Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
12
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 12 SB 168/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 27.10.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2012 verurteilt, den GdB der Klägerin ab dem 27.05.2011 mit 40 sowie ab dem 11.09.2012 mit 60 zu bewerten. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen G, aG, B, H rund RF streitig.
Die am 00.00.0000 geborene Klägerin stellte am 27.05.2011 einen Antrag auf Feststellung eines GdB sowie der Merkzeichen G, aG, B, H und RF. Zur Begründung gab sie an, sie habe starke Arthrose in den Händen, Ellenbogen, Knien, Füßen und Rücken. Darüber hinaus bestünden eine Herzkranzverengung, Magengeschwüre und eine Sehschwäche. Zudem würde das Bestehen einer akuten Fallsucht und einer Harninkontinenz derzeit medizinisch überprüft.
Der Beklagte holte Befundberichte der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. V., des Augenarztes Dr. T., des Orthopäden Dr. K. sowie des Internisten H. ein und werte diese durch seinen ärztlichen Berater Dr. H. aus. Dieser kam zu der Einschätzung, bei der Klägerin bestehe eine Sehminderung (Einzel-GdB: 20), eine Funktionsstörung der unteren Gliedmaßen (Einzel-GdB: 20), eine Funktionsstörung im Gleichgewichtssinn (Einzel-GdB: 20) und Funktionsstörungen der oberen Gliedmaßen (Einzel-GdB: 10). Der Gesamt-GdB sei mit 30 zu bewerten, Merkzeichen kämen nicht in Betracht.
Mit Bescheid vom 27.10.2011 stellte der Beklagte den GdB der Klägerin mit 30 fest.
Hiergegen legte die Klägerin am 15.11.2011 Widerspruch mit der Begründung ein, der festgestellte GdB spiegle die gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht zutreffend wieder. Sie verwies insoweit auf das Pflegegutachten des MDK Nordrhein vom November 2011, wonach ihr die Pflegestufe I zustehe.
Der ärztliche Berater des Beklagten kam zu der Einschätzung, dass als weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen eine Stuhlhalteschwäche sowie eine psychische Störung bei der Klägerin mit in die Bewertung einfließen müsse. Diese bedingten aber jeweils nur einen GdB von 10, weswegen der Gesamt-GdB mit 30 weiter angemessen sei.
Die Bezirksregierung Münster wies den Widerspruch daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 13.01.2012 als unbegründet zurück.
Am 09.02.2012 hat die Klägerin Klage erhoben.
Das Gericht hat zunächst Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten des Orthopdäden Dr. K. und des Urologen Dr. E. sowie durch Einholung von Gutachten des Orthopäden Dr. D. und der Fachärztin für Nervenheilkunde, Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Sch. Im Anschluss daran hat es überdies einen Befundbericht der HNO-Ärztin Dr. V. eingeholt. Am 05.03.2013 hat ein Termin zur mündlichen Verhandlung stattgefunden, zu dem die Klägerin – deren persönliches Erscheinen nicht angeordnet gewesen ist – nicht erschienen ist.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 27.10.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2012 zu verurteilen, einen GdB von mehr als 30 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen G, aG, B, H und RF festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
ihn unter Aufhebung des Bescheides vom 27.10.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2012 zu verurteilen, den GdB der Klägerin ab dem 27.05.2011 mit 40 sowie ab dem 11.09.2012 mit 60 zu bewerten.
Darüber hinaus beantragt er,
die Klage abzuweisen.
Er vertritt unter die Auffassung, dass auf Grundlage der durchgeführten Beweiserhebung der GdB zu gering bewertet war. Bei Antragstellung habe der Klägerin ein GdB von 40 zugestanden. Durch den zuletzt eingeholten HNO-ärztlichen Befundbericht sei nunmehr eine Verschlechterung der Hörfähigkeit nachgewiesen. Ab dem Untersuchungsdatum komme – unter Berücksichtigung der Ausführungen der Kammer im Rahmen der mündlichen Verhandlung – daher der GdB von 60 in Betracht. Da ein entsprechendes Vergleichsangebot durch die Klägerin im Termin nicht angenommen werden könne, möge das Gericht wie durch ihn beantragt entscheiden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sei auf die beigezogenen Verwaltungsakten sowie die Gerichtsakte Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der einseitig streitigen Verhandlung am 05.03.2013 gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Klage ist zulässig, insbesondere richtet sie sich gegen den richtigen Klagegegner.
Durch § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen – Eingliederungsgesetz - (Art. 1 Abschnitt I des Zweiten Gesetzes zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen vom 30.10.2007, GV. NRW S. 482 – Straffungsgesetz –) hat der Landesgesetzgeber die den Versorgungsämtern nach §§ 69 und 145 SGB des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – (SGB IX) zugewiesenen Aufgaben in zulässiger Weise mit Wirkung vom 01.01.2008 auf die Kreise und kreisfreien Städte übertragen (vgl. dazu Landessozialgericht – LSG - Nordrhein-Westfalen Urteil vom 12.02.2008 - L 6 SB 101/06; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 05.03.2008 - L 10 SB 40/06; zur Anwendung des Behördenprinzips in Nordrhein-Westfalen bei sozialgerichtlichen Streitigkeiten, vgl. Bundessozialgericht – BSG – Urteil vom 24.03.2009, B 9 SO 29/07 R). Die Zuständigkeit der Bezirksregierung Münster zur Entscheidung über den Widerspruch ergibt sich aus § 2 Abs. 2 Satz 2 Eingliederungsgesetz in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 25.10.2011 (GV. NRW S. 542; vgl. dazu auch LSG NRW Beschluss vom 16.01.2012 – L 10 SB 197/11 = juris Rn. 16; LSG NRW Urteil vom 6.12.2009 - L 10 SB 39/09 = juris Rn. 23 ff.).
II.
Die Klage ist teilweise begründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG insoweit beschwert, als bei ihr ab Antragstellung am 27.05.2011 ein GdB von 40 sowie ab dem 11.09.2011 ein GdB von 60 festzustellen ist (dazu unter II 1). Soweit die Klägerin die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Merkzeichen begehrt hat, war die Klage unbegründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide insoweit nicht beschwert, da die Ablehnung der Merkzeichen rechtmäßig war. Der Klägerin stehen die begehrten Merkzeichen nicht zu (dazu unten II 2-5).
1.
Nach § 2 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion oder geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX werden die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach 10er Graden abgestuft dargestellt. Bei dem Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.
Die Bemessung des Gesamt-GdB hat dabei in mehreren Schritten zu erfolgen und ist tatrichterliche Aufgabe (BSG Beschluss vom 09.12.2010 – B 9 SB 35/10 B = juris Rn. 5 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).
Zunächst sind unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens die einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinn von regelwidrigen, von der Norm abweichenden Zuständen gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX und die daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. Sodann sind diese den in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. Schließlich ist unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen in einer Gesamtschau der Gesamt-GdB zu bilden (BSG Urteil vom 30.09.2009 – B 9 SB 4/08 R = juris Rn. 18 m. w. N.; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).
Nach Teil A Ziffer 3 der Anlage zu § 2 der aufgrund § 30 Abs. 17 Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erlassenen Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (BGBl. I 2008, S. 2412 - Versorgungsmedizin-Verordnung) vom 10.12.2008 (Versorgungsmedizinische Grundsätze), die wegen § 69 Abs. 1, Satz 4 SGB IX auch im Schwerbehindertenrecht zur Anwendung kommt, sind zur Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung rechnerische Methoden, insbesondere eine Addition der Einzelgrade der Behinderung, nicht zulässig. Vielmehr ist bei der Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad der Behinderung bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad der Behinderung 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Hierbei ist gemäß Teil A Ziffer 3 lit. d) ee) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu beachten, dass leichtere Gesundheitsstörungen mit einem Einzelgrad der Behinderung von 10 nicht zu einer Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung führen, selbst wenn mehrere dieser leichteren Behinderungen kumulativ nebeneinander vorliegen. Auch bei Leiden mit einem Einzelgrad der Behinderung von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine Zunahme des Gesamtausmaßes der Behinderung zu schließen.
Schließlich sind bei der Festlegung des Gesamt-GdB zudem die Auswirkungen im konkreten Fall mit denjenigen zu vergleichen, für die in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen feste GdB-Werte angegeben sind (BSG Urteil vom 02.12.2010 –B 9 SB 4/10 R = juris Rn. 25; vgl. auch Teil A Ziffer 3 lit. b) Versorgungsmedizinische Grundsätze).
Die Klägerin leidet zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung unter
a) Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule b) Funktionseinschränkung linkes Kniegelenk c) Vorfußdeformität d) Funktionseinschränkungen beider Schultergelenke e) Funktionseinschränkungen beider Hände bei Fingervielgelenksverschleiß f) Sehminderung g) Harnhalteschwäche h) Funktionsstörung im Gleichgewichtssinn i) Schwerhörigkeit bds. j) Asthenische Persönlichkeitsstruktur k) Funktionseinschränkungen des Herz-Kreislaufsystems l) Stuhlhalteschwäche m) Magenbeschwerden, Sodbrennen
Das Vorliegen dieser Gesundheitsbeeinträchtigungen steht nach Auffassung der Kammer aufgrund der im Verwaltungs- und Klageverfahren eingeholten Befund- und Arztberichte sowie der Gutachten des Herrn des Dr. D. und der Frau Dr. Sch. fest.
Die Gutachten beruhen auf umfangreichen Untersuchungen, die von erfahrenen medizinischen Gutachtern unter Einsatz von diversen Hilfsmitteln durchgeführt worden sind. Die Kammer hat keinen Anlass an der Richtigkeit und Vollständigkeit der in den Gutachten erhobenen medizinischen Befunde zu zweifeln. Substantiierte Einwendungen gegen die medizinischen Feststellungen sind von den Beteiligten ebenfalls nicht vorgebracht worden. Soweit der Beklagte im Verfahren die Auffassung vertreten hatte, die Bildung eines GdB komme ohne Vorlage eines Sprachaudiogramms nicht in Betracht, so sieht die Kammer diese Rechtsauffassung als nicht von den Vorgaben der Versorgungsmedizinischen Grundsätze gedeckt an. Diese stellen ausdrücklich auch auf die Ermittlung des GdB anhand von Tonaudiogrammen ab. Die Kammer verkennt hierbei nicht, dass der Sachverständigenbeirat bereits in den Jahren 1989 und 1991 kritisch hinterfragt hat, ob die Auswertung eines Tonaudiogramms bei der Beurteilung des GdB ausreiche. Allerdings hat die Forderung nach einem Sprachaudiogramm als conditio sine qua non für die Bewertung der Schwerhörigkeit keinen Niederschlag in den seit 2009 geltenden Versorgungsmedizinischen Grundsätzen gefunden. Dort wird unter Teil B Ziffer 5.2.2 vielmehr ausdrücklich auch auf das Tonaudiogramm Bezug genommen (vgl. allgemein zur Bestimmung des GdB bei Schwerhörigkeit, Feldmann/Brusis, Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohrenarztes, 7. Aufl. 2012, S 155 ff.).
a) Für das Funktionssystem der Wirbelsäule ist gemäß Teil B Ziffer 18.9 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze von einem GdB von 20 auszugehen, der soeben erreicht wird. Der Gutachter Dr. D. hat in seinem Gutachten im Bereich der Hals- und Brustwirbelsäule keine entscheidenden Beeinträchtigungen festgestellt. Das Drehen der Kopfs war mit (60°/0°/60°) und das Neigen mit 30°/0°/30° – unter Beachtung des Alters der Klägerin – lediglich endgradig eingeschränkt. Beschwerden wurden hierbei nicht beklagt. Die Entfaltbarkeit der Brustwirbelsäule war auch weitgehend altersentsprechend normgerecht (Ott’sches Zeitchen 30/33 cm; vgl. zu den Werten nach Schober und Ott, Wülker (Hrsg.), Orthopädie und Unfallchirurgie, 2. Aufl. 2010, S. 224). Im Bereich der Brustwirbelsäule fanden sich allerdings muskuläre Verspannungen. Die Lendenwirbelsäule war demgegenüber etwas stärker eingeschränkt. Der Finger-Boden-Abstand betrug 24 cm. Das Schober-Zeichen konnte mit 9/10/13 cm bestimmt werden. Rechts- und Linksneigen war soweit möglich, dass die Fingerspitzen 10 cm oberhalb der Kniefalten positioniert wurden. Das Rückneigen gelang bis 10°. Anders als im Bereich der HWS und BWS wurden hier die maximalen Bewegungsausschläge als lokal schmerzhaft angegeben, insbesondere das Rückneigen. Insgesamt ist damit von mittelgradigen funktionellen Auswirkungen der Lendenwirbelsäule auszugehen, was einen GdB von 20 bedingt.
b) – c) Für den Bereich der unteren Extremitäten waren vor allem Einschränkungen im Bereich des linken Kniegelenks zu berücksichtigen. Zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. D. war dort eine leichte Schwellung der Gelenkinnenhaut festzustellen. Der Klägerin gelang eine maximale Beugung bis 110° bei voller Streckfähigkeit. Zudem bestand eine prall gefüllte Backerzyste im Bereich der Kniekehle. Das rechte Knie konnte maximal bis 130° gebeugt werden, bei voller Streckfähigkeit. Für die Beeinträchtigung des linken Knies ist gemäß Teil B Ziffer 18.14 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit einem GdB von 20 in Ansatz zu bringen. Die beginnenden Verschleißerscheinungen in beiden Vorfüssen erhöhen den GdB für die unteren Extremitäten demgegenüber nicht weiter.
d) – e) Im Bereich der oberen Extremitäten sind zum einen die Beeinträchtigung der Schultern sowie insbesondere der Hände zu berücksichtigen. Die Klägerin konnte im Rahmen der vom Gutachter durchgeführten dynamischen Untersuchung den Schürzen- und Nackengriff knapp bis zu den gegenüberliegenden Fingersitzen durchführen. Der rechte Arm ließ sich aktiv bis 150° nach vorne heben und 90° abspreizen, der linke bis 130° nach vorne heben und 80° abspreizen. Dies bedingt nach Teil B Ziffer 18.13 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze einen GdB von 10. Bei beiden Händen der Klägerin zeigte sich in der Untersuchung ein ausgeprägter Fingervielgelenksverschleiß. Es bestanden Verdickungen der Daumesattelgelenke und aller Finger- und Endgelenke. Der Faustschluss war inkomplett. Übungen wie "Klavierspielen" oder "Einschrauben einer Glühbirne" konnten nur ungelenk gezeigt werden. Beim Pinzettengriff konnte der Daumen die Fingerkuppen 2 und 3 knapp erreichen. Zwischen dem Daumen und den Fingerkuppen 4 und 5 verblieb eine Differenz von 1 cm. Unter Berücksichtigung ihrer nicht unerheblich eingeschränkten Gebrauchsfähigkeit ist der GdB für beide Hände gemäß Teil B Ziffer 18.13 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit 30 zu bewerten. Dieser bildet auch insgesamt den GdB für das Funktionssystem der oberen Extremitäten.
f) Für das Funktionssystem der Augen ist die Sehschwäche der Klägerin zu berücksichtigen. Der Visus der Klägerin beträgt – ausweislich der Befundberichts des Dr. T. – rechts 0,6 und links 0,6 bei vorhandener Kunstlinse nach Cataract-Operation. Dies bedingt gemäß Teil B Ziffer 4.2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze einen GdB von 20.
g) Die Beeinträchtigungen durch Harninkontinenz, die sich aus dem Befundbericht des Dr. E. ergibt, bedingt einen GdB von 10.Die Inkontinenz tritt lediglich bei Belastungen körperlicher Art (Husten, Niesen, schweres Tragen) auf. Es handelt sich demnach um eine leichtere Inkontinenz. Die Harninkontinenz ist gemäß Teil B Ziffer 12.2.4 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit einem GdB von 10 zu bewerten.
h)- i) Für das Funktionssystem des Hör- und Gleichgewichtsorgans sind zum einen die beidseitige Schwerhörigkeit der Klägerin sowie zum anderen der von der Klägerin geklagte Schwindel zu berücksichtigen. Hinsichtlich des Schwindels ließen sich bei der Untersuchung durch die Neurologin Dr. Sch. Hinweise auf einen Nystagmus, eine Ataxie oder sonstige Hinweise betreffend den Ausfall des Gleichgewichtsorgans nicht feststellen. Die Gutachterin geht daher davon aus, dass es sich insgesamt eher um eine Reaktion der Klägerin auf die festgestellten Beeinträchtigungen im orthopädischen Bereich handelte. Erheblich ins Gewicht fällt aber die Hypakusis bds. der Klägerin. Die erhebliche Schwerhörigkeit der Klägerin ist erstmalig durch das Tonaudiogramm vom 11.09.2012 nachgewiesen. Ausweislich dieses Tonaudiogramms beläuft sich der GdB der Klägerin nach Teil B Ziffer 5.2.2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze nach Auffassung der Kammer auf 40. Dies bildet auch den GdB für das Funktionssystem Hör- und Gleichgewichtsorgan insgesamt. Die Feststellung des GdB von 40 für diesen Bereich kommt aber erst ab dem Zeitpunkt des Nachweises durch das bereits benannte Tonaudiogramm in Betracht. Für die Zeit davor ist eine Schwerhörigkeit in diesem Maße nicht nachgewiesen. Das Pflegegutachten aus November 2011 berichtet vielmehr ausdrücklich von einer leichten Schwerhörigkeit der Klägerin. Bis zur nachgewiesenen Verschlimmerung war die Einschätzung des Beklagten für den Bereich Ohren und Gleichgewicht mit 20 daher nicht zu beanstanden.
j) Für den Bereich des Funktionssystems Nerven und Psyche ist gemäß Teil B Ziffer 3.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze von dem Vorliegen leichterer psychovegetativer oder psychischer Störungen auszugehen. Die Klägerin hat – wie die Gutachterin Dr. Sch. festgestellt hat – eine asthenische Persönlichkeitsstruktur (vgl. hierzu etwa Batra/Wassmann/Buchkremer, Verhaltenstherapie, 2. Aufl. 2006, S 300 ff.). Die Klägerin zeigt sich, so die Feststellungen der Gutachterin, im Persönlichkeitsprofil zwar in maximalem Maße sozial verantwortlich, dies jedoch vor dem Hintergrund einer eigenen hohen Instabilität. Sie engagierte sich – bis in die jüngste Vergangenheit – in verschiedenen Gruppierungen (Frauengemeinschaft, Pfarrgemeinderat, verschiedene Vereine) ohne hierbei die eigenen Ressourcen, Bedürfnisse und Wünsche zu verwirklichen. Die aktuelle Situation wird von ihr als Stillstand empfunden, worauf sie mit Resignation reagiert. Hinzu kommt die nicht verarbeitete Trauer um die verstorbene Tochter, die die Klägerin insbesondere organisch auslebt.
Vor dem Hintergrund aber, dass die Klägerin bislang keine kontinuierliche nervenärztliche Behandlung in Anspruch genommen hat und auch keine adäquate Medikation erfolgt – die Klägerin "hilft sich" selbst mit Tranquilizern (Lexostad®, Wirkstoff: Bromazepam), die sie abends einnimmt und die sie auf Privatrezept erhält. Darüber hinaus nimmt sie Dioxepin in ausgesprochen geringer Dosierung ein. Insgesamt ist mit der Gutachterin noch nicht von wesentlichen Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit auszugehen, so dass ein GdB von 30 nicht in Betracht kommt. Der GdB ist vielmehr derzeit noch mit 20 angemessen bewertet.
k) Die Klägerin leidet unter Bluthochdruck. Bei der Untersuchung durch Frau Dr. Sch. betrug der Blutdruck zunächst RR 160/90 mmHg, stieg auf 210/100 mmHg, sank auf 180/110 mmHg, um nach Gabe von Adalat® auf 160/90 mmHg hinunterzugehen. Grundsätzlich nimmt die Klägerin Bisobeta®, was sie am Morgen der Untersuchung jedoch vergessen hatte. Aufgrund der gemessenen Werte hat die Gutachterin der Klägerin geraten, sich umgehend diesbezüglich untersuchen zu lassen. Auch in der Vergangenheit haben sich zwar durchaus bereits kardiologische Probleme gezeigt. Längerfristige gesundheitliche Beeinträchtigungen im Funktionssystem Herz-Kreislauf, die einen GdB von mehr als 10 bedingten haben sich bislang jedoch nicht objektivieren lassen. Eine aktuelle fachkardiologische Behandlung findet nicht statt.
l)-m) Die Stuhlhalteschwäche bedingt – vor dem Hintergrund, dass diese, wie auch die Harninkontinenz - lediglich bei Belastungen körperlicher Art (Husten, Niesen, schweres Tragen) auftritt, gemäß Teil B Ziffer 10.2.4 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze einen GdB von 10. Darüber hinaus bestehen bei der Klägerin auch Magenbeschwerden und Sodbrennen. Die Klägerin nimmt diesbezüglich morgens und abends eine Tablette Omep®. Auch wurde im März 2012 eine ausgeprägte Simgadivertiukolse beschrieben, allerdings ohne Komplikationen. Wesentliche Beschwerden werden – mit Ausnahme der Stuhlinkontinenz - von der Klägerin diesbezüglich nicht geschildert. Insgesamt kommt ein höherer GdB als 10 derzeit somit nicht in Betracht.
Auf der Grundlage der genannten Einzel-GdB-Werte ist bei der Klägerin für den streitbefangenen Zeitraum nach § 69 Abs. 3 SGB IX in Verbindung mit Teil A Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein Gesamt-GdB zu bilden.
§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX schreibt vor, bei Vorliegen mehrerer Teilhabebeeinträchtigungen den Grad der Behinderungen nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzusetzen. Der maßgebliche Gesamt-GdB ergibt sich dabei aus der Zusammenschau aller Funktionsbeeinträchtigungen. Er ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung der Sachverständigengutachten sowie der versorgungsmedizinischen Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung nach natürlicher, wirklichkeitsorientierter und funktionaler Betrachtungsweise festzustellen (LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 42 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 9/97 R = juris Rn. 10 m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, ob die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen, sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen (BSG Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R = juris).
Im vorliegenden Fall ist die Zäsur zu beachten, die der Nachweis der erheblichen Schwerhörigkeit der Klägerin am 11.09.2012 darstellt. Bis zu diesem Zeitpunkt war der GdB ausgehend von dem GdB von 30 für die Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten zu ermitteln. Die daneben bestehenden Beeinträchtigungen der unteren Extremitäten, der Wirbelsäule, der Augen des Gleichgewichtssinns und Psyche erhöhten den GdB insgesamt auf 40. Hierbei war insbesondere zu berücksichtigen, dass die Beeinträchtigungen der Psyche und die der orthopädischen Beeinträchtigungen sich in weiten Teilen überschnitten. Eine Doppelbewertung war insoweit zu vermeiden. Die vorhandenen Beeinträchtigungen der Wirbelsäule, der Augen, der unteren Gliedmaße und des Gleichgewichtssinns waren für sich allein nicht geeignet, den Gesamt-GdB zu erhöhen. In der Zusammenschau erschien jedoch ein GdB von 40 durchaus angemessen. Die Feststellung eines Gesamt-GdB von 50 kam nach Auffassung der Kammer zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Betracht. Dies auch schon deshalb nicht, weil sich das das Gesamtausmaß der Behinderung der Klägerin insgesamt nicht mit einem einzelnen Gesundheitsschaden vergleichen ließ, für den die Versorgungsmedizinischen Grundsätze einen festen GdB-Wert von 50 angeben, wie es Teil A Nr. 3 lit b) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze vorschreibt (vgl. hierzu auch LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 49 ff. unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BSG und den hierzu vertretenen Meinungsstand in der Literatur). Eine Vergleichbarkeit mit Menschen, mit Wirbelsäulenschäden mit besonders schweren Auswirkungen, wie z. B. die Versteifung großer Teile der Wirbelsäule – eine Beeinträchtigung, die nach Teil B Nr. 18.9 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit einem Einzel-GdB von 50 zu bewerten ist – lag nicht vor. Eine vergleichbare Einschränkung der Beweglichkeit und Mobilität und damit der gesellschaftlichen Teilhabe ist bei der Klägerin - auch unter zusätzlicher Berücksichtigung der übrigen Erkrankungen – nicht gegeben. Auch eine Vergleichbarkeit etwa mit Personen mit schweren psychischen Störungen ist nicht gegeben.
Ab dem 11.09.2012 war neben den bis dahin vorhandenen Beeinträchtigungen zudem die beidseitige Schwerhörigkeit der Klägerin mit in die Bewertung des Gesamt-GdB einzubeziehen. Ab diesem Zeitpunkt betrug der GdB für das Funktionssystem der Ohren und des Gleichgewichtssinns 40. Die erhebliche Beeinträchtigung der Ohren in Verbindung mit den übrigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen lässt nach Auffassung der Kammer ab diesem Zeitpunkt einen Gesamt-GdB von 60 als angemessen erscheinen.
2. Die Feststellung das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen der Inanspruchnahme des Merkzeichens G kommt nicht in Betracht.
Gemäß § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sind, Anspruch auf unentgeltliche Beförderung. Nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.
Die Länge der in § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX genannten Wegstrecke ist gesetzlich nicht geregelt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts beträgt die üblicherweise im Ortsverkehr zurückgelegte Strecke zwei Kilometer, die etwa in einer halben Stunde zurückgelegt werden (vgl. etwa BSG Urteil vom 10.12.1987 - 9a RVs 11/87 = juris Rn. 13 ff.; BSG Urteil vom 13.08.1997- 9 RVs 1/96 = juris Rn. 19; BSG Urteil vom 27.08.1998 - B 9 SB 13/97 R = juris Rn. 15).
Erläuternde Feststellungen zur Zuerkennung des Merkzeichens G enthält Teil D Ziffer 1 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (zur Qualifikation der Versorgungsmedizinischen Grundsätze als Erläuterungen vgl. LSG NRW Urteil vom 13.07.2010 – 6 SB 133/09 = juris Rn. 27 – zum Merkzeichen aG). Die Frage, ob die Versorgungsmedizinischen Grundsätze darüber hinaus als Rechtsverordnung verbindliche Festlegungen enthalten ist umstritten. So wird teilweise die Auffassung vertreten, eine Ermächtigungsgrundlage zur Schaffung einer Rechtsverordnung betreffend die im SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche sei nicht gegeben. Insbesondere enthalte der durch die Versorgungsmedizin in Bezug genommene Regelung des § 30 Abs. 17 BVG a.F. (nunmehr § 30 Abs. 16 BVG) keine entsprechende Ermächtigung (vgl. Dau, jurisPR-SozR 4/2009 Anm. 4; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.10.2012 – L 8 SB 1914/10 = juris Rn. 26). Die Regelungen der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zum Nachteilsausgleich G seien damit mangels entsprechender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig. Rechtsgrundlage seien daher allein die genannten gesetzlichen Bestimmungen und die hierzu in ständiger Rechtsprechung anzuwendenden Grundsätze.
Die Kammer schließt sich dieser Auffassung an. Sie ist gleichwohl der Ansicht, dass die Feststellungen des Teil D Ziffer 1 mit in die Bewertung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens G mit einbezogen werden können, wenngleich freilich nicht als Rechtsgrundlage im Sinne einer Rechtsverordnung.
Die Feststellungen in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen werden auf Grundlage des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze evidenzbasierter Medizin erstellt und fortentwickelt, vgl. § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung. Sie enthalten – im Hinblick auf das Merkzeichen G – im Wesentlichen die gleichen Regelungen, wie bereits Ziffer 30 der vom Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX), zuletzt aus dem Jahr 2008, (AHP 2008). Die AHP 2008 beschrieben in Ziffer 30 Abs 3 bis 5 Regelfälle, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G als erfüllt anzusehen waren und die bei der Beurteilung einer dort nicht erwähnten Behinderung als Vergleichsmaßstab dienen konnten. Sie gaben an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, bevor angenommen werden konnte, dass ein Behinderter infolge einer Einschränkung des Gehvermögens "in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist" (BSG Urteil vom 24.04.2008 - B 9/9a SB 7/06 R = juris Rn. 12; BSG Urteil vom 13.08.1997 - 9 RVs 1/96 = juris Rn. 19). Die Festlegungen der Anhaltspunkte sind von der Rechtsprechung – als antizipierte Sachverständigengutachten – bei der Frage der Beurteilung der Zuerkennung von Merkzeichen zugrundegelegt worden.
Eine entsprechende Funktion erfüllen auch die nunmehr in Teil D Ziffer 1 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze dargelegten Regelungen (für eine Anwendung der in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen dargelegten Anforderungen auch Bayerisches LSG Urteil vom 26.09.2012 – L 15 SB 46/09 = juris Rn. 61; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Urteil vom 19.12.2011 - L 13 SB 12/08 = juris Rn. 29; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Urteil vom 16.11.2011 – L 11 SB 67/09 = juris Rn. 34; wohl auch LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 09.08.2012 – L 10 SB 10/12 = juris Rn. 15; LSG NRW Urteil vom 13.07.2010 – L 6 SB 133/09 = juris Rn. 29 – zu aG; a.A. offensichtlich LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 12.10.2011 – L 6 SB 3032/11 = juris Rn. 39 ff.; Vogl in: jurisPK-SGB IX, § 146 SGB IX Rn. 5).
Bei der Klägerin liegen keine wesentlichen Einschränkungen der Bewegungsfähigkeit vor, die entsprechend obiger Vorgaben die Zuerkennung des Merkzeichens G rechtfertigen würden. Die Beeinträchtigung der unteren Gliedmaße bedingt einen GdB von lediglich 20.
Darüber hinaus können freilich die Voraussetzungen für das Merkzeichen G auch bei inneren Leiden gegeben sein, wenn sich diese negativ auf das Gehvermögen auswirken. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit etwa auch bei bestimmten schwereren Herzbeeinträchtigungen oder Atembehinderungen sowie auch bei hirnorganischen Anfällen anzunehmen. Bei letzteren kommt es dabei maßgeblich auf die Art und Häufigkeit der Anfälle sowie die Tageszeit des Auftretens an. Das Merkzeichen G kommt bei hirnorganischen Anfällen bei einer mittleren Anfallshäufigkeit mit einem GdB von wenigstens 70 in Betracht, wenn die Anfälle überwiegend am Tage auftreten (vgl. Teil D Ziffer 1 lit. e) Versorgungsmedizinische Grundsätze in der Fassung der Ersten Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung -1.VersMedVÄndV; vgl. dazu auch LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 16.11.2011 – L 11 SB 67/09 = juris Rn. 52 ff.). Schließlich sind auch bei Störungen der Orientierungsfähigkeit, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit führen, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichen G gegeben. Dies ist etwa bei Sehbehinderungen mit einem GdB von wenigstens 70 anzunehmen; bei Sehbehinderungen, die einen GdB von 50 oder 60 bedingen, nur in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit beidseits, geistige Behinderung) anzunehmen. Bei Hörbehinderung ist die Annahme solcher Störungen nur bei Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit im Kindesalter (in der Regel bis zum 16. Lebensjahr - Beendigung der Gehörlosenschule) oder im Erwachsenenalter bei diesen Hörstörungen in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. Sehbehinderung, geistige Behinderung) gerechtfertigt. Entsprechende Störungen, die danach die Zuerkennung des Merkzeichens G rechtfertigen könnten, liegen bei der Klägerin ebenfalls nicht vor. Insbesondere liegt bei der Klägerin kein Anfallsleiden vor. Die von der Klägerin und den Gutachtern beschrieben Unsicherheit der Klägerin bei Bewegungsabläufen rechtfertigt die Annahme des Merkzeichens G nach Auffassung der Kammer jedenfalls noch nicht.
3. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Feststellung außergewöhnlichen Gehbehinderung im Sinne des § 6 Abs 1 Nr 14 StVG oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, und damit auch nicht auf Feststellung des Merkzeichens "aG" (vgl. hierzu und zu den sich aus dem Merkzeichen ergebenden rechtlichen Folgen, BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R = juris Rn. 11; BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R = juris Rn. 15). Ausgangspunkt für die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung ist Abschnitt II Nr 1 zu § 46 Abs 1 Nr 11 VwV-StVO (neu bekannt gemacht am 26. Januar 2001, BAnz 2001, Nr 21, S 1419). Hiernach ist außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG), wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind. Die Klägerin – bei der wie unter 2. dargelegt schon die Voraussetzungen für das Merkzeichen G nicht gegeben sind – ist den hier genannten Personen keinesfalls gleichzustellen.
4. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens H.
In den Schwerbehindertenausweis ist das Merkzeichen H einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch hilflos im Sinne des § 33b Einkommenssteuergesetz (EStG) oder entsprechender Vorschriften ist, vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 2 Schwerbehinderten-ausweisverordnung. Entsprechend § 33b Abs. 6 Satz 3 EStG ist derjenige als hilflos anzusehen, der infolge von Gesundheitsstörungen nicht nur vorübergehend für eine Reihe häufiger und wiederkehrender Verrichtungen und zur Sicherung seiner persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Von der tatbestandlich vorausgesetzten "Reihe von Verrichtungen" kann - entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - regelmäßig erst dann ausgegangen werden, wenn es sich "um mindestens drei Verrichtungen handelt, die einen Hilfebedarf in erheblichem Umfang erforderlich machen" (BSG, Urteil vom 24.11.2005 B 9 a SB 1/05 R). Der Umfang der wegen der Behinderung notwendigen zusätzlichen Hilfeleistungen muss erheblich sein. Dabei ist in der Regel auf die Zahl der Verrichtungen, den wirtschaftlichen Wert der Hilfe und den zeitlichen Aufwand abzustellen (vgl. BSG, a.a.O.). Mit Blick auf die gesetzlichen Vorgaben in der sozialen Pflegeversicherung (vgl. § 15 SGB IX) ist die Erheblichkeit des Hilfebedarfs in erster Linie nach dem täglichen Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen zu beurteilen (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.06.2007, L 8 SB 1421/06; vgl. auch BSG, a.a.O.). Nicht hilflos ist danach jedenfalls, wer nur in relativ geringem Umfange, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen ist. Auch bei darüber hinausgehendem Zeitaufwand sind danach indes nicht zwingend die Voraussetzungen der Hilflosigkeit gegeben. Vielmehr ist der tägliche Zeitaufwand für die Hilfeleistung erst dann für sich allein genommen erheblich, wenn dieser mindestens zwei Stunden erreicht (vgl. zu alledem BSG, a.a.O.). Bei einem Hilfebedarf zwischen einer und zwei Stunden ist bei der Frage der Erheblichkeit auf weitere Umstände, insbesondere den wirtschaftlichen Wert abzustellen. Insbesondere für den Fall einer hohen Anzahl von Verrichtungen bzw. deren ungünstiger zeitlicher Verteilung, ist auch bei einem Hilfebedarf von zwischen einer und zwei Stunden von dessen Erheblichkeit auszugehen (vgl. BSG, a.a.O.; LSG Baden-Württemberg, a.a.O.). Aufgrund der eingeholten gerichtlichen Gutachten, der Befundberichte sowie nicht zuletzt des im Verwaltungsverfahren vorgelegten Pflegegutachtens steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin derzeit keinesfalls in einem solchen Umfang hilfebedürftig ist, der die Zuerkennung des Merkzeichens H rechtfertigen würde.
5. Die Feststellung das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen der Inanspruchnahme des Merkzeichens B kommt ebenfalls nicht in Betracht.
Für die unentgeltliche Beförderung einer Begleitperson nach § 145 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX ist in Verbindung mit § 146 Abs. 2 SGB IX die Notwendigkeit ständiger Begleitung zu beurteilen. Ständige Begleitung ist – nach ständiger Rechtsprechung und unter Berücksichtigung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (vgl. dazu oben) - bei schwerbehinderten Menschen, bei denen die Voraussetzungen für die Merkzeichen G oder H vorliegen, notwendig, wenn sie infolge der Behinderung zur Vermeidung von Gefahren für sich oder andere bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Die Zuerkennung dieses Merkzeichens scheitert schon formal daran, dass weder das Merkzeichen G noch das Merkzeichen H bei der Klägerin vorliegen.
6. Schließlich kommt auch die Zuerkennung des Merkzeichens RF nicht in Betracht.
Nach der Verordnung über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht vom 30.11.1993 des Landes Nordrhein-Westfalen (GVBl. NRW 1993, Seite 970) steht das Merkzeichen RF den Fürsorgeberechtigten im Sinne des § 27 e BVG, Blinden oder nicht nur vorübergehend sehbehinderten Personen mit einem GdB von 60 allein wegen der Sehbehinderung sowie Hörgeschädigten, die gehörlos sind, oder die eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Gehörhilfen nicht möglich ist zu. Eine Inanspruchnahme kommt überdies nach § 1 Nr. 3 der Verordnung in Betracht, wenn man aufgrund seiner Leiden gehindert ist an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen (vgl. zum Merkzeichen "RF" BSG, Urteil vom 16.02.2012 – B 9 SB 2/11 R = juris).
Öffentliche Veranstaltung ist dabei jede grundsätzlich jedermann uneingeschränkt oder bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen (z.B. Eintrittsgeld) zugänglich gemachte Veranstaltung im Sinne einer Organisation von Darbietungen verschiedenster Art; dazu zählen Veranstaltungen politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender oder wirtschaftlicher Art, wobei es auf das tatsächliche Angebot von Veranstaltungen im örtlichen Einzugsbereich des Behinderten ebenso wenig ankommt wie auf seine persönlichen Vorliegen, Bedürfnisse, Neigungen oder Interessen (Bayerisches LSG Urteil vom 25.09.2012 - L 3 SB 15/12 = juris Rn. 27 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung BSG; vgl. auch BSG, Urteil vom 10.08.1993, 9/9a RvS 7/91; Urteil vom 16.03.1994, 9/9a RvS 3/83; Urteil vom 12.02.1997, 9/9a RvS 2/93; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.01.2006, L 10 SB 21/03; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 15.03.2012 - L 11 SB 105/09 = juris). Dazu gehören nicht nur Theater-, Oper-, Konzert- und Kinovorstellungen, sondern auch Veranstaltungen wie etwa Ausstellungen, Messen, Museen, Märkte, Gottesdienste, Volksfeste, Sportveranstaltungen, Tier- und Pflanzengärten. Maßgeblich ist allein die Möglichkeit der körperlichen Teilnahme, gegebenenfalls mit technischen Mitteln (z.B. Rollstuhl) und/oder mit Hilfe einer Begleitperson (Bayerisches LSG Urteil vom 25.09.2012 - L 3 SB 15/12 = juris Rn. 27 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 11.09.1991 - 9a/9 RVs 15/89 = juris). Die Unmöglichkeit zur Teilnahme an solchen Veranstaltungen ist nur dann gegeben, wenn der Schwerbehinderte wegen seines Leidens ständig, d. h. allgemein und umfassend, vom Besuch ausgeschlossen ist.
Aufgrund der eingeholten gerichtlichen Gutachten sowie der Befundberichte und des im Verwaltungsverfahren vorgelegten Pflegegutachtens steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin derzeit nicht dauernd gehindert ist, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Zwar hat die Klägerin die Teilnahme an solchen Veranstaltungen in der letzten Zeit stark eingeschränkt; gesundheitlich gehindert, sie wahrzunehmen ist sie zur Überzeugung der Kammer aber nicht.
Die Kammer konnte die Streitsache auch in Abwesenheit der nicht persönlich geladenen Klägerin entscheiden, ohne ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG) zu verletzen. Auf diese Möglichkeit ist die Klägerin in der ordnungsgemäß zugestellen Ladung zum Termin ausdrücklich hingewiesen worden (§ 110 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und trägt dem Umstand Rechnung, dass der Beklagte lediglich in sehr geringem Umfang Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Begehrt hat die Klägerin die Zuerkennung von fünf verschiedenen Merkzeichen und damit – inzidenter – eines GdB von mindestens 50. Tatsächlich war der GdB bei Klageerhebung mit 40 statt 30 zu bemessen. Diese Erhöhung des GdB um 10 erscheint vor dem Hintergrund des übrigen Klagebegehrens für vernachlässigbar, so dass eine Kostentragung durch den Beklagten unbillig wäre.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen G, aG, B, H rund RF streitig.
Die am 00.00.0000 geborene Klägerin stellte am 27.05.2011 einen Antrag auf Feststellung eines GdB sowie der Merkzeichen G, aG, B, H und RF. Zur Begründung gab sie an, sie habe starke Arthrose in den Händen, Ellenbogen, Knien, Füßen und Rücken. Darüber hinaus bestünden eine Herzkranzverengung, Magengeschwüre und eine Sehschwäche. Zudem würde das Bestehen einer akuten Fallsucht und einer Harninkontinenz derzeit medizinisch überprüft.
Der Beklagte holte Befundberichte der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. V., des Augenarztes Dr. T., des Orthopäden Dr. K. sowie des Internisten H. ein und werte diese durch seinen ärztlichen Berater Dr. H. aus. Dieser kam zu der Einschätzung, bei der Klägerin bestehe eine Sehminderung (Einzel-GdB: 20), eine Funktionsstörung der unteren Gliedmaßen (Einzel-GdB: 20), eine Funktionsstörung im Gleichgewichtssinn (Einzel-GdB: 20) und Funktionsstörungen der oberen Gliedmaßen (Einzel-GdB: 10). Der Gesamt-GdB sei mit 30 zu bewerten, Merkzeichen kämen nicht in Betracht.
Mit Bescheid vom 27.10.2011 stellte der Beklagte den GdB der Klägerin mit 30 fest.
Hiergegen legte die Klägerin am 15.11.2011 Widerspruch mit der Begründung ein, der festgestellte GdB spiegle die gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht zutreffend wieder. Sie verwies insoweit auf das Pflegegutachten des MDK Nordrhein vom November 2011, wonach ihr die Pflegestufe I zustehe.
Der ärztliche Berater des Beklagten kam zu der Einschätzung, dass als weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen eine Stuhlhalteschwäche sowie eine psychische Störung bei der Klägerin mit in die Bewertung einfließen müsse. Diese bedingten aber jeweils nur einen GdB von 10, weswegen der Gesamt-GdB mit 30 weiter angemessen sei.
Die Bezirksregierung Münster wies den Widerspruch daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 13.01.2012 als unbegründet zurück.
Am 09.02.2012 hat die Klägerin Klage erhoben.
Das Gericht hat zunächst Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten des Orthopdäden Dr. K. und des Urologen Dr. E. sowie durch Einholung von Gutachten des Orthopäden Dr. D. und der Fachärztin für Nervenheilkunde, Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Sch. Im Anschluss daran hat es überdies einen Befundbericht der HNO-Ärztin Dr. V. eingeholt. Am 05.03.2013 hat ein Termin zur mündlichen Verhandlung stattgefunden, zu dem die Klägerin – deren persönliches Erscheinen nicht angeordnet gewesen ist – nicht erschienen ist.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 27.10.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2012 zu verurteilen, einen GdB von mehr als 30 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Merkzeichen G, aG, B, H und RF festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
ihn unter Aufhebung des Bescheides vom 27.10.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2012 zu verurteilen, den GdB der Klägerin ab dem 27.05.2011 mit 40 sowie ab dem 11.09.2012 mit 60 zu bewerten.
Darüber hinaus beantragt er,
die Klage abzuweisen.
Er vertritt unter die Auffassung, dass auf Grundlage der durchgeführten Beweiserhebung der GdB zu gering bewertet war. Bei Antragstellung habe der Klägerin ein GdB von 40 zugestanden. Durch den zuletzt eingeholten HNO-ärztlichen Befundbericht sei nunmehr eine Verschlechterung der Hörfähigkeit nachgewiesen. Ab dem Untersuchungsdatum komme – unter Berücksichtigung der Ausführungen der Kammer im Rahmen der mündlichen Verhandlung – daher der GdB von 60 in Betracht. Da ein entsprechendes Vergleichsangebot durch die Klägerin im Termin nicht angenommen werden könne, möge das Gericht wie durch ihn beantragt entscheiden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sei auf die beigezogenen Verwaltungsakten sowie die Gerichtsakte Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der einseitig streitigen Verhandlung am 05.03.2013 gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Klage ist zulässig, insbesondere richtet sie sich gegen den richtigen Klagegegner.
Durch § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen – Eingliederungsgesetz - (Art. 1 Abschnitt I des Zweiten Gesetzes zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen vom 30.10.2007, GV. NRW S. 482 – Straffungsgesetz –) hat der Landesgesetzgeber die den Versorgungsämtern nach §§ 69 und 145 SGB des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – (SGB IX) zugewiesenen Aufgaben in zulässiger Weise mit Wirkung vom 01.01.2008 auf die Kreise und kreisfreien Städte übertragen (vgl. dazu Landessozialgericht – LSG - Nordrhein-Westfalen Urteil vom 12.02.2008 - L 6 SB 101/06; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 05.03.2008 - L 10 SB 40/06; zur Anwendung des Behördenprinzips in Nordrhein-Westfalen bei sozialgerichtlichen Streitigkeiten, vgl. Bundessozialgericht – BSG – Urteil vom 24.03.2009, B 9 SO 29/07 R). Die Zuständigkeit der Bezirksregierung Münster zur Entscheidung über den Widerspruch ergibt sich aus § 2 Abs. 2 Satz 2 Eingliederungsgesetz in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 25.10.2011 (GV. NRW S. 542; vgl. dazu auch LSG NRW Beschluss vom 16.01.2012 – L 10 SB 197/11 = juris Rn. 16; LSG NRW Urteil vom 6.12.2009 - L 10 SB 39/09 = juris Rn. 23 ff.).
II.
Die Klage ist teilweise begründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG insoweit beschwert, als bei ihr ab Antragstellung am 27.05.2011 ein GdB von 40 sowie ab dem 11.09.2011 ein GdB von 60 festzustellen ist (dazu unter II 1). Soweit die Klägerin die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Merkzeichen begehrt hat, war die Klage unbegründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide insoweit nicht beschwert, da die Ablehnung der Merkzeichen rechtmäßig war. Der Klägerin stehen die begehrten Merkzeichen nicht zu (dazu unten II 2-5).
1.
Nach § 2 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion oder geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX werden die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach 10er Graden abgestuft dargestellt. Bei dem Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.
Die Bemessung des Gesamt-GdB hat dabei in mehreren Schritten zu erfolgen und ist tatrichterliche Aufgabe (BSG Beschluss vom 09.12.2010 – B 9 SB 35/10 B = juris Rn. 5 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).
Zunächst sind unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens die einzelnen, nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinn von regelwidrigen, von der Norm abweichenden Zuständen gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX und die daraus ableitenden Teilhabebeeinträchtigungen festzustellen. Sodann sind diese den in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. Schließlich ist unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen in einer Gesamtschau der Gesamt-GdB zu bilden (BSG Urteil vom 30.09.2009 – B 9 SB 4/08 R = juris Rn. 18 m. w. N.; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 32).
Nach Teil A Ziffer 3 der Anlage zu § 2 der aufgrund § 30 Abs. 17 Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erlassenen Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (BGBl. I 2008, S. 2412 - Versorgungsmedizin-Verordnung) vom 10.12.2008 (Versorgungsmedizinische Grundsätze), die wegen § 69 Abs. 1, Satz 4 SGB IX auch im Schwerbehindertenrecht zur Anwendung kommt, sind zur Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung rechnerische Methoden, insbesondere eine Addition der Einzelgrade der Behinderung, nicht zulässig. Vielmehr ist bei der Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad der Behinderung bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad der Behinderung 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Hierbei ist gemäß Teil A Ziffer 3 lit. d) ee) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zu beachten, dass leichtere Gesundheitsstörungen mit einem Einzelgrad der Behinderung von 10 nicht zu einer Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung führen, selbst wenn mehrere dieser leichteren Behinderungen kumulativ nebeneinander vorliegen. Auch bei Leiden mit einem Einzelgrad der Behinderung von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine Zunahme des Gesamtausmaßes der Behinderung zu schließen.
Schließlich sind bei der Festlegung des Gesamt-GdB zudem die Auswirkungen im konkreten Fall mit denjenigen zu vergleichen, für die in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen feste GdB-Werte angegeben sind (BSG Urteil vom 02.12.2010 –B 9 SB 4/10 R = juris Rn. 25; vgl. auch Teil A Ziffer 3 lit. b) Versorgungsmedizinische Grundsätze).
Die Klägerin leidet zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung unter
a) Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule b) Funktionseinschränkung linkes Kniegelenk c) Vorfußdeformität d) Funktionseinschränkungen beider Schultergelenke e) Funktionseinschränkungen beider Hände bei Fingervielgelenksverschleiß f) Sehminderung g) Harnhalteschwäche h) Funktionsstörung im Gleichgewichtssinn i) Schwerhörigkeit bds. j) Asthenische Persönlichkeitsstruktur k) Funktionseinschränkungen des Herz-Kreislaufsystems l) Stuhlhalteschwäche m) Magenbeschwerden, Sodbrennen
Das Vorliegen dieser Gesundheitsbeeinträchtigungen steht nach Auffassung der Kammer aufgrund der im Verwaltungs- und Klageverfahren eingeholten Befund- und Arztberichte sowie der Gutachten des Herrn des Dr. D. und der Frau Dr. Sch. fest.
Die Gutachten beruhen auf umfangreichen Untersuchungen, die von erfahrenen medizinischen Gutachtern unter Einsatz von diversen Hilfsmitteln durchgeführt worden sind. Die Kammer hat keinen Anlass an der Richtigkeit und Vollständigkeit der in den Gutachten erhobenen medizinischen Befunde zu zweifeln. Substantiierte Einwendungen gegen die medizinischen Feststellungen sind von den Beteiligten ebenfalls nicht vorgebracht worden. Soweit der Beklagte im Verfahren die Auffassung vertreten hatte, die Bildung eines GdB komme ohne Vorlage eines Sprachaudiogramms nicht in Betracht, so sieht die Kammer diese Rechtsauffassung als nicht von den Vorgaben der Versorgungsmedizinischen Grundsätze gedeckt an. Diese stellen ausdrücklich auch auf die Ermittlung des GdB anhand von Tonaudiogrammen ab. Die Kammer verkennt hierbei nicht, dass der Sachverständigenbeirat bereits in den Jahren 1989 und 1991 kritisch hinterfragt hat, ob die Auswertung eines Tonaudiogramms bei der Beurteilung des GdB ausreiche. Allerdings hat die Forderung nach einem Sprachaudiogramm als conditio sine qua non für die Bewertung der Schwerhörigkeit keinen Niederschlag in den seit 2009 geltenden Versorgungsmedizinischen Grundsätzen gefunden. Dort wird unter Teil B Ziffer 5.2.2 vielmehr ausdrücklich auch auf das Tonaudiogramm Bezug genommen (vgl. allgemein zur Bestimmung des GdB bei Schwerhörigkeit, Feldmann/Brusis, Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohrenarztes, 7. Aufl. 2012, S 155 ff.).
a) Für das Funktionssystem der Wirbelsäule ist gemäß Teil B Ziffer 18.9 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze von einem GdB von 20 auszugehen, der soeben erreicht wird. Der Gutachter Dr. D. hat in seinem Gutachten im Bereich der Hals- und Brustwirbelsäule keine entscheidenden Beeinträchtigungen festgestellt. Das Drehen der Kopfs war mit (60°/0°/60°) und das Neigen mit 30°/0°/30° – unter Beachtung des Alters der Klägerin – lediglich endgradig eingeschränkt. Beschwerden wurden hierbei nicht beklagt. Die Entfaltbarkeit der Brustwirbelsäule war auch weitgehend altersentsprechend normgerecht (Ott’sches Zeitchen 30/33 cm; vgl. zu den Werten nach Schober und Ott, Wülker (Hrsg.), Orthopädie und Unfallchirurgie, 2. Aufl. 2010, S. 224). Im Bereich der Brustwirbelsäule fanden sich allerdings muskuläre Verspannungen. Die Lendenwirbelsäule war demgegenüber etwas stärker eingeschränkt. Der Finger-Boden-Abstand betrug 24 cm. Das Schober-Zeichen konnte mit 9/10/13 cm bestimmt werden. Rechts- und Linksneigen war soweit möglich, dass die Fingerspitzen 10 cm oberhalb der Kniefalten positioniert wurden. Das Rückneigen gelang bis 10°. Anders als im Bereich der HWS und BWS wurden hier die maximalen Bewegungsausschläge als lokal schmerzhaft angegeben, insbesondere das Rückneigen. Insgesamt ist damit von mittelgradigen funktionellen Auswirkungen der Lendenwirbelsäule auszugehen, was einen GdB von 20 bedingt.
b) – c) Für den Bereich der unteren Extremitäten waren vor allem Einschränkungen im Bereich des linken Kniegelenks zu berücksichtigen. Zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. D. war dort eine leichte Schwellung der Gelenkinnenhaut festzustellen. Der Klägerin gelang eine maximale Beugung bis 110° bei voller Streckfähigkeit. Zudem bestand eine prall gefüllte Backerzyste im Bereich der Kniekehle. Das rechte Knie konnte maximal bis 130° gebeugt werden, bei voller Streckfähigkeit. Für die Beeinträchtigung des linken Knies ist gemäß Teil B Ziffer 18.14 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit einem GdB von 20 in Ansatz zu bringen. Die beginnenden Verschleißerscheinungen in beiden Vorfüssen erhöhen den GdB für die unteren Extremitäten demgegenüber nicht weiter.
d) – e) Im Bereich der oberen Extremitäten sind zum einen die Beeinträchtigung der Schultern sowie insbesondere der Hände zu berücksichtigen. Die Klägerin konnte im Rahmen der vom Gutachter durchgeführten dynamischen Untersuchung den Schürzen- und Nackengriff knapp bis zu den gegenüberliegenden Fingersitzen durchführen. Der rechte Arm ließ sich aktiv bis 150° nach vorne heben und 90° abspreizen, der linke bis 130° nach vorne heben und 80° abspreizen. Dies bedingt nach Teil B Ziffer 18.13 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze einen GdB von 10. Bei beiden Händen der Klägerin zeigte sich in der Untersuchung ein ausgeprägter Fingervielgelenksverschleiß. Es bestanden Verdickungen der Daumesattelgelenke und aller Finger- und Endgelenke. Der Faustschluss war inkomplett. Übungen wie "Klavierspielen" oder "Einschrauben einer Glühbirne" konnten nur ungelenk gezeigt werden. Beim Pinzettengriff konnte der Daumen die Fingerkuppen 2 und 3 knapp erreichen. Zwischen dem Daumen und den Fingerkuppen 4 und 5 verblieb eine Differenz von 1 cm. Unter Berücksichtigung ihrer nicht unerheblich eingeschränkten Gebrauchsfähigkeit ist der GdB für beide Hände gemäß Teil B Ziffer 18.13 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit 30 zu bewerten. Dieser bildet auch insgesamt den GdB für das Funktionssystem der oberen Extremitäten.
f) Für das Funktionssystem der Augen ist die Sehschwäche der Klägerin zu berücksichtigen. Der Visus der Klägerin beträgt – ausweislich der Befundberichts des Dr. T. – rechts 0,6 und links 0,6 bei vorhandener Kunstlinse nach Cataract-Operation. Dies bedingt gemäß Teil B Ziffer 4.2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze einen GdB von 20.
g) Die Beeinträchtigungen durch Harninkontinenz, die sich aus dem Befundbericht des Dr. E. ergibt, bedingt einen GdB von 10.Die Inkontinenz tritt lediglich bei Belastungen körperlicher Art (Husten, Niesen, schweres Tragen) auf. Es handelt sich demnach um eine leichtere Inkontinenz. Die Harninkontinenz ist gemäß Teil B Ziffer 12.2.4 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit einem GdB von 10 zu bewerten.
h)- i) Für das Funktionssystem des Hör- und Gleichgewichtsorgans sind zum einen die beidseitige Schwerhörigkeit der Klägerin sowie zum anderen der von der Klägerin geklagte Schwindel zu berücksichtigen. Hinsichtlich des Schwindels ließen sich bei der Untersuchung durch die Neurologin Dr. Sch. Hinweise auf einen Nystagmus, eine Ataxie oder sonstige Hinweise betreffend den Ausfall des Gleichgewichtsorgans nicht feststellen. Die Gutachterin geht daher davon aus, dass es sich insgesamt eher um eine Reaktion der Klägerin auf die festgestellten Beeinträchtigungen im orthopädischen Bereich handelte. Erheblich ins Gewicht fällt aber die Hypakusis bds. der Klägerin. Die erhebliche Schwerhörigkeit der Klägerin ist erstmalig durch das Tonaudiogramm vom 11.09.2012 nachgewiesen. Ausweislich dieses Tonaudiogramms beläuft sich der GdB der Klägerin nach Teil B Ziffer 5.2.2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze nach Auffassung der Kammer auf 40. Dies bildet auch den GdB für das Funktionssystem Hör- und Gleichgewichtsorgan insgesamt. Die Feststellung des GdB von 40 für diesen Bereich kommt aber erst ab dem Zeitpunkt des Nachweises durch das bereits benannte Tonaudiogramm in Betracht. Für die Zeit davor ist eine Schwerhörigkeit in diesem Maße nicht nachgewiesen. Das Pflegegutachten aus November 2011 berichtet vielmehr ausdrücklich von einer leichten Schwerhörigkeit der Klägerin. Bis zur nachgewiesenen Verschlimmerung war die Einschätzung des Beklagten für den Bereich Ohren und Gleichgewicht mit 20 daher nicht zu beanstanden.
j) Für den Bereich des Funktionssystems Nerven und Psyche ist gemäß Teil B Ziffer 3.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze von dem Vorliegen leichterer psychovegetativer oder psychischer Störungen auszugehen. Die Klägerin hat – wie die Gutachterin Dr. Sch. festgestellt hat – eine asthenische Persönlichkeitsstruktur (vgl. hierzu etwa Batra/Wassmann/Buchkremer, Verhaltenstherapie, 2. Aufl. 2006, S 300 ff.). Die Klägerin zeigt sich, so die Feststellungen der Gutachterin, im Persönlichkeitsprofil zwar in maximalem Maße sozial verantwortlich, dies jedoch vor dem Hintergrund einer eigenen hohen Instabilität. Sie engagierte sich – bis in die jüngste Vergangenheit – in verschiedenen Gruppierungen (Frauengemeinschaft, Pfarrgemeinderat, verschiedene Vereine) ohne hierbei die eigenen Ressourcen, Bedürfnisse und Wünsche zu verwirklichen. Die aktuelle Situation wird von ihr als Stillstand empfunden, worauf sie mit Resignation reagiert. Hinzu kommt die nicht verarbeitete Trauer um die verstorbene Tochter, die die Klägerin insbesondere organisch auslebt.
Vor dem Hintergrund aber, dass die Klägerin bislang keine kontinuierliche nervenärztliche Behandlung in Anspruch genommen hat und auch keine adäquate Medikation erfolgt – die Klägerin "hilft sich" selbst mit Tranquilizern (Lexostad®, Wirkstoff: Bromazepam), die sie abends einnimmt und die sie auf Privatrezept erhält. Darüber hinaus nimmt sie Dioxepin in ausgesprochen geringer Dosierung ein. Insgesamt ist mit der Gutachterin noch nicht von wesentlichen Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit auszugehen, so dass ein GdB von 30 nicht in Betracht kommt. Der GdB ist vielmehr derzeit noch mit 20 angemessen bewertet.
k) Die Klägerin leidet unter Bluthochdruck. Bei der Untersuchung durch Frau Dr. Sch. betrug der Blutdruck zunächst RR 160/90 mmHg, stieg auf 210/100 mmHg, sank auf 180/110 mmHg, um nach Gabe von Adalat® auf 160/90 mmHg hinunterzugehen. Grundsätzlich nimmt die Klägerin Bisobeta®, was sie am Morgen der Untersuchung jedoch vergessen hatte. Aufgrund der gemessenen Werte hat die Gutachterin der Klägerin geraten, sich umgehend diesbezüglich untersuchen zu lassen. Auch in der Vergangenheit haben sich zwar durchaus bereits kardiologische Probleme gezeigt. Längerfristige gesundheitliche Beeinträchtigungen im Funktionssystem Herz-Kreislauf, die einen GdB von mehr als 10 bedingten haben sich bislang jedoch nicht objektivieren lassen. Eine aktuelle fachkardiologische Behandlung findet nicht statt.
l)-m) Die Stuhlhalteschwäche bedingt – vor dem Hintergrund, dass diese, wie auch die Harninkontinenz - lediglich bei Belastungen körperlicher Art (Husten, Niesen, schweres Tragen) auftritt, gemäß Teil B Ziffer 10.2.4 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze einen GdB von 10. Darüber hinaus bestehen bei der Klägerin auch Magenbeschwerden und Sodbrennen. Die Klägerin nimmt diesbezüglich morgens und abends eine Tablette Omep®. Auch wurde im März 2012 eine ausgeprägte Simgadivertiukolse beschrieben, allerdings ohne Komplikationen. Wesentliche Beschwerden werden – mit Ausnahme der Stuhlinkontinenz - von der Klägerin diesbezüglich nicht geschildert. Insgesamt kommt ein höherer GdB als 10 derzeit somit nicht in Betracht.
Auf der Grundlage der genannten Einzel-GdB-Werte ist bei der Klägerin für den streitbefangenen Zeitraum nach § 69 Abs. 3 SGB IX in Verbindung mit Teil A Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze ein Gesamt-GdB zu bilden.
§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX schreibt vor, bei Vorliegen mehrerer Teilhabebeeinträchtigungen den Grad der Behinderungen nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzusetzen. Der maßgebliche Gesamt-GdB ergibt sich dabei aus der Zusammenschau aller Funktionsbeeinträchtigungen. Er ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung der Sachverständigengutachten sowie der versorgungsmedizinischen Grundsätze in freier richterlicher Beweiswürdigung nach natürlicher, wirklichkeitsorientierter und funktionaler Betrachtungsweise festzustellen (LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 42 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 9/97 R = juris Rn. 10 m.w.N.). Dabei ist zu berücksichtigen, ob die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen, sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen (BSG Urteil vom 02.12.2010 - B 9 SB 4/10 R = juris).
Im vorliegenden Fall ist die Zäsur zu beachten, die der Nachweis der erheblichen Schwerhörigkeit der Klägerin am 11.09.2012 darstellt. Bis zu diesem Zeitpunkt war der GdB ausgehend von dem GdB von 30 für die Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten zu ermitteln. Die daneben bestehenden Beeinträchtigungen der unteren Extremitäten, der Wirbelsäule, der Augen des Gleichgewichtssinns und Psyche erhöhten den GdB insgesamt auf 40. Hierbei war insbesondere zu berücksichtigen, dass die Beeinträchtigungen der Psyche und die der orthopädischen Beeinträchtigungen sich in weiten Teilen überschnitten. Eine Doppelbewertung war insoweit zu vermeiden. Die vorhandenen Beeinträchtigungen der Wirbelsäule, der Augen, der unteren Gliedmaße und des Gleichgewichtssinns waren für sich allein nicht geeignet, den Gesamt-GdB zu erhöhen. In der Zusammenschau erschien jedoch ein GdB von 40 durchaus angemessen. Die Feststellung eines Gesamt-GdB von 50 kam nach Auffassung der Kammer zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Betracht. Dies auch schon deshalb nicht, weil sich das das Gesamtausmaß der Behinderung der Klägerin insgesamt nicht mit einem einzelnen Gesundheitsschaden vergleichen ließ, für den die Versorgungsmedizinischen Grundsätze einen festen GdB-Wert von 50 angeben, wie es Teil A Nr. 3 lit b) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze vorschreibt (vgl. hierzu auch LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 29.06.2012 – L 13 SB 127/11 = juris Rn. 49 ff. unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BSG und den hierzu vertretenen Meinungsstand in der Literatur). Eine Vergleichbarkeit mit Menschen, mit Wirbelsäulenschäden mit besonders schweren Auswirkungen, wie z. B. die Versteifung großer Teile der Wirbelsäule – eine Beeinträchtigung, die nach Teil B Nr. 18.9 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze mit einem Einzel-GdB von 50 zu bewerten ist – lag nicht vor. Eine vergleichbare Einschränkung der Beweglichkeit und Mobilität und damit der gesellschaftlichen Teilhabe ist bei der Klägerin - auch unter zusätzlicher Berücksichtigung der übrigen Erkrankungen – nicht gegeben. Auch eine Vergleichbarkeit etwa mit Personen mit schweren psychischen Störungen ist nicht gegeben.
Ab dem 11.09.2012 war neben den bis dahin vorhandenen Beeinträchtigungen zudem die beidseitige Schwerhörigkeit der Klägerin mit in die Bewertung des Gesamt-GdB einzubeziehen. Ab diesem Zeitpunkt betrug der GdB für das Funktionssystem der Ohren und des Gleichgewichtssinns 40. Die erhebliche Beeinträchtigung der Ohren in Verbindung mit den übrigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen lässt nach Auffassung der Kammer ab diesem Zeitpunkt einen Gesamt-GdB von 60 als angemessen erscheinen.
2. Die Feststellung das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen der Inanspruchnahme des Merkzeichens G kommt nicht in Betracht.
Gemäß § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sind, Anspruch auf unentgeltliche Beförderung. Nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.
Die Länge der in § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX genannten Wegstrecke ist gesetzlich nicht geregelt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts beträgt die üblicherweise im Ortsverkehr zurückgelegte Strecke zwei Kilometer, die etwa in einer halben Stunde zurückgelegt werden (vgl. etwa BSG Urteil vom 10.12.1987 - 9a RVs 11/87 = juris Rn. 13 ff.; BSG Urteil vom 13.08.1997- 9 RVs 1/96 = juris Rn. 19; BSG Urteil vom 27.08.1998 - B 9 SB 13/97 R = juris Rn. 15).
Erläuternde Feststellungen zur Zuerkennung des Merkzeichens G enthält Teil D Ziffer 1 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (zur Qualifikation der Versorgungsmedizinischen Grundsätze als Erläuterungen vgl. LSG NRW Urteil vom 13.07.2010 – 6 SB 133/09 = juris Rn. 27 – zum Merkzeichen aG). Die Frage, ob die Versorgungsmedizinischen Grundsätze darüber hinaus als Rechtsverordnung verbindliche Festlegungen enthalten ist umstritten. So wird teilweise die Auffassung vertreten, eine Ermächtigungsgrundlage zur Schaffung einer Rechtsverordnung betreffend die im SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche sei nicht gegeben. Insbesondere enthalte der durch die Versorgungsmedizin in Bezug genommene Regelung des § 30 Abs. 17 BVG a.F. (nunmehr § 30 Abs. 16 BVG) keine entsprechende Ermächtigung (vgl. Dau, jurisPR-SozR 4/2009 Anm. 4; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.10.2012 – L 8 SB 1914/10 = juris Rn. 26). Die Regelungen der Versorgungsmedizinischen Grundsätze zum Nachteilsausgleich G seien damit mangels entsprechender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig. Rechtsgrundlage seien daher allein die genannten gesetzlichen Bestimmungen und die hierzu in ständiger Rechtsprechung anzuwendenden Grundsätze.
Die Kammer schließt sich dieser Auffassung an. Sie ist gleichwohl der Ansicht, dass die Feststellungen des Teil D Ziffer 1 mit in die Bewertung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens G mit einbezogen werden können, wenngleich freilich nicht als Rechtsgrundlage im Sinne einer Rechtsverordnung.
Die Feststellungen in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen werden auf Grundlage des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze evidenzbasierter Medizin erstellt und fortentwickelt, vgl. § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung. Sie enthalten – im Hinblick auf das Merkzeichen G – im Wesentlichen die gleichen Regelungen, wie bereits Ziffer 30 der vom Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX), zuletzt aus dem Jahr 2008, (AHP 2008). Die AHP 2008 beschrieben in Ziffer 30 Abs 3 bis 5 Regelfälle, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G als erfüllt anzusehen waren und die bei der Beurteilung einer dort nicht erwähnten Behinderung als Vergleichsmaßstab dienen konnten. Sie gaben an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, bevor angenommen werden konnte, dass ein Behinderter infolge einer Einschränkung des Gehvermögens "in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist" (BSG Urteil vom 24.04.2008 - B 9/9a SB 7/06 R = juris Rn. 12; BSG Urteil vom 13.08.1997 - 9 RVs 1/96 = juris Rn. 19). Die Festlegungen der Anhaltspunkte sind von der Rechtsprechung – als antizipierte Sachverständigengutachten – bei der Frage der Beurteilung der Zuerkennung von Merkzeichen zugrundegelegt worden.
Eine entsprechende Funktion erfüllen auch die nunmehr in Teil D Ziffer 1 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze dargelegten Regelungen (für eine Anwendung der in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen dargelegten Anforderungen auch Bayerisches LSG Urteil vom 26.09.2012 – L 15 SB 46/09 = juris Rn. 61; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Urteil vom 19.12.2011 - L 13 SB 12/08 = juris Rn. 29; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Urteil vom 16.11.2011 – L 11 SB 67/09 = juris Rn. 34; wohl auch LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 09.08.2012 – L 10 SB 10/12 = juris Rn. 15; LSG NRW Urteil vom 13.07.2010 – L 6 SB 133/09 = juris Rn. 29 – zu aG; a.A. offensichtlich LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 12.10.2011 – L 6 SB 3032/11 = juris Rn. 39 ff.; Vogl in: jurisPK-SGB IX, § 146 SGB IX Rn. 5).
Bei der Klägerin liegen keine wesentlichen Einschränkungen der Bewegungsfähigkeit vor, die entsprechend obiger Vorgaben die Zuerkennung des Merkzeichens G rechtfertigen würden. Die Beeinträchtigung der unteren Gliedmaße bedingt einen GdB von lediglich 20.
Darüber hinaus können freilich die Voraussetzungen für das Merkzeichen G auch bei inneren Leiden gegeben sein, wenn sich diese negativ auf das Gehvermögen auswirken. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit etwa auch bei bestimmten schwereren Herzbeeinträchtigungen oder Atembehinderungen sowie auch bei hirnorganischen Anfällen anzunehmen. Bei letzteren kommt es dabei maßgeblich auf die Art und Häufigkeit der Anfälle sowie die Tageszeit des Auftretens an. Das Merkzeichen G kommt bei hirnorganischen Anfällen bei einer mittleren Anfallshäufigkeit mit einem GdB von wenigstens 70 in Betracht, wenn die Anfälle überwiegend am Tage auftreten (vgl. Teil D Ziffer 1 lit. e) Versorgungsmedizinische Grundsätze in der Fassung der Ersten Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung -1.VersMedVÄndV; vgl. dazu auch LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 16.11.2011 – L 11 SB 67/09 = juris Rn. 52 ff.). Schließlich sind auch bei Störungen der Orientierungsfähigkeit, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit führen, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichen G gegeben. Dies ist etwa bei Sehbehinderungen mit einem GdB von wenigstens 70 anzunehmen; bei Sehbehinderungen, die einen GdB von 50 oder 60 bedingen, nur in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. hochgradige Schwerhörigkeit beidseits, geistige Behinderung) anzunehmen. Bei Hörbehinderung ist die Annahme solcher Störungen nur bei Taubheit oder an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit im Kindesalter (in der Regel bis zum 16. Lebensjahr - Beendigung der Gehörlosenschule) oder im Erwachsenenalter bei diesen Hörstörungen in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z. B. Sehbehinderung, geistige Behinderung) gerechtfertigt. Entsprechende Störungen, die danach die Zuerkennung des Merkzeichens G rechtfertigen könnten, liegen bei der Klägerin ebenfalls nicht vor. Insbesondere liegt bei der Klägerin kein Anfallsleiden vor. Die von der Klägerin und den Gutachtern beschrieben Unsicherheit der Klägerin bei Bewegungsabläufen rechtfertigt die Annahme des Merkzeichens G nach Auffassung der Kammer jedenfalls noch nicht.
3. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Feststellung außergewöhnlichen Gehbehinderung im Sinne des § 6 Abs 1 Nr 14 StVG oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, und damit auch nicht auf Feststellung des Merkzeichens "aG" (vgl. hierzu und zu den sich aus dem Merkzeichen ergebenden rechtlichen Folgen, BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 5/05 R = juris Rn. 11; BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R = juris Rn. 15). Ausgangspunkt für die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung ist Abschnitt II Nr 1 zu § 46 Abs 1 Nr 11 VwV-StVO (neu bekannt gemacht am 26. Januar 2001, BAnz 2001, Nr 21, S 1419). Hiernach ist außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz (StVG), wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind. Die Klägerin – bei der wie unter 2. dargelegt schon die Voraussetzungen für das Merkzeichen G nicht gegeben sind – ist den hier genannten Personen keinesfalls gleichzustellen.
4. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens H.
In den Schwerbehindertenausweis ist das Merkzeichen H einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch hilflos im Sinne des § 33b Einkommenssteuergesetz (EStG) oder entsprechender Vorschriften ist, vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 2 Schwerbehinderten-ausweisverordnung. Entsprechend § 33b Abs. 6 Satz 3 EStG ist derjenige als hilflos anzusehen, der infolge von Gesundheitsstörungen nicht nur vorübergehend für eine Reihe häufiger und wiederkehrender Verrichtungen und zur Sicherung seiner persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Von der tatbestandlich vorausgesetzten "Reihe von Verrichtungen" kann - entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - regelmäßig erst dann ausgegangen werden, wenn es sich "um mindestens drei Verrichtungen handelt, die einen Hilfebedarf in erheblichem Umfang erforderlich machen" (BSG, Urteil vom 24.11.2005 B 9 a SB 1/05 R). Der Umfang der wegen der Behinderung notwendigen zusätzlichen Hilfeleistungen muss erheblich sein. Dabei ist in der Regel auf die Zahl der Verrichtungen, den wirtschaftlichen Wert der Hilfe und den zeitlichen Aufwand abzustellen (vgl. BSG, a.a.O.). Mit Blick auf die gesetzlichen Vorgaben in der sozialen Pflegeversicherung (vgl. § 15 SGB IX) ist die Erheblichkeit des Hilfebedarfs in erster Linie nach dem täglichen Zeitaufwand für erforderliche Betreuungsleistungen zu beurteilen (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.06.2007, L 8 SB 1421/06; vgl. auch BSG, a.a.O.). Nicht hilflos ist danach jedenfalls, wer nur in relativ geringem Umfange, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen ist. Auch bei darüber hinausgehendem Zeitaufwand sind danach indes nicht zwingend die Voraussetzungen der Hilflosigkeit gegeben. Vielmehr ist der tägliche Zeitaufwand für die Hilfeleistung erst dann für sich allein genommen erheblich, wenn dieser mindestens zwei Stunden erreicht (vgl. zu alledem BSG, a.a.O.). Bei einem Hilfebedarf zwischen einer und zwei Stunden ist bei der Frage der Erheblichkeit auf weitere Umstände, insbesondere den wirtschaftlichen Wert abzustellen. Insbesondere für den Fall einer hohen Anzahl von Verrichtungen bzw. deren ungünstiger zeitlicher Verteilung, ist auch bei einem Hilfebedarf von zwischen einer und zwei Stunden von dessen Erheblichkeit auszugehen (vgl. BSG, a.a.O.; LSG Baden-Württemberg, a.a.O.). Aufgrund der eingeholten gerichtlichen Gutachten, der Befundberichte sowie nicht zuletzt des im Verwaltungsverfahren vorgelegten Pflegegutachtens steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin derzeit keinesfalls in einem solchen Umfang hilfebedürftig ist, der die Zuerkennung des Merkzeichens H rechtfertigen würde.
5. Die Feststellung das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen der Inanspruchnahme des Merkzeichens B kommt ebenfalls nicht in Betracht.
Für die unentgeltliche Beförderung einer Begleitperson nach § 145 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX ist in Verbindung mit § 146 Abs. 2 SGB IX die Notwendigkeit ständiger Begleitung zu beurteilen. Ständige Begleitung ist – nach ständiger Rechtsprechung und unter Berücksichtigung der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (vgl. dazu oben) - bei schwerbehinderten Menschen, bei denen die Voraussetzungen für die Merkzeichen G oder H vorliegen, notwendig, wenn sie infolge der Behinderung zur Vermeidung von Gefahren für sich oder andere bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen sind. Die Zuerkennung dieses Merkzeichens scheitert schon formal daran, dass weder das Merkzeichen G noch das Merkzeichen H bei der Klägerin vorliegen.
6. Schließlich kommt auch die Zuerkennung des Merkzeichens RF nicht in Betracht.
Nach der Verordnung über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht vom 30.11.1993 des Landes Nordrhein-Westfalen (GVBl. NRW 1993, Seite 970) steht das Merkzeichen RF den Fürsorgeberechtigten im Sinne des § 27 e BVG, Blinden oder nicht nur vorübergehend sehbehinderten Personen mit einem GdB von 60 allein wegen der Sehbehinderung sowie Hörgeschädigten, die gehörlos sind, oder die eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Gehörhilfen nicht möglich ist zu. Eine Inanspruchnahme kommt überdies nach § 1 Nr. 3 der Verordnung in Betracht, wenn man aufgrund seiner Leiden gehindert ist an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen (vgl. zum Merkzeichen "RF" BSG, Urteil vom 16.02.2012 – B 9 SB 2/11 R = juris).
Öffentliche Veranstaltung ist dabei jede grundsätzlich jedermann uneingeschränkt oder bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen (z.B. Eintrittsgeld) zugänglich gemachte Veranstaltung im Sinne einer Organisation von Darbietungen verschiedenster Art; dazu zählen Veranstaltungen politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender oder wirtschaftlicher Art, wobei es auf das tatsächliche Angebot von Veranstaltungen im örtlichen Einzugsbereich des Behinderten ebenso wenig ankommt wie auf seine persönlichen Vorliegen, Bedürfnisse, Neigungen oder Interessen (Bayerisches LSG Urteil vom 25.09.2012 - L 3 SB 15/12 = juris Rn. 27 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung BSG; vgl. auch BSG, Urteil vom 10.08.1993, 9/9a RvS 7/91; Urteil vom 16.03.1994, 9/9a RvS 3/83; Urteil vom 12.02.1997, 9/9a RvS 2/93; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.01.2006, L 10 SB 21/03; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 15.03.2012 - L 11 SB 105/09 = juris). Dazu gehören nicht nur Theater-, Oper-, Konzert- und Kinovorstellungen, sondern auch Veranstaltungen wie etwa Ausstellungen, Messen, Museen, Märkte, Gottesdienste, Volksfeste, Sportveranstaltungen, Tier- und Pflanzengärten. Maßgeblich ist allein die Möglichkeit der körperlichen Teilnahme, gegebenenfalls mit technischen Mitteln (z.B. Rollstuhl) und/oder mit Hilfe einer Begleitperson (Bayerisches LSG Urteil vom 25.09.2012 - L 3 SB 15/12 = juris Rn. 27 unter Bezugnahme auf BSG Urteil vom 11.09.1991 - 9a/9 RVs 15/89 = juris). Die Unmöglichkeit zur Teilnahme an solchen Veranstaltungen ist nur dann gegeben, wenn der Schwerbehinderte wegen seines Leidens ständig, d. h. allgemein und umfassend, vom Besuch ausgeschlossen ist.
Aufgrund der eingeholten gerichtlichen Gutachten sowie der Befundberichte und des im Verwaltungsverfahren vorgelegten Pflegegutachtens steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin derzeit nicht dauernd gehindert ist, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Zwar hat die Klägerin die Teilnahme an solchen Veranstaltungen in der letzten Zeit stark eingeschränkt; gesundheitlich gehindert, sie wahrzunehmen ist sie zur Überzeugung der Kammer aber nicht.
Die Kammer konnte die Streitsache auch in Abwesenheit der nicht persönlich geladenen Klägerin entscheiden, ohne ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG) zu verletzen. Auf diese Möglichkeit ist die Klägerin in der ordnungsgemäß zugestellen Ladung zum Termin ausdrücklich hingewiesen worden (§ 110 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und trägt dem Umstand Rechnung, dass der Beklagte lediglich in sehr geringem Umfang Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Begehrt hat die Klägerin die Zuerkennung von fünf verschiedenen Merkzeichen und damit – inzidenter – eines GdB von mindestens 50. Tatsächlich war der GdB bei Klageerhebung mit 40 statt 30 zu bemessen. Diese Erhöhung des GdB um 10 erscheint vor dem Hintergrund des übrigen Klagebegehrens für vernachlässigbar, so dass eine Kostentragung durch den Beklagten unbillig wäre.
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