vom 26.04.2011 die verordnete HKP für die Zeit vom 04.03. bis 08.04.2011. Durch einen weiteren Bescheid vom 26.04.2011 bewilligte sie die Leistung für die Zeit vom 09.04 bis 29.04.2011, lehnte darin aber die Hilfeleistung ab dem 30.04.2011 ab mit der Begründung, eine Leistungserbringung sei aus medizinischen Gründen nicht erforderlich und könne im Übrigen durch die im gemeinsamen Haushalt lebende Person erbracht werden.
Durch Folgeverordnung vom 02.05.2011 verordnete der Hausarzt die HKP "Anziehen von Kompressionsstrümpfen" einmal täglich für die Zeit vom 05.05. bis 31.05.2011.
Durch Bescheid vom 09.05.2011 lehnte die Beklagte die Leistung aufgrund der Verordnung vom 02.05.2011 ab mit derselben Begründung wie im zweiten Bescheid vom 26.04.2011.
Gegen die Ablehnungsentscheidung in den Bescheiden vom 26.04. und 09.05.2011 legte der Kläger am 20.05.2011 Widerspruch ein. In einer ärztlichen Stellungnahme vom 13.05.2011 wies der Hausarzt des Klägers daraufhin, dass ein Patient wie der Kläger, der den ganzen Tag im Rollstuhl sitze und nicht in der Lage sei, die Muskelpumpen seiner Beine zu bewegen, periphere Ödeme entwickele, die unter Umständen dann langfristig zu entsprechenden Venenentzündungen mit entsprechenden Geschwüren (Ulcera crura) führen könnten.
In einer weiteren Stellungnahme vom 01.07.2011 kam der SMD zum Ergebnis, dass aufgrund seiner zahlreichen in der Vergangenheit durchgeführten Untersuchungen in den daraufhin erstellen Gutachten und Stellungnahmen keine oder allenfalls minimale Unterschenkelödeme beschrieben worden seien. Wenn jetzt 16 Jahre nach Erleiden des Querschnittssyndroms mit spastischer Tetraplegie dem Hausarzt einfalle, dass eine Kompressionstherapie aufgrund von Beinödemen erforderlich sei, müsse wohl davon ausgegangen werden, dass dieser 16 Jahre gebraucht habe, um sich über den möglichen Zusammenhang von Querschnittssyndrom und peripheren Ödemen klar zu werden. Anders sei es wohl nicht erklärlich, dass erst jetzt die Verordnung von Kompressionsstrümpfen bzw. das Anziehen von Kompressionsstrümpfen erfolgt sei. In Anbetracht der Tatsache, dass bei den vielfältigen Befundberichten nur 2-malig geringe oder gar nur minimale Unterschenkelödeme beschrieben worden seien, werde gutachterlich weiterhin davon ausgegangen, dass keine Indikation für eine dauernde Kompressionstherapie vorliege. Die Muskelpumpe der Beine sei bei dem vorliegenden Querschnittssyndrom offensichtlich doch nicht so stark beeinträchtigt, dass relevante, behandlungsbedürftige Beinödeme vorliegen.
Am 30.06.2011 verordnete der Hausarzt erneut HKP in Form von Anziehen von Kompressionsstrümpfen für die Zeit vom 30.06. bis 30.09.2011. Die Beklagte wies den entsprechenden Leistungsantrag durch Bescheid vom 11.07.2011 zurück. Dagegen legte der Kläger am 26.07.2011 Widerspruch ein.
Durch Widerspruchsbescheid vom 24.08.2011, bekanntgegeben am 30.08.2011, wies die Beklagte die Widersprüche des Klägers als unbegründet zurück.
Dagegen hat der Kläger am 29.09.2011 Klage erhoben. Er trägt vor, er sitze ständig im Rollstuhl und sei nicht in der Lage, die Muskelpumpe seiner Beine zu bewegen; deshalb bestehe die Gefahr, dass sich periphere Ödeme entwickelten; daher sei die Kompressionstherapie mit Kompressionsstrümpfen medizinisch erforderlich. Das Anziehen sei recht mühsam und bedürfe einer gewissen Geschicklichkeit und Kraft in den Händen. Seine Lebensgefährtin sei berufstätig und verlasse das Haus, bevor der Pflegedienst zur Körperpflege komme; es sei nicht sinnvoll, die Strümpfe anzulegen, die zum Waschen dann vom Pflegedienst wieder ausgezogen und nach dem Ende der Pflege wieder angezogen werden müssten. Seine Mutter, die im Übrigen nicht in seinem Haushalt lebe, könne die Pflege aus Altersgründen nicht fortsetzen, sein Sohn lebe studienbedingt nicht mehr im gemeinsamen Haushalt; seine Lebensgefährtin sei die einzige Haushaltsangehörige. Er wolle aber nicht mehr, dass diese über die bereits erbrachten Pflegetätigkeiten hinaus, die sie den Tag über erbringe, auch noch die häusliche Krankenpflege in Form des Anziehens der Kompressionsstrümpfe leiste. Von montags bis freitags sei sie dazu ohnehin nicht in der Lage, weil sie zu den Zeiten, zu denen die Kompressionsstrümpfe angezogen werden müssten, berufstätig außer Haus sei. Der Kläger verweist auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30.03.2000 (B 3 KR 33/99 R) und meint, dass der Ausschlusstatbestand des § 37 Abs. 3 SGB V nicht greife. Er hat Abrechnungen, Leistungsnachweise und Quittungen vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass ihm für die HKP "Anziehen von Kompressionstrümpfen" im streitbefangenen Zeitraum 557,90 EUR entstanden sind.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 26.04., 09.05. und 11.07.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.08.2011 zu verurteilen, ihm die Kosten der selbstbeschafften häuslichen Krankenpflegeleistung "Anziehen von Kompressionsstrümpfen", die ihm für die Zeit vom 05.05. bis 31.05. und 30.06. bis 30.09.2011 in Höhe von 557,90 EUR entstanden sind, zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält weiterhin die Kompressionstherapie für medizinisch nicht notwendig und meint im Übrigen, dass die Lebensgefährtin des Klägers eine pflegefähige Haushaltsangehörige im Sinne von § 37 Abs. 3SGB V ist.
Das Gericht hat einen Befundbericht des Hausarztes und Auskünfte des Pflegedienstes "Q.E." eingeholt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Befundbericht vom 28.02.2012 und die Auskünfte vom 29.05., 12.07. und 24.08.2012 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakte S 15 KN 3/01 P (SG Aachen), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie rechtswidrig sind. Er hat Anspruch auf Erstattung der ihm entstandenen Kosten für die selbstbeschaffte HKP "Anziehen von Kompressionsstrümpfen" im streitbefangenen Zeitraum in Höhe von 557,90 EUR.
Grundlage des Kostenerstattungsanspruchs ist § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V. Danach hat die Krankenkasse, wenn sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Der Kostenerstattungsanspruch tritt an die Stelle der an sich zu gewährenden Sach- oder Dienstleistung (§ 13 Abs. 1 SGB V). Der Kläger hatte im streitbefangenen Zeitraum einen Anspruch gem. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V auf häusliche Krankenpflege (Behandlungssicherungspflege) in Form des Anziehens der ihm verordneten Kompressionsstrümpfe. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V bestimmt, dass Versicherte in ihrem Haushalt als HKP Behandlungspflege erhalten, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist; der Anspruch umfasst verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Maßnahmen auch in den Fällen, in denen dieser Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach den §§ 14 und 15 SGB XI zu berücksichtigen ist. In § 37 Abs. 6 Satz 2 SGB V wird der G-BA ermächtigt, in Richtlinien das Nähere über Art und Inhalt der verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen nach Abs. 2 Satz 1 zu bestimmen.
Aufgrund dieser Ermächtigung hat der G-BA die HKP-Richtlinie erlassen. In einem der Richtlinie angehängten Leistungsverzeichnis werden unter den laufenden Nrn. 1 bis 4 die Leistungen der Grundpflege, unter der laufenden Nr. 5 Leistungen der hauswirtschaftlichen Versorgung und unter den laufenden Nrn. 6 bis 31 Leistungen der Behandlungspflege aufgelistet. Als Leistung der Grundpflege beschreibt das Leistungsverzeichnis unter Nr. 4 u.a.: "Körperpflege beinhaltet - - - - An- und/oder Auskleiden (Vorbereiten individueller Kleidung, Hilfe beim An- und Aus- ziehen der Kleidung, von Stützstrümpfen, von Antithrombosestrümpfen, von konfektionierten/teilkonfektionierten/maßgefertigten Bandagen, von Kompressions- strümpfen der Kompressionsklasse I, das An- und Ablegen von Prothesen, von Orthesen, von Stützkorsetts, von Bruchbändern etc.), " Als Leistung der Behandlungspflege beschreibt das Leistungsverhältnis unter Nr. 31 u.a. "Verbände - - Anlegen eines Kompressionsverbandes ( )/auch An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen/-strumpfhosen der Kompressionsklassen II bis IV "
Bei den verordneten Kompressionsstrümpfen handelt es sich um solche der Klasse II. Eine Kompressionstherapie mit Strümpfen der Kompressionsklasse II ist beim Kläger auch medizinisch erforderlich. Soweit es unter Nr. 31 des Leistungsverzeichnisses zu den HKP-Richtlinien heißt, dass diese Leistung "bei Patientinnen und Patienten zur Abheilung von Ulcera, zur Unterstützung des venösen Rückflusses, Unterstützung des Lymphabflusses bei - Varikose - Thromboembolie - chronischer Veneninsuffizienz (CVI) - Ödemen - Narben/Verbrennungen" in Betracht kommt, ist dies nicht so zu verstehen, dass diese Kompressionstherapie nur indiziert ist, wenn die aufgelisteten Befunde bereits eingetreten sind, sondern in dem Sinne, dass die Kompressionstherapie auch zur Vorbeugung (Prophylaxe) solcher Befunde angewandt werden kann, wenn deren Eintritt ohne die Therapie nicht unwahrscheinlich ist.
Der Hausarzt des Klägers, der die Kompressionsbehandlung Anfang 2011 begonnen hat – die erste Verordnung der HKP "Anziehen von Kompressionsstrümpfen" datiert vom 14.02.2011 - , kennt den Kläger seit vielen Jahren und behandelt ihn (mindestens) seit dem Motorradunfall 1996. Er hat auch die von der Beklagten anerkannten und übernommenen HKP-Leistungen verordnet. Allein der Umstand, dass er in Kenntnis der Querschnittslähmung und der Lebensumstände des Klägers die Kompressionstherapie nicht schon 16 Jahre früher eingeleitet hat, lässt – entgegen der Auffassung des SMD – nicht den Schluss zu, dass er solange "gebraucht hat, um sich über den möglichen Zusammenhang von Querschnittssyndrom und peripheren Ödemen klar zu werden". Es bedeutet vielmehr, davon ist die Kammer aufgrund der Darlegung im Befundbericht vom 28.02.2012 überzeugt, dass der Hausarzt eine solche Behandlung, die für den Patienten nicht gerade angenehm und komfortabel ist, bisher als noch nicht erforderlich erachtet hat, obwohl ihm der Zusammenhang zwischen einem Zustand bei Querschnittslähmung und der Bildung von peripheren Ödemen bekannt ist. Der SMD hat selbst eingeräumt, dass es in der Vergangenheit bereits zu – wenn auch geringen – Unterschenkelödemen gekommen ist. Der Hausarzt hat im Arztbrief vom 13.05.2011 festgestellt, dass der Kläger aufgrund seiner Querschnittslähmung nicht in der Lage ist, die Muskelpumpe seiner Beine zu bewegen. Aufgrund dessen besteht die Gefahr, dass er periphere Ödeme entwickelt, die unter Umständen langfristig zu Venenentzündungen und Unterschenkelgeschwüren (Ulcera crura) führen können. Diese medizinische Tatsache hat der SMD in seiner Stellungnahme vom 01.07.2011 ebenfalls bestätigt, wenn er ausführt: "Es ist sicherlich richtig, dass bei einem Patienten mit einem hohen Querschnittssyndrom die Muskelpumpen der Beine nicht richtig funktionieren können und dies zu Beinödemen führen kann." Die weitere Bemerkung des SMD, dass dies nicht zwangsläufig der Fall sein muss, ist ebenso richtig, begründet aber im Fall des Klägers nicht die Annahme, es bestehe keine Indikation für eine Kompressionstherapie. Wenn in der Vergangenheit bereits Wassereinlagerungen und Ödeme vorgekommen sind, kann dem Kläger nicht zugemutet werden, erst den Eintritt schwerwiegender Befunde bis hin zu einem Unterschenkelgeschwür abzuwarten, damit eine Kompressionstherapie indiziert ist. Wenn – wie festgestellt – aufgrund des beim Kläger bestehenden Krankheitsbildes eine Ödembildung und nachfolgend ein Unterschenkelgeschwür drohen, ist die Kompressionstherapie auch zur Vorbeugung solcher Befunde angezeigt (vgl. dazu auch Rabe/Gerlach, Praktische Phlebologie, 2006 S. 52 ff.; Leitlinie "Diagnostik und Therapie der Lymphödeme" der Gesellschaft Deutschsprachiger Lymphologen in der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften – AWMF – Stand: 4/2009). Gerade bei immobilen Patienten, bei denen sich Stauungszustände entwickeln, wie z.B. bei Paresen der Beine, wird die Kompressionstherapie auch präventiv eingesetzt. So liegt es nach den für die Kammer nachvollziehbaren und überzeugenden Feststellungen des Hausarztes bei dem Kläger, der ab der Halswirbelsäule querschnittsgelähmt ist und tagsüber nur im Rollstuhl sitzt.
Ist nach alledem die Kompressionstherapie medizinisch indiziert, so ist die HKP "Anziehen von Kompressionsstrümpfen" (Klasse II) auch verordnungsfähig, da der Kläger aufgrund seiner Querschnittslähmung zur Gruppe der Patienten "mit einer so erheblichen Einschränkung der Grob- und Feinmotorik der oberen Extremitäten, dass sie die Kompressionsstrümpfe/Kompressionsstrumpfhosen nicht fachgerecht an- oder ausziehen können bzw. den Kompressionsverband nicht fachgerecht abnehmen können" gehört (vgl. Ziff. 31 des Leistungsverzeichnisses zu den HKP-Richtlinien).
Entgegen der Auffassung der Beklagten bestand im streitbefangenen Zeitraum kein Anspruchsausschluss nach § 37 Abs. 3 SGB V. Nach dieser Vorschrift besteht der Anspruch auf häusliche Krankenpflege nur, wenn eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang nicht pflegen und versorgen kann. Die Mutter des Klägers scheidet als Person im Sinne dieser Vorschrift aus, da sie nicht im Haushalt des Klägers lebt und lebte, sondern mit ihrem Ehemann im Nachbarhaus. Der Sohn des Klägers scheidet ebenfalls aus, da er seit 2011 in Oldenburg studiert und bereits im streitigen Zeitraum nicht mehr im Haushalt des Klägers lebte. Einzig in Betracht kommende Haushaltsangehörige im Sinne des § 37 Abs. 3 SGB V war und ist die Lebensgefährtin des Klägers. Allein der Umstand, dass sie mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt lebt und – davon ist die Kammer aufgrund der ihr bekanntgewordenen Umstände überzeugt – geistig und körperlich in der Lage wäre, dem Kläger die Kompressionsstrümpfe anzuziehen, begründet jedoch keinen Anspruchsausschluss.
Der Anwendbarkeit des § 37 Abs. 3 SGB V auf die verordnete HKP in Verbindung mit der Lebensgefährtin des Klägers stand und steht bereits entgegen, dass diese während der Zeit ihrer Berufstätigkeit an fünf Tagen in der Woche die Pflegeleistung objektiv nicht erbringen kann. Seit dem 22.06.2011 steht sie in einem Beschäftigungsverhältnis; sie arbeitet von Montag bis Freitag täglich 2 ½ Stunden. An den Arbeitstagen verlässt sie gegen 09.00 Uhr das Haus und kehrt gegen 12.30 Uhr (Arbeitszeit plus Wegezeit) zurück. Da der Kläger in der Regel um 09.30 Uhr mithilfe des Pflegedienstes aufsteht und die Pflegezeit ca. 45 Minuten (an den Verdauungstagen entsprechend länger) dauert, ist die Lebensgefährtin an ihren Arbeitstagen bereits zeitlich nicht in der Lage, ihm am Ende des Pflegevorgangs, bevor er in den Rollstuhl gesetzt wird, die Kompressionsstrümpfe anzuziehen.
Aber auch aus einem anderen Grunde steht der Ausschlusstatbestand in § 37 Abs. 3 SGB V dem Anspruch des Klägers – auch für die Tage der Anwesenheit der Lebensgefährtin im Haushalt – nicht entgegen. Denn es fehlt sowohl am Einverständnis des Klägers, sich von der Lebensgefährtin die Kompressionsstrümpfe anziehen zu lassen, als auch am Einverständnis der Lebensgefährtin, diese Pflegeleistung zu erbringen. Wie das BSG in der grundlegenden Entscheidung vom 30.0.3.2000 (B 3 KR 23/99 R) festgestellt hat, kann § 37 Abs. 3 SGB V als Ausnahmevorschrift nicht über ihren Wortlaut hinaus zu Lasten der Versicherten weit ausgelegt werden. Das BSG hat dazu ausgeführt: "Der Gesetzgeber hat den von der Rechtsprechung entwickelten Subsidiaritätsgedanken aufgegriffen und zugleich auf die im Wortlaut der Vorschrift festgelegten Voraussetzungen beschränkt. Dies schließt einen Rückgriff auf die allgemeine familienrechtliche Solidarpflicht zum Zwecke der Ausweitung der in § 37 Abs. 3 SGB V enthaltenen Ausnahmeregelung aus. Vorschriften des SGB sind im Zweifel dahin auszulegen, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden (§ 2 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch). Das bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Sicherung des ärztlichen Behandlungsziels den Ausschlag gibt, nicht aber die Entlastung der Solidargemeinschaft durch die kostenlose oder kostengünstige Hilfe Dritter. Deshalb ist § 37 Abs. 3 SGB V sogar hinter seinem Wortlaut zurückbleibend dahingehend auszulegen, dass der Leistungsausschluss nicht schon dann eingreift, wenn die Hilfe durch Haushaltsangehörige geleistet werden könnte, sondern erst dann, wenn tatsächlich auch Hilfe geleistet wird. Ein Leistungsausschluss besteht nur, wenn sowohl der zu Pflegende bereit ist, sich von dem Angehörigen pflegen zu lassen, als auch der pflegende Angehörige mit der Durchführung der Pflege einverstanden ist. Im Hinblick auf die Intensität des Eingriffs zahlreicher pflegerischer Maßnahmen in Intimbereiche lässt Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) ein Einverständnis auf beiden Seiten, also die aktive wie auch die passive Pflegebereitschaft, als unverzichtbar erscheinen. Nur mit dieser Einschränkung wird die Vorschrift auch der verfassungsrechtlichen Vorgabe des Art. 3 GG gerecht. Andernfalls enthielte die Regelung nämlich eine Differenzierung zwischen alleinlebenden Pflegebedürftigen, denen ohne weiteres Behandlungspflege zu gewähren wäre, und Pflegebedürftigen mit nicht zur Pflege bereiten Angehörigen, die auch bei zwingender medizinischer Erforderlichkeit ohne pflegerische Versorgung bleiben müssten. Denn selbst bei Bestehen einer unterhaltsrechtlichen Verpflichtung des Angehörigen zur Pflege hätte der Pflegebedürftige keine rechtlichen Zwangsmittel, dies gegenüber einem böswilligen Angehörigen durchzusetzen (vgl. § 888 Abs. 2 Zivilprozessordnung); jedenfalls wäre eine zwangsweise Durchsetzung faktisch nicht geeignet, eine sachgerechte Pflege zu erreichen. Ein genereller Ausschluss von häuslicher Krankenpflege, nur weil Haushaltsangehörige vorhanden sind, würde für den Fall, dass Pflege durch diese nicht geleistet wird, eine sachlich nicht gerechtfertigte Benachteiligung gegenüber alleinstehenden Pflegebedürftigen bedeuten."
Das BSG (a.a.O.) hat allerdings auch darauf hingewiesen, dass ein missbräuchliches Verhalten von Pflegebedürftigen und Haushaltsangehörigen zur Anwendbarkeit von § 37 Abs. 3 SGB V führen kann. Dies sei dann der Fall, wenn der Versicherte und/oder der Haushaltsangehörige sich "ohne nachvollziehbaren Grund" weigere, Maßnahmen der Behandlungspflege durchführen zu lassen bzw. durchzuführen. Dies trifft auf den Kläger und seine Lebensgefährtin jedoch nicht zu.
Der Kläger hat einen nachvollziehbaren Grund, sich die Kompressionsstrümpfe nicht von seiner Lebensgefährtin anziehen zu lassen oder dies auch nur von ihr zu verlangen oder zu erbitten. Er hat in der mündlichen Verhandlung vor der erkennenden Kammer seine Lebenssituation eindrücklich geschildert. Er hat von seiner früheren Lebensgefährtin, die ihn irgendwann verlassen habe, und seiner aktuellen neuen Beziehung berichtet. Seine Lebensgefährtin pflegt und versorgt ihn bereits 40 bis 50 Stunden pro Woche; sie verrichtet Tätigkeiten der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung. Der Kläger befürchtet aber, dass eine weitere Einbindung der Lebensgefährtin in seine Pflege auch diese Beziehung belastet und gefährdet. Er will nicht, dass – so hat er es ausgedrückt – seine Lebensgefährtin irgendwann in ihm nicht mehr den geliebten Menschen, sondern nur noch die zu pflegende Person sieht, und dann auch diese Beziehung zu Ende geht. Deshalb will er nicht, dass die Lebensgefährtin nun auch noch die weitere Behandlungspflegetätigkeit des Anziehens der Kompressionsstrümpfe übernimmt, auch wenn sie es zeitlich könnte. Diese vom Kläger vorgetragenen Gründe sind nicht nur nachvollziehbare, sondern auch überzeugende Gründe, den Ausschlusstatbestand des § 37 Abs. 3 SGB V nicht auf seine Lebensgefährtin anzuwenden.
Hatte der Kläger somit für die streitbefangenen Zeiträume einen nicht nach § 37 Abs. 3 SGB V ausgeschlossenen Anspruch auf die verordnete HKP "Anziehen von Kompressionsstrümpfen" einmal täglich/siebenmal wöchentlich, so hat die Beklagte es durch die angefochtenen Bescheide "zu Unrecht" (vgl. § 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Alternative SGB V) abgelehnt, die begehrte Sachleistung zu erbringen, sodass der Kläger gezwungen war, sich diese selbst zu beschaffen. Die ihm hierdurch entstandenen Kosten von 557,90 EUR hat ihm die Beklagte zu erstatten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Kammer hat die im Hinblick auf den Beschwerdewert an sich nicht statthafte Berufung zugelassen, weil sie der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimisst (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für selbstbeschaffte häusliche Krankenpflege (HKP) in Form von Anziehen von Kompressionsstrümpfen der Klasse II für die Zeiträume von 05.05. bis 31.05. und 30.06. bis 30.09.2011 in Höhe von 557,90 EUR.
Der 0000 geborene Kläger ist nach einem Motorradunfall seit Juli 1996 querschnittsgelähmt. Es bestehen u.a. eine spastische Tetraparese mit Blasen- und Mastdarmlähmung, ein Zustand nach zahlreichen Operationen der Halswirbelsäule und nach Magenteilentfernung und Bandscheibenvorfall. Er ist als Schwerbehinderter anerkannt nach einem Grad der Behinderung von 100 und den Merkzeichen H, G, aG, B, RF. Er ist schwerstpflegebedürftig und erhält Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegestufe III. Die Beklagte erbringt Leistungen der HKP nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) seit 1997 in Form von Katheterwechsel/Katheterisierung der Harnblase und zusätzlich seit 1999 in Form von Ausräumen des Enddarmes nach regelmäßiger ärztlicher Verordnung des Hausarztes.
Der Kläger wohnt im gemeinsamen Haushalt mit seiner Lebensgefährtin; der früher ebenfalls in seinem Haushalt lebende Sohn wohnt und studiert seit Anfang 2011 in Oldenburg. Die Mutter des Klägers wohnt im Nebenhaus; bis 31.07.2011 war sie – neben einem Pflegedienst – rentenversicherungspflichtige Pflegeperson des Klägers; seit 01.08.2011 ist dies die Lebensgefährtin, für die die Beklagte als Pflegekasse Rentenversicherungsbeiträge auf der Grundlage einer Pflegezeit von 40 bis 50 Stunden pro Woche entrichtet. Die Lebensgefährtin des Klägers ist berufstägig; seit dem 22.06.2011 arbeitet sie an fünf Tagen pro Woche 12,5 Stunden (arbeitstäglich 2,5 Stunden) als Betreuungskraft bei dem Pflegedienst, der auch den Kläger pflegt; sie wird allerdings im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses nicht in der Pflege des Klägers eingesetzt. Sie arbeitet von Montag bis Freitag, verlässt an diesen Tagen das Haus um 09.00 Uhr und kehrt gegen 12.30 Uhr zurück. Der Kläger steht morgens gegen 09.30 Uhr auf. Dann kommt der Pflegedienst und erbringt zu Lasten der Beklagten (Pflegekasse und Krankenkasse) Leistungen der Grundpflege und die genannten Leistungen der HKP. Die normale Pflege des Klägers durch den Pflegedienst dauert circa 45 Minuten, an den Verdauungstagen (in der Regel Montag, Mittwoch und Freitag) entsprechend länger.
Erstmals durch Verordnung vom 08.03.2011 und Folgeverordnung vom 29.03.2011 verordnete der Hausarzt des Klägers HKP in Form von "Anziehen von Kompressionsstrümpfen" einmal täglich/siebenmal wöchentlich für die Zeit von 04.03. bis 30.04.2011. Der Pflegedienst des Klägers bescheinigte, dass er diese Leistung auch erbringe; ausweislich der vom Kläger bzw. vom Pflegedienst vorgelegten Leistungsnachweise wurde diese Leistung vom 04.03. bis 29.04.2011 erbracht.
In Stellungnahmen vom 18. und 20.04.2011 kam der Sozialmedizinische Dienst (SMD) der Beklagten zum Ergebnis, dass das Anziehen vom Kompressionsstrümpfen nicht erforderlich sei, weil keine Indikation für eine solche Kompressionstherapie bestehe; im Übrigen könne die Lebensgefährtin die Leistung erbringen.
Gleichwohl bewilligte die Beklagte durch einen Bescheid vom 26.04.2011 die verordnete HKP für die Zeit vom 04.03. bis 08.04.2011. Durch einen weiteren Bescheid vom 26.04.2011 bewilligte sie die Leistung für die Zeit vom 09.04 bis 29.04.2011, lehnte darin aber die Hilfeleistung ab dem 30.04.2011 ab mit der Begründung, eine Leistungserbringung sei aus medizinischen Gründen nicht erforderlich und könne im Übrigen durch die im gemeinsamen Haushalt lebende Person erbracht werden.
Durch Folgeverordnung vom 02.05.2011 verordnete der Hausarzt die HKP "Anziehen von Kompressionsstrümpfen" einmal täglich für die Zeit vom 05.05. bis 31.05.2011.
Durch Bescheid vom 09.05.2011 lehnte die Beklagte die Leistung aufgrund der Verordnung vom 02.05.2011 ab mit derselben Begründung wie im zweiten Bescheid vom 26.04.2011.
Gegen die Ablehnungsentscheidung in den Bescheiden vom 26.04. und 09.05.2011 legte der Kläger am 20.05.2011 Widerspruch ein. In einer ärztlichen Stellungnahme vom 13.05.2011 wies der Hausarzt des Klägers daraufhin, dass ein Patient wie der Kläger, der den ganzen Tag im Rollstuhl sitze und nicht in der Lage sei, die Muskelpumpen seiner Beine zu bewegen, periphere Ödeme entwickele, die unter Umständen dann langfristig zu entsprechenden Venenentzündungen mit entsprechenden Geschwüren (Ulcera crura) führen könnten.
In einer weiteren Stellungnahme vom 01.07.2011 kam der SMD zum Ergebnis, dass aufgrund seiner zahlreichen in der Vergangenheit durchgeführten Untersuchungen in den daraufhin erstellen Gutachten und Stellungnahmen keine oder allenfalls minimale Unterschenkelödeme beschrieben worden seien. Wenn jetzt 16 Jahre nach Erleiden des Querschnittssyndroms mit spastischer Tetraplegie dem Hausarzt einfalle, dass eine Kompressionstherapie aufgrund von Beinödemen erforderlich sei, müsse wohl davon ausgegangen werden, dass dieser 16 Jahre gebraucht habe, um sich über den möglichen Zusammenhang von Querschnittssyndrom und peripheren Ödemen klar zu werden. Anders sei es wohl nicht erklärlich, dass erst jetzt die Verordnung von Kompressionsstrümpfen bzw. das Anziehen von Kompressionsstrümpfen erfolgt sei. In Anbetracht der Tatsache, dass bei den vielfältigen Befundberichten nur 2-malig geringe oder gar nur minimale Unterschenkelödeme beschrieben worden seien, werde gutachterlich weiterhin davon ausgegangen, dass keine Indikation für eine dauernde Kompressionstherapie vorliege. Die Muskelpumpe der Beine sei bei dem vorliegenden Querschnittssyndrom offensichtlich doch nicht so stark beeinträchtigt, dass relevante, behandlungsbedürftige Beinödeme vorliegen.
Am 30.06.2011 verordnete der Hausarzt erneut HKP in Form von Anziehen von Kompressionsstrümpfen für die Zeit vom 30.06. bis 30.09.2011. Die Beklagte wies den entsprechenden Leistungsantrag durch Bescheid vom 11.07.2011 zurück. Dagegen legte der Kläger am 26.07.2011 Widerspruch ein.
Durch Widerspruchsbescheid vom 24.08.2011, bekanntgegeben am 30.08.2011, wies die Beklagte die Widersprüche des Klägers als unbegründet zurück.
Dagegen hat der Kläger am 29.09.2011 Klage erhoben. Er trägt vor, er sitze ständig im Rollstuhl und sei nicht in der Lage, die Muskelpumpe seiner Beine zu bewegen; deshalb bestehe die Gefahr, dass sich periphere Ödeme entwickelten; daher sei die Kompressionstherapie mit Kompressionsstrümpfen medizinisch erforderlich. Das Anziehen sei recht mühsam und bedürfe einer gewissen Geschicklichkeit und Kraft in den Händen. Seine Lebensgefährtin sei berufstätig und verlasse das Haus, bevor der Pflegedienst zur Körperpflege komme; es sei nicht sinnvoll, die Strümpfe anzulegen, die zum Waschen dann vom Pflegedienst wieder ausgezogen und nach dem Ende der Pflege wieder angezogen werden müssten. Seine Mutter, die im Übrigen nicht in seinem Haushalt lebe, könne die Pflege aus Altersgründen nicht fortsetzen, sein Sohn lebe studienbedingt nicht mehr im gemeinsamen Haushalt; seine Lebensgefährtin sei die einzige Haushaltsangehörige. Er wolle aber nicht mehr, dass diese über die bereits erbrachten Pflegetätigkeiten hinaus, die sie den Tag über erbringe, auch noch die häusliche Krankenpflege in Form des Anziehens der Kompressionsstrümpfe leiste. Von montags bis freitags sei sie dazu ohnehin nicht in der Lage, weil sie zu den Zeiten, zu denen die Kompressionsstrümpfe angezogen werden müssten, berufstätig außer Haus sei. Der Kläger verweist auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30.03.2000 (B 3 KR 33/99 R) und meint, dass der Ausschlusstatbestand des § 37 Abs. 3 SGB V nicht greife. Er hat Abrechnungen, Leistungsnachweise und Quittungen vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass ihm für die HKP "Anziehen von Kompressionstrümpfen" im streitbefangenen Zeitraum 557,90 EUR entstanden sind.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 26.04., 09.05. und 11.07.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.08.2011 zu verurteilen, ihm die Kosten der selbstbeschafften häuslichen Krankenpflegeleistung "Anziehen von Kompressionsstrümpfen", die ihm für die Zeit vom 05.05. bis 31.05. und 30.06. bis 30.09.2011 in Höhe von 557,90 EUR entstanden sind, zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält weiterhin die Kompressionstherapie für medizinisch nicht notwendig und meint im Übrigen, dass die Lebensgefährtin des Klägers eine pflegefähige Haushaltsangehörige im Sinne von § 37 Abs. 3SGB V ist.
Das Gericht hat einen Befundbericht des Hausarztes und Auskünfte des Pflegedienstes "Q.E." eingeholt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Befundbericht vom 28.02.2012 und die Auskünfte vom 29.05., 12.07. und 24.08.2012 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakte S 15 KN 3/01 P (SG Aachen), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie rechtswidrig sind. Er hat Anspruch auf Erstattung der ihm entstandenen Kosten für die selbstbeschaffte HKP "Anziehen von Kompressionsstrümpfen" im streitbefangenen Zeitraum in Höhe von 557,90 EUR.
Grundlage des Kostenerstattungsanspruchs ist § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V. Danach hat die Krankenkasse, wenn sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Der Kostenerstattungsanspruch tritt an die Stelle der an sich zu gewährenden Sach- oder Dienstleistung (§ 13 Abs. 1 SGB V). Der Kläger hatte im streitbefangenen Zeitraum einen Anspruch gem. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V auf häusliche Krankenpflege (Behandlungssicherungspflege) in Form des Anziehens der ihm verordneten Kompressionsstrümpfe. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V bestimmt, dass Versicherte in ihrem Haushalt als HKP Behandlungspflege erhalten, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist; der Anspruch umfasst verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Maßnahmen auch in den Fällen, in denen dieser Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach den §§ 14 und 15 SGB XI zu berücksichtigen ist. In § 37 Abs. 6 Satz 2 SGB V wird der G-BA ermächtigt, in Richtlinien das Nähere über Art und Inhalt der verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen nach Abs. 2 Satz 1 zu bestimmen.
Aufgrund dieser Ermächtigung hat der G-BA die HKP-Richtlinie erlassen. In einem der Richtlinie angehängten Leistungsverzeichnis werden unter den laufenden Nrn. 1 bis 4 die Leistungen der Grundpflege, unter der laufenden Nr. 5 Leistungen der hauswirtschaftlichen Versorgung und unter den laufenden Nrn. 6 bis 31 Leistungen der Behandlungspflege aufgelistet. Als Leistung der Grundpflege beschreibt das Leistungsverzeichnis unter Nr. 4 u.a.: "Körperpflege beinhaltet - - - - An- und/oder Auskleiden (Vorbereiten individueller Kleidung, Hilfe beim An- und Aus- ziehen der Kleidung, von Stützstrümpfen, von Antithrombosestrümpfen, von konfektionierten/teilkonfektionierten/maßgefertigten Bandagen, von Kompressions- strümpfen der Kompressionsklasse I, das An- und Ablegen von Prothesen, von Orthesen, von Stützkorsetts, von Bruchbändern etc.), " Als Leistung der Behandlungspflege beschreibt das Leistungsverhältnis unter Nr. 31 u.a. "Verbände - - Anlegen eines Kompressionsverbandes ( )/auch An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen/-strumpfhosen der Kompressionsklassen II bis IV "
Bei den verordneten Kompressionsstrümpfen handelt es sich um solche der Klasse II. Eine Kompressionstherapie mit Strümpfen der Kompressionsklasse II ist beim Kläger auch medizinisch erforderlich. Soweit es unter Nr. 31 des Leistungsverzeichnisses zu den HKP-Richtlinien heißt, dass diese Leistung "bei Patientinnen und Patienten zur Abheilung von Ulcera, zur Unterstützung des venösen Rückflusses, Unterstützung des Lymphabflusses bei - Varikose - Thromboembolie - chronischer Veneninsuffizienz (CVI) - Ödemen - Narben/Verbrennungen" in Betracht kommt, ist dies nicht so zu verstehen, dass diese Kompressionstherapie nur indiziert ist, wenn die aufgelisteten Befunde bereits eingetreten sind, sondern in dem Sinne, dass die Kompressionstherapie auch zur Vorbeugung (Prophylaxe) solcher Befunde angewandt werden kann, wenn deren Eintritt ohne die Therapie nicht unwahrscheinlich ist.
Der Hausarzt des Klägers, der die Kompressionsbehandlung Anfang 2011 begonnen hat – die erste Verordnung der HKP "Anziehen von Kompressionsstrümpfen" datiert vom 14.02.2011 - , kennt den Kläger seit vielen Jahren und behandelt ihn (mindestens) seit dem Motorradunfall 1996. Er hat auch die von der Beklagten anerkannten und übernommenen HKP-Leistungen verordnet. Allein der Umstand, dass er in Kenntnis der Querschnittslähmung und der Lebensumstände des Klägers die Kompressionstherapie nicht schon 16 Jahre früher eingeleitet hat, lässt – entgegen der Auffassung des SMD – nicht den Schluss zu, dass er solange "gebraucht hat, um sich über den möglichen Zusammenhang von Querschnittssyndrom und peripheren Ödemen klar zu werden". Es bedeutet vielmehr, davon ist die Kammer aufgrund der Darlegung im Befundbericht vom 28.02.2012 überzeugt, dass der Hausarzt eine solche Behandlung, die für den Patienten nicht gerade angenehm und komfortabel ist, bisher als noch nicht erforderlich erachtet hat, obwohl ihm der Zusammenhang zwischen einem Zustand bei Querschnittslähmung und der Bildung von peripheren Ödemen bekannt ist. Der SMD hat selbst eingeräumt, dass es in der Vergangenheit bereits zu – wenn auch geringen – Unterschenkelödemen gekommen ist. Der Hausarzt hat im Arztbrief vom 13.05.2011 festgestellt, dass der Kläger aufgrund seiner Querschnittslähmung nicht in der Lage ist, die Muskelpumpe seiner Beine zu bewegen. Aufgrund dessen besteht die Gefahr, dass er periphere Ödeme entwickelt, die unter Umständen langfristig zu Venenentzündungen und Unterschenkelgeschwüren (Ulcera crura) führen können. Diese medizinische Tatsache hat der SMD in seiner Stellungnahme vom 01.07.2011 ebenfalls bestätigt, wenn er ausführt: "Es ist sicherlich richtig, dass bei einem Patienten mit einem hohen Querschnittssyndrom die Muskelpumpen der Beine nicht richtig funktionieren können und dies zu Beinödemen führen kann." Die weitere Bemerkung des SMD, dass dies nicht zwangsläufig der Fall sein muss, ist ebenso richtig, begründet aber im Fall des Klägers nicht die Annahme, es bestehe keine Indikation für eine Kompressionstherapie. Wenn in der Vergangenheit bereits Wassereinlagerungen und Ödeme vorgekommen sind, kann dem Kläger nicht zugemutet werden, erst den Eintritt schwerwiegender Befunde bis hin zu einem Unterschenkelgeschwür abzuwarten, damit eine Kompressionstherapie indiziert ist. Wenn – wie festgestellt – aufgrund des beim Kläger bestehenden Krankheitsbildes eine Ödembildung und nachfolgend ein Unterschenkelgeschwür drohen, ist die Kompressionstherapie auch zur Vorbeugung solcher Befunde angezeigt (vgl. dazu auch Rabe/Gerlach, Praktische Phlebologie, 2006 S. 52 ff.; Leitlinie "Diagnostik und Therapie der Lymphödeme" der Gesellschaft Deutschsprachiger Lymphologen in der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften – AWMF – Stand: 4/2009). Gerade bei immobilen Patienten, bei denen sich Stauungszustände entwickeln, wie z.B. bei Paresen der Beine, wird die Kompressionstherapie auch präventiv eingesetzt. So liegt es nach den für die Kammer nachvollziehbaren und überzeugenden Feststellungen des Hausarztes bei dem Kläger, der ab der Halswirbelsäule querschnittsgelähmt ist und tagsüber nur im Rollstuhl sitzt.
Ist nach alledem die Kompressionstherapie medizinisch indiziert, so ist die HKP "Anziehen von Kompressionsstrümpfen" (Klasse II) auch verordnungsfähig, da der Kläger aufgrund seiner Querschnittslähmung zur Gruppe der Patienten "mit einer so erheblichen Einschränkung der Grob- und Feinmotorik der oberen Extremitäten, dass sie die Kompressionsstrümpfe/Kompressionsstrumpfhosen nicht fachgerecht an- oder ausziehen können bzw. den Kompressionsverband nicht fachgerecht abnehmen können" gehört (vgl. Ziff. 31 des Leistungsverzeichnisses zu den HKP-Richtlinien).
Entgegen der Auffassung der Beklagten bestand im streitbefangenen Zeitraum kein Anspruchsausschluss nach § 37 Abs. 3 SGB V. Nach dieser Vorschrift besteht der Anspruch auf häusliche Krankenpflege nur, wenn eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang nicht pflegen und versorgen kann. Die Mutter des Klägers scheidet als Person im Sinne dieser Vorschrift aus, da sie nicht im Haushalt des Klägers lebt und lebte, sondern mit ihrem Ehemann im Nachbarhaus. Der Sohn des Klägers scheidet ebenfalls aus, da er seit 2011 in Oldenburg studiert und bereits im streitigen Zeitraum nicht mehr im Haushalt des Klägers lebte. Einzig in Betracht kommende Haushaltsangehörige im Sinne des § 37 Abs. 3 SGB V war und ist die Lebensgefährtin des Klägers. Allein der Umstand, dass sie mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt lebt und – davon ist die Kammer aufgrund der ihr bekanntgewordenen Umstände überzeugt – geistig und körperlich in der Lage wäre, dem Kläger die Kompressionsstrümpfe anzuziehen, begründet jedoch keinen Anspruchsausschluss.
Der Anwendbarkeit des § 37 Abs. 3 SGB V auf die verordnete HKP in Verbindung mit der Lebensgefährtin des Klägers stand und steht bereits entgegen, dass diese während der Zeit ihrer Berufstätigkeit an fünf Tagen in der Woche die Pflegeleistung objektiv nicht erbringen kann. Seit dem 22.06.2011 steht sie in einem Beschäftigungsverhältnis; sie arbeitet von Montag bis Freitag täglich 2 ½ Stunden. An den Arbeitstagen verlässt sie gegen 09.00 Uhr das Haus und kehrt gegen 12.30 Uhr (Arbeitszeit plus Wegezeit) zurück. Da der Kläger in der Regel um 09.30 Uhr mithilfe des Pflegedienstes aufsteht und die Pflegezeit ca. 45 Minuten (an den Verdauungstagen entsprechend länger) dauert, ist die Lebensgefährtin an ihren Arbeitstagen bereits zeitlich nicht in der Lage, ihm am Ende des Pflegevorgangs, bevor er in den Rollstuhl gesetzt wird, die Kompressionsstrümpfe anzuziehen.
Aber auch aus einem anderen Grunde steht der Ausschlusstatbestand in § 37 Abs. 3 SGB V dem Anspruch des Klägers – auch für die Tage der Anwesenheit der Lebensgefährtin im Haushalt – nicht entgegen. Denn es fehlt sowohl am Einverständnis des Klägers, sich von der Lebensgefährtin die Kompressionsstrümpfe anziehen zu lassen, als auch am Einverständnis der Lebensgefährtin, diese Pflegeleistung zu erbringen. Wie das BSG in der grundlegenden Entscheidung vom 30.0.3.2000 (B 3 KR 23/99 R) festgestellt hat, kann § 37 Abs. 3 SGB V als Ausnahmevorschrift nicht über ihren Wortlaut hinaus zu Lasten der Versicherten weit ausgelegt werden. Das BSG hat dazu ausgeführt: "Der Gesetzgeber hat den von der Rechtsprechung entwickelten Subsidiaritätsgedanken aufgegriffen und zugleich auf die im Wortlaut der Vorschrift festgelegten Voraussetzungen beschränkt. Dies schließt einen Rückgriff auf die allgemeine familienrechtliche Solidarpflicht zum Zwecke der Ausweitung der in § 37 Abs. 3 SGB V enthaltenen Ausnahmeregelung aus. Vorschriften des SGB sind im Zweifel dahin auszulegen, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden (§ 2 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch). Das bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Sicherung des ärztlichen Behandlungsziels den Ausschlag gibt, nicht aber die Entlastung der Solidargemeinschaft durch die kostenlose oder kostengünstige Hilfe Dritter. Deshalb ist § 37 Abs. 3 SGB V sogar hinter seinem Wortlaut zurückbleibend dahingehend auszulegen, dass der Leistungsausschluss nicht schon dann eingreift, wenn die Hilfe durch Haushaltsangehörige geleistet werden könnte, sondern erst dann, wenn tatsächlich auch Hilfe geleistet wird. Ein Leistungsausschluss besteht nur, wenn sowohl der zu Pflegende bereit ist, sich von dem Angehörigen pflegen zu lassen, als auch der pflegende Angehörige mit der Durchführung der Pflege einverstanden ist. Im Hinblick auf die Intensität des Eingriffs zahlreicher pflegerischer Maßnahmen in Intimbereiche lässt Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) ein Einverständnis auf beiden Seiten, also die aktive wie auch die passive Pflegebereitschaft, als unverzichtbar erscheinen. Nur mit dieser Einschränkung wird die Vorschrift auch der verfassungsrechtlichen Vorgabe des Art. 3 GG gerecht. Andernfalls enthielte die Regelung nämlich eine Differenzierung zwischen alleinlebenden Pflegebedürftigen, denen ohne weiteres Behandlungspflege zu gewähren wäre, und Pflegebedürftigen mit nicht zur Pflege bereiten Angehörigen, die auch bei zwingender medizinischer Erforderlichkeit ohne pflegerische Versorgung bleiben müssten. Denn selbst bei Bestehen einer unterhaltsrechtlichen Verpflichtung des Angehörigen zur Pflege hätte der Pflegebedürftige keine rechtlichen Zwangsmittel, dies gegenüber einem böswilligen Angehörigen durchzusetzen (vgl. § 888 Abs. 2 Zivilprozessordnung); jedenfalls wäre eine zwangsweise Durchsetzung faktisch nicht geeignet, eine sachgerechte Pflege zu erreichen. Ein genereller Ausschluss von häuslicher Krankenpflege, nur weil Haushaltsangehörige vorhanden sind, würde für den Fall, dass Pflege durch diese nicht geleistet wird, eine sachlich nicht gerechtfertigte Benachteiligung gegenüber alleinstehenden Pflegebedürftigen bedeuten."
Das BSG (a.a.O.) hat allerdings auch darauf hingewiesen, dass ein missbräuchliches Verhalten von Pflegebedürftigen und Haushaltsangehörigen zur Anwendbarkeit von § 37 Abs. 3 SGB V führen kann. Dies sei dann der Fall, wenn der Versicherte und/oder der Haushaltsangehörige sich "ohne nachvollziehbaren Grund" weigere, Maßnahmen der Behandlungspflege durchführen zu lassen bzw. durchzuführen. Dies trifft auf den Kläger und seine Lebensgefährtin jedoch nicht zu.
Der Kläger hat einen nachvollziehbaren Grund, sich die Kompressionsstrümpfe nicht von seiner Lebensgefährtin anziehen zu lassen oder dies auch nur von ihr zu verlangen oder zu erbitten. Er hat in der mündlichen Verhandlung vor der erkennenden Kammer seine Lebenssituation eindrücklich geschildert. Er hat von seiner früheren Lebensgefährtin, die ihn irgendwann verlassen habe, und seiner aktuellen neuen Beziehung berichtet. Seine Lebensgefährtin pflegt und versorgt ihn bereits 40 bis 50 Stunden pro Woche; sie verrichtet Tätigkeiten der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung. Der Kläger befürchtet aber, dass eine weitere Einbindung der Lebensgefährtin in seine Pflege auch diese Beziehung belastet und gefährdet. Er will nicht, dass – so hat er es ausgedrückt – seine Lebensgefährtin irgendwann in ihm nicht mehr den geliebten Menschen, sondern nur noch die zu pflegende Person sieht, und dann auch diese Beziehung zu Ende geht. Deshalb will er nicht, dass die Lebensgefährtin nun auch noch die weitere Behandlungspflegetätigkeit des Anziehens der Kompressionsstrümpfe übernimmt, auch wenn sie es zeitlich könnte. Diese vom Kläger vorgetragenen Gründe sind nicht nur nachvollziehbare, sondern auch überzeugende Gründe, den Ausschlusstatbestand des § 37 Abs. 3 SGB V nicht auf seine Lebensgefährtin anzuwenden.
Hatte der Kläger somit für die streitbefangenen Zeiträume einen nicht nach § 37 Abs. 3 SGB V ausgeschlossenen Anspruch auf die verordnete HKP "Anziehen von Kompressionsstrümpfen" einmal täglich/siebenmal wöchentlich, so hat die Beklagte es durch die angefochtenen Bescheide "zu Unrecht" (vgl. § 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Alternative SGB V) abgelehnt, die begehrte Sachleistung zu erbringen, sodass der Kläger gezwungen war, sich diese selbst zu beschaffen. Die ihm hierdurch entstandenen Kosten von 557,90 EUR hat ihm die Beklagte zu erstatten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Kammer hat die im Hinblick auf den Beschwerdewert an sich nicht statthafte Berufung zugelassen, weil sie der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimisst (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
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