S 7 KA 3/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 7 KA 3/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits, zu denen auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 6) gehören. Der Streitwert wird auf 15.000,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine dem Beigeladenen zu 6) erteilten Genehmigung zur Verlegung seines Vertragsarztsitzes.

Der Beigeladene zu 6) ist als Facharzt für Urologie in I. zugelassen. Es besteht eine überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft mit dem am Vertragsarztsitz in 00000 I1., T-straße 00, zugelassenen Facharzt für Urologie L.

Seinen Antrag auf Genehmigung zur Verlegung seines Vertragsarztsitzes nach 00000 I1. zur Fortführung der Berufsausübungsgemeinschaft mit dem Facharzt für Urologie L. lehnte der Zulassungsausschuss für Ärzte Köln mit Beschluss vom 19.10.2011 (abgesandt am 16.01.2012) ab. Zur Begründung führte er aus, angesichts der zwischen den Vertragsarztsitzen I. und I1. bestehenden Entfernung von rund 16 Kilometern drohe eine Versorgungslücke zu entstehen. Der Beigeladene zu 6) legte am 27.01.2012 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, der Zulassungsausschuss für Ärzte Köln habe unzureichende Feststellungen getroffen. Die Entfernung zwischen den Vertragsarztsitzen betrage lediglich 12 und nicht 16 Kilometer. Der Standort in I. solle aus rein wirtschaftlichen Gründen aufgegeben werden und es handele sich um eine Verlegung innerhalb eines Planungsbereichs. Mit Beschluss vom 09.05.2012 (der Klägerin zugestellt am 23.05.2012) erteilte der Beklagte dem Beigeladenen zu 6) die Genehmigung zur begehrten Verlegung des Vertragsarztsitzes nach I1. Zur Begründung führte er aus, Gründe der vertragsärztlichen Versorgung stünden nicht entgegen.

Hiergegen richtet sich die am 21.06.2012 erhobene Klage.

Die Klägerin verweist auf § 24 Abs. 7 der Zulassungsverordnung für Ärzte in der ab 01.01.2012 geltenden Fassung. Durch Änderung dieser Vorschrift sei klar gestellt worden, dass die Möglichkeit einer Verlegung des Vertragsarztsitzes lediglich dann besteht, wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegen stehen. Dies indessen sei der Fall, da der Beigeladene zu 6) der einzige Facharzt für Urologie in I. sei. Überdies habe der Beigeladene zu 6) die Praxis in I. bereits seit einiger Zeit mehr oder weniger aufgegeben und sei lediglich noch am Vertragsarztsitz in I1. tätig.

Die Klägerin beantragt, den Beschluss des Berufungsausschusses für Ärzte für den Bezirk der KV Nordrhein vom 09.05.2012 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über den Widerspruch des Beigeladenen zu 6) vom 27.01.2012 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hält an seiner bisherigen Auffassung fest.

Die Beigeladenen zu 1) bis 5) stellen keinen eigenen Antrag.

Der Beigeladene zu 6) beantragt, die Klage abzuweisen.

Er weist auf den unterschiedlichen Wortlaut in § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV einerseits und § 24 Abs. 7 Ärzte-ZV andererseits hin. Hieraus folge, dass eine bloße Beeinträchtigung des vertragsärztlichen Versorgung für eine Versagung des Antrags auf Verlegung des Vertragsarztsitzes nicht ausreiche. Auch sieht er sich durch § 5 Abs. 5 des Honorarverteilungsmaßstabs (HVM) der Klägerin in seinem Begehren bestätigt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte trotz Abwesenheit von Vertretern der Beigeladenen zu 1) bis 5) aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden, weil die Beigeladenen zu 1) bis 5) in der schriftlichen Terminsladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind, §§ 110 Abs. 1 Satz 2, 124 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Klägerin klagebefugt. Denn aufgrund ihrer Aufgabe zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung ist sie zur Anfechtung von Entscheidungen der Zulassungsgremien befugt (siehe zuletzt etwa BSG, Urteil vom 17.06.2009, B 6 KA 14/08 R = juris; BSG, Urteil vom 02.09.2009, B 6 KA 21/08 R = juris).

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin wird durch den angefochtenen Beschluss des Beklagten nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, da dieser nicht rechtswidrig ist. Grundlage für die Genehmigung der Verlegung des Vertragsarztsitzes des Beigeladenen zu 6) ist § 24 Abs. 7 der Zulassungsverordnung für Ärzte (im Folgenden: Ärzte-ZV). Hierbei kann es die Kammer offen lassen, ob in Anbetracht der Recht-sprechung des BSG, nach der jedenfalls in Vornahmesachen die Rechtslage bis zum Zeitpunkt des Abschlusses der Revisionsinstanz maßgeblich ist (dazu etwa BSG, Urteil vom 31.08.2005 – B 6 KA 68/04 R = juris, Rdnr. 10; BSG, Urteil vom 28.01.2009 – B 6 KA 61/07 R = juris, Rdnr. 12) auf die ab 01.01.2012 geltende Fassung des § 24 Abs. 7 Ärzte-ZV abzustellen ist, oder ob aufgrund der Tatsache, dass es sich vorliegend um eine Drittanfechtung handelt, die Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgeblich ist (dazu allgemein etwa Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 54 Rdnr. 33 m.w.N.). Denn die Entscheidung des Beklagten ist am 09.05.2012 ergangen bzw. den Verfahrens-beteiligten am 23.05.2012 zugestellt worden – zu einer Zeit also, als ohnehin die Änderung des § 24 Abs. 7 Ärzte-ZV durch das Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 22.12.2011 (BGBl. 70, 2983 ff.) bereits in Kraft getreten war. Folglich ist § 24 Abs. 7 Ärzte-ZV in der ab 01.01.2012 geltenden Fassung zu Grunde zu legen.

Nach dieser Vorschrift darf der Zulassungsausschuss den Antrag eines Vertragsarztes auf Verlegung seines Vertragsarztsitzes nur genehmigen, wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegen stehen.

Bei der Auslegung des Merkmals "Gründe der vertragsärztlichen Versorgung" ist die ab 01.01.2012 geltende Änderung des Wortlauts des § 24 Abs. 7 Ärzte-ZV zu beach-ten. Hiermit sollte klargestellt werden, dass die Zulassungsgremien bei der Prüfung eines Antrags auf Verlegung des Vertragsarztsitzes vorrangig darauf zu achten haben, dass Versorgungsgesichtspunkte einer Verlegung des Vertragsarztsitzes nicht entgegen stehen. Kommt es demnach aufgrund der Verlegung eines Vertragsarztsitzes in einen anderen Stadtteil zu Versorgungsproblemen in dem Stadtteil, in dem sich der Vertragsarzt derzeit befindet, hat der Zulassungsausschuss den Antrag auf Verlegung abzulehnen (siehe die Begründung zu § 24 Abs. 7 Ärzte-ZV im Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung, BT-Drs. 17/6906, S. 105).

Auch der Sinn und Zweck der Vorschrift spricht dafür, dass Gründe der vertragsärztlichen Versorgung insbesondere dann als entgegen stehend anzunehmen, wenn durch Verlegung des Vertragsarztsitzes eine flächendeckende Versorgung nicht mehr sichergestellt ist (zur ratio des wortgleichen Merkmals im Rahmen des § 103 Abs. 4a Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) etwa Pawlita, in: jurisPK, 2. Aufl. 2012, § 103 SGB V, Rdnr. 118).

Selbst unter Zugrundelegung dieser strengen Vorgaben stehen im vorliegenden Fall einer Verlegung des Vertragsarztsitzes des Beigeladenen zu 6) nach 00000 I1. Gründe der vertragsärztlichen Versorgung nicht entgegen.

Soweit die Klägerin darauf hinweist, dass bei Genehmigung des Verlegungsbegehrens des Beigeladenen zu 6) kein Facharzt für Urologie in I. verbleibt, so begründet dies keine derartigen Gründe. Aus Sicht der Kammer hat der Beigeladene zu 6) zu Recht auf den unterschiedlichen Wortlaut der hier maßgeblichen Vorschrift des § 24 Abs. 7 Ärzte-ZV und der Vorschrift des § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr.2 Ärzte-ZV hingewiesen. Nach Letzterer sind vertragsärztliche Tätigkeiten außerhalb des Vertragsarztsitzes an weiteren Orten zulässig, wenn und soweit dies 1. die Versorgung der Versicherten an den weiteren Orten verbessert und 2. die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragsarztsitzes nicht beeinträchtigt wird. Wie diese gesetzessystematische Betrachtung zeigt, kennt die Ärzte-ZV also auch den Begriff einer bloßen Beeinträchtigung der ordnungsgemäßen Versorgung. Deshalb ist für ein "Entgegenstehen von Gründen der vertragsärztlichen Versorgung" zu fordern, dass gravierendere Gründe vorliegen, als eine bloße Beeinträchtigung. Derartige Gründe indessen sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Der Beklagte und der Beigeladene zu 6) haben zu Recht darauf hingewiesen, dass die Entfernung zwischen dem bisherigen Vertragsarztsitz des Beigeladenen zu 6) in I. und dem begehrten Vertragsarztsitz in I1. lediglich 12 km beträgt und nicht – wie vom Zulassungsausschuss für Ärzte Köln angenommen – 16 km. Angesichts dieser Entfernung stehen einer Verlegung keine Gründe der vertragsärztlichen Versorgung entgegen. Auch die obergerichtliche Rechtsprechung hält eine Entfernung zum nächsten Facharzt von 20 bis 30 km noch für zumutbar (für einen Facharzt für Urologie statt vieler LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23.09.2009 – L 5 KA 2245/08 = juris Rdnr. 74). Hierbei verkennt die Kammer nicht, dass diese Rechtsprechung zu § 24 Satz 1 der Bedarfsplanungsrichtlinie für Ärzte ergangen ist. Gleichwohl sieht sie jedenfalls die im vorliegenden Fall bestehende Entfernung von 12 km zwischen dem bisherigen Vertragsarztsitz und dem begehrten Vertragsarztsitz in I1. nicht als Grund an, der einer vertragsärztlichen Versorgung entgegen steht.

Einen weiteren normativen Anknüpfungspunkt sieht das Gericht in § 5 Abs. 4 Satz 2 des Honorarverteilungsmaßstabs (HVM) der Klägerin in der ab dem 01.01.2012 geltenden Fassung (abrufbar unter http://www.kvno.de/downloads/honorar/hvm1201.pdf). Danach kann von einer Neu-zulassung ohne Praxisvorgänger im Sinne von § 6 Abs. 2 HVM ausgegangen werden, wenn anzunehmen ist, dass bei einer Praxisverlegung im wesentlichen nicht mehr die gleichen Patienten des bisherigen Zulassungsortes versorgt werden können. Die Annahme gilt grundsätzlich bei Praxisverlegungen von Hausärzten außerhalb von 10 km Radius um die bisherige Praxis; bei Fachärzten beträgt der Radius 20 km. Dass es sich hierbei um untergesetzliches Recht handelt, hindert die Kammer jedenfalls nicht daran, dieses zur Auslegung von § 24 Abs. 7 Ärzte-ZV heranzuziehen. Selbst wenn man auf die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltende Fassung des HVM abstellen wollte, betrüge der für Fachärzte maßgebliche Radius 20 km, § 5 Abs. 5 Satz 2 des HVM in der ab dem 01.10.2013 geltenden Fassung (abrufbar unter http://www.kvno.de/downloads/honorar/hvm1303.pdf).

Die von der Klägerin weiter geltend gemachten Gründe schließlich vermögen eine Versagung des Verlegungsbegehrens nicht zu begründen. Selbst wenn der Beigeladene zu 6) den Praxisstandort in I. faktisch nahezu "aufgegeben" haben sollte, so sind dies jedenfalls keine Gründe, die im Rahmen dieses Verfahrens – in dem nach § 24 Abs. 7 Ärzte-ZV ausschließlich die vertragsärztliche Versorgung eine Rolle spielt – Bedeutung erlangen könnten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 6) waren der unterlegenen Klägerin aufzuerlegen, weil dies der Billigkeit entspricht. Der Beigeladene zu 6) hat nämlich einen (erfolgreichen) Sachantrag gestellt und sich somit selbst dem Kostenrisiko ausgesetzt (allgemein dazu etwa Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 197a Rdnr. 29).

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Danach ist die Bedeutung der Streitsache für den Kläger entscheidend. Wendet sich jedoch – wie im vorliegenden Fall – die Kassenärztliche Vereinigung als Klägerin gegen eine Entscheidung des Berufungsausschusses, so kann das wirtschaftliche Interesse der KÄV durch dasjenige des Zugelassenen bestimmt werden, wenn ein eigenes wirtschaftliches Interesse weder ersichtlich ist, noch vorgetragen wird (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.03.2012 – L 11 KA 134/11 B = juris). So liegen die Dinge hier. Ein eigenes wirtschaftliches Interesse der KÄV, die im vorliegenden Fall eine Entscheidung des Berufungsausschusses anficht, ist nicht ersichtlich. Auch hat die Klägerin im Rahmen der in der mündlichen Verhandlung zur Streitwertfestsetzung erfolgten Anhörung ein eigenes wirtschaftliches Interesse nicht darzulegen vermocht. Was das wirtschaftliche Interesse des Beigeladenen zu 6) angeht, so folgt die Kammer der (unverbindlichen) Festlegung im Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl. 2012, Abschnitt C.X.16.10. Danach ist bei einem Streit um die Genehmigung der Verlegung eines Vertragsarztsitzes der dreifache Regelstreitwert anzusetzen.
Rechtskraft
Aus
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