S 13 EG 3/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 EG 3/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 EG 26/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Es wird unter entsprechender Abänderung des Bescheides vom 22.11.2011 in der Fassung des Bescheides vom 17.04.2012, des Widerspruchsbescheides vom 06.06.2012 und des Bescheides vom 08.05.2013 festgestellt, dass das der Klägerin anlässlich der Geburt des Kindes Eliam zustehende Elterngeld 5.392,68 EUR beträgt. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin weiteres Elterngeld in Höhe von 6,88 EUR zu zahlen. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt der Beklagte.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Elterngeldes nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG).

Die 0000 geborene Klägerin ist belgische Staatsangehörige. Sie wohnt mit ihrem Ehemann in Belgien. Der Ehemann ist ebenfalls belgischer Staatsangehöriger und in Deutschland erwerbstätig.

Am 05.08.2011 gebar die Klägerin das (erste) Kind F ... Dieses lebt seit seiner Geburt im Haushalt der Eltern und wird von ihnen betreut und erzogen. Vor der Geburt des Kindes war die Klägerin nichtselbstständig erwerbstätig; sie war als Psychologin bei der Frühförder- und Beratungsstelle der Einrichtung für die Entwicklung des Kindes und der Familie ("Institut pour le developpement de l´enfant et la famille" – IDEF) in Sambreville (Auvelais)/Belgien beschäftigt. Ihr monatliches Nettogehalt betrug ca. 1.700 EUR. Daneben war sie vor der Geburt des Kindes auch als Tanzlehrerin selbstständig erwerbstätig. Ausweislich der von ihr vorgelegten Gewinn- und Verlustrechnungen hatte sie daraus im Zeitraum von Dezember 2009 bis November 2010 einen Gewinn von 513,75 EUR, auf den Monat umgerechnet 42,81 EUR, im Zeitraum von Juni 2010 bis Mai 2011 einen Gewinn von 160,29 EUR, auf den Monat umgerechnet 13,36 EUR, erzielt.

Vom 14.12.2010 bis 24.06.2011 war die Klägerin aufgrund der belgischen Rechtsvorschriften zum Arbeits- und Mutterschutz von der Arbeit befreit. Ausweislich der Bescheinigung des Arbeitgebers vom 15.12.2010 war die Arbeitsbefreiung notwendig, weil die Klägerin regelmäßig mit Kindern arbeitete und aufgrund der zahlreichen Kontakte nicht virus- und bakterienbedingten Infekten ausgesetzt werden durfte; eine andere Tätigkeit, um den Umgang mit kleinen Kindern zu vermeiden, konnte ihr nicht gegeben werden. Die Klägerin erhielt aufgrund dieser Mutterschutzmaßnahme kein Arbeitsentgelt, jedoch nach "Art. 219bis § 1er" des "Königlichen Erlasses vom 03.07.1996 zur Ausführung des koordinierten Gesetzes über die Gesundheitspflege- und Entschädigungspflichtversicherung vom 14.07.1994" von der Krankenkasse "Mutualité Chrétienne" ein Mutterschaftsgeld ("indemnité de maternité") in Höhe von brutto 13.138,16 EUR abzüglich Einkommensteuer ("Berufssteuer") in Höhe von 1.459,43 EUR, also netto 11.678,73 EUR.

Vom 25.06. bis 06.10.2011 (= 104 Kalendertage) hatte die Klägerin vor- und nachgeburtlichen Mutterschaftsurlaub ("Geburtsruhe"). Sie erhielt in diesem Zeitraum Mutterschaftsgeld in Höhe von brutto 8.116,57 EUR abzüglich Einkommensteuer ("Précompte professionnel") in Höhe von 991,91 EUR, also netto 7.214,66 EUR (vgl. Bescheinigung der "Mutualité Chrétienne" vom 11.02.2013 und Auflistung der Klägerin vom 16.02.2013), umgerechnet kalendertäglich netto 69,37 EUR.

Vom 07.10.2011 bis 04.01.2012 befand sich die Klägerin in sogenanntem Stillzeiturlaub. Vom 05.01. bis 15.12.2012 erhielt sie während des Elternurlaubs Arbeitslosenunterstützung, und zwar für die Zeit vom 05.01. bis 04.04.2012 netto 2.760,77 EUR, für die Zeit vom 05.04. bis 04.08.2012 netto 2.268,07 EUR, insgesamt für die Zeit vom 05.01. bis 04.08.2012 netto 5.028,84 EUR. Aus der in dem Zeitraum vom zweiten bis zwölften Lebensmonats des Kindes ausgeübten selbstständigen Tätigkeit erzielte sie Einkünfte von 105, 71 EUR netto, umgerechnet monatlich 10,57 EUR.

Am 09.09.2011 beantragte die Klägerin Elterngeld für den ersten bis zwölften Lebensmonat des Kindes F ... Sie legte hierzu Gehaltsabrechnungen des Arbeitgebers für die Monate Dezember 2009 bis Mai 2011 vor. Diese Abrechnungen weisen u.a. unter - A. das Bruttogehalt ("Brut total"), - B. die Sozialversicherungsbeiträge ("ONSS travailleur"), - D. das steuerpflichtige Einkommen ("Imposable"), - E. die Steuern ("Précompte"), - F. eine Spezialabgabe ("Cotisation speciale"/"Divers nets"), - G. das Nettogehalt ("Net á payer"), entsprechende Beträge in diesen Rubriken jedoch nur bis Dezember 2010 aus.

Durch vorläufigen Bescheid vom 22.11.2011, auf Widerspruch der Klägerin abgeändert durch "Abhilfebescheid" vom 17.04.2012 bewilligte der Beklagte Elterngeld für die Zeit vom 05.08.2011 bis 04.08.2012. Der Berechnung des Elterngeldes legte er als Bemessungszeitraum die zwölf Monate von Juni 2010 bis Mai 2011, jedoch als Bemessungsentgelt lediglich das in den fünf Monaten von Juni bis Dezember 2010 erzielte und abgerechnete Netto-Arbeitsentgelt abzüglich einer Werbungskostenpauschale von monatlich 76,76 EUR zugrunde. Die Einzelheiten der Berechnung ergeben sich aus der dem Bescheid vom 17.04.2012 beigefügten Übersicht:

Monat Netto- einkommen Werbungs-kosten Ermitteltes Netto 1 (= Juni 2010) 1.632,75 76,67 1.556,08 2 (= Juli 2010) 1.632,75 76.67 1.556,08 3 (= Aug. 2010) 1.673,43 76,67 1.596,76 4 (= Sept. 2010) 1.673,43 76,67 1.596,76 5 (= Okt. 2010) 1.700,99 76,67 1.624,32 6 (= Nov. 2010) 1.700,99 76,67 1.624,32 7 (= Dez. 2010) 1.697,99 76,67 1.621,32 8 - - - 9 - - - 10 - - - 11 - - - 12 - - - 11.175,64 Division durch 12: 931,30

Unter Anrechnung des bis 04.10.2011 bezogenen regulären (nachgeburtlichen) Mutterschaftsgeldes, der bis dahin bekannten Arbeitslosenunterstützung und eines während des Elterngeldbezuges (voraussichtlich) erzielten Einkommens aus selbstständiger Tätigkeit errechnete der Beklagte in dem Bescheid vom 17.04.2012 folgenden Elterngeldanspruch:

Lebens- monat von bis Elterngeldbetrag 1 05.08.2011 04.09.2011 0,00 2 05.09.2011 04.10.2011 0,00 3 05.10.2011 04.11.2011 607,04 4 05.11.2011 04.12.2011 648,91 5 05.12.2011 04.01.2012 300,00 6 05.01.2012 04.02.2012 300,00 7 05.02.2012 04.03.2012 300,00 8 05.03.2012 04.04.2012 634,21 9 05.04.2012 04.05.2012 648,91 10 05.05.2012 04.06.2012 648,91 11 05.06.2012 04.07.2012 648,91 12 05.07.2012 04.08.2012 648,91

Dies ergab einen Elterngeldauszahlungsbetrag von 5.385,80 EUR, den die Klägerin auch erhielt.

Den gegen die Bewilligungsentscheidung(en) eingelegten Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 06.06.2012 zurück. Er meinte, die von der Elterngeldkasse vorgenommene Berechnung des Elterngeldes entspreche den gesetzlichen Vorschriften. Nur Monate, in denen Erwerbseinkommen aufgrund einer schwangerschaftsbedingten Krankheit ganz oder teilweise weggefallen sei, könnten durch frühere Monate mit Erwerbseinkommen ersetzt werden. Das Beschäftigungsverbot nach belgischem Recht stelle keine Krankheit dar.

Am 27.06.2012 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie trägt vor, wegen des nach belgischem Recht ausgesprochenen Beschäftigungsverbotes habe sie die letzten Monate nicht mehr arbeiten dürfen. Diese fünf Monate habe der Beklagte mit 0 bewertet. Würde sie in Deutschland arbeiten, wäre weiterhin der durchschnittliche Nettoverdienst für diese Monate zugrundegelegt worden. Sie verweist auf die Entscheidung des Sozialgericht (SG) Aachen vom 30.06.2009 (S 13 EG 4/09); danach dürfe es sich für eine in Belgien erwerbstätige elterngeldberechtigte Mutter nicht nachteilig auswirken, dass der Schutz werdender Mütter in Deutschland und Belgien unterschiedlich ausgestaltet ist.

Die Klägerin beantragt, unter entsprechender Abänderung des Bescheides des Beklagten vom 22.11.2011 in der Fassung des Bescheides vom 17.04.2012, des Widerspruchsbescheides vom 06.06.2012 und des Bescheides vom 08.05.2013 das ihr anlässlich der Geburt des Kindes F. zustehende Elterngeld unter Zugrundelegung des in den Monaten Dezember 2009 bis November 2010 erzielten Erwerbseinkommens festzustellen und den Beklagten zu verurteilen, ihr gegebenenfalls weiteres Elterngeld nachzuzahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat durch Bescheid vom 08.05.2013 unter Berücksichtigung der inzwischen bekannt gewordenen, im Bezugszeitraum erzielten Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit in Höhe von 105,71 EUR den Elterngeldanspruch endgültig auf insgesamt 4.011,18 EUR festgestellt und im Hinblick auf das bereits ausgezahlte Elterngeld in Höhe von 5.385,80 EUR die Erstattung überzahlten Elterngeldes von 1.374,62 EUR gefordert. Im Übrigen verbleibt der Beklagte bei seiner in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Auffassung.

Das Gericht hat Auskünfte und Rechtsquellen über den Mutterschutz, Beschäftigungsverbote und entsprechende Leistungen für Schwangere und Mütter nach belgischem Recht vom Ministerium der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens in Eupen und vom Juristischen Dienst der belgischen Arbeitnehmerorganisation CSC in Verviers erhalten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwi-schen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsak-te sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begrün¬det.

Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG, soweit der Beklagte dadurch den Elterngeldanspruch endgültig auf 4.011,18 EUR festgesetzt und – im Hinblick auf den bereits ausgezahlten Elterngeldbetrag von 5.385,80 EUR die Erstattung überzahlten Elterngeldes von 1.374,62 EUR verlangt hat. Die Klägerin hat Anspruch auf Elterngeld in Höhe von 5.392,68 EUR; unter Berücksichtigung der bereits ausgezahlten Leistung sind ihr noch 6,88 EUR nachzuzahlen.

Gemäß § 27 Abs. 1 BEEG richtet sich der Elterngeldanspruch der Klägerin nach dem BEEG in der bis zum 16.12.2012 geltenden Fassung (im Folgenden: alte Fassung = a.F.). Die Klägerin hat, obwohl sie belgische Staatsangehörige ist, in Belgien wohnt und dort erwerbstätig ist, Anspruch auf deutsches Elterngeld nach dem BEEG (a.F.). Sie erfüllt die Voraus¬setzungen eines Anspruchs auf diese Leistung für den ersten bis zwölften Lebensmonat des Kindes F.; sie lebt mit dem Kind in einem Haushalt, betreut und erzieht dieses Kind selbst und übt keine oder keine volle Erwerbstätigkeit aus (§ 1 Abs. 1 Nr. 2-4 BEEG (a.F.). Der Umstand, dass sie keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat (vgl. § 1 Nr. 1 BEEG a.F.), sondern in Belgien lebt und vor der Geburt gearbeitet hat, steht dem An¬spruch nicht entgegen. Zwar gehört die Klägerin zu keiner der in § 1 Abs. 2 BEEG (a.F.) benannten drei Gruppen von Personen und deren Ehe- bzw. Lebenspartner, die auch ohne Wohn¬sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland Elterngeld beanspruchen können. Jedoch gehören - vom Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt - nach dem Recht der Europäi¬schen Gemeinschaften auch Grenzgänger im Sinne der "Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Koordinierung der Systeme der Sozialen Sicherheit " (EG-VO 883/2004) zu den elterngeldberechtigten Personen (so ausdrücklich die Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drucksache 16/1889, S. 18), ebenso die Familienangehörigen von Grenzgängern. Dies ist Ausfluss des gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsgebots nach Art. 39 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV).

Das Gemeinschaftsrecht findet Anwendung, da das Elterngeld in den sachlichen Geltungsbereich der EG-VO 883/2004 fällt. Das Elterngeld ist eine Familienleistung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. j) EG-VO 883/2004 (HzS/Irmen, Gruppe 9 Tb. 1, Rz. 89 unter Hinweis auf die Rspr. des EuGH zum Erziehungsgeld). Der Ehemann der Klägerin ist nach der Legaldefinition in Art. 1 Buchst. f) EG-VO 883/2004 Grenzgänger. Nach den europarechtlichen Kollisionsnormen unterliegen Arbeitnehmer, die in einem anderen Land als dem ihres Wohnsitz erwerbstätig sind, grundsätz¬lich den Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaates (vgl. Art. 11 ff. EG-VO 883/2004). Der Ehemann der Klägerin hätte somit gemäß Art. 67 EG-VO 883/2004 als Grenzgänger selbst Anspruch auf Elterngeld gehabt, sofern er die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 BEEG (a.F.) erfüllt und die Leistung beantragt hätte. In Bezug auf die Gewährung von Familienleistungen bestimmt Art. 67 Satz 1 EG-VO 883/2004, dass eine Person auch für Familienangehörigen, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats hat, als ob diese Familienangehö¬rigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden. Dies betrifft die Situation von Grenzgängern. Die mit Art. 67 EG-VO 883/2004 bewirkte Gleichstellung des aus- und inländischen Wohnsitzes gilt nicht nur für Ansprüche des Arbeitnehmers - hier: des Ehemanns der Klägerin - selbst, sondern auch für die seiner Familienangehörigen, auch wenn sie nicht unter den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung fallen. Nach der Rechtsprechung des EuGH zu der Vorgängerregelung des Art. 73 EG-VO 1408/71(vgl. Urteil vom 10.10.1996 - C-245/94 und C-312/94 [Hoever/Zachow]; Urteile vom 07.06.2005 - C-543/03 [Dodl/Oberhollenzer] und C-153/03 [Weide]) hat die Ehegattin eines Arbeitnehmers, der - wie der Ehemann der Klägerin - als Grenzgänger den Rechtsvorschriften seines Beschäftigungsstaates unterliegt und mit seiner Familien in einem anderen Staat wohnt, aufgrund von Art. 67 EG-VO 883/2004 im Be-schäftigungsstaat ihres Mannes Anspruch auf Familienleistungen, bekommt also von ih-rem Ehemann einen Anspruch auf Familienleistungen vermittelt. Obwohl die Klägerin selbst belgischen Rechtsvorschriften unterliegt, hat sie einen Anspruch auf deutsches Elterngeld (vgl. auch die Richtlinien zum BEEG des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend – BMFSFJ/204, Stand: 12.2010, Teil II Abschnitt 3.15.2). Die Prioritätsregeln des Art. 68 EG-VO 883/2004 finden auf den Anspruch der Klägerin auf das deutsche Elterngeld keine Anwendung, da in Belgien eine dem deutschen Elterngeld vergleichbare Leistung nicht existiert.

Die Klägerin wird jedoch durch die angefochtenen Elterngeldbescheide, zuletzt denjenigen vom 08.05.2013 insoweit beschwert, als darin die Höhe der ihr endgültig zustehenden Leistung falsch berechnet und 1120,91 EUR zu wenig bewilligt worden sind. Ihr Elterngeldanspruch beträgt nicht 4.011,18 EUR, sondern 5.392,68 EUR.

Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 BEEG (a.F.) wird Elterngeld in Höhe von (mindestens) 67 % des in den zwölf Kalendermonaten vor der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem Höchstbetrag von 1.800,00 EUR monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Erwerbseinkommen erzielt. Bei der Bestimmung der zwölf für die Einkommensermittlung vor der Geburt des Kindes zugrunde zu legenden Kalendermonate bleiben Kalendermonate, in denen die be-rechtigte Person Mutterschaftsgeld nach der Reichsversicherungsordnung (RVO) oder dem Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG) bezogen hat oder in denen während der Schwangerschaft wegen einer maßgeblich auf die Schwangerschaft zurückzuführenden Erkrankung Einkommen aus Erwerbstätigkeit ganz oder teilweise weggefallen ist, unberücksichtigt (§ 2 Abs. 7 Satz 6 BEEG a.F.). In diesem Fall umfasst der Bemes¬sungszeitraum zwar ebenfalls zwölf Kalendermonate, jedoch wird der Zeitraum um die nicht zu berücksichtigenden Kalendermonate vor der Geburt des Kindes verschoben.

Streng am Wortlaut des § 2 Abs. 7 Satz 6 BEEG (a.F.) orientiert hat die Klägerin keine der in dieser Regelung aufgezählten Verschiebungstatbestände erfüllt. Sie hat weder Mutter-schaftsgeld nach der RVO oder nach dem KVLG bezogen, noch eine Einkommensminderung wegen einer maßgeblich auf die Schwangerschaft zurückzuführenden Erkrankung hinnehmen müssen. Sie hat wegen Mutterschaftsurlaub ("Geburtsruhe") nach Art. 39 des belgischen "Gesetz über die Arbeit" (ArbG) vom 16.03.1971" vor der Geburt des Kindes für die Zeit vom 25.06 bis 04.08.2011 Mutterschaftsgeld erhalten; da sie als Krankenschwester in besonderem Maße Bakterien und Viren (= biologische Agenzien; vgl. Anlage I. A. 2. und Anlage II. A. 1. b) des "Königlichen Erlass über den Mutterschutz vom 02.05.1995") ausgesetzt war, hatte sie davor vom 14.12.2010 bis 24.06.2011 ein absolutes Beschäftigungsverbotes nach Art. 41, 42 § 1 Abs. 1 Nr. 3 ArbG und für diese Zeit Mutterschaftsgeld nach "Art. 219bis § 1er" des "Königlichen Erlasses vom 03.07.1996 zur Ausführung des koordinierten Gesetzes über die Gesundheitspflege- und Entschädigungspflichtversicherung vom 14.07.1994" erhalten. Dies sind nach dem Wortlaut des Gesetzes keine Leistungen im Sinne von § 2 Abs. 7 Satz 6 BEEG (a.F.), deren Bezugsmonate bei der Bestimmung des 12-monatigen Bemessungszeitraums unberücksichtigt bleiben.

Würden die Kalendermonate Dezember 2010 bis Juli 2011 zu den zwölf für die Einkommensermittlung vor der Geburt des Kindes zugrunde zu legenden Kalendermonaten gehören, der Bemessungszeitraum also die Monate August 2010 bis Juli 2011 umfassen, so wäre für die Bemessung des der Klägerin zustehenden Elterngeldes nur das in den vier Monaten August bis November 2010 erzielte Einkommen aus nichtselbstständiger Arbeit (neben dem Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit) heranzuziehen. Dies würde jedoch eine durch nichts gerechtfertigte Benachteiligung von in Belgien tätigen Arbeitnehmern gegenüber Arbeitnehmern, die in Deutschland in einer vergleichbaren Situation erwerbstätig sind, bedeuten. Insofern enthält der Gesetzeswort-laut eine Lücke, die vom Gesetzgeber offensichtlich nicht gewollt ist. Sinn und Zweck der Re¬gelung und Intention des Gesetzgebers ist es, ein Absinken des Elterngeldes durch das in diesen Monaten geringere oder fehlende Erwerbseinkommen zu vermeiden (BT-Druck-sache 16/2785, S. 38). Diese Lücke kann durch verfassungs- und europarechtskonforme Auslegung geschlossen werden (Urteil der Kammer vom 30.06.2009 – S 13 EG 4/09).

Bereits in dem vom BMFSFJ herausgegebenen Richtlinien zum BEEG (a.a.O., Teil I Abschnitt 2.7.5) wird der Anwendungsbereich des § 2 Abs. 7 Satz 6 – über den Wortlaut der Vorschrift hinaus – u.a. auf Beschäftigungsverbote nach § 3 Abs. 2 Mutterschaftsgesetz (MuSchG) ausgedehnt und diese einer maßgeblichen schwangerschaftsbedingten Erkrankung gleichgestellt, wenn der Mutter – z.B. als privat versicherter Arbeitnehmerin – kein Mutterschaftsgeld zusteht. Im vorliegenden Fall hat der Beklagte selbst – ebenfalls über den Wortlaut der Vorschrift des § 2 Abs. 7 Satz 6 BEEG (a.F.) hinaus – das während des 6-wöchigen vorgeburtlichen Mutterschaftsurlaub nach Art. 39 des belgischen ArbG gezahlte Mutterschaftsgeld dem "Mutterschaftsgeld nach der RVO oder dem KVLG" gleichgestellt und die Kalendermonate Juni und Juli 2011, in denen diese Leistung bezogen wurde, nicht bei den zwölf für die Einkommensermittlung maßgeblichen Kalendermonaten berücksichtigt. Diese zutreffende Auslegung des Gesetzes muss auch für die weiteren sechs Monate (Dezember 2010 bis Mai 2011) gelten, in denen die Klägerin wegen des schwangerschaftsbedingten Beschäftigungsverbots Mutterschaftsgeld erhalten hat.

Das Beschäftigungsverbot oder, wie es in den Art. 41, 42 des belgischen ArbG heißt, die Aussetzung der Erfüllung des Arbeitsvertrages wegen der Gefahr, biologischen Agenzien ausgesetzt zu werden, entspricht dem nach deutschem Recht geltenden Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 MuSchG. Während der Zeit eines solchen Beschäftigungsverbotes wird Arbeitnehmerinnen, die nach deutschem Recht tätig sind, vom Arbeitgeber das Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des Durchschnittsverdienstes der letzten drei Monate weiter gezahlt (§ 11 Abs. 1 MuSchG). Demgegenüber bekommen in Belgien erwerbstätige Arbeitnehmerinnen nach belgischem Recht ein Mutterschaftsgeld, nicht jedoch die Fortzahlung des Arbeitsentgelts. Eine daraus resultierende Benachteiligung bei der Bemessung des Elterngeldes ist durch keinen sachlichen Grund gerechtfertigt. Um eine Gleichstellung mit in Deutschland erwerbs¬tätigen Arbeitnehmerinnen zu errei¬chen, ist daher für Personen in der Situation der Klägerin die Vorschrift des § 2 Abs. 7 Satz 6 BEEG (a.F.) nach ihrem Sinn und Zweck dahin auszulegen, dass bei der Bestimmung der zwölf für die Einkommensermittlung vor Geburt des Kindes zugrunde zu legenden Kalendermonate auch Monate, in denen einer in Belgien erwerbstätigen elterngeldberechtigten Mutter aufgrund eines absoluten Beschäftigungsverbotes wegen der Gefährdung durch biologische Agenzien (Bakterien und Viren) für Mutter und/oder Kind Erwerbseinkommen ganz oder teilweise weggefallen ist, unberücksichtigt bleiben. Dabei kann dahin stehen, ob die für die Zeit des Beschäftigungsverbotes gezahlte Entschädigung dem deutschen Mutterschaftsgeld oder ob die Aussetzung der Erfüllung des Arbeitsvertrages wegen der Gefährdung durch biologische Agenzien einer schwangerschaftsbedingten (potenziellen) Erkrankung gleichgestellt wird.

Bleiben somit die Monate Dezember 2010 bis Juli 2011 bei der Bestimmung der zwölf für die Einkommensermittlung vor der Geburt des Kindes zugrunde zu legenden Kalendermonate unberücksichtigt, so sind für die Bemessung des Elterngeldes der Klägerin die zwölf Kalendermonate von Dezember 2009 bis November 2010 maßgeblich.

Das nach § 2 Abs. 1 BEEG (a.F.) heranzuziehende "Einkommen", von dem in der Regel 67 % den Elterngeldbetrag ergeben, ist ein Nettoeinkommen. Dies ergibt sich vorliegend aus § 2 Abs. 7 BEEG (a.F.). Danach ist als Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit der Überschuss der Einnahmen über die pauschal anzusetzenden Werbungskosten, die um die auf dieses Einkommen entfallenden Steuern und die aufgrund dieser Erwerbstätigkeit geleisteten Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung in Höhe des gesetzlichen Anteils der beschäftigten Person einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung zu vermindern sind, zu berücksichtigen (Satz 1). Sonstige Bezüge im Sinne von § 38a Abs. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) werden nicht als Einnahmen berücksichtigt (Satz 2); dies sind die so genannten Einmalzahlungen. Als auf die Einnahmen entfallenden Steuern gelten die abgeführte Lohnsteuer einschließlich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer (Satz 3). Grundlage der Einkommensermittlung sind die entsprechenden monatlichen Lohn- und Gehaltsbescheinigungen des Arbeitgebers (Satz 4).

Auch bei der Anwendung dieser Vorschriften sind die der Klägerin nach belgischem Recht gezahlten Entgeltbestandteile, Abgaben und Beiträge entsprechend zu berücksichtigen. Dies sind das Bruttogehalt ("Brut total"), aus dem sich nach Abzug der die Sozialversicherungsbeiträge ("ONSS travailleur"), der Einkommensteuer ("Précompte") und der dem deutschen Solidaritätszuschlag vergleichbaren Spezialabgabe ("Cotisation speciale"/"Divers nets") das Nettogehalt ("Net á payer") ergibt; nach weiteren Abzug der in § 2 Abs. 7 Satz 1 BEEG (a.F.) genannten Werbungskostenpauschale, die im maßgeblichen Zeitraum mit monatlich 76,67 EUR anzusetzen war, verbleibt das der Bemessung des Elterngeldes zugrundezulegende Nettoeinkommen.

Auf das der Klägerin zustehende Elterngeld ist das nach der Geburt bis 06.10.2011 gezahl-te belgische Mutterschaftsgeld wie Mutterschaftsgeld nach der RVO anzurechnen. Dieses ergibt sich in der Konsequenz der vorstehenden Erwägungen zur verfassungs- und europarechtskonformer Auslegung des BEEG (a.F.) auch für die einschlägige Anrechnungsvorschrift des § 3 Abs. 1 Satz 1 BEEG (a.F.), da dessen Wortlaut allein das nachgeburtliche Mutterschaftsgeld nach belgischem Recht nicht erfassen würde.

Ausgehend von dem steuerpflichtigem Bruttoeinkommen der Klägerin in der Zeit von Dezember 2009 bis November 2011 errechnet sich auf der Grundlage der Gehaltsbescheinigungen des Arbeitgebers sowie der Angaben zum Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit vor der Geburt und im Bezugszeitraum das zustehende Elterngeld wie folgt:

Monat Brutto- Gehalt SV-Beitr. ("ONSS") Steuern ("Pré- compte") Spezial- abgabe ("Divers nets") Netto- gehalt WK Netto- bemess.- entgelt 12/2009 2.725,25 356,19 711,83 30,08 1.627,15 76,67 1.550,48 1/2010 2.725,25 356,19 711,83 24,49 1.632,74 76,67 1.556,07 2/2010 2.725,25 356,19 711,83 24,49 1.632,74 76,67 1.556,07 3/2010 2.725,25 356,19 711,83 24,48 1.632,75 76,67 1.556,08 4/2010 2.725,25 356,19 711,83 24,49 1.632,74 76,67 1.556,07 5/2010 2.725,26 356,19 619,31 24,49 1.725,27 76,67 1.648,60 6/2010 2.725,25 356,19 711,83 24,48 1.632,75 76,67 1.556,08 7/2010 2.725,25 356,19 711,83 24,49 1.632,74 76,67 1.556,07 8/2010 2.821,63 368,79 753,86 25,55 1.673,43 76,67 1.596,76 9/2010 2.821,63 368,79 753,86 25,54 1.673,44 76,67 1.596,77 10/2010 2.878,22 376,18 774,88 26,17 1.700,99 76,67 1.624,32 11/2010 2.878,22 376,18 774,88 26,17 1.700,99 76,67 1.624,32 18.977,69 Division durch 12: 1.581,47

Durchschnittliches Monatseinkommen im Bemessungszeitraum - aus selbstständiger Arbeit 1.581,47 EUR - aus nichtselbständiger Arbeit 42,81 EUR 1.624,28 EUR

davon 65%: 1.055,78 EUR

Unter Berücksichtigung der nach der Geburt monatlich erzielten Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit i.H.v. 10,57 EUR gilt gem. § 2 Abs. 3 BEEG (a.F.):

monatlicher Nettobetrag vor Geburt 1.624,28 EUR monatlicher Nettobetrag nach Geburt 10,57 EUR Differenz: 1.613,71 EUR

Elterngeld: 65 % 1.048,91 EUR

Vom 25.06. bis 06.10.2011 (= 104 Kalendertage) hatte die Klägerin vor- und nachgeburtlichen Mutterschaftsurlaub. Sie erhielt in diesem Zeitraum Mutterschaftsgeld in Höhe von netto 7.214,66 EUR, umgerechnet kalendertäglich netto 69,37 EUR. Vom 07.10.2011 bis 04.01.2012 befand sich die Klägerin in sogenanntem Stillzeiturlaub. Vom 05.01. bis 15.12.2012 erhielt sie während des Elternurlaubs Arbeitslosenunterstützung, und zwar für die Zeit vom 05.01. bis 04.04.2012 netto 2.760,77 EUR, für die Zeit vom 05.04. bis 04.08.2012 netto 2.268,07 EUR, insgesamt in den sieben Monaten vom 05.01. bis 04.08.2012 netto 5.028,84 EUR, auf den Monat umgerechnet 711, 41 EUR. Aus der in dem Zeitraum vom zweiten bis zwölften Lebensmonats des Kindes ausgeübten selbstständigen Tätigkeit erzielte sie Einkünfte von 105, 71 EUR netto, umgerechnet monatlich 10,57 EUR.

Auf den o.g. Elterngeldanspruchsbetrag von 1.048,91 EUR sind gem. § 3 Abs. 1 BEEG (a.F.) das bis 06.10.2011 gezahlte Mutterschaftsgeld (kalendertäglich netto 69,37 EUR) und gem. § 3 Abs. 2 BEEG (a.F.) die vom 05.01. bis 04.08.2011gezahlte Arbeitslosenunterstützung (im Monatsdurchschnitt 711,41 EUR), soweit sie einen Elterngeldbetrag von 300 EUR übersteigt, anzurechnen. Dies ergibt folgenden Elterngeldanspruch:

Lebens- monat von bis Elterngeldbetrag 1 05.08.2011 04.09.2011 0,00 2 05.09.2011 04.10.2011 0,00 3 05.10.2011 04.11.2011 981,36 4 05.11.2011 04.12.2011 1.048,91 5 05.12.2011 04.01.2012 1.048,91 6 05.01.2012 04.02.2012 330,50 7 05.02.2012 04.03.2012 330,50 8 05.03.2012 04.04.2012 330,50 9 05.04.2012 04.05.2012 330,50 10 05.05.2012 04.06.2012 330,50 11 05.06.2012 04.07.2012 330,50 12 05.07.2012 04.08.2012 330,50 Elterngeld insgesamt 5.392,68

Da die Klägerin bereits Elterngeld in Höhe von 5.385,80 EUR erhalten hat, der Beklagte aber durch die angefochtenen Bescheide, zuletzt in der Fassung des (endgültigen) Bescheides vom 08.05.2013 einen Elterngeldanspruch in Höhe von nur 4.011,18 EUR festgestellt und auf der Grundlage seiner – unrichtigen - Festsetzung einen Betrag von 1.374,62 EUR zurückgefordert hat, waren die Bescheide entsprechend abzuändern und der Beklagte unter Feststellung des der Klägerin zustehende Elterngeldgesamtbetrages zur Nachzahlung von 6,88 EUR zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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