Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 4 R 90/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 6/13
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Widerspruchsbescheid vom 11.01.2011 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Der Streitwert wird endgültig auf 830.581,73 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen eine Beitragsnachforderung.
Im Zeitraum vom 18.08.2008 bis 07.05.2009 führte die Beklagte bei der Firma L. GmbH (nachfolgend: Insolvenzschuldnerin) eine Betriebsprüfung durch. Mit Schreiben vom 08.05.2009 hörte die Beklagte die Insolvenzschuldnerin zu einer beabsichtigten Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen und Säumniszuschlägen für den Zeitraum vom 01.04.2006 bis 31.10.2008 in Höhe von 830.581,73 EUR an. Mit Bescheid vom 05.06.2009 forderte die Beklagte sodann von der Insolvenzschuldnerin Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 830.581,73 EUR für den in der Anhörung genannten Zeitraum nach. In der Nachforderung sind Säumniszuschläge in Höhe von 104.668,00 EUR enthalten. Zur Begründung führte die Beklagte an, die Insolvenzschuldnerin sei ihrer gesetzlich normierte Aufzeichnungspflicht nicht wahrheitsgemäß nachgekommen. Durch ihr Verhalten habe es die Insolvenzschuldnerin unmöglich gemacht, eine personenbezogene Zuordnung der tatsächlich geflossenen Entgelte durchzuführen.
Hiergegen erhob die Insolvenzschuldnerin am 10.06.2009 Widerspruch. Mit Be-schluss vom 16.12.2009 eröffnete das Amtsgericht Aachen über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin das Insolvenzverfahren und bestimmte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Die BARMER GEK meldete als Einzugsstelle daraufhin die Forderung aus dem Bescheid vom 05.06.2009 zur Insolvenztabelle an. Mit Schreiben vom 02.11.2010 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass Widerspruchsverfahren sei infolge der Insolvenzeröffnung unterbrochen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11.01.2011 wies die Beklagte den Widerspruch der Insolvenzschuldnerin gegenüber dem Kläger als unbegründet zurück. Die Beklagte habe bei ihren Feststellungen die von dem Hauptzollamt Aachen vorgelegten Unterlagen ausgewertet. Dass die Unterlagen des Hauptzollamts fehlerhaft ausgewertet worden seien, sei nicht erkennbar. Neue Unterlagen seien im Widerspruchsverfahren nicht vorgelegt worden.
Hiergegen erhob der Kläger am 10.02.2011 Klage.
Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte habe zu Unrecht gegenüber ihm als Insol-venzverwalter einen Widerspruchsbescheid erlassen. Die Beklagte habe keinen Zahlungsanspruch gegen die Insolvenzmasse. Forderungen aus einem Zeitpunkt vor Insolvenzeröffnung stellten Insolvenzforderungen dar. Insolvenzforderungen könnten lediglich durch die zuständige Einzugsstelle zur Insolvenztabelle gemeldet werden. Dies sei auch erfolgt. Forderungen, die zur Insolvenztabelle gemeldet worden seien, könnten nicht gleichzeitig von der Beklagten geltend gemacht werden. Spätestens mit dem Zeitpunkt, zu dem die Barmer GEK den Anspruch zur Insolvenztabelle gemeldet habe, habe die Beklagte ihre Aktivlegitimation verloren. Das Widerspruchsverfahren sei durch die Insolvenzeröffnung unterbrochen worden. Es könne nicht einseitig von der Beklagten wieder aufgenommen werden. Nach rechtskräftiger Verurteilung des Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin wegen Vorenthaltens und Veruntreuung von Arbeitsentgelt würden keine Einwände mehr gegen die Höhe der Beitragsnachforderung geltend gemacht. Zwischenzeitlich sei die Hauptforderung in Höhe von 725.913,73 EUR zur Insolvenztabelle angemeldet worden. Hinsichtlich der Säumniszuschläge bestünden Verhandlungen im Hinblick auf einen möglichen Erlass mit der Einzugsstelle.
Der Kläger beantragt,
den Widerspruchsbescheid vom 11.01.2011 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, sie sei berechtigt gewesen, den Widerspruchsbescheid gegenüber dem Kläger zu erlassen. Sie trägt vor, die Beklagte sei für die bindende Feststellung der Nachforderung zuständig. Aus diesem Grund habe die Barmer GEK wegen des Standes des sozialgerichtlichen Verfahrens wiederholt nachgefragt. Im Interesse der Versichertengemeinschaft sei die Beklagte verpflichtet, die Bindungswirkung des Bescheides herbeizuführen. Die Beklagte sei berechtigt gewesen, das Widerspruchsverfahren auch ohne Zustimmung des Klägers wieder aufzunehmen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die der Kammer vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Kläger ist durch den Widerspruchsbescheid vom 11.01.2011 im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig.
Die Beklagte war nicht berechtigt gegenüber dem Kläger den streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid zu erlassen. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist der Kläger gemäß § 148 Insolvenzordnung (InsO) als Partei kraft Amtes an die Stelle der Insolvenzschuldnerin getreten. Dies führt jedoch, entgegen der Annahme der Beklagten, nicht dazu, dass das Widerspruchsverfahren uneingeschränkt weitergeführt werden kann. Im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides war die Beklagte nicht befugt, die Beitragsnachforderung durch Verwaltungsakt festzustellen. Ihre Befugnisse werden von der InsO überlagert. Denn gemäß § 87 InsO können Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. Insolvenzforderungen sind bei dem Insolvenzverwalter zur Insolvenztabelle anzumelden (§§ 174 f. InsO). Bei den streitgegenständlichen Gesamtsozialversicherungsbeiträgen und Säumniszuschlägen handelt es sich um eine Insolvenzforderung im Sinne des § 38 InsO.
Nach Auffassung der Kammer gelten für die insolvenzrechtliche Behandlung von sozialrechtlichen Beitragsforderungen und Säumniszuschlägen vergleichbare Grundsätze wie bei Forderungen aus Steuerschuldverhältnissen. Ansprüche aus einem Steuerschuldverhältnis, die gemäß § 174 InsO als Insolvenzforderung zur Eintragung in die Tabelle anzumelden sind, dürfen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens von den Finanzämtern nicht mehr festgesetzt werden. Ein dennoch erlassener Steuerbescheid ist unwirksam. Der sich aus § 87 InsO ergebende Vorrang des Insolvenzverfahrens gegenüber dem Festsetzungs- und Feststellungsverfahren würde unterlaufen, wenn die Finanzämter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und vor Abschluss der Prüfungen gemäß §§ 176, 177 InsO noch mit Bindungswirkung Bescheide über die Feststellung oder Festsetzung von Besteuerungsgrundlagen erlassen dürften, die sich auf die Höhe der als Insolvenzforderung zur Eintragung in die Tabelle anzumeldenden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis auswirken könnten (vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW), Beschluss vom 13.04.2011, L 11 KA 133/10 B ER, L 11 KA 17/11 B ER, Rdnr. 37 in: jurisweb, m.w.N.).
Bereits bei Geltung der zwischenzeitlich außer Kraft getretenen Konkursordnung (KO) hat das Bundessozialgericht (vgl. Urteil vom 17.05.2011, B 12 KR 32/00 R, Rdnr. 18 in: jurisweb) in diesem Zusammenhang auf Folgendes hingewiesen: "Die Beklagte war allerdings nur befugt, die Höhe und den Vorrang nach § 61 Abs 1 Nr 1 Buchst e KO der als Konkursforderung geltend gemachten Säumniszuschläge durch Bescheid festzustellen. Einen Leistungsbescheid, dh einen Bescheid, aus dem gegebenenfalls gegenüber dem Konkursverwalter selbständig vollstreckt werden könnte, durfte sie dagegen nicht erlassen. ( )." An diesen Grundsätzen ist auch nach Inkrafttreten der InsO weiter festzuhalten (so auch: Sozialgericht (SG) Berlin, Urteil vom 14.02.2003, S 86 KR 2117/00, Rdnr. 21 in: jurisweb).
Bei dem streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid handelt es sich um einen Leistungsbescheid im o.g. Sinne. Denn der Widerspruchsbescheid regelt nicht nur, wie dies von der Beklagten vertreten wird, die Feststellung, dass der Beitragsbe-scheid rechtmäßig ist. Im SGG werden ebenso wie in der VwGO und FGO der ur-sprüngliche Verwaltungsakt und der Widerspruchsbescheid als Einheit gesehen (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 10. Auflage, § 95 Rdrn. 2). Auch der Widerspruchsbescheid ist Verwaltungsakt, der den ursprünglichen Verwaltungsakt möglicherweise geändert, ihm eine andere Gestalt gegeben hat (Leitherer, a.a.O, m.w.N.). Wäre die Beklagte berechtigt, einen Widerspruchsbescheid gegenüber dem Kläger zu erlassen, würde sie sich hierdurch entgegen der Vorschriften des Insolvenzrechts einen Vollstreckungstitel verschaffen. Dies führte zu einer unberechtigten Besserstellung des beklagten Sozialversicherungsträgers im Verhältnis zu den übrigen Insolvenzgläubigern, die ihre Insolvenzforderungen zur Insolvenztabelle melden können. Dies zugrunde gelegt war die Beklagte nicht berechtigt, gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter den streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid zu erlassen.
Eine Umdeutung des Widerspruchsbescheides in einen insolvenzrechtlichen Fest-stellungsbescheid scheidet im vorliegenden Verfahren ebenfalls aus. Denn die Feststellung der Beitragsforderung im Insolvenzverfahren unterliegt dem Zuständigkeitsbereich der Einzugsstelle und nicht der Beklagten.
Soweit der Kläger zudem ausführt, die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, das Widerspruchsverfahren bei Unterbrechung durch Insolvenzeröffnung einseitig wieder aufzunehmen, kann dies im vorliegenden Fall damit dahinstehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung in § 154 Abs. 1 Ver-waltungsgerichtsordnung. Die Beklagte hat als unterlegener Teil die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 des Gerichtskostengesetzes.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Der Streitwert wird endgültig auf 830.581,73 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen eine Beitragsnachforderung.
Im Zeitraum vom 18.08.2008 bis 07.05.2009 führte die Beklagte bei der Firma L. GmbH (nachfolgend: Insolvenzschuldnerin) eine Betriebsprüfung durch. Mit Schreiben vom 08.05.2009 hörte die Beklagte die Insolvenzschuldnerin zu einer beabsichtigten Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen und Säumniszuschlägen für den Zeitraum vom 01.04.2006 bis 31.10.2008 in Höhe von 830.581,73 EUR an. Mit Bescheid vom 05.06.2009 forderte die Beklagte sodann von der Insolvenzschuldnerin Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 830.581,73 EUR für den in der Anhörung genannten Zeitraum nach. In der Nachforderung sind Säumniszuschläge in Höhe von 104.668,00 EUR enthalten. Zur Begründung führte die Beklagte an, die Insolvenzschuldnerin sei ihrer gesetzlich normierte Aufzeichnungspflicht nicht wahrheitsgemäß nachgekommen. Durch ihr Verhalten habe es die Insolvenzschuldnerin unmöglich gemacht, eine personenbezogene Zuordnung der tatsächlich geflossenen Entgelte durchzuführen.
Hiergegen erhob die Insolvenzschuldnerin am 10.06.2009 Widerspruch. Mit Be-schluss vom 16.12.2009 eröffnete das Amtsgericht Aachen über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin das Insolvenzverfahren und bestimmte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Die BARMER GEK meldete als Einzugsstelle daraufhin die Forderung aus dem Bescheid vom 05.06.2009 zur Insolvenztabelle an. Mit Schreiben vom 02.11.2010 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass Widerspruchsverfahren sei infolge der Insolvenzeröffnung unterbrochen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11.01.2011 wies die Beklagte den Widerspruch der Insolvenzschuldnerin gegenüber dem Kläger als unbegründet zurück. Die Beklagte habe bei ihren Feststellungen die von dem Hauptzollamt Aachen vorgelegten Unterlagen ausgewertet. Dass die Unterlagen des Hauptzollamts fehlerhaft ausgewertet worden seien, sei nicht erkennbar. Neue Unterlagen seien im Widerspruchsverfahren nicht vorgelegt worden.
Hiergegen erhob der Kläger am 10.02.2011 Klage.
Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte habe zu Unrecht gegenüber ihm als Insol-venzverwalter einen Widerspruchsbescheid erlassen. Die Beklagte habe keinen Zahlungsanspruch gegen die Insolvenzmasse. Forderungen aus einem Zeitpunkt vor Insolvenzeröffnung stellten Insolvenzforderungen dar. Insolvenzforderungen könnten lediglich durch die zuständige Einzugsstelle zur Insolvenztabelle gemeldet werden. Dies sei auch erfolgt. Forderungen, die zur Insolvenztabelle gemeldet worden seien, könnten nicht gleichzeitig von der Beklagten geltend gemacht werden. Spätestens mit dem Zeitpunkt, zu dem die Barmer GEK den Anspruch zur Insolvenztabelle gemeldet habe, habe die Beklagte ihre Aktivlegitimation verloren. Das Widerspruchsverfahren sei durch die Insolvenzeröffnung unterbrochen worden. Es könne nicht einseitig von der Beklagten wieder aufgenommen werden. Nach rechtskräftiger Verurteilung des Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin wegen Vorenthaltens und Veruntreuung von Arbeitsentgelt würden keine Einwände mehr gegen die Höhe der Beitragsnachforderung geltend gemacht. Zwischenzeitlich sei die Hauptforderung in Höhe von 725.913,73 EUR zur Insolvenztabelle angemeldet worden. Hinsichtlich der Säumniszuschläge bestünden Verhandlungen im Hinblick auf einen möglichen Erlass mit der Einzugsstelle.
Der Kläger beantragt,
den Widerspruchsbescheid vom 11.01.2011 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, sie sei berechtigt gewesen, den Widerspruchsbescheid gegenüber dem Kläger zu erlassen. Sie trägt vor, die Beklagte sei für die bindende Feststellung der Nachforderung zuständig. Aus diesem Grund habe die Barmer GEK wegen des Standes des sozialgerichtlichen Verfahrens wiederholt nachgefragt. Im Interesse der Versichertengemeinschaft sei die Beklagte verpflichtet, die Bindungswirkung des Bescheides herbeizuführen. Die Beklagte sei berechtigt gewesen, das Widerspruchsverfahren auch ohne Zustimmung des Klägers wieder aufzunehmen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die der Kammer vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Kläger ist durch den Widerspruchsbescheid vom 11.01.2011 im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig.
Die Beklagte war nicht berechtigt gegenüber dem Kläger den streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid zu erlassen. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist der Kläger gemäß § 148 Insolvenzordnung (InsO) als Partei kraft Amtes an die Stelle der Insolvenzschuldnerin getreten. Dies führt jedoch, entgegen der Annahme der Beklagten, nicht dazu, dass das Widerspruchsverfahren uneingeschränkt weitergeführt werden kann. Im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides war die Beklagte nicht befugt, die Beitragsnachforderung durch Verwaltungsakt festzustellen. Ihre Befugnisse werden von der InsO überlagert. Denn gemäß § 87 InsO können Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. Insolvenzforderungen sind bei dem Insolvenzverwalter zur Insolvenztabelle anzumelden (§§ 174 f. InsO). Bei den streitgegenständlichen Gesamtsozialversicherungsbeiträgen und Säumniszuschlägen handelt es sich um eine Insolvenzforderung im Sinne des § 38 InsO.
Nach Auffassung der Kammer gelten für die insolvenzrechtliche Behandlung von sozialrechtlichen Beitragsforderungen und Säumniszuschlägen vergleichbare Grundsätze wie bei Forderungen aus Steuerschuldverhältnissen. Ansprüche aus einem Steuerschuldverhältnis, die gemäß § 174 InsO als Insolvenzforderung zur Eintragung in die Tabelle anzumelden sind, dürfen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens von den Finanzämtern nicht mehr festgesetzt werden. Ein dennoch erlassener Steuerbescheid ist unwirksam. Der sich aus § 87 InsO ergebende Vorrang des Insolvenzverfahrens gegenüber dem Festsetzungs- und Feststellungsverfahren würde unterlaufen, wenn die Finanzämter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und vor Abschluss der Prüfungen gemäß §§ 176, 177 InsO noch mit Bindungswirkung Bescheide über die Feststellung oder Festsetzung von Besteuerungsgrundlagen erlassen dürften, die sich auf die Höhe der als Insolvenzforderung zur Eintragung in die Tabelle anzumeldenden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis auswirken könnten (vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW), Beschluss vom 13.04.2011, L 11 KA 133/10 B ER, L 11 KA 17/11 B ER, Rdnr. 37 in: jurisweb, m.w.N.).
Bereits bei Geltung der zwischenzeitlich außer Kraft getretenen Konkursordnung (KO) hat das Bundessozialgericht (vgl. Urteil vom 17.05.2011, B 12 KR 32/00 R, Rdnr. 18 in: jurisweb) in diesem Zusammenhang auf Folgendes hingewiesen: "Die Beklagte war allerdings nur befugt, die Höhe und den Vorrang nach § 61 Abs 1 Nr 1 Buchst e KO der als Konkursforderung geltend gemachten Säumniszuschläge durch Bescheid festzustellen. Einen Leistungsbescheid, dh einen Bescheid, aus dem gegebenenfalls gegenüber dem Konkursverwalter selbständig vollstreckt werden könnte, durfte sie dagegen nicht erlassen. ( )." An diesen Grundsätzen ist auch nach Inkrafttreten der InsO weiter festzuhalten (so auch: Sozialgericht (SG) Berlin, Urteil vom 14.02.2003, S 86 KR 2117/00, Rdnr. 21 in: jurisweb).
Bei dem streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid handelt es sich um einen Leistungsbescheid im o.g. Sinne. Denn der Widerspruchsbescheid regelt nicht nur, wie dies von der Beklagten vertreten wird, die Feststellung, dass der Beitragsbe-scheid rechtmäßig ist. Im SGG werden ebenso wie in der VwGO und FGO der ur-sprüngliche Verwaltungsakt und der Widerspruchsbescheid als Einheit gesehen (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 10. Auflage, § 95 Rdrn. 2). Auch der Widerspruchsbescheid ist Verwaltungsakt, der den ursprünglichen Verwaltungsakt möglicherweise geändert, ihm eine andere Gestalt gegeben hat (Leitherer, a.a.O, m.w.N.). Wäre die Beklagte berechtigt, einen Widerspruchsbescheid gegenüber dem Kläger zu erlassen, würde sie sich hierdurch entgegen der Vorschriften des Insolvenzrechts einen Vollstreckungstitel verschaffen. Dies führte zu einer unberechtigten Besserstellung des beklagten Sozialversicherungsträgers im Verhältnis zu den übrigen Insolvenzgläubigern, die ihre Insolvenzforderungen zur Insolvenztabelle melden können. Dies zugrunde gelegt war die Beklagte nicht berechtigt, gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter den streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid zu erlassen.
Eine Umdeutung des Widerspruchsbescheides in einen insolvenzrechtlichen Fest-stellungsbescheid scheidet im vorliegenden Verfahren ebenfalls aus. Denn die Feststellung der Beitragsforderung im Insolvenzverfahren unterliegt dem Zuständigkeitsbereich der Einzugsstelle und nicht der Beklagten.
Soweit der Kläger zudem ausführt, die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, das Widerspruchsverfahren bei Unterbrechung durch Insolvenzeröffnung einseitig wieder aufzunehmen, kann dies im vorliegenden Fall damit dahinstehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung in § 154 Abs. 1 Ver-waltungsgerichtsordnung. Die Beklagte hat als unterlegener Teil die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 des Gerichtskostengesetzes.
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